Der Band umfaßt die kommentierte Edition von 450 Inschriften des Landkreises Göttingen bis zum Jahr 1650. Aufgenommen sind nicht nur die im Original erhaltenen Inschriften, sondern auch diejenigen Inschriften, die nur noch in älteren Abschriften oder Abbildungen vorliegen. Die Anhänge umfassen Jahreszahlen und Initialen, eine repräsentative Auswahl der Inschriften und Motive der Mündener Keramik, Hausmarken und Meisterzeichen sowie Nachträge zum Inschriftenband Stadt Göttingen.

Zwei Schwerpunkte dieses Bandes bilden die Inschriften der Städte Duderstadt und Hannoversch Münden, deren Vergleich aufgrund der unterschiedlichen territorialen und konfessionellen Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Mainz bzw. zum Herzogtum Braunschweig besonders interessant ist. Aber auch die Dorf- und Klosterkirchen des Landkreises haben eine beträchtliche Anzahl und Vielfalt an Inschriften aufzuweisen. Die größte Inschriftengruppe bilden die Hausinschriften, die sich auf den Fachwerkbestand der beiden Städte konzentrieren, gefolgt von den Grabinschriften und einem recht großen Bestand an Glockeninschriften, deren älteste noch aus dem 13. Jahrhundert stammen.

Die Einleitung des Bandes stellt Bezüge zwischen dem Inschriftenbestand und der Geschichte des Landkreises her und wertet die Inschriften und Inschriftengruppen in unterschiedlicher Hinsicht aus. Der daran anschließende Katalogteil bietet eine Wiedergabe der Texte unter Auflösung der Abkürzungen. Lateinische Texte werden übersetzt. Eine Beschreibung des jeweiligen Inschriftenträgers vermittelt einen Eindruck von dem Zusammenhang, in dem die Inschrift steht. Im Kommentar werden wichtige die Inschrift oder den Inschriftenträger betreffende Fragestellungen erörtert. Zehn Register erschließen dem Leser den Katalogteil unter verschiedenen Gesichtspunkten. Ein ausführlicher Tafelteil ergänzt die Edition.

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1. VORWORT, VORBEMERKUNGEN UND HINWEISE ZUR BENUTZUNG

1.1 VORWORT

Der vorliegende Band entstand in der Zeit vom Herbst 2001 bis zum Sommer 2006 im Auftrag der Inschriftenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Als Ausgangspunkt für dieses Projekt diente die von Werner Arnold in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts angelegte vorläufige Sammlung für den Landkreis Göttingen in der Arbeitsstelle der Göttinger Inschriftenkommission, die neben einer Sammlung der Inschriftentexte und der damals verfügbaren Literaturnachweise auch Fotos enthält. Die Sammlung konnte durch die systematischen Arbeiten am Ort und durch die Auffindung weiterer – sehr verstreuter – kopialer Überlieferung erweitert werden und umfaßt in der hier vorgelegten Edition insgesamt 450 Nummern sowie eine große Zahl von in Anhang 1 verzeichneten Jahreszahlen und Initialen. Als Ende des Erfassungszeitraums wurde auch hier die in den Bänden der Reihe ‚Die Deutschen Inschriften’ zumeist eingehaltene Zeitgrenze 1650 angesetzt, da das Ende des Dreißigjährigen Krieges für den vorliegenden Bestand einen sinnvollen Einschnitt markiert. Die Veröffentlichung der Inschriften des Landkreises Göttingen bot zugleich die Gelegenheit, diejenigen Inschriften der Stadt Göttingen zu publizieren, die in dem 1980 von Werner Arnold edierten Inschriftenband Stadt Göttingen (DI 19) noch nicht berücksichtigt werden konnten. Diese Inschriften finden sich hier in Anhang 4.

Meine Arbeiten an den Inschriften des Landkreises Göttingen wurden in besonders freundlicher Weise durch eine große Zahl von Ortsheimatpflegern, Küstern, Pfarrsekretärinnen und Kirchenvorstehern sowie durch die Geistlichen der Kirchen unterstützt. Die große Hilfsbereitschaft, mit der sie die Erfassung der Objekte überhaupt erst ermöglicht haben, ist keineswegs selbstverständlich. Stellvertretend für sie alle möchte ich namentlich Frau Rita Kraft danken, die mir nicht nur die Kirche, sondern auch das Pfarrarchiv St. Blasius in Hannoversch Münden zugänglich gemacht und mir in jeder Weise weitergeholfen hat. Sehr hilfreich bei der Suche nach Mündener Inschriftenträgern war auch Herr Burkhard Klapp vom Fachdienst für Denkmalpflege der Stadt Hannoversch Münden. Mein besonderer Dank gilt Frau Martina Krug vom Städtischen Museum Hannoversch Münden für ihre Unterstützung sowie Frau Ingrid Wenzel, die im Mündener Stadtarchiv ganz unerwartete und für die Kommentierung der Inschriften außerordentlich wichtige Akten zutage förderte. Auch der ehemalige Mündener Stadtarchivar Dr. Johann Dietrich von Pezold und der Ortsheimatpfleger Heinz Hartung haben mir in freundlicher Weise ihre Unterstützung zuteil werden lassen.

Die für die Kommentierung der Duderstädter Inschriften notwendigen Arbeiten an den Quellen des Duderstädter Stadtarchivs konnten dank des ins Internet gestellten, hervorragend zu benutzenden Digitalen Archivs der Stadt Duderstadt weitgehend von Göttingen aus erledigt werden. Darüber hinaus hat Herr Dr. Hans-Heinrich Ebeling meine Arbeiten im Stadtarchiv Duderstadt sehr freundlich unterstützt.

Auch einigen in der Stadt Göttingen ansässigen Institutionen und ihren Vertretern gilt mein Dank; zu nennen sind Herr Karl-Heinz Bielefeld vom Kirchenkreisarchiv, Frau Edda Pyras vom Kirchenbuchamt, Herr Dr. Ernst Böhme vom Stadtarchiv und Herr Dr. Jens-Uwe Brinkmann vom Städtischen Museum. Darüber hinaus danke ich auch den Damen und Herren des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover und Pattensen sowie des Bistumsarchivs der Diözese Hildesheim. Frau Dr. Monika Tontsch (Kirchliche Denkmalpflege der Diözese Hildesheim) und Herr Dr. Hasso von Poser (Amt für Bau- und Kunstpflege der Landeskirche Hannovers) haben mir die Inventare zu den katholischen und evangelisch-lutherischen Kirchen des Landkreises Göttingen zugänglich gemacht.

Bei den Außenarbeiten haben mich Frau Anika Ilse und Frau Meike Willing tatkräftig unterstützt. Herr Prof. Dr. Fidel Rädle (Göttingen) hat mir bei der Edition einiger problematischer lateinischer Inschriften entscheidend weitergeholfen. Die Vorlagen zu den in Anhang 3 wiedergegebenen Hausmarken und Meisterzeichen hat Frau Annette Schwandt (Hamburg) angefertigt. Die Kollegen der anderen Inschriftenarbeitsstellen haben mir in gewohnter Weise auch diesmal wieder mit Rat und Tat zu Seite gestanden. Frau Inga Finck hat verschiedene Kontrollgänge am Manuskript durchgeführt und sich ebenso wie Dr. Jens-Uwe Brinkmann der Mühe des Korrekturlesens [Druckseite 8] unterzogen. Der Vorsitzende der Göttinger Inschriftenkommission Prof. Dr. Ulrich Schindel hat bei seiner Durchsicht des Manuskripts besonders die Übersetzungen der lateinischen Inschriften überprüft. Ein ganz herzlicher Dank gilt ihm auch für seine Unterstützung und sein Interesse in jeder Phase dieses Projekts.

Mein ganz besonderer Dank gilt auch diesmal wieder Frau Dr. Christine Wulf (Inschriftenkommission Göttingen), die das Entstehen dieses Bandes von Beginn an bis zu den Korrekturdurchgängen in gewohnt kompetenter Weise begleitet hat.

Göttingen im Sommer 2006

Sabine Wehking

1.2 VORBEMERKUNGEN UND HINWEISE ZUR BENUTZUNG

Die vorliegende Edition umfaßt die Inschriften des Landkreises Göttingen bis zum Jahr 1650. Vollständigkeit wurde zwar angestrebt, war aber sicher nicht für jeden Ort des Landkreises zu erreichen, da sich während der Aufnahmearbeiten gezeigt hat, wie sehr diese von Hinweisen der Ortskundigen auf nicht ohne weiteres zugängliche Inschriften abhängig ist. Als Kriterium für die Aufnahme von Inschriften gilt das Provenienzprinzip, d. h. es wurden nur solche Stücke berückichtigt, die sich vor 1651 im Landkreis Göttingen befunden haben. Dies bedeutet z. B., daß die in den Kirchen des Landkreises vorhandenen Leihglocken hier keine Berücksichtigung finden konnten. Aufgenommen wurden sowohl original erhaltene als auch kopial überlieferte Inschriften. Die Aufnahme und Anordnung der Inschriften sowie die Einrichtung der einzelnen Artikel folgt den Richtlinien der Interakademischen Kommission für die Herausgabe der Deutschen Inschriften. Entsprechend wurden alle Inschriften aufgenommen, die nicht Gegenstand anderer Disziplinen wie der Sphragistik und Numismatik sind.

Jahreszahlen und Initialen, die nicht mit anderen Inschriften in Verbindung stehen, sind in Anhang 1 chronologisch aufgeführt. Anhang 2 enthält als repräsentative Auswahl diejenigen inschriftentragenden Stücke der Mündener Töpferproduktion, die im Städtischen Museum in Hannoversch Münden bearbeitet werden konnten. In Anhang 3 sind alle Hausmarken und Meisterzeichen wiedergegeben, die mit den Inschriften in Zusammenhang stehen. Anhang 4 enthält Nachträge zum Inschriftenband Stadt Göttingen (DI 19).

Der Katalogteil

Die Inschriften sind chronologisch angeordnet. Für undatierte Inschriften wurde eine möglichst enge Eingrenzung ihres Entstehungszeitraums angestrebt. Sie sind jeweils an das Ende des ermittelten Zeitraums gestellt. Konnte ein Terminus post oder ante quem ermittelt werden, ist der Katalogartikel vor oder nach dem nächstliegenden Datum eingeordnet. Mehrere Inschriften mit gleicher Datierung sind nach alphabetischer Abfolge der Standorte und Inschriftenträger wiedergegeben.

Die Katalogartikel sind untergliedert in Kopfzeile, beschreibenden Teil, Wiedergabe des Inschriftentextes, Kommentar und Apparat.

Die Kopfzeile enthält die laufende Nummer, die Bezeichnung des Standortes und die Datierung(en) der Inschrift(en).

Ein Kreuz neben der laufenden Nummer kennzeichnet Inschriften, deren Original verloren ist.
†? Ungeklärter Verbleib des Inschriftenträgers. Es handelt sich jeweils um Fälle, in denen vermutet werden kann, daß der Inschriftenträger an einem unbekannten Ort oder hinter einer Verkleidung noch existiert.
(†) Von mehreren Inschriften auf einem Inschriftenträger ist nur noch ein Teil im Original erhalten, ein wesentlicher Teil jedoch nur kopial überliefert.
17. Jh.? Ein Fragezeichen bezeichnet eine zweifelhafte Datierung.

Der beschreibende Teil eines Artikels enthält Angaben zur Ausführung der Inschrift(en) und des Inschriftenträgers. Die Beschreibung erfolgt vom Blickpunkt des Betrachters aus. Handelt es sich um mehrere Inschriften auf einem Inschriftenträger, so werden diese mit A, B, C ... bezeichnet. [Druckseite 10]

Sind die Inschriften im Original überliefert, werden die Maße des Inschriftenträgers, die Buchstabenhöhe und die Schriftart angegeben. Sind die Inschriften nur kopial überliefert, ist die Quelle, nach der zitiert wird, genannt.

Der Inschriftentext ist eingerückt. Mehrere Inschriften auf einem Inschriftenträger sind entsprechend der Beschreibung mit A, B, C ... bezeichnet. Die Zeilenumbrüche des Originals werden bei der Wiedergabe der Inschriften nicht eingehalten, sondern nur bezeichnet. Verse werden auch dann voneinander abgesetzt, wenn das Original den Text fortlaufend wiedergibt.

Befinden sich mehrere mit A, B, C ... bezeichnete Inschriften auf einem Inschriftenträger, markiert ein Kreuz hinter dem jeweiligen Buchstaben eine im Unterschied zu anderen Inschriften desselben Trägers nicht erhaltene Inschrift.
[...] Eckige Klammern mit Punkten darin bezeichnen Textverlust, bei dem sich die Zahl der ausgefallenen Buchstaben einigermaßen genau bestimmen läßt. Ein Punkt steht jeweils für einen ausgefallenen Buchstaben. Nach kopialer Überlieferung ergänzter Text und nur noch schemenhaft erkennbare Buchstaben stehen ebenfalls in eckigen Klammern.
[– – –] Eckige Klammern mit Strichen darin stehen für Textverlust, dessen Umfang sich nicht bestimmen läßt.
( ) Kürzungen werden in runden Klammern aufgelöst. Bei der Auflösung der Abkürzungen ist AE- oder E-Schreibung je nach Usus der Inschrift eingesetzt, ebenso U- oder V-Schreibung. Wenn die Inschrift keinen Anhaltspunkt gibt, wird nach klassischem Gebrauch verfahren. Punkte auf der Grundlinie oder hochgestellte Punkte nach Abkürzungen werden nur dann beibehalten, wenn die Inschrift durchgehend mit Worttrennern versehen ist. Die Abkürzung einer Bibelstellenangabe innerhalb einer Inschrift wird nicht aufgelöst, die Abkürzung des Wortes sanctus/sancta zur Bezeichnung eines oder einer Heiligen nur in besonderen Fällen.
<...> In spitzen Klammern stehen spätere Nachträge in Inschriften oder für Nachträge frei-gelassene Stellen. Später auf dem Inschriftenträger hinzugefügte Inschriften sind nicht in spitze Klammern gesetzt, sondern mit einem zusätzlichen Datum in der Kopfzeile verzeichnet.
/ Ein Schrägstrich markiert das Zeilenende.
// Zwei Schrägstriche markieren den Wechsel des Inschriftenfeldes.
AE Die Unterstreichung zweier Buchstaben bezeichnet eine Ligatur.

Wappenbeischriften werden im allgemeinen im Anschluß an die übrigen Inschriften wiedergegeben. Bei Ahnenproben wird dabei soweit möglich die Anordnung der Wappen beibehalten. Fußnoten verweisen auf den Anmerkungsapparat, in dem die Blasonierungen und Wappennachweise zu finden sind.

Einer lateinischen Inschrift schließt sich die Übersetzung an.

Bei metrischen Inschriften folgt die Bestimmung des Versmaßes und der Reimform.

