Die Inschriften des Landkreises Göttingen

3. INSCHRIFTEN, INSCHRIFTENTRÄGER UND ÜBERLIEFERUNG

Von den 450 Inschriften des Landkreises Göttingen bis zum Jahr 1650 entfallen 145 Katalognummern auf die Stadt Hannoversch Münden und 76 auf die Stadt Duderstadt als die beiden Schwerpunkte dieses Bandes. Insgesamt sind 325 Inschriftenträger im Original erhalten, 125 Inschriften liegen nur noch in kopialer Überlieferung vor. Der Anteil der kopialen Überlieferung liegt in Münden bei 40 Inschriften, in Duderstadt bei 27 Inschriften. Das Verhältnis zwischen kopialer und originaler Überlieferung erklärt sich nicht durch einen hohen Erhaltungsgrad von Inschriftenträgern, sondern durch das Fehlen von systematischen Inschriftenüberlieferungen. Eine Ausnahme bilden lediglich die von Engelhard zusammengestellte Sammlung Duderstädter Hausinschriften14), die etliche durch zwei große Stadtbrände kurz nach dem Druck der Sammlung zerstörte Inschriften überliefert, sowie die 1680, 1699 und 1735 angelegten Inventare des Mündener Schlosses15), die auch die Inschriften in den einzelnen Räumen verzeichnen. Die in dem einschlägigen Kunstdenkmälerband16) enthaltenen Inschriften sind zum großen Teil heute noch im Original vorhanden. Daran zeigt sich, daß in den Kirchen schon vor der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Kunstdenkmälerinventarisation gravierende Veränderungen an der Innenausstattung vorgenommen und besonders die alten Grabdenkmäler beseitigt worden waren. Gerade für diese Gruppe von Inschriftenträgern ist im Landkreis Göttingen mit einer sehr hohen Verlustrate zu rechnen. Deutlich wird dies beispielsweise an dem überregional bedeutenden Kloster Bursfelde, für das abgesehen von dem im Original erhaltenen Stiftergrab (Nr. 47) weder kopial noch original auch nur ein einziges Grabdenkmal überliefert ist. Daß die Mündener Kirche St. Blasius im Vergleich zu St. Cyriakus und St. Servatius in Duderstadt eine relativ große Anzahl von Grabplatten aufzuweisen hat, ist lediglich dem glücklichen Umstand zu verdanken, daß diese schon seit längerer Zeit durch einen Fußboden abgedeckt und in Vergessenheit geraten waren, sonst wären wohl auch sie als Baumaterial veräußert worden.

Zeitlich verteilen sich die Inschriften des Landkreises Göttingen folgendermaßen: Sieben Nummern fallen in das 13. Jahrhundert – darunter vier im Original erhaltene Glocken –, 26 in das 14. Jahrhundert, 74 in das 15. Jahrhundert, 51 in die erste Hälfte des 16., 104 in die zweite Hälfte des 16. und 188 Nummern in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die größte Gruppe unter den 450 Inschriften machen die Hausinschriften mit 91 Nummern und zahlreichen weiteren Einträgen [Druckseite 17] von Jahreszahlen und Initialen in Anhang 1 aus, die zweitgrößte Gruppe die Grabinschriften mit 88 Nummern, zu denen im weiteren Sinn noch die Inschriften der bereits erwähnten fünf Flurdenkmäler hinzuzurechnen sind, und die drittgrößte Gruppe die Glockeninschriften mit 57 Nummern sowie einer weiteren in Anhang 1. Darüber hinaus sind hier 35 Kelche verzeichnet, davon sechs mit Patenen, 30 Bauinschriften an oder in Kirchen und öffentlichen Gebäuden, 20 Altäre sowie 17 Taufsteine mit längeren Inschriften und vier weitere in Anhang 1.

Die Hausinschriften

Die 91 Hausinschriften des Katalogteils verteilen sich im wesentlichen auf die beiden Städte Duderstadt mit 36 Nummern und Münden mit 44 Nummern, bei den restlichen Hausinschriften aus den Dörfern handelt es sich zum überwiegenden Teil um Balken ehemaliger Pfarrhäuser, die erhalten geblieben sind. Gemeinsam ist den Städten Duderstadt und Hannoversch Münden die große Zahl alter Fachwerkhäuser, die in beiden Fällen von Kriegszerstörungen mit anschließender Neubebauung – wie etwa in Braunschweig und Hannover – verschont blieben. Die weitgehend geschlossen erhaltene Fachwerkbebauung ist das Charakteristikum beider Altstädte und macht deren besondere Anziehungskraft aus. Anders als in Städten wie Hildesheim oder Einbeck weisen die Fachwerkhäuser in Duderstadt und Münden kaum figürlichen Schmuck auf, sondern mit wenigen Ausnahmen nur ornamentale Verzierungen wie Tauband, Fächerrosetten oder Blendarkaden. Trotz des ähnlichen Gesamteindrucks der Fachwerkbebauung unterscheidet sich diese in den beiden Städten sowohl hinsichtlich ihrer zeitlichen Verteilung als auch im Hinblick auf Inhalt und Ausführung der Hausinschriften ganz wesentlich voneinander. Während die Hausinschriften in Duderstadt mit Ausnahme einer kopial überlieferten Inschrift aus dem Jahr 1549 erst Ende des 16. Jahrhunderts einsetzen, finden sich unter den Mündener Hausinschriften immerhin neun Nummern aus der Zeit bis zum Jahr 1550 und 13 Hausinschriften bis zum Jahr 1582, danach gibt es jedoch eine Lücke bis zum Jahrhundertende. Bis zum Dreißigjährigen Krieg, der aufgrund der ungünstigen äußeren Umstände für beide Städte einen Rückgang privater Bautätigkeit bedeuten mußte, gibt es in Münden nur noch sporadisch weitere Hausinschriften, während sich in Duderstadt ab 1588 anhand der überlieferten Inschriften eine kontinuierliche private Bautätigkeit abzeichnet. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs setzte in beiden Städten wieder eine erhöhte Bautätigkeit ein, die zu einer – teilweise auch durch unsichere Datierungen bedingten – Konzentration der Hausinschriften am Ende des Bearbeitungszeitraums führt. Die hier gezeigten unterschiedlichen Gegebenheiten müssen bei einer inhaltlichen und schriftgeschichtlichen Auswertung des Hausinschriftenmaterials berücksichtigt werden.

