Die Inschriften des Landkreises Göttingen

4. Die Sprache der Inschriften

Von den 450 Inschriften des Katalogteils sind 202 durchgängig in deutscher Sprache abgefaßt – wobei die Formel Anno domini unberücksichtigt bleibt –, 138 in Latein und 48 Katalognummern enthalten Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache. Daneben gibt es noch eine Reihe von Inschriften, deren Sprache sich aufgrund mangelnden Textmaterials nicht bestimmen läßt. Aus dem 14. Jahrhundert sind bereits zwei deutschsprachige Inschriften im Original – und damit über­prüfbar – erhalten. Die Inschrift an der Kirche in Eddigehausen (Nr. 11/1343) ist zwar stark zer­stört, zeigt aber eindeutig niederdeutsche Prägung ebenso wie die Inschriften auf der Grabplatte für die Fami­lie von Wehre in der Duderstädter Kirche St. Servatius (Nr. 18/1383). Bei letzterer handelt es sich auch überregional um ein sehr frühes Beispiel einer deutschsprachigen Grabschrift, in den bisher bearbeiteten norddeutschen Inschriftenbeständen sogar um das früheste Vorkom­men überhaupt. Die ersten deutschsprachigen Glockeninschriften finden sich im Landkreis Göt­tingen auf der Glocke in Bernshausen aus dem Jahr 1399 (Nr. 24). Latein bleibt aber auch im 15. Jahr­hundert noch die in den Inschriften des Landkreises vorherrschende Sprache, auch wenn daneben gelegent­lich niederdeutsche Inschriften – vor allem Bauinschriften – auftreten, und auch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der überwiegende Teil der Inschriften noch lateinisch. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts tritt hier ein Wechsel ein, so daß Deutsch nun die deutlich überwiegende Sprache der Inschriften wird. Dies ist nicht nur durch die seit dieser Zeit verstärkt vorkommenden Hausinschriften bedingt, auch die Grabinschriften werden in zunehmendem Maße in deutscher Sprache formuliert. Auf den gesamten Bearbeitungszeitraum hin betrachtet, sind die lateini­sche und die deutsche Sprache in den großen Gruppen von Inschriftenträgern wie Bauin­schriften, Glocken, Epitaphien und Grabplatten etwa je zur Hälfte vertreten, lediglich die Hausinschriften weisen mit achtzig Prozent einen deutlich höheren Anteil deutschsprachiger Inschriften auf. Die Bevorzugung einer Sprachform durch Adel oder Bürgertum – besonders hin­sicht­lich der Grabdenkmäler – läßt sich am Bestand der Inschriften des Landkreises Göttingen nicht erkennen.

Zur Auswertung des Inschriftenbestandes im Hinblick auf die Verteilung von Niederdeutsch und Hochdeutsch werden hier nur die im Original erhaltenen Inschriften herangezogen, da sich im [Druckseite 25] Fall der kopialen Überlieferung keine zuverlässigen Aussagen über den ursprünglichen Sprachstand machen lassen. Generell muß man bei den frühen Belegen für Hochdeutsch den Kontext be­trachten, in dem die Inschriften stehen. Dies zeigt das auf der Bernshäuser Glocke von 1399 (Nr. 24) von dem Duderstädter Glockengießer Bertold Gropengeter angebrachte hochdeutsche hilf got, das neben einer niederdeutschen Gießerinschrift steht. Die beiden Inschriften machen deutlich, daß der Gießer hier eine überregional verbreitete und daher hochdeutsche Gebetsformel verwen­dete, wäh­rend er die Meisterinschrift in dem ihm geläufigen Niederdeutsch ausführte. Anders könnte der Fall bei der vermutlich von Andreas Botger gegossenen Germershäuser Glocke von 1513 (Nr. 117) und weiteren vier verlorenen Glocken aus der Zeit um 1500 (Nr. 77, 80, 81, 122) liegen, die alle die Inschrift hilf got maria berot trugen. Hier könnte der Glockengießer durchaus aus dem mitteldeut­schen Sprachgebiet stammen. Entsprechend ist die Inschrift hilf bzw. helf got auf den Kelchen in Friedland (Nr. 92) und Reiffenhausen (Nr. 107) zu bewerten, deren Herkunft nicht bekannt ist.