Soweit sich auf dem Inschriftenträger Wappen befinden, werden die Namen in einer der Anordnung auf dem Inschriftenträger oder der früheren Anordnung soweit wie möglich entsprechenden Form wiedergegeben. In Fällen, in denen dies bereits durch die Wiedergabe der Wappenbeischriften geleistet wird, kann hierauf verzichtet werden. Die zugehörigen Blasonierungen und Wappennachweise finden sich im Anmerkungsapparat. Wappen, die in der kopialen Überlieferung nur namentlich bezeichnet sind, werden auch dann nicht blasoniert, wenn der Wappeninhalt bekannt ist.

Der Kommentarteil enthält Erläuterungen zu verschiedenen mit der Inschrift oder dem Inschriftenträger zusammenhängenden Fragestellungen. Diese können sich beispielsweise auf Besonderheiten der Schrift oder des Inhalts einer Inschrift beziehen, historische oder biographische Angaben enthalten oder der Erklärung ikonographischer Zusammenhänge dienen. [Druckseite 11]

Der Apparat gliedert sich in Buchstaben- und Ziffernanmerkungen sowie Nachweise der kopialen Inschriftenüberlieferung.

Die Buchstabenanmerkungen beziehen sich auf textkritische Probleme der Inschrift, sie enthalten abweichende Lesarten der Parallelüberlieferung, soweit sie relevant sind, und weisen auf orthographische Besonderheiten oder fehlerhafte Stellen hin.

Die Ziffernanmerkungen enthalten Erläuterungen und Literaturnachweise. Bei den Mündener Hausinschriften, deren Numerierung verschiedentlich gewechselt hat, findet sich am Beginn der Ziffernanmerkungen ein Nachweis der vorangegangenen, von 1902 bis 1980 gültigen Adresse sowie der alten Häusernummer (No.), die eine Identifizierung der betreffenden Häuser in der älteren Literatur erleichtern soll.

Der am Schluß des Artikels folgende Absatz bezieht sich – so vorhanden – auf die wichtigsten kopialen Überlieferungen der Inschrift und gibt Abbildungsnachweise. Vollständigkeit ist bei den Quellennachweisen nicht angestrebt. Ist die Inschrift lediglich kopial überliefert, steht an erster Stelle diejenige Quelle, nach der die Inschrift zitiert wird.

2. DIE INSCHRIFTEN DES LANDKREISES GÖTTINGEN – ALLGEMEINE ENTWICKLUNGEN UND TERRITORIALE BESONDERHEITEN

Die Besonderheit der hier edierten Inschriften des Landkreises Göttingen besteht darin, daß es sich bei dem Bearbeitungsgebiet um drei Altkreise – Göttingen, Hannoversch Münden und Duderstadt – handelt, von denen die Altkreise Göttingen und Hannoversch Münden zum ehemals braunschweigischen und damit protestantisch geprägten Territorium gehörten, der Altkreis Duderstadt aber zum ehemals mainzischen und damit katholisch geprägten Territorium. Der seit dem 1. Januar 1973 bestehende Großkreis umfaßt neben den drei genannten Altkreisen noch weitere Orte, die im Zuge der Arrondierung aus anderen Landkreisen hinzukamen; als Inschriftenstandorte sind hier im Nordwesten des Bearbeitungsgebiets das ehemals zum Landkreis Northeim gehörende Adelebsen mit den Dörfern Barterode, Eberhausen, Erbsen und Güntersen zu nennen, im Nordosten das zum ehemaligen Landkreis Osterode gehörende Wollershausen. Während der Altkreis Göttingen nur mit vergleichsweise wenigen Dörfern und Inschriftenträgern in diesem Band vertreten ist, bilden die Ortschaften der beiden anderen Altkreise vor allem durch die beiden ehemaligen Kreisstädte die ganz unterschiedlich ausgeprägten Schwerpunkte dieses Bestands. Die Diskrepanz ergibt sich besonders im Vergleich der beiden großen Inschriftenstandorte – auf der einen Seite das von einer abgeschlossenen Oberschicht regierte Duderstadt weit ab von seinem katholischen Mainzer Landesherrn, auf der anderen Seite Münden, das durch die Residenz der Braunschweiger Herzöge und durch die Lage an einer wichtigen Wasserstraße gleichermaßen geprägt war.

Der Altkreis Duderstadt

Der Altkreis Duderstadt umfaßt das katholisch geprägte Untereichsfeld und setzt sich zusammen aus der Stadt Duderstadt mit ihren zugehörigen Dörfern, den sogenannten ‚Kespeldörfern’, dem großen Amt Gieboldehausen und dem kleinen Amt Lindau, zu dem außer Lindau nur die Dörfer Bilshausen, Bodensee und Renshausen gehörten. Inschriften aus dem Bearbeitungszeitraum finden sich im alten Amt Lindau nur in Bilshausen und in Bodensee, die mit drei Katalognummern kaum ins Gewicht fallen. Mehr Inschriften sind aus den zum Amt Gieboldehausen gehörenden Dörfern überliefert, der Amtssitz ist mit neun Katalognummern und einigen Baudaten vertreten, die Amtsdörfer jeweils mit nur ein oder zwei Inschriften. Den Schwerpunkt bilden die Inschriften der Stadt Duderstadt, die ein Sechstel des gesamten Bestands ausmachen.

Die heute unmittelbar an der niedersächsischen Landesgrenze gelegene Stadt Duderstadt1) ist erstmalig im Jahr 927 in einer Urkunde erwähnt, in der König Heinrich I. seine Gemahlin mit Witwengut unter anderem in Duderstadt ausstattete. Im Jahr 974 gelangte Duderstadt durch eine [Druckseite 12] Schenkung Ottos II. an dessen Schwester Mathilde, die Äbtissin des Stiftes St. Servatius in Quedlinburg. 1236 verkaufte das Stift Duderstadt an die Landgrafen von Thüringen, nach deren Aussterben es in den Besitz des Welfenhauses kam. Zu dieser Zeit hatte sich das am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrswege gelegene Duderstadt bereits von einer curtis und einer angrenzenden Kaufleutesiedlung zu einer Stadt entwickelt, die durch die Braunschweiger Herzöge gefördert wurde. Chronischer Geldmangel zwang diese jedoch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die Stadt zusammen mit dem Amt Gieboldehausen und weiteren Besitzungen in der sogenannten ‚Goldenen Mark’ an das Erzbistum Mainz zu verpfänden, das in diesem Gebiet um eine Arrondierung seines Territoriums bemüht war. Im Jahr 1342 gingen Duderstadt und das Amt Gieboldehausen durch Verkauf an das Erzstift Mainz über. Die sehr komplizierte Kaufabwicklung führte Mitte des 16. Jahrhunderts dazu, daß die Braunschweiger Herzöge Ansprüche auf ihre ehemaligen Besitzungen erhoben und diese vor dem Reichskammergericht einklagten. Der Prozeß zog sich bis zum Jahr 1692 hin, änderte aber nichts an der territorialen Zugehörigkeit Duderstadts und des Amtes Gieboldehausen zum Erzstift Mainz.2) Das kleine Amt Lindau kam nach verschiedenen Verpfändungen erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts endgültig in den Besitz des Erzstifts Mainz.

Die ehemalige Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Mainz bedingte eine konfessionelle Sonderentwicklung des Untereichsfelds im Vergleich zu den angrenzenden Gebieten. Unter dem Eindruck des sich in den benachbarten Territorien im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts durchsetzenden Protestantismus öffneten sich auch die Kirchen des Untereichsfelds um die Jahrhundertmitte protestantischen Predigern. Die Bürger der Stadt Duderstadt übernahmen hierbei eine führende Rolle und hatten eine gewisse Vorbildfunktion für die Einwohner der Dörfer.3) Offiziell blieb die Stadt Duderstadt, in der es schon in den 20er Jahren erste evangelische Predigten gegeben hatte, ebenso wie die Dörfer des Untereichsfelds bis zum Jahr 1559 katholisch. Die führenden Familien der Stadt hatten sich jedoch ebenso wie die in der Gegend ansässigen Adelsfamilien zu diesem Zeitpunkt bereits dem Protestantismus zugewandt. Noch bei einer 1549 von Mainz aus durchgeführten Kirchenvisitation gaben alle Geistlichen an, das Abendmahl nach dem katholischen Ritus zu halten. Nur zehn Jahre später baten dieselben Geistlichen die Regierung in Mainz darum, dem Druck der Bevölkerung nachgeben und das Abendmahl in beiderlei Gestalt reichen zu dürfen, da die Bevölkerung nicht mehr an katholischen Gottesdiensten teilnehme und für den Besuch evangelischer Gottesdienste auch weitere Wege nicht scheue. Zwar wurde dieses Ersuchen abschlägig beschieden, da sich die Mainzer Regierung jedoch in dieser Zeit kaum um das weit entfernt gelegene Eichsfeld kümmerte, wurde bald in sämtlichen Kirchen des Untereichsfelds evangelischer Gottesdienst gehalten. Kurz nach der Ernennung Daniel Brendels zum Mainzer Erzbischof begann 1574 die Durchführung der Gegenreformation im Untereichsfeld unter Einsetzung eigens zu diesem Zweck ausgebildeter Jesuiten. Zunächst scheiterte dieses Unterfangen jedoch am hartnäckigen Widerstand der Bevölkerung und führte erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts unter Androhung von Gewalt gegen jeden einzelnen Untertanen zu dem von der Mainzer Regierung gewünschten Ergebnis, jedenfalls was die Bevölkerung der Dörfer betraf. Viele Duderstädter Bürger hielten auch weiterhin am evangelischen Glauben fest und dokumentierten diese Haltung für jedermann deutlich sichtbar in den Inschriften an ihren Häusern (vgl. S. 18f.), auch wenn die Kirche St. Cyriakus nach längerem Hin und Her bereits 1579 endgültig wieder in katholische Hand gegeben werden mußte. Erst der Westfälische Frieden ermöglichte Mainz hier die endgültige Durchführung der Gegenreformation.4) Die Kirche St. Servatius wurde 1808 zur Zeit des Königreichs Westfalen wieder Mittelpunkt der evangelischen Gemeinde Duderstadts.

Auch heute noch wird das Bild Duderstadts geprägt durch die beiden großen Kirchen St. Cyriakus (Oberkirche) und St. Servatius (Unterkirche), das in verschiedenen Bauphasen seit dem 14. Jahrhundert errichtete und immer wieder erweiterte Rathaus sowie durch die erhaltenen bzw. rekonstruierten Teile des alten inneren Befestigungsrings, besonders durch das Westertor mit seiner charakteristischen gedrehten Dachkonstruktion. Sowohl die verschiedenen Bauphasen des Rathauses (zur seiner Baugeschichte vgl. Nr. 40) als auch die Erbauung des Westertors (vgl. Nr. 36) sind inschriftlich dokumentiert. Auch der Baubeginn von St. Cyriakus im Jahr 1394 ist inschriftlich festgehalten [Druckseite 13] (Nr. 22). Die beiden in ihrer heutigen Form im wesentlichen im 15. Jahrhundert errichteten spätgotischen Hallenkirchen St. Cyriakus und St. Servatius weisen beide große, inschriftlich datierte Schlußsteinprogramme auf (Nr. 23 u. 125). Allerdings sind die Schlußsteine von St. Servatius wie die ganze Kirche bei einem Großbrand im Jahr 1915 schwer beschädigt und in der Folgezeit weitgehend erneuert worden. Die Kirche erhielt eine Ausstattung im Jugendstil. Abgesehen von den Schlußsteinen hat St. Servatius heute nur noch zwei Grabdenkmäler aus dem Bearbeitungszeitraum aufzuweisen (Nr. 18 u. 397), von denen das außen angebrachte nahezu vollkommen verwittert ist, sowie zwei kopial überlieferte Inschriften von durch den Brand zerstörten Glocken (Nr. 32 u. 80). Das Fehlen weiterer Inschriften ist jedoch nicht auf den Brand zurückzuführen, sondern auf voraufgegangene Veränderungen des Kircheninneren, da auch die Inventare des 19. Jahrhunderts keine weiteren Inschriften verzeichnen. Dagegen hat St. Cyriakus mit 18 Katalognummern noch eine deutlich größere Zahl erhaltener Inschriftenträger aufzuweisen. Insgesamt fällt aber – vor allem im Vergleich zu Münden – die niedrige Zahl erhaltener Grabdenkmäler in den beiden Duderstädter Kirchen auf, die auch nicht durch eine kopiale Überlieferung ergänzt wird. Dies läßt darauf schließen, daß die Grabdenkmäler schon vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den beiden Kirchen entfernt worden sind. Trotz mehrfacher verheerender Stadtbrände – die beiden letzten in den Jahren 1911 und 1915 zerstörten weite Teile des Sackviertels – hat sich dagegen eine beträchtliche Zahl von Fachwerkhäusern mit Inschriften aus der Zeit vor 1650 erhalten (zu deren Besonderheiten vgl. Kap. 3, S. 17–19).

Viele Dorfkirchen des Untereichsfelds sind nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs zunächst notdürftig wiederhergestellt und dann in der Barockzeit erneuert worden. Dies hat zur Folge, daß sich hier – mit Ausnahme der Glocken und einiger an die Neubauten übernommener Tafeln mit Bauinschriften – nur wenige Inschriftenträger aus der Zeit vor 1650 erhalten haben. Da es in den Dörfern bis zum 19. Jahrhundert häufig zu Bränden kam, die ganze Straßenzüge zerstörten, gibt es hier wie auch in den anderen Altkreisen nur noch ganz vereinzelt Inschriften an privaten oder öffentlichen Gebäuden aus der Zeit vor 1650.

In jeder Beziehung eine Sonderstellung nimmt die Kirche in Wollershausen ein, die im Bearbeitungszeitraum zum braunschweigischen Territorium gehörte und unmittelbar an der Grenze zum Untereichsfeld lag. Eine enge Verbindung zum benachbarten Gieboldehausen ergab sich durch die Adelsfamilie von Minnigerode, die in beiden Orten Besitzungen hatte. Die von der Witwe des Johann von Minnigerode, Dorothea von Hanstein, unmittelbar nach 1611 umgebaute und als Familiengrablege bestimmte Kirche in Wollershausen bietet mit ihrer geschlossen erhaltenen Ausstattung aus der Erbauungszeit des Chors ein für den Landkreis Göttingen einzigartiges Ensemble von Inschriftenträgern (Nr. 306, 309, 310, 311, 312, 313, 322), zumal sich die beiden Grabdenkmäler für Johann von Minnigerode und seine Familie (Nr. 309 u. 310) durch ihre besonders hohe Qualität auszeichnen.

Der Altkreis Göttingen

Der Altkreis Göttingen setzte sich aus einer Vielzahl kleinerer Ämter und Herrschaften zusammen und umfaßte das die Stadt umgebende Gebiet mit weiter Ausdehnung nach Nordwesten und nach Süden. Eine Besonderheit unter den alten Herrschaftsbezirken stellt die Herrschaft Plesse dar, die nach dem Aussterben der Herren von Plesse in den Besitz der Landgrafen von Hessen kam (vgl. Nr. 180). Auf dieses alte Besitzverhältnis geht der Umstand zurück, daß die Kirchengemeinden dieses kleinen Gebiets noch heute evangelisch-reformiert sind. Die anderen Orte gehörten alle zum Territorium des ehemaligen braunschweigischen Fürstentums Calenberg-Göttingen. Hier führte Herzogin Elisabeth, die Witwe Herzog Erichs I., während der Vormundschaftsregierung für ihren Sohn mit Hilfe von Antonius Corvinus 1542 die evangelisch-lutherische Kirchenordnung ein.5) Erich II., der nach erlangter Volljährigkeit zum katholischen Glauben übertrat, verfügte allerdings für sein Fürstentum, daß die Gemeinden selbstverantwortlich über ihren Glauben entscheiden sollten und daß den Klöstern in dieser Sache vollständige Freiheit eingeräumt werden sollte. Abgesehen von wenigen Klöstern blieben die Gemeinden jedoch evangelisch. Nach der Übernahme der Regierung durch Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1584 wurde auch in sämtlichen Klöstern endgültig die Reformation durchgeführt.

