Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 1 Stuttgart, Württ. Landesmuseum 2. H. 7. Jh.

Beschreibung

Vielteilige Gürtelgarnitur. Aus dem Männergrab 75 des alamannischen Reihengräberfriedhofs von Donzdorf (Grundstück Rosenstraße 15), 1964 ausgegraben1. Alle Teile Eisen, auf der Vorderseite Silber-Flächentauschierung: jeweils mit einem von Perlband oder S-Haken umrahmten Mittelfeld, darin ausgespartes und mit Messingfaden ausgelegtes Tierornament (ineinandergeflochtene Tierleiber); die schrägen Kanten mit senkrechten Silber- und Messingfäden tauschiert. Die Garnitur besteht aus Hauptriemenzunge, rechteckiger Riemenschlaufe, drei Vertikalbeschlägen, einer Schnalle, sechs zungenförmigen Gürtelbeschlägen sowie acht Nebenriemenzungen2. Die Hauptriemenzunge (I) und die Nebenhänger (II-IX) tragen auf dem breiten Rand der Vorderseite jeweils eine an den Längsseiten und der runden Schmalseite umlaufende Inschrift, die durch Aussparen der Buchstaben aus der Flächentauschierung hergestellt ist; am geraden Abschluß jeweils zwei, bei der Hauptriemenzunge drei runde Silbernieten.

Landesdenkmalamt Stuttgart [1/1]

Schriftart(en): Vorkarolingische Kapitalis.

Maße: I. L. 9,4, B. 2,3, Bu. 0,3–0,35 cm.

  1. + GAVDEATQVIE/ME/REQVICINCṢERa)

Maße: II. L. 5,5, B. 2,3, Bu. 0,25–0,3 cm.

  1. + GAVDEA/TQ/VIEMEREb)

Maße: III. L. 5,3, B. 2,2, Bu. 0,25–0,3 cm.

  1. + GAVDEA/T/QVIEMEOc)

Maße: IV. L. 5,2, B. 2,2, Bu. 0,25–0,35 cm.

  1. + GAVḌE/A/TQVIEMEd)

Maße: V. L. 5,2, B. 2,0, Bu. 0,2–0,3 cm.

  1. + GAVDEA/TQ/VIEMERE

Maße: VI. L. 5,0, B. 2,0, Bu. 0,25–0,3 cm.

  1. + GAVDE/AT/QVIEME

Maße: VII. L. 4,9, B. 1,9, Bu. 0,25–0,35 cm.

  1. + GAVDE/AT/QVIEMEe)

Maße: VIII. L. 4,8, B. 1,9, Bu. 0,2–0,25 cm.

  1. + GAVDEA/T/QVIEMEOc)

Maße: IX. L. 4,7, B. 1,9, Bu. 0,25–0,3 cm.

  1. + GAVDE/A/TQVIEME

Übersetzung:

Möge sich der, der den Gürtel trug, ungetrübt seiner Ruhe erfreuen (?).

Kommentar

Die Buchstaben sind in einheitlicher Strichstärke ausgeführt, die Schriftanordnung zeichnet sich durch großzügige und bemerkenswert regelmäßige Buchstabenabstände aus. Die Proportionen der Buchstaben sind breit, A, V, M und T sowie die runden Buchstaben C, G und Q sind breiter als hoch. Die Bögen sind häufig rechtwinklig gebrochen, besonders bei D, das dadurch fast die Form eines Quadrats annehmen kann, aber auch bei C, G und R. Die Spitze von A und V ist oft trapezförmig abgeflacht. Die schräglinke Cauda des G ist isoliert neben den Bogen gesetzt, einmal (Inschrift VII) ist sie markant gekrümmt und ragt weit nach links in den offenen Bogen hinein. Das sehr breite M hat senkrechte Hasten und einen weit hochgezogenen flachen Mittelteil. Die Cauda des Q ist in der Regel gerade, setzt sehr weit oben an und erreicht nicht immer die Grundlinie. R schließlich ist sehr uneinheitlich gebildet, der Bogen, an dem die Cauda ansetzt, ist nur in einem Fall geschlossen.