Abgesehen von den genannten Beispielen findet sich die hochdeutsche Sprache im Landkreis Göt­tingen erstmals im Jahr 1501 in der am Mündener Schloß auf Veranlassung von Herzog Erich I. angebrachten Bauinschrift (Nr. 110) und danach wieder auf dem nach 1525 von dem süddeut­schen Bildhauer Loy Hering gefertigten Epitaph des Herzogs (Nr. 142). Das erstmalige Auftreten des Hochdeutschen in einer von Erich I. oder seinen Räten verfaßten Inschrift paßt exakt zu den Beobachtungen Brauchs zur Einführung des Hochdeutschen als Kanzleisprache am Mündener Hof, die nach Brauch mit der Bestallung des aus Süddeutschland stammenden Kanzlers Ambro­sius Fuchshart im Jahr 1501 erfolgte.21) Die cz-Schreibung statt z, die sich in beiden Inschriften findet, war möglicherweise vorbildgebend für eine Mündener Zimmerwerkstatt, die in den Inschriften der Häuser Am Plan 6 (Nr. 169/1565) und Lange Str. 51 (Nr. 178/1570) eine sonst in den Mündener Hausinschriften nicht übliche sz-Schreibung praktizierte. Die letzte – allerdings nur kopial überlieferte – durchgängig niederdeutsche Inschrift dieses Bestands befand sich am Münde­ner Haus Kirchstr. 11 von 1545 (Nr. 149) und steht in ähnlicher Form, aber mit dem hoch­deutschen Einsprengsel gibt am Haus Mühlenstr. 3 aus demselben Jahr (Nr. 148).

Die an den bisher edierten norddeutschen Inschriftenbeständen gemachte Beobachtung, daß sich das Hochdeutsche in den Grabinschriften deutlich früher durchsetzt als in den Hausinschrif­ten,22)kann am Material des Landkreises Göttingen nur bedingt überprüft werden, da die Hausin­schriftenüberlieferung in Duderstadt erst 1588 einsetzt und damit zu einer Zeit, als Hochdeutsch auch in den Hausinschriften allgemein verbreitet ist. Somit kommt nur das Mündener Material für einen Vergleich zwischen den beiden Inschriftengruppen in Betracht. Für die Grabinschriften des gesamten Landkreises Göttingen gilt, daß hier seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wie auch an anderen Orten Hochdeutsch zur vorherrschenden Sprache wird. Im Gegensatz zu den Inschrif­tenbeständen Braunschweig, Hannover, Hildesheim und Osnabrück fällt aber auf, daß die Münde­ner Hausinschriften – offensichtlich unter dem Eindruck der dortigen Kanzlei – auch bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zum ganz überwiegenden Teil in Hochdeutsch verfaßt sind. Daß ihre Auftraggeber oder die ausführenden Handwerker als gesprochene Sprache wohl überwiegend noch Niederdeutsch verwendeten, zeigt sich aber daran, daß sich in den Inschriften noch verein­zelte niederdeutsche Wörter finden, so beispielsweise SIN statt sein am Haus Lange Str. 29 (Nr. 161/1554) und FORCHT anstelle von fürchtet in der Inschrift am Haus Burgstr. 4 (Nr. 167/1564). Seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts finden sich keine niederdeutschen Merkmale mehr in den Mündener Hausinschriften.

Zeugnisse dafür, wie sich das in der gesprochenen Sprache weiterlebende Niederdeutsch doch gelegentlich auch noch in Inschriften einschleicht, bieten zwei Mündener Grabinschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. In einer Versinschrift auf der Grabplatte des Peter Berkenfeld in St. Blasius (Nr. 291/1610) reimt sich LEIB auf BLIffT (= bleibt), die Reimworte UFFER­STAHN/GAHN stehen neben GELEICH/REICH und anstelle von ‚im Tode’ findet sich hier IM DODE. Der Inschrift seiner Grabplatte in St. Blasius (Nr. 316) zufolge ist der Mündener Bürger Hillebrand Hupeden im Jahr 1618 ENTSLAPEN. Generell gilt für den Bestand der Inschriften des Landkreises Göttingen jedoch, daß sich hier die hochdeutsche Sprachform seit der Mitte des 16. Jahrhunderts allgemein durchsetzt, wenn auch mit der Einschränkung, daß die Duderstädter Hausinschriften für eine Beurteilung in dieser Hinsicht ausfallen.

Zitationshinweis:

DI 66, Lkr. Göttingen, Einleitung, 4. Die Sprache der Inschriften (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di066g012e000.

  1. Vgl. Brauch, Verwaltung, S. 343f. Zu Fuchshart Samse, Zentralverwaltung, S. 257. »
  2. Vgl. dazu DI 36 (Stadt Hannover), S. XXVIf., u. DI 56 (Stadt Braunschweig 2), S. XXXIV, XXXV, XXXVI und XXXVII»