Als besonders frühes Beispiel einer Hausinschrift findet sich in Münden die auf das Jahr 1457 datierte Inschrift auf den Knaggen des Hauses Kirchplatz 4 (Nr. 51), die neben der Jahreszahl erstmals – soweit bekannt – an einem norddeutschen Fachwerkhaus auch den Bauherrn und den Baumeister nennt. Die am selben Haus auf dem Schwellbalken verlaufende lateinische Inschrift aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts formuliert eine Bitte um Segen für das Haus, die sich sonst bislang nicht als Hausinschrift nachweisen läßt. Dagegen greift die etwa gleichzeitig entstandene Inschrift am Haus Lange Str. 85/87 aus dem Jahr 1540 (Nr. 144) mit der protestantischen Devise Verbum domini manet in aeternum (1. Pt. 1,25) und dem auf den Hausbau bezogenen Nisi dominus aedificaverit ... (Ps. 126,1) zwei Bibelzitate auf, die zum klassischen Repertoire norddeutscher Hausinschriften gehören. Letzteres wiederholt sich in gereimter Form in den ältesten deutschsprachigen Mündener Hausinschriften von 1545 am Haus Mühlenstr. 3 (Nr. 148) und inhaltlich abgewandelt zu einem etwas allgemeineren, ebenfalls verbreiteten Spruch (Wo Got Sinen Segen Nich Givt, Vs Arbet Al Vergebens Schicht) am ehemaligen Haus Kirchstr. 11 (Nr. 149). Am Haus Lange Str. 29 (Nr. 161) erscheint 1554 erstmalig der in Hausinschriften wohl meistverwendete, aus einem protestantischen Kirchenlied entlehnte Spruch Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut, der sich bis 1650 noch an weiteren vier Häusern findet (Nr. 178, 203, 402, 450), im Jahr 1650 am Haus Lange Str. 36 (Nr. 402) erweitert um im Himmel und auf Erden. Die in Hausinschriften allgemein geläufigen religiösen Sprüche werden ebenso wie verschiedene Bibelzitate auch in Münden häufig verwendet, beide Texttypen sind oft mit dem Namen des Bauherrn und dem Baujahr kombiniert. Eine Ausnahme unter den von religiösen Inhalten bestimmten Mündener Hausinschriften stellt der allgemein recht verbreitete Spruch Alle die mich kennen, denen gebe Gott, was sie mir gönnen (Nr. 283) aus dem Jahr 1607 am Haus Ziegelstr. 40 dar, der indirekt Bezug auf Neid und Mißgunst der Menschen nimmt. Die an anderen Orten als Hausinschriften beliebten Neidsprüche kommen in Münden sonst nicht vor. Der [Druckseite 18] größte Teil der Mündener Hausinschriften ist in deutscher Sprache verfaßt und entspricht mit seiner Schriftausführung zunächst in gotischer Minuskel und seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Kapitalis den allgemein gebräuchlichen Formen.

Aus dem Rahmen des Üblichen fallen zwei kleine Gruppen von vier bzw. drei Inschriften, deren Ausführung sich deutlich von den anderen Hausinschriften abhebt. Die Häuser Lohstr. 18 (Nr. 165), Burgstr. 4 (Nr. 167) und Burgstr. 8 (Nr. 168) aus den Jahren 1562 und 1564 tragen Baudatum und Erbauername kombiniert mit einem Bibelzitat bzw. mit einem Spruch in deutscher Sprache und entsprechen damit inhaltlich dem allgemeinen Gebrauch. Was sie auszeichnet, ist die Gestaltung in einer voll ausgeprägten frühhumanistischen Kapitalis, die die Inschrift zum beherrschenden Schmuckelement des Hauses werden läßt. Alle drei Häuser wurden offensichtlich von derselben Werkstatt errichtet. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich ausnahmslos um lateinische Inschriften, die in einer an der klassischen Form der Kapitalis orientierten, besonders sorgfältig gestalteten Schrift ausgeführt sind. In einem Fall handelt es sich um ein Bibelzitat in Kombination mit Baujahr und Erbauername (Nr. 199, Marktstr. 15), in den drei anderen Fällen um individuell formulierte Distichen religiösen Inhalts, davon zwei wiederum kombiniert mit Jahreszahl und Erbauername. Die 1555 von dem Hofschneider Andreas Tedener an seinem Haus Lotzestr. 19 (Nr. 162) angebrachte Inschrift ist heute in weiten Teilen nur noch schemenhaft zu erkennen und daher nicht vollständig zu rekonstruieren, sie zeigt aber das Bemühen des Bauherrn, seine soziale Position nach außen zu dokumentieren. Anders als bei Andreas Tedener, der als Schneider wohl kaum über eine gehobene Schulbildung verfügt haben dürfte, dokumentieren die Inschriften an den Häusern Kirchplatz 7 und 9 (Nr. 179 u. 188) aus den Jahren 1570(?) und 1576 auch den Bildungsstand ihrer Auftraggeber, des Pastors an St. Blasius Caspar Coltemann und des Mündener Ratsherrn Johann Spangenberg.

