Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 66: Lkr. Göttingen (2006)
Nr. 87 Hann. Münden, ev.-luth. Kirche St. Blasius 4. V. 15. Jh.
Beschreibung
Schlußsteine. Die Schlußsteine von St. Blasius sind nach ihrer sehr unterschiedlichen Gestaltung in zwei Gruppen zu differenzieren. Die erste Gruppe bilden die vermutlich Ende des 15. Jahrhunderts bei der Einwölbung des Langhauses eingesetzten Schlußsteine. Dabei handelt es sich um vier Steine mit den Darstellungen der Evangelistensymbole (Tituli A–D auf Schriftbändern) im Chor sowie in den drei östlichen Gewölbefeldern des Langhauses und um zwei Schlußsteine im zweiten und dritten Joch von Osten im südlichen Seitenschiff mit einer Darstellung des Apostels Andreas mit Titulus E, auf dem Andreaskreuz ein Steinmetzzeichen (M7), sowie mit einer Darstellung der Madonna mit Kind im Strahlenkranz auf der Mondsichel ohne Titulus. Beide Schlußsteine sind umgeben von Rosetten und Wappenschildchen auf den von ihnen ausgehenden Rippen. Die Tituli sind eingehauen, A–D in Schwarz auf Weiß, E in Rot auf Gelb gefaßt. Auf der Rippe zwischen diesen beiden Jochen ein Wappenschild mit der bekrönten Stadtmarke (S1a), links und rechts davon zwei Medaillons mit Sonne und Mond. Die zweite Gruppe von Schlußsteinen, die sich auf die übrigen Gewölbefelder verteilen, besteht aus mit bemalten Holzscheiben besetzten Steinen aus der Zeit um 1677.1)
Maße: Bu.: ca. 7 cm.
Schriftart(en): Kapitalis (A–D), gotische Minuskel mit Versalien (E).
- A
S · IOAN(N)ESa) ·
- B
S · MATTHAEVS ·
- C
S · MARCVS
- D
S · LVCAS ·
- E
SanctvSb) Andreas
Textkritischer Apparat
- Das N retrograd.
- Der linke Teil des gebrochenen oberen Bogens des a ist farbig nicht gefaßt, wodurch der Buchstabencharakter verfälscht ist.
Anmerkungen
- Die Scheibe vor dem vierten Schlußstein im südlichen Seitenschiff trägt das Wappen Mengershausen mit der Beischrift 16. 77. // DER MENGERSHAUSEN. Die Scheiben im Mittelschiff tragen neben dem jeweiligen Wappen ihres Stifters Darstellungen der Verkündigung (auf dem Schriftband des Engels eine nicht lesbare Inschrift), der Auferstehung (Scheibe bezeichnet mit KAUF//GILDE) sowie eines Heiligen mit Kelch. Die Scheiben im nördlichen Seitenschiff zeigen Christus mit zwei Engeln (bezeichnet mit SALVATOR // MUNDI), eine Pieta (Scheibe bezeichnet mit FRILIGE//HAUSEN) sowie Maria mit Kind im Strahlenkranz (Scheibe bezeichnet mit HAKEN WAPEN).
- 1000 Jahre St. Blasius, S. 48.
- Ebd., S. 34; Kock, St. Blasius, S. 11. Die Angabe Brethauers „Er [Letzner] sah die Schlußsteine im Deckengewölbe, die von den Familien Mengershausen, Hake, Frilinghausen als stolze Bekundung ihres Beitrags zum Weiterbau ... angebracht worden waren“ (1000 Jahre St. Blasius, S. 34) ist eine freie Erfindung, da Letzner die Schlußsteine mit keinem Wort erwähnt.
- Vgl. Anm. 1.
- Letzner, SUB Göttingen, Ms. Hist. 248, p. 882.
- Diese Angaben beruhen auf den Auswertungen der verlorenen Kämmereiregister zur Baugeschichte von St. Blasius, StA Hann. Münden, Nachlaß Otto Budde, Nr. 1, Heft 77.