Der Sinn der in scriptura continua angebrachten Inschriften ist nicht eindeutig zu klären. Wenig überzeugend ist der Lösungsvorschlag Jänichens3: gaudeat qui emere qui cinctus erit („grammatisch zweifellos nicht einwandfrei“) = „es möge sich freuen, der mich kauft, der gegürtet sein wird“, also eine Art Werbeinschrift des Silberschmieds, der „frei von jeden lateinischen Kenntnissen, ein Musterbuch benützte“. Da die Inschriften stets mit einem Kreuz beginnen, dürfte es sich, wie bei vergleichbaren beschrifteten Grabfunden der Zeit, um einen Text christlichen Inhalts handeln, so daß die Interpretation Oomens4 wesentlich plausibler erscheint, der als grammatikalisch vollständigen Satz auflöst: gaudeat quie mere, qui cinc(tu)s er(at) = „ungetrübt (lauter, rein) möge sich jener der (ewigen) Ruhe erfreuen, der gegürtet war“. Für diese Deutung spricht auch die von Oomen bemerkte mögliche Anspielung auf Lc 12, 35–37: „Sint lumbi vestri praecincti…Beati servi illi quos cum venerit dominus invenerit vigilantes…“5. Die adverbiale Verwendung von merus in der hier vorgeschlagenen Art ist immerhin ungewöhnlich.

Der epigraphische Befund erlaubt wegen des spärlichen und zu weit verstreuten, zudem undatierten und in anderer Technik hergestellten Vergleichsmaterials keine nähere zeitliche Eingrenzung der Entstehungszeit des Gürtels. Ich schließe mich daher der aus Stilvergleich und technischen Beobachtungen gewonnenen Datierung und Lokalisierung Neuffers an6. Demnach ist die Garnitur das Erzeugnis einer alamannischen Werkstatt und ist „in die Mitte bis an das Ende des 7. Jahrhunderts“ zu setzen, das Grab selbst ist ins Ende des 7. Jahrhunderts zu datieren.

Textkritischer Apparat

  1. Der drittletzte Buchstabe wohl ein spiegelverkehrtes stufenförmiges S mit schaftartigem senkrecht stehendem Mittelteil und fast rechtwinklig angesetztem flachem oberen und unteren Bogen.
  2. Bogen des R unten weit offen und direkt in die nach rechts umknickende Cauda übergeführt.
  3. Sic!
  4. D verderbt, vielleicht aus E verbessert.
  5. Die beiden letzten E spiegelverkehrt.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. 67/117. Ausführlicher Fundbericht: Neuffer, Reihengräberfriedhof passim.
  2. Rekonstruktion des Gürteltyps bei Walter Drack/Rudolf Moosbrugger-Leu, Die frühmittelalterliche Kirche von Tuggen (Kt. Schwyz) in: Zs. für schweizerische Archäologie u. Kunstgeschichte 20 (1960) 176–207, hier: 189f., Taf. 93. Katalog der Garnitur mit vollständiger Beschreibung aller Teile: Neuffer, Reihengräberfriedhof 84f.; zur technischen Ausführung ebd. 43–47 (mit Korrektur des Rekonstruktionsmodells von Moosbrugger-Leu).
  3. Wie unten. Ihm folgt Neuffer, Reihengräberfriedhof 45 in der Lesung, nicht aber in der Interpretation.
  4. Wie unten. Dort 405 der Hinweis auf die in Nördlingen gefundene Riemenzunge aus einem merowingischen Grab mit der Inschrift SEMPER SEMPER SEMPER + GAU[DEAS] und auf weitere Parallelen. Zur problematischen Deutung dieser Inschriften allgemein vgl. auch Rolf Nierhaus, Zu den lateinischen Inschriften des 7., 8. Jahrhunderts aus alamannischen Gräbern, in: Germania 33 (1955) 88–90; Hans Jänichen, Die Inschriften und schriftlichen Denkmäler des Grabes von Weilheim, in: Germania 32 (1954) 302–306, Taf. 41, 43.
  5. Vielleicht ist der Buchstabenbestand am Ende der Inschrift auch aufzulösen in CINCSER(AT)=cinxerat. Dann wäre aber die Ergänzung eines Objekts, etwa lumbos erforderlich.
  6. Neuffer, Reihengräberfriedhof 45f.

Nachweise

  1. Hans Jänichen, Neue Inschriften aus alamannischen Gräbern des 7. Jahrhunderts, in: Fundberichte aus Schwaben NF 18/1 (1967) 232–238, hier: 233f., Taf. 43 Abb. 1.
  2. Hans-Gert Oomen, Lateinisch-christliche Inschriften aus alamannischen Gräbern, in: ZWLG 30 (1971) 404–407, hier: 404f.
  3. Neuffer, Reihengräberfriedhof 44f., 84f., Taf. 42 u. 45.
  4. Eduard M. Neuffer, Merowingerzeitliche Adelsgräber im Kreis Göppingen, in: Hohenstaufen 9 (1975) 29–40, hier: 33.
  5. Christlein, Die Alamannen, Taf. 100 (Abb.).
  6. Düwel, Epigraphische Zeugnisse 550 (m. Abb.).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 1 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0000102.