Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 111 Hann. Münden, Zwinger am Obertor 1502, 1578

Beschreibung

Steinquader mit Bauinschriften und Wappenstein am Zwinger des Obertors, der sogenannten ‚Rotunde’. Auf der Westseite des Zwingers ist oben ein großer farbig gefaßter Wappenstein über einem hochrechteckigen Quader links und einem querrechteckigen Quader rechts eingesetzt. Auf dem querrechteckigen Quader in vier Zeilen die Inschrift A in erhaben gehauenen Buchstaben. Die Schrifttafel stammt wie die große Wappentafel darüber von dem 1776 abgebrochenen Obertor.1) Das Vollwappen wird von zwei Wilden Männern gehalten. Unter dem Wappen die Jahreszahl B in erhabenen Ziffern. Auf dem hochrechteckigen Quader das verwitterte Relief eines bekrönten(?) Mannes mit einer Sichel und einem Schriftband in den Händen.2) Die offenbar in gotischer Minuskel ausgeführte Inschrift des Schriftbandes ist vollständig verwittert. Möglicherweise stammt das Relief, an das sich irrtümlich eine Legende um den frei erfundenen ‚heiligen Thoroldus’ knüpfte, von der Burg Sichelstein und wurde nach deren Auflassung hier verbaut.3) Ebenfalls auf der Westseite des Zwingers ist als Sturz einer Fensteröffnung im unteren Bereich ein querrechteckiger Quader eingemauert, über den in drei Zeilen die stark verwitterte Inschrift C in erhaben gehauenen Buchstaben verläuft, die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts noch deutlich besser zu lesen war.4)

Inschrift C ergänzt nach Foto von 1961.

Maße: H.: ca. 30 cm; B.: ca. 80 cm; Bu.: ca. 7 cm (A). H.: 38 cm; B.: 138 cm; Bu.: ca. 10 cm (B). H.: 37 cm; B.: 137 cm; Bu.: 8,5 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (C), mit Versalien (A).

Sabine Wehking [1/4]

  1. A

    milesimo chr(ist)ia) quingentesimo(que)b) secundo structa ab Erico valva rotunda nitensc) in · chr(ist)od) · felix · amphitrito(n)ia · uiuase) Clauis · bruno(n)ie · (et)f) · po(r)ta · theopoleos · 5)

  2. B

    1578

  3. C

    [.....s · fortiss.ma · nomen] / [.]omini g) · ad · ipsam · cvrri[t · iu/stus] · et · exaltabitur · p(ro)[v(erbia) xviii] 6)

Übersetzung:

(Im Jahr) Christi 1502 wurde dieses prächtige runde Tor von Erich erbaut. Mögest du glücklich in Christus leben, du Wasserreiche, brunonischer Schlüssel und Tor von Göttingen5). (A)

Der Name des Herrn ist ein starker Turm. Zu ihm eilt der Gerechte und wird erhöht werden. (C)

Versmaß: Zwei elegische Distichen (A).

Wappen:
Braunschweig-Calenberg7)

Kommentar

Entgegen der Angabe in der Inschrift A wurde das Obertor im Jahr 1502 nicht durch Herzog Erich I. erneuert, sondern auf Kosten der Stadt Münden ausgebaut. Dies ergab sich zweifelsfrei aus den Kämmereirechnungen.8) Daß Münden in der Inschrift A als Schlüsselstellung des braunschweigischen Herrscherhauses bezeichnet wird, liegt angesicht der hier gleichzeitig ausgebauten Residenz Erichs I. (vgl. Nr. 110) nahe. Weniger naheliegend ist die Sichtweise, daß Münden das Tor der Stadt Göttingen bildete, jedenfalls dann, wenn man die Perspektive des Mündener Rates einnimmt, der für die Ausführung der Inschriftentafel aufkam. Zwischen benachbarten Städten der damaligen Zeit bestand generell eher ein Konkurrenzverhältnis, und das als Knotenpunkt der Schiffahrt von Werra, Fulda und Weser für den Handel bedeutsame Münden konnte auch verkehrstechnisch kaum als Tor zu Göttingen angesehen werden. So liegt die Vermutung nahe, daß Theopolis hier nicht die Stadt Göttingen, sondern das gesamte Fürstentum Calenberg-Göttingen meint, an dessen südlicher Grenze Münden lag. Die unzutreffende Formulierung ab Erico erklärt sich möglicherweise dadurch, daß die Inschrift von den Mündener Räten Herzog Erichs I. entworfen wurde.