Für das Zisterzienserinnenkloster Mariengarten und für das Benediktinerkloster Reinhausen, die beide mit Inschriften in diesem Band vertreten sind, bedeutete das Jahr 1542 die Auflösung der Konvente und den Übergang des Klosterbesitzes in landesherrliche Verwaltung. Während die ehemalige Klosterkirche in Mariengarten bis auf zwei Grabplatten (Nr. 172 u. 176) ihrer alten Innenausstattung beraubt ist, haben sich in der Kirche in Reinhausen durch die Nutzung als Gemeindekirche bedeutende Teile ihrer alten Innenausstattung erhalten, darunter ein als Wandmalereiprogramm ausgeführter Christophoruszyklus (Nr. 49) und zwei spätgotische Altäre (Nr. 82 u. 114). Die Burg Plesse, der ehemalige Sitz der Herren von Plesse, besteht heute nur noch als Ruine und hat lediglich eine kopial überlieferte Inschrift aufzuweisen (Nr. 180). Dagegen ist die Errichtung der verschiedenen zu der großen Burganlage der Familie von Adelebsen gehörenden Gebäude durch Bauinschriften und Baudaten dokumentiert (Nr. 229, 234 u. 341). Zwei große Epitaphien für Mitglieder der Familie (Nr. 196 u. 279) prägen den Chor der Adelebser Kirche, in der auch noch zwei Grabplatten (Nr. 197 u. 267) aus der ehemaligen Familiengrablege erhalten sind. Eine bedeutende Adelsgrablege ging mit dem Neubau der Kirche in Kerstlingerode in den Jahren 1857/8 endgültig verloren, die Grabdenkmäler der Familie von Kerstlingerode (Nr. 269, 321, 379) befanden sich aber vermutlich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem stark verfallenen Zustand. Von den Ausstattungsgegenständen, die die Familie stiftete, haben sich ein Kelch und eine Patene erhalten (Nr. 377 u. 378), die Inschriften weiterer Stücke sind kopial überliefert.

Der Altkreis Münden

Die Grenzen des Altkreises Münden folgten dem Verlauf der Weser und Fulda sowie im Süden der hessischen Landesgrenze. Der Altkreis umschloß im wesentlichen das alte (Ober)amt und die Stadt Münden, die Klosterämter Bursfelde und Hilwartshausen und das Gericht Jühnde. Kirchengeschichtlich gilt hier dasselbe wie für die ehemals braunschweigischen Gebiete des Altkreises Göttingen.

Zur Entstehungsgeschichte Mündens gibt es mangels sicherer Urkundenbelege verschiedene Theorien, von denen sich die Annahme Heinemeyers, es handle sich um eine Gründung der Landgrafen von Hessen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als die plausibelste inzwischen allgemein durchgesetzt hat.5)Die erste urkundliche Erwähnung Mündens fällt in das Jahr 1183, 1247 wurde der Stadt vom Braunschweiger Herzog Otto dem Kind das Stapelrecht verliehen. Dieses resultierte aus der Lage Mündens am Zusammenfluß von Werra und Fulda zur Weser und dem sogenannten ‚Werrahohl’, einem Gefälle zwischen Werra und Fulda, das die Schiffer zum vorübergehenden Entladen ihrer Waren zwang, um den Höhenunterschied mit niedrigerem Tiefgang der Schiffe zu überwinden. Münden war daher ein wichtiger Warenumschlagplatz. Zusätzliche Bedeutung erhielt es dadurch, daß die Braunschweiger Herzöge die im Nordosten der Stadt auf einer Anhöhe über der Werra gelegene Burg seit Ende des 15. Jahrhunderts als Residenz nutzten und zu diesem Zweck ausbauten. Die Funktion als Residenzstadt behielt Münden bis zum Tod Erichs II. im Jahr 1584. Allerdings hielten sich weder Erich I. noch Erich II. längere Zeit in Münden auf, auch wenn Erich II. beträchtliche Mittel für den Wiederaufbau des 1560 abgebrannten Schlosses aufwandte (zur Baugeschichte vgl. Nr. 166).

Die Bedeutung der Schiffahrt für die Stadt wuchs ab der Mitte des 16. Jahrhunderts, zumindest was die Zahl der Schiffer und ihrer Fahrten betraf, die sich bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts etwa verdoppelte.6)Im Jahr 1592 gründeten die Mündener Schiffer eine Gilde, um ihre Angelegenheiten besser regeln zu können. Allen Mündener Bürgern war es gestattet, ein Schiff zu besitzen; sofern sie nicht Gildemitglied waren, unterlagen sie aber nach Gründung der Gilde Transportbeschränkungen.7) Die Häuser der Schiffer lagen besonders in der Ziegelstraße, der Siebenturmstraße, [Druckseite 15] der Petersilienstraße, der Hinterstraße und der Tanzwerderstraße in der Nähe der Umschlagplätze.8) Auch während des Dreißigjährigen Kriegs waren lediglich die äußeren Bedingungen der Schiffahrt erschwert, das Kriegsgeschehen änderte aber nichts an dem lebhaften Schiffsverkehr.9)

Daß die Stadt in der zweiten Hälfte des 16. wie auch im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts wirtschaftlich florierte, dokumentiert die private und öffentliche Bautätigkeit, besonders der 1604/5 errichtete repräsentative Rathausbau (zur Baugeschichte vgl. Nr. 276). Als Ende des Mündener Wohlstands gilt allgemein der Überfall Tillys auf die Stadt am 26. Mai 1626, bei dem nach einem Bericht des Rates 787 Bürger zu Tode gekommen und 200 Bürger verletzt worden sein sollen. Wenn man davon ausgeht, daß Münden vor 1626 zwischen 2500 und 3000 Einwohnern hatte,9) hätte sich die Zahl der Toten immerhin auf ein Drittel bzw. ein Viertel der gesamten Bevölkerung belaufen. Den Schaden an verwüsteten Bürgerhäusern bezifferte der Rat auf 20526 Taler, den Schaden an Schiffen und deren Zubehör auf 6463 Taler.10) Eigenartig an diesen Angaben ist allerdings der Umstand, daß in den verschiedenen aus der Zeit unmittelbar nach 1626 überlieferten städtischen und kirchlichen Quellen im wesentlichen dieselben Personen genannt sind wie vor dem Überfall und daß sich in der Mündener Altstadt ein großer Häuserbestand aus der Zeit vor 1626 ebenso wie das Rathaus unversehrt erhalten hat. Dies legt zumindest den Verdacht nahe, daß der sehr stark dramatisierende und vermutlich um allgemeine Greueltopoi der Zeit bereicherte Bericht des Mündener Rates, der offenbar auch die zu Tode gekommenen Militärpersonen in die Zahl der Bürger einrechnete, von späteren Generationen allzu wörtlich genommen wurde. Sicher belegt ist lediglich, daß die Explosion des Pulverturms die Ägidienkirche und die umliegenden Häuser zerstörte. Tatsächlich wurde Münden im Dreißigjährigen Krieg wie die anderen Ortschaften des Landkreises auch durch die ständigen Kontributionszahlungen und Einquartierungen wirtschaftlich wesentlich geschwächt. Um ihre Glocken behalten zu können, mußte die Stadt nach der Einnahme im Jahr 1626 eine Summe von 1000 Reichstalern an den im Feldlager vor Göttingen (vgl. A4 Nr. 6) liegenden Grafen von Fürstenberg zahlen.11)

Die Inschriften der Stadt Münden machen mit 145 Katalogartikeln ein Drittel des gesamten Bestands dieses Bandes aus. Von den 145 Nummern entfällt ein gutes Drittel auf die Inschriften der Kirche St. Blasius, darunter eine größere Zahl im Original erhaltener Grabdenkmäler. Während die Kirche St. Ägidien, die 1626 beim Überfall Tillys auf die Stadt zerstört und erst 1684 wiederaufgebaut wurde, kaum mehr Inschriftenträger aus dem Bearbeitungszeitraum aufzuweisen hat, dokumentieren die Inschriften von St. Blasius verschiedene Baumaßnahmen an der Kirche (hierzu vgl. Nr. 71) und die öfter wiederkehrenden Hochwasser (Nr. 9, 160, 382) ebenso wie die Funktion der Kirche als herzogliche Grablege und Stadtkirche für Bürger und Hofbedienstete. Eine größere Zahl bis dahin unbekannter Grabplatten und Fragmente wurde erst 1973 im Zuge einer umfangreichen Grabung in der Kirche aufgefunden. Ein weiteres Drittel der Mündener Inschriften entfällt auf die in Fachwerk errichteten Bürgerhäuser der Stadt. Weitere Schwerpunkte bilden das 1560 durch einen großen Brand zerstörte und in den folgenden Jahrzehnten wiederaufgebaute Schloß sowie das 1604/5 errichtete Rathaus.

Zum Altkreis Münden gehören das ehemalige Benediktinerkloster Bursfelde und das ehemalige Augustinerinnenkloster Hilwartshausen. In beiden Klöstern wurde nach der Übernahme der Regierung durch Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Reformation durchgeführt. Das Kloster Hilwartshausen wurde im Dreißigjährigen Krieg weitgehend zerstört. Inschriftlich dokumentiert ist es hier durch die älteste – nur noch kopial überlieferte – Inschrift dieses Bestands (Nr. 1), die sich am Altar der Klosterkirche befunden haben soll, auf dem Wappenglas einer Äbtissin (Nr. 227) sowie in Inschriften an Ausstattungsstücken der durch die Hilwartshäuser Äbtissin in den Jahren 1610–12 umgebauten Kirche in Gimte (vgl. Nr. 294 u. 298). Anders als Hilwartshausen ist die romanische Kirche des Klosters Bursfelde, das durch die Gründung der ‚Bursfelder Kongregation’ Mitte des 15. Jahrhunderts Ausgangspunkt einer bedeutenden Reformbewegung wurde, gut erhalten (zur Gründungsgeschichte vgl. Nr. 147). Allerdings wurde die dreischiffige Basilika im 19. Jahrhundert dadurch stark verändert, daß man [Druckseite 16] zwischen dem großen dreigeteilten Chor und dem Kirchenschiff zwei Mauern einzog und die Kirche damit in eine durch einen Mittelgang getrennte West- und Ostkirche unterteilte. Die anderen Gebäude auf dem Klosterareal, die stark verfallen waren, wurden seit dem 18. Jahrhundert erneuert. Hier haben sich keine Inschriften aus der Blütezeit des Klosters erhalten, aber auch in der Kirche selbst finden sich heute nur noch zwei Inschriftenträger aus dieser Zeit. Das Stiftergrab für Heinrich von Northeim (Nr. 47) dürfte ebenso aus der Zeit der Reformbewegung Mitte des 15. Jahrhunderts stammen wie das erst bei der Restaurierung der Kirche 1902/3 entdeckte bedeutende Wandmalereiprogramm (Nr. 59) in der Westkirche.

Die übrigen Ortschaften im Altkreis Münden haben wie die Dörfer der anderen Altkreise jeweils nur wenige Inschriftenträger aus dem Bearbeitungszeitraum aufzuweisen, bei denen es sich fast ausnahmslos um Ausstattungsstücke der Kirchen handelt. Während aus den anderen Altkreisen keine Flurdenkmäler überliefert sind, haben sich im Steinbachtal bei Münden zwei Kreuzsteine erhalten (Nr. 304 u. 305), ein Steinkreuz aus der Umgebung von Varmissen (Nr. 13) gehört heute zum Bestand des Städtischen Museums Göttingen, zwei weitere Steine aus der Umgebung von Meensen sind heute nicht mehr auffindbar, ihre Inschriften aber kopial überliefert (Nr. 262 u. 387).

3. INSCHRIFTEN, INSCHRIFTENTRÄGER UND ÜBERLIEFERUNG

Von den 450 Inschriften des Landkreises Göttingen bis zum Jahr 1650 entfallen 145 Katalognummern auf die Stadt Hannoversch Münden und 76 auf die Stadt Duderstadt als die beiden Schwerpunkte dieses Bandes. Insgesamt sind 325 Inschriftenträger im Original erhalten, 125 Inschriften liegen nur noch in kopialer Überlieferung vor. Der Anteil der kopialen Überlieferung liegt in Münden bei 40 Inschriften, in Duderstadt bei 27 Inschriften. Das Verhältnis zwischen kopialer und originaler Überlieferung erklärt sich nicht durch einen hohen Erhaltungsgrad von Inschriftenträgern, sondern durch das Fehlen von systematischen Inschriftenüberlieferungen. Eine Ausnahme bilden lediglich die von Engelhard zusammengestellte Sammlung Duderstädter Hausinschriften12), die etliche durch zwei große Stadtbrände kurz nach dem Druck der Sammlung zerstörte Inschriften überliefert, sowie die 1680, 1699 und 1735 angelegten Inventare des Mündener Schlosses13), die auch die Inschriften in den einzelnen Räumen verzeichnen. Die in dem einschlägigen Kunstdenkmälerband14) enthaltenen Inschriften sind zum großen Teil heute noch im Original vorhanden. Daran zeigt sich, daß in den Kirchen schon vor der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Kunstdenkmälerinventarisation gravierende Veränderungen an der Innenausstattung vorgenommen und besonders die alten Grabdenkmäler beseitigt worden waren. Gerade für diese Gruppe von Inschriftenträgern ist im Landkreis Göttingen mit einer sehr hohen Verlustrate zu rechnen. Deutlich wird dies beispielsweise an dem überregional bedeutenden Kloster Bursfelde, für das abgesehen von dem im Original erhaltenen Stiftergrab (Nr. 47) weder kopial noch original auch nur ein einziges Grabdenkmal überliefert ist. Daß die Mündener Kirche St. Blasius im Vergleich zu St. Cyriakus und St. Servatius in Duderstadt eine relativ große Anzahl von Grabplatten aufzuweisen hat, ist lediglich dem glücklichen Umstand zu verdanken, daß diese schon seit längerer Zeit durch einen Fußboden abgedeckt und in Vergessenheit geraten waren, sonst wären wohl auch sie als Baumaterial veräußert worden.