Die mit einer Ausnahme (Nr. 152/1549) erst 1588 einsetzenden Duderstädter Hausinschriften sind unter ganz anderen Vorzeichen zu betrachten als die Mündener Hausinschriften, auch wenn sich die lateinischen Inschriften am Haus des Johannes Ludolff von 1549 direkt an die eben genannten Mündener Inschriften anschließen, weil auch sie – in diesem Fall mit einem Horazzitat und einem Distichon – den gehobenen Bildungsstand des Bauherrn betonen. Um die ab 1588 von den Duderstädtern an ihren Häusern angebrachten Inschriften richtig einordnen zu können, muß man die konfessionelle Situation der Stadt Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts betrachten, die sich ganz anders darstellt als in Münden, wo die Bürgerschaft trotz der katholischen Position ihres Herzogs Erich II. nach der Einführung der Reformation in der Ausübung des evangelischen Bekenntnisses unbehelligt blieb. In Duderstadt hatte sich schon seit dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts eine – nach außen hin friedliche und undramatische – Hinwendung der Bürger zum Protestantismus vollzogen, in deren Folge in den 50er Jahren an den Kirchen St. Cyriakus und St. Servatius evangelische Geistliche eingesetzt wurden. Zunächst hatte die Mainzer Regierung dieser Entwicklung im weit abgelegenen Untereichsfeld noch weitgehend tatenlos zugesehen, war aber seit 1573 um die Durchsetzung der Gegenreformation bemüht. 1574 ließ sich der Kurfürst Daniel Brendel bei einer Reise durch das Eichsfeld in Duderstadt die Schlüssel beider Kirchen aushändigen und setzte die evangelischen Geistlichen ab.17) Diese Bemühungen waren jedoch nicht von dauerhaftem Erfolg, da die Duderstädter Bürger beharrlich am evangelischen Bekenntnis festhielten und auch wieder evangelische Geistliche einsetzten, wenn sie auch 1579 St. Cyriakus endgültig wieder in katholische Hand geben mußten. Auch in der Folgezeit sahen sich die evangelischen Bürger und der Rat immer wieder dem Druck der Mainzer Regierung und ihrer Abgesandten ausgesetzt, zumal die Jesuitenmission in den umliegenden Dörfern zumindest äußerlich zum Erfolg führte. Die Duderstädter Hausinschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts zeigen jedoch, daß diese Bemühungen in Duderstadt weitgehend fruchtlos blieben. Eine endgültige Regelung der konfessionellen Verhältnisse im Sinne der Mainzer Regierung erfolgte erst durch den Westfälischen Frieden.

Berücksichtigt man diese äußeren Umstände, so wird klar, daß es in Duderstadt etwas ganz anderes war, das als protestantische Devise verwendete Bibelzitat Rm. 8,31 Si Deus pro nobis, quis contra nos dauerhaft für alle sichtbar an seinem Haus anzubringen (Nr. 324) als in einer unangefochten protestantischen Stadt. Dasselbe gilt für Soli Deo gloria (Nr. 281) und für die ausführliche – der Strophe des protestantischen Kirchenlieds entsprechende – Form des Spruchs Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut (Nr. 273 u. 413). Den protestantischen Kampfgeist der unbekannten Erbauer dokumentieren [Druckseite 19] ganz besonders die Strophe des lutherischen Kirchenlieds Eine feste Burg ist unser Gott (Nr. 337) am Haus Marktstr. 56 ohne Baudatum und das Bibelzitat Rö. 4,5 am Haus Westertorstr. 22/24 von 1600 (Nr. 241, Dem aber, der nicht mit Werken umgeht ... ), die beide für Hausinschriften ungewöhnlich sind. Um Strophen von Kirchenliedern handelt es sich wohl auch bei Nr. 240 am Haus Hinterstr. 73 aus dem Jahr 1600 (Ich hoffe auf dich, Herr Jesu Christ ... ) und bei der undatierten Inschrift Nr. 349 an einem Haus im Sackviertel (Herr Jesu Christ, du höchster Hort ... ), die wohl aus der Zeit zwischen 1618 und 1631 stammt. Beide Inschriften entsprechen ebenso lutherischen Glaubensinhalten wie die für Hausinschriften ungewöhnlichen Bibelzitate am Haus Kurze Str. 28 von 1608 (Nr. 285; Jh. 14,23 Wer mich liebt, der wird mein Wort halten ... , Jes. 45,5 Ich bin der Herr, sonst keiner mehr ... , Jh. 10,9 Ich bin die Tür, so jemand durch mich eingehet ... ) und die Inschrift am Haus Scharrenstr. 12 (Nr. 336) aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts Der Segen des Herrn macht reich ohne Mühe (Spr. 10,22). Neben der großen Zahl protestantischer Hausinschriften ist hier noch auf eine katholisch geprägte Hausinschrift an einem Haus in der Marktstraße (alte Häusernr. 193, Nr. 412) hinzuweisen, von der man allerdings nicht sicher sagen kann, ob sie noch im Bearbeitungszeitraum entstanden ist (Maria, Mutter Gottes rein ... ). Das Thema Neid und Mißgunst der Mitmenschen ist auch in Duderstadt kaum Gegenstand der Hausinschriften; lediglich zweimal ist hier der sonst sehr geläufige Spruch Hilf Gott aus Not, Abgunst ist groß verwendet (Nr. 245 u. 323).

