Die Inschriften des Landkreises Göppingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 41: Göppingen (1996)
Nr. 289 Geislingen an der Steige, ev. Stadtkirche (U. L. Frau) 1573
Beschreibung
Epitaph für Jakob Knechtlin d. Ä. Innen an der Südwand des südlichen Seitenschiffs; ursprünglich an der Rückseite des westlichen Pfeilers der Südseite, später bis 1976 im nördlichen Seitenschiff. Holztafel in einfachem Rahmen, bemalt. Darstellung der Auferstehung Christi, darunter der Verstorbene mit seinen zwei Ehefrauen und 14 Kindern kniend, die Eheleute mit Wappen bezeichnet; ganz unten breite Schrifttafel mit 3zeiliger Inschrift (A), schwarz auf weißem Grund. Erhaltung gut. Eine zum Epitaph gehörige, früher darüber angebrachte Inschrift „mit großen Buchstaben“ (B) ist verloren1. Über ihre nähere Ausführung ist nichts bekannt, vermutlich war sie direkt auf die Wand gemalt.
Ihr Wortlaut nach Wollaib.
Maße: H. 143, B. 129, Bu. 2,5–2,8 cm.
Schriftart(en): Fraktur.
- A
Anno Domini · 1573 · Jar vff · S · Vlrichs tag den ·4· Julii Starb Der Ern=/hafft Vnd Fürnem Jacob Knechtlin der oeltera) gewesner statschreiber zu geislinge(n)b) 56 J[ahr]c) / Dem Gott genedig Vnd Barmhertzig sein Welle Amen.d)
- B
Hoc ego mnemosimon posui poliscriba JacobusKnechtlin Geislingae qua satus urbe fuiLustra bis octo Dei larga bonitate peregiEt clemens annos addidit ipse duosLustra decem vivens annos septemque maritusBis septem genui pignora chara2) thoriTer quatuor octo annose) Caesaris atque Papae gravitate Notarius olimOrnatis multis commoda multa tuliNunc senio fractus curisque laboribus aegerPer Christi meritum coelica regna precor
Übersetzung:
Dieses Denkmal habe ich, Jakob Knechtlin, gesetzt, Stadtschreiber zu Geislingen, in der Stadt, in der ich geboren bin. Zweimal acht Lustren (80 Jahre) habe ich durch Gottes großzügige Güte gelebt, und in seiner Milde hat er noch zwei Jahre hinzugefügt. In 57 Ehejahren habe ich 14 teure Unterpfänder der ehelichen Liebe gezeugt.
Dreimal vier und (?) acht Jahre lang (?)
Einst Notar von Kaisers und Papstes Gnaden, habe ich durch zahlreiche Auszeichnungen viele Vergünstigungen erworben. Jetzt von der Altersschwäche gebrochen und von Sorgen und Mühen krank erflehe ich durch Christi Verdienst das Himmelreich.
Versmaß: Elegische Distichen.
Knechtlin3, unbekannt4, unbekannt5. |
Textkritischer Apparat
- Kann wohl nur als oe-Ligatur gelesen werden.
- Kürzungsstrich verblaßt.
- Die Zeitangabe auf den gemalten Rahmen der Schriftkartusche geschrieben, jetzt fast ganz verblaßt, Ergänzung nach Wollaib.
- Zierranke als Zeilenfüller.
- Ergibt keinen Sinn; danach bei Wollaib eine freie Zeile. Offenbar fehlen hier die zweite Hexameterhälfte und ein Pentameter. Wenn es sich um einen Hexameteranfang handelt, ist wohl quater zu lesen. Vielleicht bezeichnen die Zahlen die Dauer eines von Knechtlin bekleideten, in dem fehlenden Passus genannten Amtes.
Anmerkungen
- Nach Burkhardt, Geschichte der Stadt Geislingen I 301 könnte man annehmen, diese Inschrift sei 1963 noch vorhanden gewesen, doch scheint Burkhardt lediglich Wollaibs Beschreibung wiederzugeben.
- Vgl. Ov. Fast. 3, 218; Trist. 1, 3, 60; ferner: Lat. Hexameter-Lex. IV 259; vgl. auch DI 12 (Heidelberg) nr. 395 (1586): domini clementia …/larga dedit nostro pignora cara toro.
- In Blau ein silberner Sparren, begleitet von 3 goldenen Rosen.
- In Gold 2 goldgegriffte silberne Gerbermesser übereinander.
- Quadriert: 1/4. in Gold eine schwarze Lilie, 2/3. in Rot ein goldener abgerissener Löwenkopf.
- Vgl. Manfred Akermann, Das älteste Salbuch von Gingen, in: Akermann/Schmolz, Fußtapfen 56f. Abb. 21 ebd. zeigt Knechtlins Notariatssignet; vgl. auch Manfred Akermann, Eine 400 Jahre alte Geschichtsquelle (Salbuch der Heiligen zu Gingen von 1562), in: Helfenstein 18 (1971) 125–127, hier: 126.
- Matrikeln Tübingen I 209 nr. 67, 41.
Nachweise
- Wollaib, Par. Ulm. 396.
- Klemm, Stadtkirche. Votrag 48.
- Burkhardt, Gräber 81.
- Bischoff, Führer 33 nr. B1.
Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 289 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0028903.
Kommentar
Die zweite Zeile der Inschrift (A) wurde offenbar in ihrem letzten Drittel nachträglich verändert: bis zu dem Wortteil gewes- weicht die Schrift nicht von der in den beiden anderen Zeilen ab; die folgende Textpassage erscheint dagegen in etwas hellerer Tönung und auffallend gedrängt, der Zusatz der Amtsdauer des Verstorbenen fand nur noch auf dem Rahmen Platz. Der Duktus der eingefügten Schrift stimmt freilich mit dem der übrigen völlig überein, so daß Grundbestand und Nachtrag bzw. Textänderung vom selben Schreiber herrühren dürften. Wahrscheinlich legten die Auftraggeber des Epitaphs Wert auf die Hervorhebung der außergewöhnlich langen Amtszeit Knechtlins.
Jakob Knechtlin war päpstlicher und kaiserlicher Notar und des geistlichen Gerichts zu Konstanz Kommissar in Ehesachen6. Er schrieb sich 1516 an der Universität Tübingen ein7 und erwarb noch im selben Jahr das Baccalaureat. Nach den Angaben auf dem Epitaph muß er noch 1516 oder im folgenden Jahr das Amt des Geislinger Stadtschreibers angetreten haben, das er dann bis zu seinem Tode bekleidete.
In der Verwendung griechischer Wörter in den offensichtlich von Knechtlin selbst verfaßten lateinischen Distichen kommt das Bemühen um Demonstration der humanistischen Bildung deutlich zum Ausdruck. Im 3. Vers ist die 2. Silbe von octo kurz gemessen.