Zeitlich verteilen sich die Inschriften des Landkreises Göttingen folgendermaßen: Sieben Nummern fallen in das 13. Jahrhundert – darunter vier im Original erhaltene Glocken –, 26 in das 14. Jahrhundert, 74 in das 15. Jahrhundert, 51 in die erste Hälfte des 16., 104 in die zweite Hälfte des 16. und 188 Nummern in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die größte Gruppe unter den 450 Inschriften machen die Hausinschriften mit 91 Nummern und zahlreichen weiteren Einträgen [Druckseite 17] von Jahreszahlen und Initialen in Anhang 1 aus, die zweitgrößte Gruppe die Grabinschriften mit 88 Nummern, zu denen im weiteren Sinn noch die Inschriften der bereits erwähnten fünf Flurdenkmäler hinzuzurechnen sind, und die drittgrößte Gruppe die Glockeninschriften mit 57 Nummern sowie einer weiteren in Anhang 1. Darüber hinaus sind hier 35 Kelche verzeichnet, davon sechs mit Patenen, 30 Bauinschriften an oder in Kirchen und öffentlichen Gebäuden, 20 Altäre sowie 17 Taufsteine mit längeren Inschriften und vier weitere in Anhang 1.

Die Hausinschriften

Die 91 Hausinschriften des Katalogteils verteilen sich im wesentlichen auf die beiden Städte Duderstadt mit 36 Nummern und Münden mit 44 Nummern, bei den restlichen Hausinschriften aus den Dörfern handelt es sich zum überwiegenden Teil um Balken ehemaliger Pfarrhäuser, die erhalten geblieben sind. Gemeinsam ist den Städten Duderstadt und Hannoversch Münden die große Zahl alter Fachwerkhäuser, die in beiden Fällen von Kriegszerstörungen mit anschließender Neubebauung – wie etwa in Braunschweig und Hannover – verschont blieben. Die weitgehend geschlossen erhaltene Fachwerkbebauung ist das Charakteristikum beider Altstädte und macht deren besondere Anziehungskraft aus. Anders als in Städten wie Hildesheim oder Einbeck weisen die Fachwerkhäuser in Duderstadt und Münden kaum figürlichen Schmuck auf, sondern mit wenigen Ausnahmen nur ornamentale Verzierungen wie Tauband, Fächerrosetten oder Blendarkaden. Trotz des ähnlichen Gesamteindrucks der Fachwerkbebauung unterscheidet sich diese in den beiden Städten sowohl hinsichtlich ihrer zeitlichen Verteilung als auch im Hinblick auf Inhalt und Ausführung der Hausinschriften ganz wesentlich voneinander. Während die Hausinschriften in Duderstadt mit Ausnahme einer kopial überlieferten Inschrift aus dem Jahr 1549 erst Ende des 16. Jahrhunderts einsetzen, finden sich unter den Mündener Hausinschriften immerhin neun Nummern aus der Zeit bis zum Jahr 1550 und 13 Hausinschriften bis zum Jahr 1582, danach gibt es jedoch eine Lücke bis zum Jahrhundertende. Bis zum Dreißigjährigen Krieg, der aufgrund der ungünstigen äußeren Umstände für beide Städte einen Rückgang privater Bautätigkeit bedeuten mußte, gibt es in Münden nur noch sporadisch weitere Hausinschriften, während sich in Duderstadt ab 1588 anhand der überlieferten Inschriften eine kontinuierliche private Bautätigkeit abzeichnet. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs setzte in beiden Städten wieder eine erhöhte Bautätigkeit ein, die zu einer – teilweise auch durch unsichere Datierungen bedingten – Konzentration der Hausinschriften am Ende des Bearbeitungszeitraums führt. Die hier gezeigten unterschiedlichen Gegebenheiten müssen bei einer inhaltlichen und schriftgeschichtlichen Auswertung des Hausinschriftenmaterials berücksichtigt werden.

Als besonders frühes Beispiel einer Hausinschrift findet sich in Münden die auf das Jahr 1457 datierte Inschrift auf den Knaggen des Hauses Kirchplatz 4 (Nr. 51), die neben der Jahreszahl erstmals – soweit bekannt – an einem norddeutschen Fachwerkhaus auch den Bauherrn und den Baumeister nennt. Die am selben Haus auf dem Schwellbalken verlaufende lateinische Inschrift aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts formuliert eine Bitte um Segen für das Haus, die sich sonst bislang nicht als Hausinschrift nachweisen läßt. Dagegen greift die etwa gleichzeitig entstandene Inschrift am Haus Lange Str. 85/87 aus dem Jahr 1540 (Nr. 144) mit der protestantischen Devise Verbum domini manet in aeternum (1. Pt. 1,25) und dem auf den Hausbau bezogenen Nisi dominus aedificaverit ... (Ps. 126,1) zwei Bibelzitate auf, die zum klassischen Repertoire norddeutscher Hausinschriften gehören. Letzteres wiederholt sich in gereimter Form in den ältesten deutschsprachigen Mündener Hausinschriften von 1545 am Haus Mühlenstr. 3 (Nr. 148) und inhaltlich abgewandelt zu einem etwas allgemeineren, ebenfalls verbreiteten Spruch (Wo Got Sinen Segen Nich Givt, Vs Arbet Al Vergebens Schicht) am ehemaligen Haus Kirchstr. 11 (Nr. 149). Am Haus Lange Str. 29 (Nr. 161) erscheint 1554 erstmalig der in Hausinschriften wohl meistverwendete, aus einem protestantischen Kirchenlied entlehnte Spruch Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut, der sich bis 1650 noch an weiteren vier Häusern findet (Nr. 178, 203, 402, 450), im Jahr 1650 am Haus Lange Str. 36 (Nr. 402) erweitert um im Himmel und auf Erden. Die in Hausinschriften allgemein geläufigen religiösen Sprüche werden ebenso wie verschiedene Bibelzitate auch in Münden häufig verwendet, beide Texttypen sind oft mit dem Namen des Bauherrn und dem Baujahr kombiniert. Eine Ausnahme unter den von religiösen Inhalten bestimmten Mündener Hausinschriften stellt der allgemein recht verbreitete Spruch Alle die mich kennen, denen gebe Gott, was sie mir gönnen (Nr. 283) aus dem Jahr 1607 am Haus Ziegelstr. 40 dar, der indirekt Bezug auf Neid und Mißgunst der Menschen nimmt. Die an anderen Orten als Hausinschriften beliebten Neidsprüche kommen in Münden sonst nicht vor. Der [Druckseite 18] größte Teil der Mündener Hausinschriften ist in deutscher Sprache verfaßt und entspricht mit seiner Schriftausführung zunächst in gotischer Minuskel und seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Kapitalis den allgemein gebräuchlichen Formen.

Aus dem Rahmen des Üblichen fallen zwei kleine Gruppen von vier bzw. drei Inschriften, deren Ausführung sich deutlich von den anderen Hausinschriften abhebt. Die Häuser Lohstr. 18 (Nr. 165), Burgstr. 4 (Nr. 167) und Burgstr. 8 (Nr. 168) aus den Jahren 1562 und 1564 tragen Baudatum und Erbauername kombiniert mit einem Bibelzitat bzw. mit einem Spruch in deutscher Sprache und entsprechen damit inhaltlich dem allgemeinen Gebrauch. Was sie auszeichnet, ist die Gestaltung in einer voll ausgeprägten frühhumanistischen Kapitalis, die die Inschrift zum beherrschenden Schmuckelement des Hauses werden läßt. Alle drei Häuser wurden offensichtlich von derselben Werkstatt errichtet. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich ausnahmslos um lateinische Inschriften, die in einer an der klassischen Form der Kapitalis orientierten, besonders sorgfältig gestalteten Schrift ausgeführt sind. In einem Fall handelt es sich um ein Bibelzitat in Kombination mit Baujahr und Erbauername (Nr. 199, Marktstr. 15), in den drei anderen Fällen um individuell formulierte Distichen religiösen Inhalts, davon zwei wiederum kombiniert mit Jahreszahl und Erbauername. Die 1555 von dem Hofschneider Andreas Tedener an seinem Haus Lotzestr. 19 (Nr. 162) angebrachte Inschrift ist heute in weiten Teilen nur noch schemenhaft zu erkennen und daher nicht vollständig zu rekonstruieren, sie zeigt aber das Bemühen des Bauherrn, seine soziale Position nach außen zu dokumentieren. Anders als bei Andreas Tedener, der als Schneider wohl kaum über eine gehobene Schulbildung verfügt haben dürfte, dokumentieren die Inschriften an den Häusern Kirchplatz 7 und 9 (Nr. 179 u. 188) aus den Jahren 1570(?) und 1576 auch den Bildungsstand ihrer Auftraggeber, des Pastors an St. Blasius Caspar Coltemann und des Mündener Ratsherrn Johann Spangenberg.

Die mit einer Ausnahme (Nr. 152/1549) erst 1588 einsetzenden Duderstädter Hausinschriften sind unter ganz anderen Vorzeichen zu betrachten als die Mündener Hausinschriften, auch wenn sich die lateinischen Inschriften am Haus des Johannes Ludolff von 1549 direkt an die eben genannten Mündener Inschriften anschließen, weil auch sie – in diesem Fall mit einem Horazzitat und einem Distichon – den gehobenen Bildungsstand des Bauherrn betonen. Um die ab 1588 von den Duderstädtern an ihren Häusern angebrachten Inschriften richtig einordnen zu können, muß man die konfessionelle Situation der Stadt Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts betrachten, die sich ganz anders darstellt als in Münden, wo die Bürgerschaft trotz der katholischen Position ihres Herzogs Erich II. nach der Einführung der Reformation in der Ausübung des evangelischen Bekenntnisses unbehelligt blieb. In Duderstadt hatte sich schon seit dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts eine – nach außen hin friedliche und undramatische – Hinwendung der Bürger zum Protestantismus vollzogen, in deren Folge in den 50er Jahren an den Kirchen St. Cyriakus und St. Servatius evangelische Geistliche eingesetzt wurden. Zunächst hatte die Mainzer Regierung dieser Entwicklung im weit abgelegenen Untereichsfeld noch weitgehend tatenlos zugesehen, war aber seit 1573 um die Durchsetzung der Gegenreformation bemüht. 1574 ließ sich der Kurfürst Daniel Brendel bei einer Reise durch das Eichsfeld in Duderstadt die Schlüssel beider Kirchen aushändigen und setzte die evangelischen Geistlichen ab.15) Diese Bemühungen waren jedoch nicht von dauerhaftem Erfolg, da die Duderstädter Bürger beharrlich am evangelischen Bekenntnis festhielten und auch wieder evangelische Geistliche einsetzten, wenn sie auch 1579 St. Cyriakus endgültig wieder in katholische Hand geben mußten. Auch in der Folgezeit sahen sich die evangelischen Bürger und der Rat immer wieder dem Druck der Mainzer Regierung und ihrer Abgesandten ausgesetzt, zumal die Jesuitenmission in den umliegenden Dörfern zumindest äußerlich zum Erfolg führte. Die Duderstädter Hausinschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts zeigen jedoch, daß diese Bemühungen in Duderstadt weitgehend fruchtlos blieben. Eine endgültige Regelung der konfessionellen Verhältnisse im Sinne der Mainzer Regierung erfolgte erst durch den Westfälischen Frieden.

Berücksichtigt man diese äußeren Umstände, so wird klar, daß es in Duderstadt etwas ganz anderes war, das als protestantische Devise verwendete Bibelzitat Rm. 8,31 Si Deus pro nobis, quis contra nos dauerhaft für alle sichtbar an seinem Haus anzubringen (Nr. 324) als in einer unangefochten protestantischen Stadt. Dasselbe gilt für Soli Deo gloria (Nr. 281) und für die ausführliche – der Strophe des protestantischen Kirchenlieds entsprechende – Form des Spruchs Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut (Nr. 273 u. 413). Den protestantischen Kampfgeist der unbekannten Erbauer dokumentieren [Druckseite 19] ganz besonders die Strophe des lutherischen Kirchenlieds Eine feste Burg ist unser Gott (Nr. 337) am Haus Marktstr. 56 ohne Baudatum und das Bibelzitat Rö. 4,5 am Haus Westertorstr. 22/24 von 1600 (Nr. 241, Dem aber, der nicht mit Werken umgeht ... ), die beide für Hausinschriften ungewöhnlich sind. Um Strophen von Kirchenliedern handelt es sich wohl auch bei Nr. 240 am Haus Hinterstr. 73 aus dem Jahr 1600 (Ich hoffe auf dich, Herr Jesu Christ ... ) und bei der undatierten Inschrift Nr. 349 an einem Haus im Sackviertel (Herr Jesu Christ, du höchster Hort ... ), die wohl aus der Zeit zwischen 1618 und 1631 stammt. Beide Inschriften entsprechen ebenso lutherischen Glaubensinhalten wie die für Hausinschriften ungewöhnlichen Bibelzitate am Haus Kurze Str. 28 von 1608 (Nr. 285; Jh. 14,23 Wer mich liebt, der wird mein Wort halten ... , Jes. 45,5 Ich bin der Herr, sonst keiner mehr ... , Jh. 10,9 Ich bin die Tür, so jemand durch mich eingehet ... ) und die Inschrift am Haus Scharrenstr. 12 (Nr. 336) aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts Der Segen des Herrn macht reich ohne Mühe (Spr. 10,22). Neben der großen Zahl protestantischer Hausinschriften ist hier noch auf eine katholisch geprägte Hausinschrift an einem Haus in der Marktstraße (alte Häusernr. 193, Nr. 412) hinzuweisen, von der man allerdings nicht sicher sagen kann, ob sie noch im Bearbeitungszeitraum entstanden ist (Maria, Mutter Gottes rein ... ). Das Thema Neid und Mißgunst der Mitmenschen ist auch in Duderstadt kaum Gegenstand der Hausinschriften; lediglich zweimal ist hier der sonst sehr geläufige Spruch Hilf Gott aus Not, Abgunst ist groß verwendet (Nr. 245 u. 323).

Wie die Mündener Inschriften ist auch der weit überwiegende Teil der Duderstädter Hausinschriften religiös geprägt, allerdings zeigen die Duderstädter Hausinschriften eine größere Variationsbreite der Texte. In diesem Zusammenhang ist noch auf die in Verse gefaßte Betrachtung über Gott als den besten Freund des Menschen (Nr. 248) hinzuweisen, die an einem wohl auf das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts zu datierenden Haus mit der alten Nr. 197 angebracht war (Den besten Freund, den du magst han ... ). Wie die zitierten Beispiele zeigen, ist Deutsch auch in den Duderstädter Hausinschriften die vorherrschende Sprache. Zwei lateinische Inschriften, die den besonderen Bildungsstand der Bauherren dokumentierten, fallen wie die eingangs angesprochene Inschrift von 1549 aus dem Rahmen. In beiden Fällen kann ihre Entstehung vor 1650 allerdings nur vermutet werden, da sie nur noch kopial überliefert sind. An einem Haus in der Hinterstraße befand sich ein längeres Zitat aus dem Werk ‚Cato maior’ des Cicero (Nr. 440), an einem Haus in der Steinstraße war ein Distichon angebracht, das Leben und Tod thematisierte (Nr. 414).

