Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 147† Bursfelde, Klostergebäude nach 1444, vor 1543

Beschreibung

Wand in einem Saal der Klostergebäude. Nach Letzner war folgende lateinische Schrifft ... zu Bursfelde auff einem Saal an der Wand gantz zierlich geschrieben (A). Für denselben Saal nennt Letzner noch weitere Inschriften (B–E), zu Inschrift E vermerkt er, daß sich der Pfalzgraf Johann II. bei Rhein zu Simmern (1492–1557) die Inschrift bei einem Besuch in Bursfelde im Jahr 1543 notiert habe.1)

Inschriften nach Letzner, SUB Göttingen, Ms. Hist. 248.

  1. A

    Anno 1094 circiter gloriosus Comes et Dux cognomento Magnus Ottonis illustris Bavarorum Ducis et Northemensium Comitisa) successor et senior filius inclytae Gertrudis uxoris suae legitimae quae Marchionis Saxonum et Brunsvicensium filia erat omniumque heredum suorum unanimi assensu pressusb) inchoavit Monasterium quod heu imaturiori praeventusc) morte juxta devotionis suae propositum perficere nequiens Othoni unico filio conjugisd) suae jam dictaee) consummandumf) dereliquit Quo tandem completo eadem Gertrudis devotissima Brunsvicum rediens Monasterium S. Aegidii nostri Ordinis ibidem fundavit beatoque ut pie confidimus situg) quiescens inibi sepulta est Coenobio S. Cyriaci ibidem a Patre suo Eckberto jam antea condito

  2. B

    Quam domino Illustris Dux Henricus offerebamh) Ecclesiam Engern huic tutor adesto pius Nec paterei) hanc quo illi est plenaj) datur libertask) soluml) ullius imperio servitioque premi

  3. C

    Magnanimim) Imperion) sublimis honore Lothari Hanc Domini erectamo) glorificarep) domum Quam tunc illustris socerq) Henricus comes et Dux Servitii expertem condidit atque jugi

  4. D

    Sub patrocinio commendo Thomae et Nicolair) Inclyte Coenobium hoc Dux Benedicte Tibi Cui septem decies post lustras) ego religionis Praecipue clarum nomen in orbe dabo

  5. E

    Otto der erster Pfaltz Graff beym Rhein hat Pfaltz Graff Henrichs Töchterlein Mit Zucht Manheit er sie erficht Die Pfaltz Chur bleib bey sein geschlecht

Übersetzung:

Ungefähr im Jahr 1094 hat der ruhmreiche Graf und Herzog mit Beinamen der Große [= Heinrich der Fette, Graf von Northeim, vgl. Nr. 47], Nachfolger und älterer Sohn Ottos, des berühmten Herzogs der Bayern und Northeimischen Grafen [= Otto von Northeim], auf Drängen seiner rechtmäßigen Gattin, der berühmten Gertrud, die die Tochter des Markgrafen von Sachsen und Braunschweig [gemeint ist Eckbert I. Markgraf von Meißen, s. u.] war, und mit einmütiger Zustimmung aller seiner Erben dieses Kloster (zu bauen) begonnen, das er, da ihm, ach, sein vorzeitiger Tod zuvorkam, nicht dem Ziel seines Gelübdes entsprechend vollenden konnte und Otto, dem einzigen Sohn seiner bereits erwähnten Gattin, zur Vollendung hinterließ. Nachdem dieses schließlich vollendet war, kehrte dieselbe äußerst fromme Gertrud nach Braunschweig zurück und gründete ebendort das Kloster St. Ägidien unseres Ordens. Und sie, die, wie wir fromm vertrauen, an seligem Ort ihre Ruhe gefunden hat, ist dort begraben im Kloster des heiligen Cyriacus, das ebendort schon früher von ihrem Vater Eckbert [= Eckbert I. Markgraf von Meißen, s. o.] begründet worden war. (A)

Der Kirche von Engern, die ich, der berühmte Herzog Heinrich, dem Herrn schenkte, sei du ein frommer Beschützer und laß nicht zu, daß diese durch irgendjemandes Gewalt und Dienstbarkeit, von welcher sie allein vollkommen freigestellt ist, bedrückt wird. (B)

Verherrliche dieses Haus des Herrn, das auf Geheiß des großherzigen, an Ehre erhabenen Lothar [= Lothar III., Schwiegersohn Heinrichs des Fetten] errichtet wurde, das einstmals sein berühmter Schwiegervater, der Graf und Herzog Heinrich von Dienstbarkeit und Last befreit gegründet hat. (C)

Unter dem Patronat des Thomas und Nikolaus empfehle ich, der Herzog, dir, ruhmvoller Benedikt, dieses Kloster, dem ich nach 350 Jahren einen besonders gerühmten Namen der Frömmigkeit auf der Welt verschaffen werde. (D)

Versmaß: Elegische Distichen (B–D).