Wie die Mündener Inschriften ist auch der weit überwiegende Teil der Duderstädter Hausinschriften religiös geprägt, allerdings zeigen die Duderstädter Hausinschriften eine größere Variationsbreite der Texte. In diesem Zusammenhang ist noch auf die in Verse gefaßte Betrachtung über Gott als den besten Freund des Menschen (Nr. 248) hinzuweisen, die an einem wohl auf das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts zu datierenden Haus mit der alten Nr. 197 angebracht war (Den besten Freund, den du magst han ... ). Wie die zitierten Beispiele zeigen, ist Deutsch auch in den Duderstädter Hausinschriften die vorherrschende Sprache. Zwei lateinische Inschriften, die den besonderen Bildungsstand der Bauherren dokumentierten, fallen wie die eingangs angesprochene Inschrift von 1549 aus dem Rahmen. In beiden Fällen kann ihre Entstehung vor 1650 allerdings nur vermutet werden, da sie nur noch kopial überliefert sind. An einem Haus in der Hinterstraße befand sich ein längeres Zitat aus dem Werk ‚Cato maior’ des Cicero (Nr. 440), an einem Haus in der Steinstraße war ein Distichon angebracht, das Leben und Tod thematisierte (Nr. 414).

Entsprechend ihrer zeitlichen Verteilung ist die Schrift der Duderstädter Hausinschriften die Kapitalis. Hier tritt sie aber bereits um 1600 in einer vom Erscheinungsbild her barocken, mit Zierhäkchen und Zierstrichen versehenen Form auf (erstmalig 1599/Nr. 238 und 1608/Nr. 285), die so weder in Münden noch in den bisher bearbeiteten niedersächsischen Stadtbeständen wesentlich vor 1650 zu finden ist (hierzu vgl. S. 30). Zum vorherrschenden Schmuckelement wird diese Schrift am Haus Marktstr. 84 (Nr. 324) aus dem Jahr 1620, dessen Inschriften auf den Brüstungstafeln und Füllbrettern aus Versalien zusammengesetzt sind. Damit wird hier der protestantischen Devise Si Deus pro nobis, quis contra nos in besonders plakativer Form Nachdruck verliehen.

Die Grabinschriften

Auf eine Terminologie der Grabdenkmäler kann hier verzichtet werden, da diese in den zuvor erschienenen Bänden dieser Reihe immer wieder behandelt worden ist.18) Dasselbe gilt für das Formular der Grabinschriften19), das sich nicht von dem ausführlich kommentierten Formular in den bereits edierten norddeutschen Beständen unterscheidet. Hier soll daher nur das Material des Landkreises Göttingen zusammenfassend ausgewertet und auf die Besonderheiten hingewiesen werden. Anders als bei den Hausinschriften lassen sich bei den Grabinschriften keine Unterschiede zwischen den beiden städtischen Schwerpunkten dieses Bestands erkennen, wenn man einmal von der deutlich besseren Überlieferungssituation in Hannoversch Münden absieht, für das mit Abstand [Druckseite 20] die meisten Grabdenkmäler aus der Zeit bis 1650 überliefert sind. Abgesehen von Duderstadt ist noch Adelebsen mit sieben Nummern als Standort von mehr als drei Grabdenkmälern zu nennen. In vielen Kirchen finden sich nur ein oder zwei Grabplatten oder es sind gar keine Stücke aus dem Bereich des Totengedenkens bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums mehr vorhanden wie z. B. in der vergleichsweise großen Kirche von Hedemünden. Bei den 88 Inschriftenträgern dieser Gruppe handelt es sich um 55 Grabplatten, 21 Epitaphien, vier Totenschilde, zwei Sarkophage (Fürstengräber), ein Grabkreuz, zwei Zinnsärge und drei nicht näher zu bestimmende Grabdenkmäler. Der Anteil der kopialen Überlieferung liegt hier bei 22 Nummern, d. h. drei Viertel der Grabdenkmäler sind ganz oder fragmentarisch erhalten. Die fragmentarische Erhaltung betrifft besonders die Gruppe der Grabplatten; hier sind in 15 Fällen nur noch Bruchstücke überliefert, die oft keine Rückschlüsse auf die Gestaltung der ganzen Platte mehr zulassen.

Auf drei Grabplatten ist hier wegen ihrer besonderen Gestaltung noch im einzelnen einzugehen. Die gußeiserne Platte für den Mündener Bürgermeister Peter Berkenfeld (Nr. 291/1610) fällt allein schon wegen des Materials und der ungewöhnlichen Farbfassung auf, aber auch die in großen Buchstaben umlaufende Versinschrift religiösen Inhalts in deutscher Sprache und die Anordnung von Darstellungen und Sterbevermerk lassen die Person des Verstorbenen hinter die Erinnerung an den Kreuzestod Christi und die Auferstehung zurücktreten. Ganz anders ist dagegen die Grabplatte seines Amtskollegen Joachim Mecke (Nr. 299/1612) gestaltet, in die eine aufwendige, mit zwei Putten verzierte Bronzetafel mit der lateinischen Grabschrift eingelassen ist. Von der Gruppe der weitgehend gleichartig ausgeführten Grabplatten für Angehörige von Adelsfamilien unterscheidet sich diejenige des Johann von Minnigerode (Nr. 310/1616) durch Material, Qualität der Ausführung und Gestaltung. Der hochrechteckige Stein aus grauem Quarzit mit Wappenmedaillons [Druckseite 21] in weißem Marmor trägt eine sehr qualitätvolle Kapitalis in eingehauenen und mit weißem Gips ausgefüllten Buchstaben. Neben einem knapp formulierten Sterbevermerk in deutscher Sprache enthält die Inschrift zwei längere deutsche Bibelzitate zum Thema Auferstehung und Vergebung der Sünden. Dieser Schwerpunkt auf den Aussagen der Bibel findet sich in noch deutlicherer Form auf dem Epitaph für Johann von Minnigerode und seine Familie (Nr. 309/1616), für das hinsichtlich des Materials und der Ausführung dasselbe gilt wie für die Grabplatte. Hier treten im deutschsprachigen Inschriftenprogramm die zwei äußerst knappen Sterbevermerke völlig hinter insgesamt dreizehn über das ganze Epitaph verteilte zentrale Bibelverse zum Thema Tod und Auferstehung zurück, die die lutherische Prägung der auftraggebenden Familie dokumentieren.