Entsprechend ihrer zeitlichen Verteilung ist die Schrift der Duderstädter Hausinschriften die Kapitalis. Hier tritt sie aber bereits um 1600 in einer vom Erscheinungsbild her barocken, mit Zierhäkchen und Zierstrichen versehenen Form auf (erstmalig 1599/Nr. 238 und 1608/Nr. 285), die so weder in Münden noch in den bisher bearbeiteten niedersächsischen Stadtbeständen wesentlich vor 1650 zu finden ist (hierzu vgl. S. 30). Zum vorherrschenden Schmuckelement wird diese Schrift am Haus Marktstr. 84 (Nr. 324) aus dem Jahr 1620, dessen Inschriften auf den Brüstungstafeln und Füllbrettern aus Versalien zusammengesetzt sind. Damit wird hier der protestantischen Devise Si Deus pro nobis, quis contra nos in besonders plakativer Form Nachdruck verliehen.

Die Grabinschriften

Auf eine Terminologie der Grabdenkmäler kann hier verzichtet werden, da diese in den zuvor erschienenen Bänden dieser Reihe immer wieder behandelt worden ist.16) Dasselbe gilt für das Formular der Grabinschriften17), das sich nicht von dem ausführlich kommentierten Formular in den bereits edierten norddeutschen Beständen unterscheidet. Hier soll daher nur das Material des Landkreises Göttingen zusammenfassend ausgewertet und auf die Besonderheiten hingewiesen werden. Anders als bei den Hausinschriften lassen sich bei den Grabinschriften keine Unterschiede zwischen den beiden städtischen Schwerpunkten dieses Bestands erkennen, wenn man einmal von der deutlich besseren Überlieferungssituation in Hannoversch Münden absieht, für das mit Abstand [Druckseite 20] die meisten Grabdenkmäler aus der Zeit bis 1650 überliefert sind. Abgesehen von Duderstadt ist noch Adelebsen mit sieben Nummern als Standort von mehr als drei Grabdenkmälern zu nennen. In vielen Kirchen finden sich nur ein oder zwei Grabplatten oder es sind gar keine Stücke aus dem Bereich des Totengedenkens bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums mehr vorhanden wie z. B. in der vergleichsweise großen Kirche von Hedemünden. Bei den 88 Inschriftenträgern dieser Gruppe handelt es sich um 55 Grabplatten, 21 Epitaphien, vier Totenschilde, zwei Sarkophage (Fürstengräber), ein Grabkreuz, zwei Zinnsärge und drei nicht näher zu bestimmende Grabdenkmäler. Der Anteil der kopialen Überlieferung liegt hier bei 22 Nummern, d. h. drei Viertel der Grabdenkmäler sind ganz oder fragmentarisch erhalten. Die fragmentarische Erhaltung betrifft besonders die Gruppe der Grabplatten; hier sind in 15 Fällen nur noch Bruchstücke überliefert, die oft keine Rückschlüsse auf die Gestaltung der ganzen Platte mehr zulassen.

Auf drei Grabplatten ist hier wegen ihrer besonderen Gestaltung noch im einzelnen einzugehen. Die gußeiserne Platte für den Mündener Bürgermeister Peter Berkenfeld (Nr. 291/1610) fällt allein schon wegen des Materials und der ungewöhnlichen Farbfassung auf, aber auch die in großen Buchstaben umlaufende Versinschrift religiösen Inhalts in deutscher Sprache und die Anordnung von Darstellungen und Sterbevermerk lassen die Person des Verstorbenen hinter die Erinnerung an den Kreuzestod Christi und die Auferstehung zurücktreten. Ganz anders ist dagegen die Grabplatte seines Amtskollegen Joachim Mecke (Nr. 299/1612) gestaltet, in die eine aufwendige, mit zwei Putten verzierte Bronzetafel mit der lateinischen Grabschrift eingelassen ist. Von der Gruppe der weitgehend gleichartig ausgeführten Grabplatten für Angehörige von Adelsfamilien unterscheidet sich diejenige des Johann von Minnigerode (Nr. 310/1616) durch Material, Qualität der Ausführung und Gestaltung. Der hochrechteckige Stein aus grauem Quarzit mit Wappenmedaillons [Druckseite 21] in weißem Marmor trägt eine sehr qualitätvolle Kapitalis in eingehauenen und mit weißem Gips ausgefüllten Buchstaben. Neben einem knapp formulierten Sterbevermerk in deutscher Sprache enthält die Inschrift zwei längere deutsche Bibelzitate zum Thema Auferstehung und Vergebung der Sünden. Dieser Schwerpunkt auf den Aussagen der Bibel findet sich in noch deutlicherer Form auf dem Epitaph für Johann von Minnigerode und seine Familie (Nr. 309/1616), für das hinsichtlich des Materials und der Ausführung dasselbe gilt wie für die Grabplatte. Hier treten im deutschsprachigen Inschriftenprogramm die zwei äußerst knappen Sterbevermerke völlig hinter insgesamt dreizehn über das ganze Epitaph verteilte zentrale Bibelverse zum Thema Tod und Auferstehung zurück, die die lutherische Prägung der auftraggebenden Familie dokumentieren.

Die wenigen im Landkreis Göttingen erhaltenen Epitaphien lassen kaum allgemein gültige Auswertungen zu, man kann aber doch einen gewissen Unterschied zwischen den bescheidener gestalteten Bürgerepitaphien und den aufwendigeren und deutlich größeren Adelsepitaphien erkennen. Eine Ausnahme stellt das heute nicht mehr vollständige große Epitaph für den Mündener Bürgermeister Bodo Meier dar (Nr. 218/1592), das sich in seinem mehrteiligen Aufbau und mit seinen lateinischen Vers- und Prosainschriften an den Adelsepitaphien orientiert. Abgesehen von diesem besonders auf Repräsentation angelegten Holzepitaph gibt es aus dem bürgerlichen Bereich noch ein Gemälde, fünf Steinepitaphien und ein Grabkreuz aus Gußeisen (Nr. 372/1639). Das Gemälde in St. Blasius in Münden (Nr. 175/1567), das die Familie des Arztes Burchard Mithoff unter dem Kreuz darstellt, trägt eine lateinische Versgrabschrift mit Angabe des Autors und einen deutschen Sterbevermerk. Vier der Steinepitaphien, von denen sich drei an St. Cyriakus in Duderstadt (Nr. 209/1588, Nr. 214/1591, Nr. 338/1626) und das vierte an St. Blasius in Münden (Nr. 391/1647) befinden, zeigen den dreiteiligen Aufbau mit Darstellung der Verstorbenen unter dem Kreuz im Mittelteil, darüber eine Bekrönung, darunter eine Inschriftentafel. Das fünfte Epitaph dieser Art an St. Servatius in Duderstadt (Nr. 397/1649) ist völlig verwittert. Während die beiden Duderstädter Epitaphien Nr. 209 für Katharina Selge und Nr. 338 für Heinrich Hertwig lateinische Prosainschriften tragen, ist die Grabschrift für den Schiffer Bartold Ogener auf dem Mündener Epitaph in deutscher Sprache verfaßt. Das Epitaph der Katharina Selge ist insofern bemerkenswert, als hier einer jung im Kindbett verstorbenen Frau von ihrem Schwiegervater, dem Duderstädter Schultheißen Johann Hennicke, ein eigenes, vergleichsweise großes Grabdenkmal gesetzt wurde.

Abgesehen von dem bereits erwähnten Epitaph für Johann von Minnigerode sind im Landkreis Göttingen nur noch drei Adelsepitaphien in Adelebsen (Nr. 196 u. 279) und in Gelliehausen (Nr. 202) erhalten, das letztere, ein Steinepitaph, so fragmentarisch, daß sich über die ursprüngliche Form und Größe keine Aussage mehr machen läßt. Das hölzerne Epitaph für Bodo von Adelebsen und seine Familie (Nr. 196/1580) und das Steinepitaph für Crain I. von Adelebsen und seine Familie (Nr. 279/1606) zeigen beide einen vielteiligen Aufbau mit aufwendigen Verzierungen und großen Ahnenproben, das ältere mit einer Kombination aus lateinischer Vers- und deutscher Prosainschrift, das jüngere mit durchgängig deutschen Inschriften. Qualitativ bleiben diese beiden Epitaphien aber deutlich hinter dem Epitaph des Johann von Minnigerode und seiner Familie in Wollershausen (Nr. 309/1616) zurück, zu dem es ein im Aufbau sehr ähnlich gestaltetes Gegenstück in Kerstlingerode gab (Nr. 321/1619), das nicht erhalten ist. Die hohe Qualität der Bildhauerarbeit einer überregionalen Werkstatt (vgl. dazu Nr. 309, Kommentar), die das Minnigerode-Epitaph zeigt, findet sich im Landkreis Göttingen sonst nur noch bei dem bereits erwähnten Epitaph für Herzog Erich I. in St. Blasius in Münden (Nr. 142/nach 1525). Das in seinen Ausmaßen und Inschriften eher bescheidene Grabdenkmal entspricht in seinem dreiteiligen Aufbau den beschriebenen Bürgerepitaphien; das sehr fein gehauene Relief, das den Herzog mit seinen beiden Gemahlinnen unter dem Kreuz zeigt, ist aber von völlig anderer Qualität und erlaubt ebenso wie die besondere Buchstabengestaltung der Inschriften eine eindeutige Zuschreibung des Epitaphs an den bedeutenden süddeutschen Bildhauer Loy Hering.

Die Glocken

Von den 58 in diesem Bestand erfaßten Glocken sind 32 im Original erhalten, für 26 Glocken liegt nur noch eine kopiale Überlieferung ihrer Inschriften vor. Anders als bei den beiden bisher behandelten Gruppen stammen oder stammten 29 Glocken aus der Zeit vor 1500, davon immerhin fünf aus dem 13. Jahrhundert (Nr. 2, 3, 5, 6, 7). Die älteste Glocke aus dem Jahr 1257 befindet sich in Wiershausen (Nr. 2) und nennt das Gußjahr sowie den Namen des damals amtierenden Geistlichen, die zweitälteste aus dem Jahr 1281 in St. Blasius in Münden (Nr. 3) trägt zwei Hexameter, in [Druckseite 22] denen neben dem Gußjahr auch der Glockengießer genannt ist. Auf zwei weiteren Glocken aus dem 13. Jahrhundert (Nr. 5 u. 6) finden bzw. fanden sich jeweils zweimal die stark stilisierten Buchstaben Alpha und Omega, in einem Fall kombiniert mit dem häufig auf Glocken verwendeten Spruch O rex glorie veni cum pace (vgl. a. Nr. 12 u. 129). Im 14. Jahrhundert wird es üblich, den Tag des Glockengusses inschriftlich festzuhalten (Nr. 8, 12, 14, 17, 20, 24). Zumeist nennt sich auch der Glockengießer (Nr. 12, 14, 17, 20, 24). Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts sind alle Inschriften lateinisch, auf der Glocke in Bernshausen aus dem Jahr 1399 (Nr. 24) findet sich neben dem lateinischen Gußdatum die hochdeutsch/lateinische Fürbitte hilf got ave maria und eine niederdeutsche Gießerinschrift des Duderstädter Glockengießers Bertold Gropengeter sowie die Nennung der Auftraggeber. Diese frühe Verwendung des hochdeutschen hilf in einem zu dieser Zeit noch durchweg niederdeutsch geprägten Sprachgebiet ist dadurch zu erklären, daß die Formel zum überregional gebräuchlichen Spruchrepertoire der Glockengießer gehörte. Um 1500 findet sie in der Variante hilf got, maria berat auf fünf Glocken im Untereichsfeld Verwendung (Nr. 77, 80, 81, 117, 122), die möglicherweise alle von dem Glockengießer Andreas Botger gegossen wurden.

Glockensprüche, in denen die Glocke selbst spricht und über ihre Funktionen Auskunft gibt, sind in diesem Bestand eher selten zu finden. Der sonst sehr verbreitete Spruch Deum laudo verum ... findet sich hier nur auf einer Glocke aus dem Jahr 1458 (Nr. 52), ebenso wie der Spruch Ich bin gemacht zu Gottes Ehr ... auf einer Glocke von 1636 (Nr. 361); darüber hinaus erscheint nur zweimal (Nr. 220 u. 221) ein von dem Glockengießer Hans Koler wohl öfter verwendetes Distichon Me quoties ferrum tangit ... . Die Bindung bestimmter Glockensprüche an bestimmte Gießer zeigt sich ganz deutlich an den aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts überlieferten Glocken, die der Göttinger Gießer David Fobben und der Kasseler Gießer Gottfried Kohler angefertigt haben. In beiden Fällen sprechen die jeweiligen Glocken selbst und nennen ihren Gießer. Dabei verwendet Fobben – ebenso wie der schon genannte Hans Koler – die Formel durchs Feuer bin ich geflossen, ... hat mich gegossen (Nr. 352, 359, 362), variiert aber auf anderen Glocken diese Art der Gießernennung durch die Glocke (Nr. 354, 358, 360, 361, 364), während die Glocken Kohlers, die auch ihren Bestimmungsort nennen, ausnahmslos den Spruch ... goß mich, nach ... gehore ich tragen (Nr. 357, 363, 365, 366, 367). Die große Zahl der von Fobben und Gottfried Kohler in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts gegossenen Glocken erklärt sich dadurch, daß viele Kirchen im Dreißigjährigen Krieg ihre Glocken an feindliche Truppen abliefern mußten und nach deren Abzug Neugüsse in Auftrag gaben.

Generell ist die Nennung des Gießers durch die in Ich-Form sprechende Glocke der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreitetste Inhalt der Glockeninschriften im Landkreis Göttingen. Sie wird oft kombiniert mit der Nennung der zur Zeit des Glockengusses amtierenden Geistlichen und Kirchenvorsteher. Die wortreichsten Inschriften finden sich auf der 1610 von dem Göttinger Glockengießer Hans Reuther und seinen Gesellen gegossenen Glocke in Dankelshausen (Nr. 290), die nicht nur ihre Stifter, sondern auch deren Geldbeiträge zum Glockenguß nennt. Sie ist zugleich insofern ein Kuriosum, als die beim Glockenguß völlig verrutschten Buchstaben der Inschriften zeigen, wie schwierig die Anbringung von Inschriften auf Glocken sein konnte.