Eindeutig belegt ist die Finanzierung der Wappentafel von 1578. Während die Kämmereirechnungen von 1502 die Ausgaben für umfangreichere Bauarbeiten – darunter wohl auch die Anfertigung der Inschriften A und C – am Obertor nur summarisch verzeichneten,9) läßt sich anhand der Rechnungen von 1575 bis 1579 detailliert die Anfertigung des Wappensteins mit der Jahreszahl verfolgen.10) Im Jahr 1575 wurde danach zunächst der Stein gehauen. Die Fuhrleute, die den Wafenstein von Hedemünden nach Münden brachten, erhielten für das Aufladen in Hedemünden und das Abladen in Münden zweimal Zehrgeld, der Meister Elias, der das Wappen hauen sollte, bekam zunächst 1 Taler dringgeld. Später erhielt derselbe Meister 34 Taler für die Ausführung des Reliefs sowie noch einmal 8 Taler für das Einsetzen des Steins im Jahr 1578. Das für die Einsetzung erforderliche Gerüst stellte Bartold Isenberg zusammen mit seinem Knecht auf. Er erhielt dafür 1579 die noch vom Vorjahr ausstehende Summe von 20 Ferding für fünf Tage Arbeit, sein Knecht 32 Ferding für acht Tage Arbeit. Die farbige Fassung führte der Hildesheimer Meister Ludeke Rotermundt aus, der gleichzeitig auch die Ratsstube und die Neue Kämmerei ausmalte und dafür insgesamt 53 Taler erhielt. Für die auf dem Wappenstein angebrachten Vergoldungen erwarb die Stadt für 1 Taler 1 buch goldt ist zum wappenn von Anton Mengershausen. Die sonstigen Farben für den Wappenstein, die Ratsstube und die Neue Kämmerei schlugen mit der recht erheblichen Summe von 13 Talern 1 Groschen und 3 Pfennigen zu Buche, die Hans Schmieden gezahlt wurden. 3 Mark und 20 Schilling erhielt Christoffer Göbeln vor 10 (Loth) 2 (Quentchen) Bleij darmit die Klammeren an dem fürstlichen wapen eingegossen worden, 13 Groschen zahlte man an Hans Platner vor kleine potte, darinn der Mahler die Farbe gehabt, 2 Mariengroschen und 4 Pfennige an Johann Heßler vor Nagel und stricke zu denn gerüstenn vorm Obern dohr, Rahtstuben und newen Camerey und schließlich 2 Mark an Jost Thonen vor 16 klammeren darmit das wapenn angeschafft.

Textkritischer Apparat

  1. xpi.
  2. Das Kürzungszeichen für que fehlt, das Versmaß erfordert aber diese Silbe.
  3. nitens]ridens Willigerod.
  4. xpo.
  5. uiuas] nitens Lubecus.
  6. Tironisches et.
  7. Zu ergänzen zu: Turris fortissima nomen domini.

Anmerkungen

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 142.
  2. Nach Fischer, Kunstdenkmäler, S. 23, „Petrus als Torwart“. Auch Mithoff, Kunstdenkmale, S. 142, Anm. 5, identifiziert die Figur als Petrus. Bei dem Attribut handelt es sich aber zweifelsfrei um eine Sichel und nicht um einen Schlüssel.
  3. Heinz Hartung, Das Obere Tor und seine Reliefs. In: Unsere Heimat. Beilage der Mündenschen Nachrichten 1965, November (Nr. 2) u. Dezember (Nr. 3). Hartung widerlegt bereits die Legende von dem ‚heiligen Thoroldus’, die sich aus einer Verknüpfung des am Obertor angebrachten Reliefs mit Einträgen in den Kämmereirechnungen der Stadt gebildet hatte. Dabei wurde der Name des Geistlichen Johannes Thorold, der im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts die Collatio Thoroldi, eine bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in den Kämmereirechnungen verzeichnete jährliche Beköstigung des Mündener Rates, stiftete, offenbar als ‚Hüter des Tores’ ausgelegt. Die Collatio Thoroldi ist in den Auszügen aus den verlorenen Kämmereiregistern regelmäßig verzeichnet (StA Hann. Münden, Nachlaß Otto Budde, Nr. 3, Heft 3–6, zu den Stiftungen des Johannes Thorold vgl. die Auszüge aus dem verlorenen Stadtbuch ebd., Nr. 4, Heft 2).
  4. Ich danke Heinz Hartung (Hann. Münden) für die Überlassung eines 1961 aufgenommenen Dias, das die Inschrift noch in einem sehr viel besseren Zustand zeigt.
  5. Die Bezeichnung Göttingens als Theopolis kommt auch in einer Inschrift an der Göttinger Ratsschule vor (vgl. DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 54). Die Meeresgöttin Amphitrite, nach der Münden hier benannt ist, war die Gemahlin des Neptun.
  6. Prov. 18,10.
  7. Wappen Braunschweig-Calenberg (quadriert, 1. zwei Leoparden übereinander (Braunschweig), 2. steigender Löwe im mit Herzen besäten Schild (Lüneburg), 3. bekrönter Löwe (Eberstein), 4. Löwe (Homburg)). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 28 u. Tafel 49.
  8. Auszüge aus den verlorenen Kämmereirechnungen 1410 bis 1580, StA Hann. Münden, M1/2/22, Nachlaß Bernhard Uhl, sowie Nachlaß Otto Budde, Nr. 3, Heft 5 (1501–1578).
  9. StA Hann. Münden, Nachlaß Otto Budde, Nr. 3, Heft 5.
  10. StA Hann. Münden, M1/2/22, Nachlaß Bernhard Uhl, Auszüge aus den Kämmereiregistern 1410–1580, sowie Nachlaß Otto Budde, Nr. 3, Heft 5.

Nachweise

  1. Foto 1961, Heinz Hartung, Hann. Münden (C).
  2. Lubecus, Annales, S. 277.
  3. Biskamp, Münden, p. 67 (A).
  4. Johann Ludolph Quentin, Berichtigung einer die Stadt Münden angehenden Stelle, der sonst trefflich bearbeiteten Geschichte des dreißigjährigen Krieges, 1ten Teils, von Hrn. Friedrich Schiller. In: Neues Hannoversches Magazin 6, 1796, S. 285–288 u. S. 427–432, hier S. 431 (A).
  5. Veldeck, Göttingen, S. 247f. (A nach Biskamp).
  6. Willigerod, Geschichte, S. 311 (A).
  7. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 142.
  8. Heinz Hartung, Das Obere Tor und seine Reliefs. In: Unsere Heimat. Beilage der Mündenschen Nachrichten 1965, November (Nr. 2) u. Dezember (Nr. 3), Abb. (A–C).

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 111 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0011109.