- Pfarrarchiv St. Blasius, Hann. Münden, KR I. 1.
- StA Hann. Münden, Nachlaß Otto Budde, Nr. 1, Heft 77. In Frage käme aber auch der Hildesheimer Bischof Bertold von Landsberg oder ein nicht nachzuweisender Weihbischof. Der Name des Bischofs ist in den Exzerpten aus den Kämmereiregistern als bertolde von pana wiedergegeben, wobei es sich nur um eine Verschreibung handeln kann.
- Lufen, Altkreis Münden, S. 134.
Nachweise
- Mithoff, Kunstdenkmäler, S. 138.
- Lotze, St. Blasii-Kirche, S. 20.
- Fischer, Kunstdenkmäler, S. 21.
- 1000 Jahre St. Blasius, Abb. S. 48 (A).
Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 87 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0008708.
Kommentar
Die bisherige zeitliche Einordnung der Schlußsteine mit den Evangelistensymbolen auf die Zeit um 12802) wie auch die Datierung der bemalten Scheiben auf die Zeit um 15203) entbehren jeder Grundlage. Im Fall der bemalten Scheiben hat man offensichtlich vollkommen darüber hinweggesehen, daß eine der Scheiben inschriftlich auf das Jahr 1677 datiert ist.4) Auch der Stil der Malerei spricht für eine Ausführung um 1677. Zudem geht die Datierung auf die Zeit um 1520 lediglich auf eine Angabe bei Letzner zurück, derzufolge das Gewölbe 1519 geschlossen worden sei.5) Die generell mit Vorsicht zu behandelnden Angaben Letzners beziehen sich in diesem Fall auf einen Vorgang, der deutlich vor seiner Mündener Zeit (1557–ca. 1560) lag und den Letzner wohl nur aus der Inschrift von 1519 (Nr. 126) entnommen hat, in der allerdings nicht von der Schließung der Gewölbe, sondern nur allgemein von der Fertigstellung eines nicht näher bezeichneten Werks die Rede ist. Die Kämmereirechnungen der Stadt, in denen die Ausgaben für den Bau der Kirche verzeichnet waren, wiesen nach 1502 keine nennenswerten Ausgaben für den Bau mehr auf.6) In den 1494 einsetzenden Kirchenrechnungen von St. Blasius hat der Kirchenbau dieser Zeit, der offensichtlich durch die Stadt finanziert wurde, keinen Niederschlag gefunden.7)
Die mit Steinreliefs versehenen Schlußsteine sind durch die in ihren Beischriften verwendete Kapitalis und gotische Minuskel eindeutig auf den Abschluß der Bauzeit des Langhauses zu datieren. Das retrograde N im Titulus des Johannes-Adlers zeigt eine Anlehnung an die zu dieser Zeit gebräuchliche frühhumanistische Kapitalis. Inwieweit auch andere Buchstaben der Tituli Elemente dieser Schrift aufwiesen, läßt sich ohne genauere Untersuchung der Schlußsteine aus der Nähe nicht beurteilen. Soweit sich das anhand von Fotos erkennen läßt, entspricht die in Schwarz auf weißem Grund ausgeführte heutige Version der Buchstaben aber nicht unbedingt den teilweise daneben sichtbaren eingehauenen Konturen. Die Darstellung des Apostels Andreas auf einem dieser Schlußsteine legt die Annahme nahe, daß auf den heute mit den Scheiben versehenen Schlußsteinen der übrigen Joche noch weitere Apostel dargestellt waren. Die zeitliche Einordnung der älteren Schlußsteine paßt zu einem Eintrag im Kämmereiregister von 1494, wonach in diesem Jahr ein Bischof Bertold – vom Zuständigkeitsbereich her der Mainzer Bischof Bertold von Henneberg – die Kirche und drei Altäre weihte,8) ebenso wie zu der dendrochronologischen Datierung des Dachstuhls auf die Zeit nach 1491–93.9)