Sonstige kirchliche Ausstattungsstücke

Wie gefährdet kirchliche Ausstattungsstücke zu allen Zeiten waren und wie zufällig ihre Erhaltung ist, zeigt der Fall des Wollbrandshäuser Kelches (Nr. 342), der im Dreißigjährigen Krieg dreimal verschleppt und wiederausgelöst wurde. Die Stadt Münden bezifferte den Schaden an geraubter Kirchenausstattung nach dem Überfall Tillys auf die Stadt 1626 mit 1000 Talern, weitere 1000 Taler zahlte sie, um wenigstens die Glocken behalten zu können.18) Tatsächlich hat sich in St. Bla­sius kein Gegenstand aus dem Bereich der Vasa Sacra aus der Zeit vor 1626 erhalten; aus der Zeit bis 1650 stammt lediglich ein Kelch, der wohl auf 1648 zu datieren ist (Nr. 395). Stärker noch als Kriegs­ein­wirkungen hat der wechselnde Zeitgeschmack dazu geführt, daß Teile der Kirchenein­richtung ent­fernt und durch moderne Stücke ersetzt wurden. Deutlich wird dies vor allem an den barocki­sierten Kirchen des Untereichsfelds, in denen sich kaum noch Ausstattungsstücke aus der Zeit vor 1650 erhalten haben. Aber auch die übrigen Kirchen des Bearbeitungsgebiets haben im Laufe der Zeit wesentliche Umgestaltungen erfahren, bei denen Wandmalereien übertüncht oder abgeschla­gen, Grabdenkmäler entfernt und Kanzeln, Taufsteine und Altäre erneuert wurden. Einige spätgo­tische [Druckseite 23] Altarretabel sind wenigstens in ihren Hauptstücken erhalten geblieben, weil man ihre Teile im 18. Jahrhundert in die damals in protestantischen Kirchen besonders beliebten Kanzelaltäre als Versatzstücke einbaute (vgl. Nr. 82, 84, 114, 116, 136). Nach der Entfernung der Kanzelaltäre aus den Kirchen wurden die alten Altarteile dann jeweils in einer neuen Anordnung montiert. Das Bei­spiel des Reinhäuser Altars (Nr. 82), für den trotz des Umbaus ein Teil der alten mit liturgi­schen Texten und einem Fertigstellungsvermerk versehenen Rahmenleisten erhalten blieb, legt die Ver­mu­tung nahe, daß mit der alten Rahmung oft auch Inschriften verloren gingen. Daher tragen diese Stücke heute im wesentlichen nur noch Tituli, die die dargestellten Heiligen bezeichnen, teilweise als Gewandsauminschriften ausgeführt. Am Diemardener Altar (Nr. 84) bestehen die Gewand­sauminschriften aus Sätzen der Allerheiligenlitanei, die gleichzeitig auch zur Identifizie­rung der Figuren dienen. Die ausführenden Künstler nennen sich nur auf zwei in diesem Bestand erfaßten Altären (Nr. 61 u. 116) und zwar in beiden Fällen an für die Öffentlichkeit nicht einsehba­ren Stel­len des Schreins, die von davor montierten Figuren verdeckt sind. Besonders interessant ist die Künstlerinschrift des Bartold Kastrop auf dem Hetjershäuser Altar (Nr. 116) aufgrund ihrer detail­lierten Angaben zum Künstler und der von diesem an Maria, deren Figur die Inschrift ver­deckt, gerichteten Fürbitte.

Am wenigsten dem Zeitgeschmack unterworfen und daher im Landkreis Göttingen mit 35 Nummern aus der Zeit vor 1650 in einigermaßen großer Zahl erhalten sind die Abendmahlskelche, von denen die meisten in spätgotischer Form gestaltet sind. Ein Problem der spätgotischen Kelche stellt ihre Datierung dar, da die Entstehungszeit stilistisch nur schwer einzugrenzen ist, wenn nicht durch Inschriften weitere Hinweise gegeben sind. Hinzu kommt, daß diese Kelche nicht selten unter Verwendung älterer Kelchteile neu zusammengesetzt worden sind. Insgesamt sind die Kel­che dieses Bestands im Hinblick auf ihre Inschriften nicht sehr ergiebig, da sie abgesehen von den auf die Rotuli verteilten Buchstaben IHESVS zumeist lediglich kurze Inschriften wie ave maria oder hilf got auf den Schaftstücken tragen. Hinzu kommen in wenigen Fällen Stifterinschriften (Nr. 28, 50, 334, 350, 386), manchmal nur in Form von Namen (Nr. 344, 370, 405) oder Initialen (Nr. 204, 343, 378), letztere in Verbindung mit Wappen.

Unter den 21 Taufen dieses Bestands, die alle im Original überliefert sind, befindet sich ein Bronzetaufbecken, die übrigen Taufen sind aus Stein. Dem Bronzetaufbecken in St. Blasius in Münden aus dem Jahr 1392 (Nr. 19) kommt schon wegen seines hohen Alters, aber auch auf­grund der hochwertigen Ausführung eine besondere Bedeutung zu. In der lateinischen Inschrift nennt sich Nikolaus von Stettin als ausführender Künstler. Die zweitälteste Taufe im Landkreis Göttin­gen stammt aus Dransfeld und ist heute in der Landesgalerie Hannover ausgestellt. Dieser große Taufstein aus dem Jahr 1490 (Nr. 73) trägt ebenfalls eine lateinische Künstlerinschrift des Johannes de Castro; seine Besonderheit besteht in dem für eine steinerne Taufe ungewöhnlich vielfältigen Figurenprogramm. Wohl ebenfalls noch aus dem 15. Jahrhundert stammt ein stark beschädigter Taufstein in Güntersen (Nr. 101), über dessen Inschrift sich keine Aussage mehr machen läßt. Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist im Landkreis Göttingen keine Taufe überliefert, erst wieder aus dem Jahr 1577 in Oberscheden (Nr. 192). Mit ihr beginnt eine Reihe von insgesamt elf Taufen, die jeweils mit Namen oder Initialen ihrer Stifter oder des amtierenden Kirchenpersonals versehen sind. Die Anbringung von auf die Taufe bezogenen Bibelversen bleibt im Landkreis Göttingen bis 1650 vergleichsweise selten. Die Taufsteine in Eberhausen und Kerstlingerode (Nr. 225/1594 u. Nr. 282/1606) tragen den Vers Mk. 16,16 Wer da glaubt und getauft wird ... , der Tauf­stein in Imbsen (Nr. 263/1601) trägt neben einer Stifterinschrift den Vers Apg. 2,38 Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen ... , der Taufstein in Speele (Nr. 303/1613) neben Stif­terini­tialen den Vers 1. Jh. 1,7 Das Blut Jesu Christi ... . Bei den hier erwähnten Taufsteinen handelt es sich mit Ausnahme der u. a. mit einer Stifterinschrift versehenen Taufe der katholischen Kirche in Seulingen (Nr. 346/1630) um evangelische Kirchen. Eine der auf der Seulinger Taufe ange­brach­ten Inschriften erinnert an die Zerstörung der Kirche im Dreißigjährigen Krieg, eine andere Inschrift enthält eine an Maria gerichtete Fürbitte.

Bauinschriften an Kirchen und öffentlichen Gebäuden

Die 30 Katalognummern mit Bauinschriften an Kirchen und öffentlichen Gebäuden – darunter als Grenzfall auch drei Inschriften am Mündener Schloß (Nr. 110, 189, 190) – enthalten oft wichtige Angaben zur Baugeschichte, die nicht durch andere Quellen überliefert sind. Dies gilt ganz beson­ders für die Kirchen auf den Dörfern, deren Erbauungszeit zumeist nur durch die Inschriften fest­gehalten [Druckseite 24] ist. Der Quellenwert dieser Inschriften wurde bereits früh erkannt, so daß in vielen Fällen die Steintafeln der spätmittelalterlichen Kirchen an jüngere Nachfolgebauten übernommen wor­den sind. Entsprechend sind von den 29 Bauinschriften nur vier kopial überliefert, die übrigen sind im Original erhalten, allerdings in einigen Fällen stark verwittert. 14 Nummern fallen in die Zeit vor 1500, darunter allein fünf aus Duderstadt (Nr. 15, 22, 23, 36, 40), dessen Befestigungs-, Rat­haus- und Kirchenbau damit im letzten Viertel des 14. und im 15. Jahrhundert inschriftlich beson­ders gut dokumentiert ist. Eher zufällig hat sich die Bauinschrift der alten Mündener Werrabrücke (Nr. 34/1401) erhalten, die den Bau des Schutzdaches der Brücke bezeugt.

Die lateinische Bauinschrift Nr. 22 an der Duderstädter Cyriakuskirche aus dem Jahr 1394 nennt den Baumeister der Kirche Wilhelm Knoke. Auch die aus dem zweiten und dritten Viertel des 15. Jahrhunderts stammenden Bauinschriften an den Kirchen in Sattenhausen (Nr. 41), Gie­boldehausen (Nr. 44), Rollshausen (Nr. 55) und Obernfeld (Nr. 58) nennen jeweils den Baumeister der Kirche. Daneben sind in den Bauinschriften der Dorfkirchen auch die Inhaber des Kirchen­patronats erwähnt (Nr. 11, 39, 41, 58). In der Zeit nach 1500 bezeichnen die in den Bauin­schriften des Landkreises Göttingen vorkommenden Namen in der Regel Amtsträger, die in Ver­bindung mit dem jeweiligen Neubau stehen. Um einen Baumeister handelt es sich wohl nur noch bei dem an der Hemelner Kirche angebrachten Namen (Nr. 243/1600), und auf einem Balken in Brocht­hausen ist der Zimmermann genannt, der die alte Kirche erbaute (Nr. 211/1590). Dage­gen übte sich der überregional bedeutende Baumeister Ludolf Crossmann, der 1604/5 das Münde­ner Rat­haus (Nr. 276) errichtete, in vornehmer Zurückhaltung und brachte lediglich seine Mei­ster­marke über dem Eingangsportal an.

Der überwiegende Teil der Bauinschriften ist in lateinischer Sprache verfaßt, daneben kommen aber schon seit dem 14. Jahrhundert (Nr. 11) auch niederdeutsche Bauinschriften vor. Die erste hochdeutsche Bauinschrift von 1501 ist am Mündener Schloß angebracht (Nr. 110) und zeigt in ihrer Sprachform die süddeutsch/österreichische Prägung des Herzogs und seiner Beamten.

4. Die Sprache der Inschriften

Von den 450 Inschriften des Katalogteils sind 202 durchgängig in deutscher Sprache abgefaßt – wobei die Formel Anno domini unberücksichtigt bleibt –, 138 in Latein und 48 Katalognummern enthalten Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache. Daneben gibt es noch eine Reihe von Inschriften, deren Sprache sich aufgrund mangelnden Textmaterials nicht bestimmen läßt. Aus dem 14. Jahrhundert sind bereits zwei deutschsprachige Inschriften im Original – und damit über­prüfbar – erhalten. Die Inschrift an der Kirche in Eddigehausen (Nr. 11/1343) ist zwar stark zer­stört, zeigt aber eindeutig niederdeutsche Prägung ebenso wie die Inschriften auf der Grabplatte für die Fami­lie von Wehre in der Duderstädter Kirche St. Servatius (Nr. 18/1383). Bei letzterer handelt es sich auch überregional um ein sehr frühes Beispiel einer deutschsprachigen Grabschrift, in den bisher bearbeiteten norddeutschen Inschriftenbeständen sogar um das früheste Vorkom­men überhaupt. Die ersten deutschsprachigen Glockeninschriften finden sich im Landkreis Göt­tingen auf der Glocke in Bernshausen aus dem Jahr 1399 (Nr. 24). Latein bleibt aber auch im 15. Jahr­hundert noch die in den Inschriften des Landkreises vorherrschende Sprache, auch wenn daneben gelegent­lich niederdeutsche Inschriften – vor allem Bauinschriften – auftreten, und auch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der überwiegende Teil der Inschriften noch lateinisch. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts tritt hier ein Wechsel ein, so daß Deutsch nun die deutlich überwiegende Sprache der Inschriften wird. Dies ist nicht nur durch die seit dieser Zeit verstärkt vorkommenden Hausinschriften bedingt, auch die Grabinschriften werden in zunehmendem Maße in deutscher Sprache formuliert. Auf den gesamten Bearbeitungszeitraum hin betrachtet, sind die lateini­sche und die deutsche Sprache in den großen Gruppen von Inschriftenträgern wie Bauin­schriften, Glocken, Epitaphien und Grabplatten etwa je zur Hälfte vertreten, lediglich die Hausinschriften weisen mit achtzig Prozent einen deutlich höheren Anteil deutschsprachiger Inschriften auf. Die Bevorzugung einer Sprachform durch Adel oder Bürgertum – besonders hin­sicht­lich der Grabdenkmäler – läßt sich am Bestand der Inschriften des Landkreises Göttingen nicht erkennen.

Zur Auswertung des Inschriftenbestandes im Hinblick auf die Verteilung von Niederdeutsch und Hochdeutsch werden hier nur die im Original erhaltenen Inschriften herangezogen, da sich im [Druckseite 25] Fall der kopialen Überlieferung keine zuverlässigen Aussagen über den ursprünglichen Sprachstand machen lassen. Generell muß man bei den frühen Belegen für Hochdeutsch den Kontext be­trachten, in dem die Inschriften stehen. Dies zeigt das auf der Bernshäuser Glocke von 1399 (Nr. 24) von dem Duderstädter Glockengießer Bertold Gropengeter angebrachte hochdeutsche hilf got, das neben einer niederdeutschen Gießerinschrift steht. Die beiden Inschriften machen deutlich, daß der Gießer hier eine überregional verbreitete und daher hochdeutsche Gebetsformel verwen­dete, wäh­rend er die Meisterinschrift in dem ihm geläufigen Niederdeutsch ausführte. Anders könnte der Fall bei der vermutlich von Andreas Botger gegossenen Germershäuser Glocke von 1513 (Nr. 117) und weiteren vier verlorenen Glocken aus der Zeit um 1500 (Nr. 77, 80, 81, 122) liegen, die alle die Inschrift hilf got maria berot trugen. Hier könnte der Glockengießer durchaus aus dem mitteldeut­schen Sprachgebiet stammen. Entsprechend ist die Inschrift hilf bzw. helf got auf den Kelchen in Friedland (Nr. 92) und Reiffenhausen (Nr. 107) zu bewerten, deren Herkunft nicht bekannt ist.

Abgesehen von den genannten Beispielen findet sich die hochdeutsche Sprache im Landkreis Göt­tingen erstmals im Jahr 1501 in der am Mündener Schloß auf Veranlassung von Herzog Erich I. angebrachten Bauinschrift (Nr. 110) und danach wieder auf dem nach 1525 von dem süddeut­schen Bildhauer Loy Hering gefertigten Epitaph des Herzogs (Nr. 142). Das erstmalige Auftreten des Hochdeutschen in einer von Erich I. oder seinen Räten verfaßten Inschrift paßt exakt zu den Beobachtungen Brauchs zur Einführung des Hochdeutschen als Kanzleisprache am Mündener Hof, die nach Brauch mit der Bestallung des aus Süddeutschland stammenden Kanzlers Ambro­sius Fuchshart im Jahr 1501 erfolgte.19) Die cz-Schreibung statt z, die sich in beiden Inschriften findet, war möglicherweise vorbildgebend für eine Mündener Zimmerwerkstatt, die in den Inschriften der Häuser Am Plan 6 (Nr. 169/1565) und Lange Str. 51 (Nr. 178/1570) eine sonst in den Mündener Hausinschriften nicht übliche sz-Schreibung praktizierte. Die letzte – allerdings nur kopial überlieferte – durchgängig niederdeutsche Inschrift dieses Bestands befand sich am Münde­ner Haus Kirchstr. 11 von 1545 (Nr. 149) und steht in ähnlicher Form, aber mit dem hoch­deutschen Einsprengsel gibt am Haus Mühlenstr. 3 aus demselben Jahr (Nr. 148).