Die wenigen im Landkreis Göttingen erhaltenen Epitaphien lassen kaum allgemein gültige Auswertungen zu, man kann aber doch einen gewissen Unterschied zwischen den bescheidener gestalteten Bürgerepitaphien und den aufwendigeren und deutlich größeren Adelsepitaphien erkennen. Eine Ausnahme stellt das heute nicht mehr vollständige große Epitaph für den Mündener Bürgermeister Bodo Meier dar (Nr. 218/1592), das sich in seinem mehrteiligen Aufbau und mit seinen lateinischen Vers- und Prosainschriften an den Adelsepitaphien orientiert. Abgesehen von diesem besonders auf Repräsentation angelegten Holzepitaph gibt es aus dem bürgerlichen Bereich noch ein Gemälde, fünf Steinepitaphien und ein Grabkreuz aus Gußeisen (Nr. 372/1639). Das Gemälde in St. Blasius in Münden (Nr. 175/1567), das die Familie des Arztes Burchard Mithoff unter dem Kreuz darstellt, trägt eine lateinische Versgrabschrift mit Angabe des Autors und einen deutschen Sterbevermerk. Vier der Steinepitaphien, von denen sich drei an St. Cyriakus in Duderstadt (Nr. 209/1588, Nr. 214/1591, Nr. 338/1626) und das vierte an St. Blasius in Münden (Nr. 391/1647) befinden, zeigen den dreiteiligen Aufbau mit Darstellung der Verstorbenen unter dem Kreuz im Mittelteil, darüber eine Bekrönung, darunter eine Inschriftentafel. Das fünfte Epitaph dieser Art an St. Servatius in Duderstadt (Nr. 397/1649) ist völlig verwittert. Während die beiden Duderstädter Epitaphien Nr. 209 für Katharina Selge und Nr. 338 für Heinrich Hertwig lateinische Prosainschriften tragen, ist die Grabschrift für den Schiffer Bartold Ogener auf dem Mündener Epitaph in deutscher Sprache verfaßt. Das Epitaph der Katharina Selge ist insofern bemerkenswert, als hier einer jung im Kindbett verstorbenen Frau von ihrem Schwiegervater, dem Duderstädter Schultheißen Johann Hennicke, ein eigenes, vergleichsweise großes Grabdenkmal gesetzt wurde.

Abgesehen von dem bereits erwähnten Epitaph für Johann von Minnigerode sind im Landkreis Göttingen nur noch drei Adelsepitaphien in Adelebsen (Nr. 196 u. 279) und in Gelliehausen (Nr. 202) erhalten, das letztere, ein Steinepitaph, so fragmentarisch, daß sich über die ursprüngliche Form und Größe keine Aussage mehr machen läßt. Das hölzerne Epitaph für Bodo von Adelebsen und seine Familie (Nr. 196/1580) und das Steinepitaph für Crain I. von Adelebsen und seine Familie (Nr. 279/1606) zeigen beide einen vielteiligen Aufbau mit aufwendigen Verzierungen und großen Ahnenproben, das ältere mit einer Kombination aus lateinischer Vers- und deutscher Prosainschrift, das jüngere mit durchgängig deutschen Inschriften. Qualitativ bleiben diese beiden Epitaphien aber deutlich hinter dem Epitaph des Johann von Minnigerode und seiner Familie in Wollershausen (Nr. 309/1616) zurück, zu dem es ein im Aufbau sehr ähnlich gestaltetes Gegenstück in Kerstlingerode gab (Nr. 321/1619), das nicht erhalten ist. Die hohe Qualität der Bildhauerarbeit einer überregionalen Werkstatt (vgl. dazu Nr. 309, Kommentar), die das Minnigerode-Epitaph zeigt, findet sich im Landkreis Göttingen sonst nur noch bei dem bereits erwähnten Epitaph für Herzog Erich I. in St. Blasius in Münden (Nr. 142/nach 1525). Das in seinen Ausmaßen und Inschriften eher bescheidene Grabdenkmal entspricht in seinem dreiteiligen Aufbau den beschriebenen Bürgerepitaphien; das sehr fein gehauene Relief, das den Herzog mit seinen beiden Gemahlinnen unter dem Kreuz zeigt, ist aber von völlig anderer Qualität und erlaubt ebenso wie die besondere Buchstabengestaltung der Inschriften eine eindeutige Zuschreibung des Epitaphs an den bedeutenden süddeutschen Bildhauer Loy Hering.