Kommentar

Der Umstand, daß Letzner lateinische Texte in der Regel nur fehlerhaft wiedergegeben hat, erschwert hier die Rekonstruktion des ursprünglichen Textes. Die vorgenommenen Emendationen orientieren sich an den bekannten historischen Sachverhalten, sind aber nicht in jedem Fall die einzig mögliche Lösung.2)

Vermutlich handelte es sich bei den Inschriften um Beischriften zu einem größeren Bildprogramm, das bei Letzner unerwähnt geblieben ist. Erzählt wird in Inschrift A die Gründungsgeschichte des unter das Patrozinium der Heiligen Thomas und Nikolaus gestellten Benediktinerklosters Bursfelde, das Heinrich der Fette, Graf von Northeim, begründete und das seine Ehefrau Gertrud, die Tochter des Markgrafen Eckbert I. von Meißen, und ihre Kinder Otto, Richenza und Gertrud weiter förderten. Da Richenza mit Lothar von Süpplingenburg verheiratet war, ist dieser offenbar in Inschrift C genannt, um den Königsschutz zu betonen, unter dem das neuerrichtete Kloster stand, auch wenn sich in den Quellen keine Förderung des Klosters Bursfelde durch Lothar III. nachweisen läßt. Vermutlich ist in Inschrift B ebenso wie in Inschrift D Benedikt als Beschützer des Klosters angesprochen. Die besondere Bedeutung, die man Herzog Heinrich als Klostergründer zumaß, wird hier noch dadurch betont, daß man ihm in den Inschriften den Herzogstitel verlieh, den nur sein Vater Otto als Herzog von Bayern trug. Die Inschriften B und C betonen zwar einerseits die besondere Rolle des Gründers, andererseits aber die Freiheit des Klosters. Damit spiegeln die Inschriften das von Ziegler betonte Spannungsverhältnis zwischen Eigenkloster und der durch die Hirsauer Kirchenreform geforderten Selbstbestimmung wider, in dem das Kloster Bursfelde in seiner Anfangszeit stand.3) Die aus Inschrift D zu errechnende Jahreszahl 1444 bezieht sich auf die in den Jahren nach 1433 durchgeführte Bursfelder Reform. Bemerkenswert, aber aus der auch sonst im Zuge von Reformbewegungen nachweisbaren Rückbesinnung auf den Stifter erklärlich, ist die Sichtweise von Inschrift D auf das Reformgeschehen, das der Inschrift zufolge der Stifter Heinrich von Northeim vom Himmel herab veranlaßt hätte. Inschrift E bezieht sich auf die spätere Nachkommenschaft des Klostergründers, dessen Ururenkel Heinrich der Ältere, der Sohn Heinrichs des Löwen, mit der Tochter des Pfalzgrafen Konrad, Agnes, verheiratet war und über diese den Pfalzgrafentitel erbte. Die Tochter von Heinrich und Agnes, Agnes, heiratete Otto II. von Bayern, auf den dadurch der Titel des Pfalzgrafen bei Rhein überging.4) Die Bezeichnung als Otto der erster in der Inschrift ist mißverständlich und kann höchstens dahingehend verstanden werden, daß er als erster seines Geschlechts den Pfalzgrafentitel führte. Es wäre denkbar, daß die Inschrift E jünger ist, als die lateinischen Inschriften. Setzt man dies voraus, so könnten die anderen Inschriften – vermutlich im Zusammenhang mit einem Bildprogramm – wie das Stiftergrab (Nr. 47) und das Wandmalereiprogramm in der Kirche (Nr. 59) – ebenfalls im Zuge der Bursfelder Reform entstanden sein. Der Inhalt von Inschrift D würde für eine solche zeitliche Einordnung sprechen.

Textkritischer Apparat

  1. Comitis] Comes Letzner.
  2. pressus] prescus Letzner. Denkbar wäre auch precatus.
  3. praeventus] proventus Letzner.
  4. conjugis] coniugae Letzner.
  5. dictae] dicto Letzner.
  6. consummandum] consumandum Letzner.
  7. situ] sive Letzner.
  8. offerebam] Offie Letzner. Die Emendation ist nicht ganz sicher.
  9. patere] pater Letzner.
  10. plena] plene Letzner.
  11. libertas] libera Letzner.
  12. solum] soli Letzner. Möglich wäre auch sola.
  13. Magnanimi] Magnanimo Letzner.
  14. Imperio] Imperii Letzner.
  15. erectam] electam Letzner.
  16. glorificare] glorificata Letzner.
  17. socer] soror Letzner.
  18. Thomae et Nicolai] Thoma et Nicolao Letzner.
  19. lustra] lustris Letzner.

Anmerkungen

  1. Letzner, SUB Göttingen, Ms. Hist. 248, p. 144.
  2. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Fidel Rädle (Göttingen) und Prof. Dr. Ulrich Schindel (Göttingen) für ihre Hilfe bei der Rekonstruktion des Textes.
  3. Walter Ziegler in Germania Benedictina VI, S. 81f.
  4. Die genealogischen Angaben nach der Stammtafel in Braunschweigische Landesgeschichte, S. 193, sowie nach Geschichte Niedersachsens, Bd. 2,1.

Nachweise

  1. Letzner, SUB Göttingen, Ms. Hist. 248, p. 142f.

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 147† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0014709.