Die an den bisher edierten norddeutschen Inschriftenbeständen gemachte Beobachtung, daß sich das Hochdeutsche in den Grabinschriften deutlich früher durchsetzt als in den Hausinschrif­ten,20)kann am Material des Landkreises Göttingen nur bedingt überprüft werden, da die Hausin­schriftenüberlieferung in Duderstadt erst 1588 einsetzt und damit zu einer Zeit, als Hochdeutsch auch in den Hausinschriften allgemein verbreitet ist. Somit kommt nur das Mündener Material für einen Vergleich zwischen den beiden Inschriftengruppen in Betracht. Für die Grabinschriften des gesamten Landkreises Göttingen gilt, daß hier seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wie auch an anderen Orten Hochdeutsch zur vorherrschenden Sprache wird. Im Gegensatz zu den Inschrif­tenbeständen Braunschweig, Hannover, Hildesheim und Osnabrück fällt aber auf, daß die Münde­ner Hausinschriften – offensichtlich unter dem Eindruck der dortigen Kanzlei – auch bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zum ganz überwiegenden Teil in Hochdeutsch verfaßt sind. Daß ihre Auftraggeber oder die ausführenden Handwerker als gesprochene Sprache wohl überwiegend noch Niederdeutsch verwendeten, zeigt sich aber daran, daß sich in den Inschriften noch verein­zelte niederdeutsche Wörter finden, so beispielsweise SIN statt sein am Haus Lange Str. 29 (Nr. 161/1554) und FORCHT anstelle von fürchtet in der Inschrift am Haus Burgstr. 4 (Nr. 167/1564). Seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts finden sich keine niederdeutschen Merkmale mehr in den Mündener Hausinschriften.

Zeugnisse dafür, wie sich das in der gesprochenen Sprache weiterlebende Niederdeutsch doch gelegentlich auch noch in Inschriften einschleicht, bieten zwei Mündener Grabinschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. In einer Versinschrift auf der Grabplatte des Peter Berkenfeld in St. Blasius (Nr. 291/1610) reimt sich LEIB auf BLIffT (= bleibt), die Reimworte UFFER­STAHN/GAHN stehen neben GELEICH/REICH und anstelle von ‚im Tode’ findet sich hier IM DODE. Der Inschrift seiner Grabplatte in St. Blasius (Nr. 316) zufolge ist der Mündener Bürger Hillebrand Hupeden im Jahr 1618 ENTSLAPEN. Generell gilt für den Bestand der Inschriften des Landkreises Göttingen jedoch, daß sich hier die hochdeutsche Sprachform seit der Mitte des 16. Jahrhunderts allgemein durchsetzt, wenn auch mit der Einschränkung, daß die Duderstädter Hausinschriften für eine Beurteilung in dieser Hinsicht ausfallen.

5. Schriftformen

Abgesehen von alter Kapitalis und romanischer Majuskel finden sich im Inschriftenbestand des Landkreises Göttingen Beispiele für sämtliche bis zum Jahr 1650 auftretende epigraphische Schrif­ten mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorherrschenden Kapitalis.

Gotische Majuskel

Die gotische Majuskel vereinigt kapitale und runde Buchstabenformen mit einer im Laufe der Zeit verstärkten Tendenz hin zu den runden Buchstabenformen. Allgemein charakteristisch für diese Schrift sind ausgeprägte keilförmige Verbreiterungen der Schaft- und Bogenenden sowie Bogen­schwellungen. Die an Schaft-, Balken- und Bogenenden angesetzten Sporen werden besonders betont und können vor allem bei C und E zu einem durchgehenden Abschlußstrich zusammen­wachsen.

Die gotische Majuskel findet sich hier ab 1257 vor allem auf den frühen Glocken (Nr. 2, 3, 5, 7, 12), aber auch in Stein (Nr. 4, 11, 13, 31) und als Wandmalerei (Nr. 26). In diesen Inschrif­ten treten kapitale und runde Formen im Wechsel auf, so beispielsweise auf der Altarplatte in Gimte aus der Zeit um 1300 (Nr. 4), wo kapitales neben unzialem H steht und kapi­tales M neben links geschlossenem bzw. durch Abschlußstrich geschlossenem symmetrischen unzialen M. Eine Spätform der gotischen Majuskel zeigt die Renshäuser Glocke von 1355 (Nr. 12) mit ausgeprägten Bogenschwellungen und tropfenförmigen Verdickungen sowie Nodi an den einzelnen Buchstabenbestandteilen. Ähnliche Buchstabenformen finden sich auch auf der Die­mardener Glocke aus dem Jahr 1379 (Nr. 17). Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts wird die gotische Majuskel durch die gotische Minuskel abgelöst und danach nur noch für den Christus­namen (INRI, IHESUS) vor allem auf Goldschmiedearbeiten verwendet.

Gotische Minuskel

Im vorliegenden Bestand findet die gotische Minuskel seit dem Jahr 1342 bis zu ihrer Ablösung durch die Kapitalis um 1550 und damit über einen sehr langen Zeitraum Verwendung. Erstmals ist sie im Jahr 1342 an der Mündener Kirche St. Blasius (Nr. 9) angebracht, allerdings in einer noch nicht voll ausgebildeten Form, die zeigt, daß der Steinmetz zu dieser frühen Zeit noch nicht auf den seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts allgemein und innerhalb kurzer Zeit verbrei­teten Formenkanon dieser Schrift mit ihren charakteristischen Bogenbrechungen und der daraus resultierenden parallelen, oft gitterartigen Anordnung der senkrechten Buchstabenteile zurückgrei­fen konnte. Die im Mittelband stehenden Schäfte werden in der gotischen Minuskel an der Ober­linie des Mittelbandes und an der Grundlinie gebrochen, Bögen durch stumpfwinklige Brechung oder durch spitzwinkliges Abknicken in senkrechte, waagerechte oder schräge Elemente umge­wandelt.

Das zweite, sehr viel spätere Auftreten der gotischen Minuskel im Landkreis Göttingen auf einer Grabplatte in der Duderstädter Kirche St. Servatius von 1383 (Nr. 18) zeigt die voll ausgeprägte Form mit Bogenbrechungen, die in der Folgezeit in etlichen Bauinschriften sowie auf Grabplatten und Glocken vorkommt. Während die in Stein ausgeführten Inschriften in goti­scher Majuskel und die Mündener Inschrift in gotischer Minuskel von 1342 eingehauen sind, wur­den die Steininschriften im Landkreis Göttingen in gotischer Minuskel seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zum überwiegenden Teil erhaben gehauen. Dabei sind die Buchstaben zunächst oft in ein Zweilinienschema gestellt, über das die Ober- und Unterlängen kaum herausra­gen. Beson­ders plastisch sind die ins Mittelband gestellten Buchstaben einer Bauinschrift von der alten Mündener Werrabrücke aus dem Jahr 1401 gestaltet (Nr. 34), deren flächige Buch­staben­elemente in gitterartiger Anordnung die Schrifttafel ausfüllen. Deutliche Ober- und Unter­längen, deren Umrisse in die Rahmenleisten eingehauen sind, weisen die Inschriften am Duder­städter Westertor von 1424 (Nr. 36) und am Rathaus von 1432 (Nr. 40) auf. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermehrt sich die Zahl der in ein Vierlinienschema gestellten Inschriften in gotischer Minuskel deutlich. Einer Spät­form mit langen gegabelten Oberlängen und weit ausgezogenen Zierhäkchen an den Buchstaben­enden aus dem Jahr 1487 in einer Bauinschrift an der Mündener Kirche St. Blasius (Nr. 71) stehen [Druckseite 27] zur gleichen Zeit und noch wesentlich später mehrere in der Buchstabengestaltung ver­gleichs­weise schmuck­lose, aber sehr qualitätvoll ausgeführte erhabene Steininschriften in gotischer Minuskel gegenüber (Nr. 73/1490, Nr. 110/1501, Nr. 130/1522), unter denen die Inschrift auf dem Sarkophagdeckel für Herzog Wilhelm II. von 1494 (Nr. 76) in ihrer formalen Strenge mit der Darstellung des Verstorbenen in Rüstung korrespondiert.

Die frühesten gotischen Minuskeln auf Metall finden sich auf dem Bronzetaufbecken (Nr. 19/1392) und auf der Tür einer Sakramentsnische in der Mündener Kirche St. Blasius (Nr. 37/4. Viertel 14. oder 1. Viertel 15. Jh.). Letztere zeigt zwei in das Mittelband gestellte Inschriften, von denen eine – wie die Inschrift des Taufbeckens – erhaben gegossen, die andere in glatten Buchstaben vor schraffiertem Hintergrund ausgeführt ist, eine Gestaltung, die besonders auf spätgotischen Goldschmiedearbeiten zu finden ist. Etliche Kelche in den Kirchen des Landkreises Göttingen aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind mit kurzen Inschriften dieser Art auf den Schaftstücken verziert. Der Lutterberger Kelch (Nr. 50/2. Hälfte 14. oder 1. Hälfte 15. Jh.) trug als einziger dieses Bestands besonders dekorativ wirkende große Buchstaben auf einem um den runden Fuß verlaufenden Schriftband. Die älteste Glockeninschrift in gotischer Minuskel stammt aus dem Jahr 1399 (Nr. 24, Bernshausen). Ihre schmalen Buchstaben sind sehr einfach und schmucklos ausgeführt und zeigen als Besonderheit v mit stark linksschräger linker und senkrechter rech­ter Haste. Eine vergleichsweise einfache Ausführungsart weisen mit zwei Ausnahmen auch die anderen – allerdings nicht sehr zahlreich erhaltenen – Glockeninschrif­ten in gotischer Minuskel auf. Ganz anders sind die breiten, bandartig wirkenden Buchstaben­bestand­teile zweier Glockeninschriften von 1430 (Nr. 38) und 1458 (Nr. 52) gestaltet, deren Schmuckcharakter deutlich mehr betont ist.

Die älteren Hausinschriften des Landkreises Göttingen sind ebenfalls in gotischer Minuskel ausgeführt und stehen jeweils erhaben in vertiefter Zeile. In den Hausinschriften hält sich die goti­sche Minuskel am längsten bis in das dritte Viertel des 16. Jahrhunderts. Die beiden spätesten Beispiele aus den Jahren 1565 (Nr. 169) und 1570 (Nr. 178) zeigen eine Kombination der gotischen Minuskel mit Frakturversalien. Auch unter den Inschriften in Stein gibt es ein Beispiel für diese Kombination auf einer Mündener Grabplatte aus dem Jahr 1565 (Nr. 170). Ansonsten findet sich in den gotischen Minuskelinschriften über das immer wieder variierte A in Anno hinaus nur gelegentlich die Verwendung einzelner Versalien.

Frühhumanistische Kapitalis

Die frühhumanistische Kapitalis wird im Landkreis Göttingen überwiegend für Inschriften auf Altären, Goldschmiedearbeiten und für Hausinschriften verwendet. Mit 21 Nummern und fünf weiteren Inschriften in Kapitalis mit einzelnen Merkmalen der frühhumanistischen Kapitalis ist diese Schriftart im Landkreis Göttingen vergleichsweise häufig zu belegen. Am frühesten tritt sie auf einer Reihe von um 1500 entstandenen spätgotischen Altären in Nimben (Nr. 114, Nr. 116, Nr. 136) und Gewandsäumen (Nr. 82 u. Nr. 84) sowie auf dem Reinhäuser Altar (Nr. 82) auch als Verzierung der Rahmenleisten auf. Diese beson­ders dekorative Schrift, die Elemente verschiedener Schriftarten wie der gotischen Majuskel und der Kapitalis mit byzantinisch-griechischen Formen vereint und Schmuckelemente wie Ausbuch­tungen, Nodi und keilförmig verbreiterte Hasten aufweist, wurde von den Meistern der spätgoti­schen Altäre ebenso gerne verwendet wie von den Goldschmieden im ersten Viertel des 16. Jahr­hunderts (Nr. 123, 124, 133, 134). Während sich entsprechende Kombinationen von Inschriften­träger und Schriftart auch in anderen Inschriftenbeständen beobachten lassen, ist das Auftreten der frühhumanistischen Kapitalis in einer besonders ausgeprägten Form in drei Münde­ner Hausin­schriften aus den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts eher ungewöhnlich (Nr. 165, Nr. 167, Nr. 168), genauso wie die aus derselben Zeit stammende früh­humanistische Kapitalis auf einem Kaminsturz des Mündener Schlosses (Nr. 166/1562). Offenbar wurden die drei Häuser Lohstr. 18 von 1562, Burgstr. 4 von 1564 und Burgstr. 8, Hinterhaus von 1564 durch dieselbe Zimmerwerkstatt errichtet. Ob es lediglich auf einem Zufall beruht, daß der Kaminsturz des Schlosses und der Schwellbalken eines Mündener Hauses im Jahr 1562, also zu einer für die Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis ver­gleichsweise späten Zeit, mit dieser Schrift versehen wurden, läßt sich nicht klären. Es gibt aber Unterschiede zwischen der Inschrift in Stein, die oben offenes D, retrogrades N, aber kapitales E aufweist, und den Hausinschriften, die durchgängig geschlossenes D und epsilonförmiges E zei­gen, aber kein retro­grades [Druckseite 28] N. Allen gemeinsam ist das spitzovale O und das konische M mit kur­zem Mittelteil. Ele­mente der frühhumanistischen Kapitalis finden sich auch noch an den wohl gleich­zeitig errichteten Mündener Häusern Sydekumstr. 13 und 15 (Nr. 246 u. 247), die laut dendrochro­nologischem Befund erst um 1600 entstanden sind. Damit läßt sich im Landkreis Göt­tingen eine Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis bzw. einzelner Elemente dieser Schrift in Kapitalis­inschriften noch im gesamten 16. Jahrhundert nachwei­sen.

Fraktur und humanistische Minuskel

Diese beiden Minuskelschriften, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts allgemein Verwendung finden, kommen im Bestand des Landkreises Göttingen eher selten vor. Dies gilt ganz besonders für die humanistische Minuskel mit nur fünf Belegen in diesem Band. Allgemein kennzeichnend für diese Schrift sind runde Bögen und ohne Brechung endende Schäfte, f, Schaft-s und h weisen in der Regel keine Unterlänge auf. Wie schon in anderen Beständen läßt sich auch hier eine Bindung der humanistischen Minuskel an lateinische und der Fraktur an deutsche Inschriftentexte erken­nen. Bei den fünf Inschriften in humanistischer Minuskel handelt es sich in zwei Fällen um Quel­lenangaben (Nr. 183, gemalt, Nr. 424, eingeschnitzt), in je einem weiteren Fall um ein lateinisches Bibelzitat (Nr. 251, gemalt) und um eine kurze lateinische Sentenz (Nr. 299, Bronze­guß auf Stein­grabplatte). Die in ihrer Ausführung bedeutendste Inschrift in humanisti­scher Minuskel im Landkreis Göttingen, ein lateinisches Bibelzitat, findet sich am Mündener Rat­haus und trägt ganz deutlich die ‚Handschrift’ des Bildhauers Georg Crossmann, für die sich Par­allelen auf dessen Lemgoer Werken finden (vgl. dazu Nr. 276, Kommentar). Charakteristisch für die humanistische Minuskel Crossmanns ist die hohe schlanke Ausführung der Buch­staben mit der Tendenz, die Buchstaben in den Mittellängenbereich zu stellen. So stehen g und t ganz im Mittel­längenbereich, ebenso d mit klei­nem Bogen. Kennzeichnend für ihn sind auch das e mit sehr klei­nem oberen Bogenabschnitt, r mit Fahne in Form eines kleinen Häkchens sowie gera­des, stumpf auf der Zeile endendes t mit nach rechts angesetztem kleinen Balken. Eine Sonder­form, die die humanistische Minuskel mit Frakturmerkmalen wie nach rechts geneigten Oberlän­gen der Buch­staben, nach links umgebogenen, weit ausgezogenen Unterlängen von Schaft-s und f sowie dem spitzovalen o kombiniert, ist für eine lateinische Versgrabschrift auf dem Epitaph Nr. 196 (1580, gemalt) verwendet.