Die Glocken

Von den 58 in diesem Bestand erfaßten Glocken sind 32 im Original erhalten, für 26 Glocken liegt nur noch eine kopiale Überlieferung ihrer Inschriften vor. Anders als bei den beiden bisher behandelten Gruppen stammen oder stammten 29 Glocken aus der Zeit vor 1500, davon immerhin fünf aus dem 13. Jahrhundert (Nr. 2, 3, 5, 6, 7). Die älteste Glocke aus dem Jahr 1257 befindet sich in Wiershausen (Nr. 2) und nennt das Gußjahr sowie den Namen des damals amtierenden Geistlichen, die zweitälteste aus dem Jahr 1281 in St. Blasius in Münden (Nr. 3) trägt zwei Hexameter, in [Druckseite 22] denen neben dem Gußjahr auch der Glockengießer genannt ist. Auf zwei weiteren Glocken aus dem 13. Jahrhundert (Nr. 5 u. 6) finden bzw. fanden sich jeweils zweimal die stark stilisierten Buchstaben Alpha und Omega, in einem Fall kombiniert mit dem häufig auf Glocken verwendeten Spruch O rex glorie veni cum pace (vgl. a. Nr. 12 u. 129). Im 14. Jahrhundert wird es üblich, den Tag des Glockengusses inschriftlich festzuhalten (Nr. 8, 12, 14, 17, 20, 24). Zumeist nennt sich auch der Glockengießer (Nr. 12, 14, 17, 20, 24). Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts sind alle Inschriften lateinisch, auf der Glocke in Bernshausen aus dem Jahr 1399 (Nr. 24) findet sich neben dem lateinischen Gußdatum die hochdeutsch/lateinische Fürbitte hilf got ave maria und eine niederdeutsche Gießerinschrift des Duderstädter Glockengießers Bertold Gropengeter sowie die Nennung der Auftraggeber. Diese frühe Verwendung des hochdeutschen hilf in einem zu dieser Zeit noch durchweg niederdeutsch geprägten Sprachgebiet ist dadurch zu erklären, daß die Formel zum überregional gebräuchlichen Spruchrepertoire der Glockengießer gehörte. Um 1500 findet sie in der Variante hilf got, maria berat auf fünf Glocken im Untereichsfeld Verwendung (Nr. 77, 80, 81, 117, 122), die möglicherweise alle von dem Glockengießer Andreas Botger gegossen wurden.

Glockensprüche, in denen die Glocke selbst spricht und über ihre Funktionen Auskunft gibt, sind in diesem Bestand eher selten zu finden. Der sonst sehr verbreitete Spruch Deum laudo verum ... findet sich hier nur auf einer Glocke aus dem Jahr 1458 (Nr. 52), ebenso wie der Spruch Ich bin gemacht zu Gottes Ehr ... auf einer Glocke von 1636 (Nr. 361); darüber hinaus erscheint nur zweimal (Nr. 220 u. 221) ein von dem Glockengießer Hans Koler wohl öfter verwendetes Distichon Me quoties ferrum tangit ... . Die Bindung bestimmter Glockensprüche an bestimmte Gießer zeigt sich ganz deutlich an den aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts überlieferten Glocken, die der Göttinger Gießer David Fobben und der Kasseler Gießer Gottfried Kohler angefertigt haben. In beiden Fällen sprechen die jeweiligen Glocken selbst und nennen ihren Gießer. Dabei verwendet Fobben – ebenso wie der schon genannte Hans Koler – die Formel durchs Feuer bin ich geflossen, ... hat mich gegossen (Nr. 352, 359, 362), variiert aber auf anderen Glocken diese Art der Gießernennung durch die Glocke (Nr. 354, 358, 360, 361, 364), während die Glocken Kohlers, die auch ihren Bestimmungsort nennen, ausnahmslos den Spruch ... goß mich, nach ... gehore ich tragen (Nr. 357, 363, 365, 366, 367). Die große Zahl der von Fobben und Gottfried Kohler in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts gegossenen Glocken erklärt sich dadurch, daß viele Kirchen im Dreißigjährigen Krieg ihre Glocken an feindliche Truppen abliefern mußten und nach deren Abzug Neugüsse in Auftrag gaben.

Generell ist die Nennung des Gießers durch die in Ich-Form sprechende Glocke der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreitetste Inhalt der Glockeninschriften im Landkreis Göttingen. Sie wird oft kombiniert mit der Nennung der zur Zeit des Glockengusses amtierenden Geistlichen und Kirchenvorsteher. Die wortreichsten Inschriften finden sich auf der 1610 von dem Göttinger Glockengießer Hans Reuther und seinen Gesellen gegossenen Glocke in Dankelshausen (Nr. 290), die nicht nur ihre Stifter, sondern auch deren Geldbeiträge zum Glockenguß nennt. Sie ist zugleich insofern ein Kuriosum, als die beim Glockenguß völlig verrutschten Buchstaben der Inschriften zeigen, wie schwierig die Anbringung von Inschriften auf Glocken sein konnte.

Sonstige kirchliche Ausstattungsstücke

Wie gefährdet kirchliche Ausstattungsstücke zu allen Zeiten waren und wie zufällig ihre Erhaltung ist, zeigt der Fall des Wollbrandshäuser Kelches (Nr. 342), der im Dreißigjährigen Krieg dreimal verschleppt und wiederausgelöst wurde. Die Stadt Münden bezifferte den Schaden an geraubter Kirchenausstattung nach dem Überfall Tillys auf die Stadt 1626 mit 1000 Talern, weitere 1000 Taler zahlte sie, um wenigstens die Glocken behalten zu können.20) Tatsächlich hat sich in St. Bla­sius kein Gegenstand aus dem Bereich der Vasa Sacra aus der Zeit vor 1626 erhalten; aus der Zeit bis 1650 stammt lediglich ein Kelch, der wohl auf 1648 zu datieren ist (Nr. 395). Stärker noch als Kriegs­ein­wirkungen hat der wechselnde Zeitgeschmack dazu geführt, daß Teile der Kirchenein­richtung ent­fernt und durch moderne Stücke ersetzt wurden. Deutlich wird dies vor allem an den barocki­sierten Kirchen des Untereichsfelds, in denen sich kaum noch Ausstattungsstücke aus der Zeit vor 1650 erhalten haben. Aber auch die übrigen Kirchen des Bearbeitungsgebiets haben im Laufe der Zeit wesentliche Umgestaltungen erfahren, bei denen Wandmalereien übertüncht oder abgeschla­gen, Grabdenkmäler entfernt und Kanzeln, Taufsteine und Altäre erneuert wurden. Einige spätgo­tische [Druckseite 23] Altarretabel sind wenigstens in ihren Hauptstücken erhalten geblieben, weil man ihre Teile im 18. Jahrhundert in die damals in protestantischen Kirchen besonders beliebten Kanzelaltäre als Versatzstücke einbaute (vgl. Nr. 82, 84, 114, 116, 136). Nach der Entfernung der Kanzelaltäre aus den Kirchen wurden die alten Altarteile dann jeweils in einer neuen Anordnung montiert. Das Bei­spiel des Reinhäuser Altars (Nr. 82), für den trotz des Umbaus ein Teil der alten mit liturgi­schen Texten und einem Fertigstellungsvermerk versehenen Rahmenleisten erhalten blieb, legt die Ver­mu­tung nahe, daß mit der alten Rahmung oft auch Inschriften verloren gingen. Daher tragen diese Stücke heute im wesentlichen nur noch Tituli, die die dargestellten Heiligen bezeichnen, teilweise als Gewandsauminschriften ausgeführt. Am Diemardener Altar (Nr. 84) bestehen die Gewand­sauminschriften aus Sätzen der Allerheiligenlitanei, die gleichzeitig auch zur Identifizie­rung der Figuren dienen. Die ausführenden Künstler nennen sich nur auf zwei in diesem Bestand erfaßten Altären (Nr. 61 u. 116) und zwar in beiden Fällen an für die Öffentlichkeit nicht einsehba­ren Stel­len des Schreins, die von davor montierten Figuren verdeckt sind. Besonders interessant ist die Künstlerinschrift des Bartold Kastrop auf dem Hetjershäuser Altar (Nr. 116) aufgrund ihrer detail­lierten Angaben zum Künstler und der von diesem an Maria, deren Figur die Inschrift ver­deckt, gerichteten Fürbitte.

Am wenigsten dem Zeitgeschmack unterworfen und daher im Landkreis Göttingen mit 35 Nummern aus der Zeit vor 1650 in einigermaßen großer Zahl erhalten sind die Abendmahlskelche, von denen die meisten in spätgotischer Form gestaltet sind. Ein Problem der spätgotischen Kelche stellt ihre Datierung dar, da die Entstehungszeit stilistisch nur schwer einzugrenzen ist, wenn nicht durch Inschriften weitere Hinweise gegeben sind. Hinzu kommt, daß diese Kelche nicht selten unter Verwendung älterer Kelchteile neu zusammengesetzt worden sind. Insgesamt sind die Kel­che dieses Bestands im Hinblick auf ihre Inschriften nicht sehr ergiebig, da sie abgesehen von den auf die Rotuli verteilten Buchstaben IHESVS zumeist lediglich kurze Inschriften wie ave maria oder hilf got auf den Schaftstücken tragen. Hinzu kommen in wenigen Fällen Stifterinschriften (Nr. 28, 50, 334, 350, 386), manchmal nur in Form von Namen (Nr. 344, 370, 405) oder Initialen (Nr. 204, 343, 378), letztere in Verbindung mit Wappen.

Unter den 21 Taufen dieses Bestands, die alle im Original überliefert sind, befindet sich ein Bronzetaufbecken, die übrigen Taufen sind aus Stein. Dem Bronzetaufbecken in St. Blasius in Münden aus dem Jahr 1392 (Nr. 19) kommt schon wegen seines hohen Alters, aber auch auf­grund der hochwertigen Ausführung eine besondere Bedeutung zu. In der lateinischen Inschrift nennt sich Nikolaus von Stettin als ausführender Künstler. Die zweitälteste Taufe im Landkreis Göttin­gen stammt aus Dransfeld und ist heute in der Landesgalerie Hannover ausgestellt. Dieser große Taufstein aus dem Jahr 1490 (Nr. 73) trägt ebenfalls eine lateinische Künstlerinschrift des Johannes de Castro; seine Besonderheit besteht in dem für eine steinerne Taufe ungewöhnlich vielfältigen Figurenprogramm. Wohl ebenfalls noch aus dem 15. Jahrhundert stammt ein stark beschädigter Taufstein in Güntersen (Nr. 101), über dessen Inschrift sich keine Aussage mehr machen läßt. Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist im Landkreis Göttingen keine Taufe überliefert, erst wieder aus dem Jahr 1577 in Oberscheden (Nr. 192). Mit ihr beginnt eine Reihe von insgesamt elf Taufen, die jeweils mit Namen oder Initialen ihrer Stifter oder des amtierenden Kirchenpersonals versehen sind. Die Anbringung von auf die Taufe bezogenen Bibelversen bleibt im Landkreis Göttingen bis 1650 vergleichsweise selten. Die Taufsteine in Eberhausen und Kerstlingerode (Nr. 225/1594 u. Nr. 282/1606) tragen den Vers Mk. 16,16 Wer da glaubt und getauft wird ... , der Tauf­stein in Imbsen (Nr. 263/1601) trägt neben einer Stifterinschrift den Vers Apg. 2,38 Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen ... , der Taufstein in Speele (Nr. 303/1613) neben Stif­terini­tialen den Vers 1. Jh. 1,7 Das Blut Jesu Christi ... . Bei den hier erwähnten Taufsteinen handelt es sich mit Ausnahme der u. a. mit einer Stifterinschrift versehenen Taufe der katholischen Kirche in Seulingen (Nr. 346/1630) um evangelische Kirchen. Eine der auf der Seulinger Taufe ange­brach­ten Inschriften erinnert an die Zerstörung der Kirche im Dreißigjährigen Krieg, eine andere Inschrift enthält eine an Maria gerichtete Fürbitte.