Charakteristische Merkmale der Fraktur sind Schwellzüge und Schwellschäfte sowie die spitz­ovale Form der gebrochenen Bögen, a ist in der Regel einstöckig ausgeführt, f, h und Schaft-s wei­sen oft Unterlängen auf. Die sonst für diese Schrift kennzeichnende Betonung der Ober- und Unterlängen durch Schleifenbildung oder andere ausgeprägte Zierformen ist allerdings in den norddeutschen Beständen eher die Ausnahme. Die Fraktur findet sich in diesem Bestand – abge­sehen von den bereits erwähnten Frakturversalien in Kombination mit gotischer Minuskel in den Hausinschriften – ganz überwiegend in gemalten Inschriften auf Holz und Glas und bietet damit einerseits aufgrund der oft eher nachlässigen Ausführungsart, andererseits aufgrund möglicher Veränderungen durch Restaurierungen kaum Material für eine schriftgeschichtliche Auswertung. Generell sind hier in Fraktur nur deutschsprachige Inschriften ausgeführt, charakteristisch ist die auf den Epitaphien Nr. 175 (Hannoversch Münden, 1567) und Nr. 196 (Adelebsen, 1580) verwendete Kombination mit lateinischen Inschriften in Kapitalis bzw. in humani­stischer Minuskel mit Frakturelementen. Die beiden gemalten Frakturinschriften zeigen einzelne Verzierungen der Unterlängen durch Schleifenbildung.

Neben den gemalten Frakturinschriften gibt es wenige Beispiele für in Holz oder auf Metall ausgeführte Fraktur. Bei den Inschriften in Holz handelt es sich ausnahmslos um Hausinschriften, deren Frakturcharakter im Wesentlichen durch die Versalien bestimmt wird, während in der ver­gleichsweise einfachen Gestaltung der Minuskelbuchstaben noch lange Einflüsse der gotischen Minuskel erhalten bleiben. Als besonders deutliche Beispiele hierfür stehen die Duderstädter Hausinschriften Nr. 226 und Nr. 228 aus der Zeit um 1595, deren aus aufwendi­gem Schleifenornament bestehende, extrem breit ausgeführte Versalien in auffälligem Gegensatz zu den schmucklosen Minuskeln stehen. Lediglich die Mündener Hausinschriften Nr. 374 von 1640 zeigen eindeutige Frakturmerkmale in der Gestaltung der Ober- und Unterlängen. Zwei Grab­denkmäler in Eisenguß tragen ebenfalls Inschriften in Fraktur (Nr. 184/1574, Nr. 372/1639), von denen besonders auf die Reinhäuser Grabplatte Nr. 184 hinzuweisen ist, da die Schrift hier ausgeprägte Ober- und Unterlängen aufweist, f und Schaft-s sind spitz ausgezo­gen, [Druckseite 29] der geschwungene Bogen des h ist unter die Zeile geführt, u, v und w mit Oberlänge am linken Schaft. Bemerkenswert ist hier der über zwei Zeilen reichende, aus vielfach verschlungenen Orna­menten gebildete Versal E, der in seiner Gestaltung an Buchschrift erinnert. Besonders schmuck­voll sind auch die Frakturinschriften auf dem Mündener Kaufgildepokal ausgeführt (Nr. 318/1618), die gravierten Buchstaben sind vergleichsweise breit, die d mit weit nach links umgebogener Oberlänge, die h mit weit nach links unter den vorhergehenden Buchstaben ausge­zo­ge­nem und nach rechts umgebogenem Bogenende, die w mit geschwungenem Anstrich, so daß sich Groß- und Kleinbuchstabe nicht voneinander unterscheiden lassen.

Kapitalis

Entsprechend der zeitlichen Verteilung der Inschriften des Landkreises Göttingen ist die Renais­sancekapitalis die in diesem Bestand vorherrschende Schriftform, die sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in allen Inschriftengruppen durchsetzt. Sieht man von dem verschiedentlich schon zuvor in Kapitalis ausgeführten Titulus INRI ab, stecken die beiden frühesten Beispiele für Kapi­talis im Landkreis Göttingen aus dem Jahr 1527 (Nr. 42) und aus der Zeit nach 1525 (Nr. 142) den Rahmen ab, in dem sich die Ausführungen dieser Schrift in der Folgezeit bewegen werden. Während die Kapitalis der als Drittverwendung ausgeführten Inschrift einer Mündener Bürgergrabplatte (Nr. 42) unbeholfen und unregelmäßig eingehauen ist, trägt das Epi­taph für Herzog Erich I. (Nr. 142) eine künstlerisch durchgeformte Kapitalis, die für den süddeut­schen Bildhauer Loy Hering charakteristische Schriftmerkmale aufweist (vgl. Kommentar Nr. 142). Die breit proportionierte Schrift mit ausgeprägten Serifen ist eingehauen und weist kreisförmiges O und konisches M mit auf die Grundlinie herabgezogenem Mittelteil auf. Der nächste Beleg für Kapitalis, die von Cort Mente gegossene Bronzegrabplatte Erichs I. von 1541 (Nr. 145), trägt ebenfalls eine sehr sorg­fältig gestaltete, erhaben in vertiefter Zeile gegossene Kapitalis, deren breite Buchstabenbe­stand­teile der Schrift ein kompaktes Erscheinungs­bild verleihen. Die koni­schen M sind hier besonders breit gestaltet mit nur bis zur Mittellinie reichendem Mittelteil.

Auf diese drei Beispiele bleiben die ausführlicheren Kapitalisinschriften in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschränkt, mit der Inschrift auf der Mündener Grabplatte Nr. 158 aus dem Jahr 1551 beginnt aber eine dichte Überlieferung von Kapitalisinschriften, neben denen zunächst noch Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis oder mit einzelnen Merkmalen dieser Schrift stehen. Der weit überwiegende Teil der in Holz und Stein ausgeführten Kapitalisinschriften ist erhaben ausgeführt, oft in vertiefter Zeile. Auch wenn viele dieser Inschriften regelmäßig gestaltet sind und durchgehende Stilmerkmale wie den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen, Bogenverstärkungen und den Abschluß der Buchstabenbestandteile durch Serifen oder keilförmige Verstärkungen erkennen lassen, so orientieren sich doch die wenigsten an den klassischen Pro­portionen der Kapitalis, vielmehr sind die meisten Kapitalisinschriften eher schmal proportioniert. Eine Ausnahme bilden zwei Hausinschriften in Münden (Nr. 179/1570?, Nr. 188/1576) mit einer breiten Buchstabengestaltung, die kreisförmiges O und ent­sprechend gestaltetes C, G und Q aufweisen. In beiden Inschriften steht M mit senkrechten Hasten und bis auf die Grundlinie reichendem Mittelteil im Wechsel mit konischem M, ebenfalls mit bis auf die Grundlinie reichendem Mittelteil. Unter den schmaler proportionierten Kapitalis­inschriften sind die Inschriften auf dem Epitaph (Nr. 309) und der Grabplatte (Nr. 310) des Johann von Minnigerode von 1616 aufgrund ihrer besonderen Qualität hervor­zuheben. Hier handelt es sich um in den Stein eingehauene und mit einer Gipsmasse ausge­füllte Buchstaben, die den Eindruck von Intarsien geben. Die Buchstaben zeigen einen Wechsel von Haar- und Schat­tenstrichen sowie Bogenverstärkungen. Die Haarstriche sind ebenso wie die sorg­fältig gestalteten Serifen in sehr feiner Kerbe gehauen, die die Inschriften besonders elegant wirken läßt.

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts kann man an den Duderstädter Kapitalisinschriften eine Sonderentwicklung beobachten, die sich sonst nur an einem weiteren Beispiel im Landkreis Göt­tingen belegen läßt (Nr. 268/1603, Beienrode). Im Jahr 1592 ließ die Stadt Duderstadt zwei aufwendige Wappentafeln außen an ihrem Rathaus anbringen (Nr. 217) mit Inschriften in einer sehr manierierten Kapitalis, die in einem Fall rechtsgeneigt, im anderen senk­recht ausgerichtet ist. Viele Hastenenden sind im Bogen nach links oben oder rechts unten ausge­zogen und reichen oft über den nächsten Buchstaben hinaus, die Hasten sind teilweise geschwun­gen. Bemerkenswert ist, daß Inschriften dieser Art an anderen Orten in Niedersachsen erst nach 1650 auftreten. Diese öffentlich angebrachten Inschriften wirkten aber in Duderstadt offenbar stil­bildend, [Druckseite 30]denn vor allem in den Hausinschriften der Folgezeit lassen sich hier die wesentlichen Merkmale dieser Kapitalisschriften, wenn auch in der einen oder anderen abgewandelten bzw. abgeschwächten Form, wiederfinden. So zeigen die Inschriften am Haus Hinterstr. 73 von 1600 (Nr. 240) dasselbe V und verschränktes W mit gebogenen und weit ausgezogenen Linksschräghasten sowie A und M mit weit nach unten ausgezogener, gebogener Rechtsschrägha­ste. V und verschränktes W finden sich in derselben Form auch am Haus Kurze Str. 28 von 1608 (Nr. 285), hier in Kombination mit epsilonförmigem E und konischem M mit oben nach links in einem großen Zierhäkchen endendem, nur bis zur Mittellinie reichendem Mittelteil und N mit nach rechts unten ausgezogener Schräghaste. Das bereits im Zusammenhang der Hausinschriften (S. 19) hervorgehobene Haus Marktstr. 84 (Nr. 324/1620) zeigt eine besonders eigenwillige Variante dieser Kapitalis, die hier als sehr groß ausgeführte – schon ein wenig überladen wirkende – Versalschrift mit tropfenförmigen Verzierungen, Zierhäk­chen und Nodi gestaltet ist. So zeigt das N im Wort NOS nicht nur zu Zierhäkchen nach links ausgezogene Enden der linken Haste, sondern eine mit einem durchbrochenen Nodus besetzte Schräghaste sowie eine oben gegabelte rechte Haste, deren unteres Ende so weit ausgezogen ist, daß es den folgenden Buchstaben O unterfängt und in einer Schleife in das S übergeht.

Abgesehen von Duderstadt, wo neben der eben beschriebenen Sonderform der Kapitalis auch weiter die schmucklosere, schmaler proportionierte Kapitalis in Gebrauch war, zeigen die Kapita­lis­inschriften im Landkreis Göttingen bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums kaum Entwicklun­gen in der Buchstabengestaltung. Lediglich eine häufigere Verwendung von M mit senkrechten Hasten läßt sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts konstatieren, neben dem aber auch wei­terhin konisches M in Gebrauch ist, eine durchgängige U-Schreibung statt der üblichen V-Schrei­bung für den Vokal u bleibt bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums die Ausnahme.

Zitationshinweis:

DI 66, Lkr. Göttingen, Einleitung (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di066g012e000.

  1. Zur Geschichte der Stadt Duderstadt: Ritter, Ratsherren, S. 14–17. Zur Geschichte des Altkreises: Lufen, Altkreis Duderstadt, S. 18–21 u. S. 91–94. »
  2. Hierzu ausführlich Wehking, Amt Gieboldehausen, S. 25–29 u. S. 115–123. »
  3. Hierzu und zum folgenden ausführlich Wehking, Amt Gieboldehausen, S. 84–109. »
  4. Knieb, Reformation, passim. Die auf einer akribischen Quellenauswertung beruhende Darstellung Kniebs ist trotz der erzkatholischen Haltung des Verfassers immer noch das maßgebliche Werk zur Reformation und Gegenreformation auf dem Eichsfeld. Vgl. a. Haase, Die Evangelischen, S. 32–66. »
  5. Karl Heinemeyer, Die Gründung der Stadt Münden. Ein Beitrag zur Geschichte des hessisch-niedersächsischen Grenzgebietes im hohen Mittelalter. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 23, 1973, S. 114–230. Einen Überblick über die Geschichte Mündens bieten Gerhardy, Rathaus, S. 166ff., u. Lufen, Altkreis Münden, S. 116–120. »
  6. Veronika Albrink, Das Mündener Schiffergewerbe im 17. und 18. Jahrhundert, Magisterarbeit Phil. Fak. der Universität Göttingen 1990, masch. Manuskript in StA Hann. Münden, A 18, S. 24. »
  7. Ebd., S. 45. »
  8. Ebd., S. 147. »
  9. Ritter, Ratsherren, S. 93. »
  10. HSTA Hannover, Cal. Br. 8, Nr. 1240, fol. 1f. »
  11. StA Hann. Münden, MR XI-1-2. »
  12. Robert Engelhard, Hausinschriften in Duderstadt. In: Jahresbericht des Duderstädter königlichen Progymnasiums, Beilage 1891, S. 29–41. »
  13. HSTA Hannover, Han 74 Münden, E Nr. 440 (Schloßinventar 1680); Nr. 445 (Schloßinventar 1699); Nr. 462 (Schloßinventar 1735). »
  14. Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff, Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen. 2. Band: Fürstentümer Göttingen und Grubenhagen nebst dem hannoverschen Teile des Harzes und der Grafschaft Hohnstein. Hannover 1873. »
  15. Hierzu und zum folgenden: Knieb, Reformation, passim. Sowie: Haase, Die Evangelischen, S. 32–66. »
  16. Die Terminologie folgt dem im Band DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIIIXXIV Dargelegten. Die Grabplatte steht immer in enger Beziehung zum Begräbnisort und diente zur Abdeckung des Grabes. Das Epitaph ist dagegen ebenso wie der Totenschild nicht an den Begräbnisplatz gebunden und wird häufig zusätzlich zur Grabplatte errichtet. »
  17. Der allgemeine Begriff ‚Grabinschrift’ bezeichnet im Gegensatz zu dem spezielleren Terminus ‚Grabschrift’, der sich auf den Texttyp bezieht, sämtliche auf Inschriftenträgern aus dem Bereich Begräbnis und Totengedenken angebrachten Texte. »
  18. HSTA Hannover, Cal. Br. 8, Nr. 1240, fol. 1f. »
  19. Vgl. Brauch, Verwaltung, S. 343f. Zu Fuchshart Samse, Zentralverwaltung, S. 257. »
  20. Vgl. dazu DI 36 (Stadt Hannover), S. XXVIf., u. DI 56 (Stadt Braunschweig 2), S. XXXIV, XXXV, XXXVI und XXXVII»