Bauinschriften an Kirchen und öffentlichen Gebäuden

Die 30 Katalognummern mit Bauinschriften an Kirchen und öffentlichen Gebäuden – darunter als Grenzfall auch drei Inschriften am Mündener Schloß (Nr. 110, 189, 190) – enthalten oft wichtige Angaben zur Baugeschichte, die nicht durch andere Quellen überliefert sind. Dies gilt ganz beson­ders für die Kirchen auf den Dörfern, deren Erbauungszeit zumeist nur durch die Inschriften fest­gehalten [Druckseite 24] ist. Der Quellenwert dieser Inschriften wurde bereits früh erkannt, so daß in vielen Fällen die Steintafeln der spätmittelalterlichen Kirchen an jüngere Nachfolgebauten übernommen wor­den sind. Entsprechend sind von den 29 Bauinschriften nur vier kopial überliefert, die übrigen sind im Original erhalten, allerdings in einigen Fällen stark verwittert. 14 Nummern fallen in die Zeit vor 1500, darunter allein fünf aus Duderstadt (Nr. 15, 22, 23, 36, 40), dessen Befestigungs-, Rat­haus- und Kirchenbau damit im letzten Viertel des 14. und im 15. Jahrhundert inschriftlich beson­ders gut dokumentiert ist. Eher zufällig hat sich die Bauinschrift der alten Mündener Werrabrücke (Nr. 34/1401) erhalten, die den Bau des Schutzdaches der Brücke bezeugt.

Die lateinische Bauinschrift Nr. 22 an der Duderstädter Cyriakuskirche aus dem Jahr 1394 nennt den Baumeister der Kirche Wilhelm Knoke. Auch die aus dem zweiten und dritten Viertel des 15. Jahrhunderts stammenden Bauinschriften an den Kirchen in Sattenhausen (Nr. 41), Gie­boldehausen (Nr. 44), Rollshausen (Nr. 55) und Obernfeld (Nr. 58) nennen jeweils den Baumeister der Kirche. Daneben sind in den Bauinschriften der Dorfkirchen auch die Inhaber des Kirchen­patronats erwähnt (Nr. 11, 39, 41, 58). In der Zeit nach 1500 bezeichnen die in den Bauin­schriften des Landkreises Göttingen vorkommenden Namen in der Regel Amtsträger, die in Ver­bindung mit dem jeweiligen Neubau stehen. Um einen Baumeister handelt es sich wohl nur noch bei dem an der Hemelner Kirche angebrachten Namen (Nr. 243/1600), und auf einem Balken in Brocht­hausen ist der Zimmermann genannt, der die alte Kirche erbaute (Nr. 211/1590). Dage­gen übte sich der überregional bedeutende Baumeister Ludolf Crossmann, der 1604/5 das Münde­ner Rat­haus (Nr. 276) errichtete, in vornehmer Zurückhaltung und brachte lediglich seine Mei­ster­marke über dem Eingangsportal an.

Der überwiegende Teil der Bauinschriften ist in lateinischer Sprache verfaßt, daneben kommen aber schon seit dem 14. Jahrhundert (Nr. 11) auch niederdeutsche Bauinschriften vor. Die erste hochdeutsche Bauinschrift von 1501 ist am Mündener Schloß angebracht (Nr. 110) und zeigt in ihrer Sprachform die süddeutsch/österreichische Prägung des Herzogs und seiner Beamten.

Zitationshinweis:

DI 66, Lkr. Göttingen, Einleitung, 3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di066g012e000.

  1. Robert Engelhard, Hausinschriften in Duderstadt. In: Jahresbericht des Duderstädter königlichen Progymnasiums, Beilage 1891, S. 29–41. »
  2. HSTA Hannover, Han 74 Münden, E Nr. 440 (Schloßinventar 1680); Nr. 445 (Schloßinventar 1699); Nr. 462 (Schloßinventar 1735). »
  3. Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff, Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen. 2. Band: Fürstentümer Göttingen und Grubenhagen nebst dem hannoverschen Teile des Harzes und der Grafschaft Hohnstein. Hannover 1873. »
  4. Hierzu und zum folgenden: Knieb, Reformation, passim. Sowie: Haase, Die Evangelischen, S. 32–66. »
  5. Die Terminologie folgt dem im Band DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIIIXXIV Dargelegten. Die Grabplatte steht immer in enger Beziehung zum Begräbnisort und diente zur Abdeckung des Grabes. Das Epitaph ist dagegen ebenso wie der Totenschild nicht an den Begräbnisplatz gebunden und wird häufig zusätzlich zur Grabplatte errichtet. »
  6. Der allgemeine Begriff ‚Grabinschrift’ bezeichnet im Gegensatz zu dem spezielleren Terminus ‚Grabschrift’, der sich auf den Texttyp bezieht, sämtliche auf Inschriftenträgern aus dem Bereich Begräbnis und Totengedenken angebrachten Texte. »
  7. HSTA Hannover, Cal. Br. 8, Nr. 1240, fol. 1f. »