Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 199 Göppingen, ehem. Adelberger Kornhaus (Stadtbücherei), Kornhausplatz 1 1514

Beschreibung

Wappentafel mit Bauinschrift des Abts von Adelberg Leonhard Dürr. Außen an der Nordseite über dem ehemaligen Portal1. Drei Werkstücke: querrechteckige Platte zwischen kräftigen gekehlten und gewulsteten Simsen; in der Mitte ein Wappenschild unter einer Mitra mit dahinter gestelltem und durch die Mitra gestecktem Krummstab in hohem Relief; zu beiden Seiten von Pedum und Oberwappen eine 6zeilige Versinschrift (Pentameter eingerückt), darunter neben dem Schild die Jahreszahl (A); im Wappenschild zwei erhaben ausgehauene Initialen (B). Roter Sandstein, stark verwittert, Oberfläche bis auf einige Partien der oberen vier Zeilen abgeplatzt, schichtweise abblätternd, die Minuskelschrift ist aber wegen der tiefen keilförmigen Kerbe auch an zerstörten Stellen noch zu erkennen. Jahreszahl und untere Hälfte des Wappens mit den Initialen völlig zerstört. 1962 wurde „nach einem alten Gipsabguß“2 eine insgesamt recht zuverlässige Kopie angefertigt und an der Westseite des Gebäudes neben dem Haupteingang angebracht.

Ergänzungen nach dieser Kopie und nach Kdm Göppingen.

Maße: H. ca. 135, B. ca. 155, Bu. ca. 4 (A), ca. 6,5 (B), Zi. ca. 9 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), gotische Majuskel, erhaben (B).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. A

    [Ut] conseruaret fruges // a fratribusa) omne[m ·] [T]emporibus duris // pelle[ret ip]se f[amem][H]o[c] leonahartusb) opus dürr // ab[b]as condidit · olim[I]n sophia doctor iure // in utroqec) simu[l ·]Hunc tulit in lucem [p]a//[gu]s zell [n]omin[e] dictu[s][A]ichelbe[r]gensis // [sub] dictiọn[e]d) soli · [1 · 5 // 1 4]

  2. B

    [A(bbas) L(eonhardus)]

Übersetzung:

Um die Früchte aufzubewahren und von den Brüdern in harten Zeiten allen Hunger zu verscheuchen hat Abt Leonhard Dürr, zugleich Doktor der Philosophie und beider Rechte, einst diesen Bau gegründet. Das Licht der Welt erblickte er in dem Dorf namens Zell, unter der Gerichtsbarkeit des Aichelberger Gebiets.

Versmaß: Elegische Distichen.

Wappen:
Dürr3.

Kommentar

Die Schrift zeichnet sich durch bemerkenswerte Gleichmäßigkeit in Zeilenführung, Schlagtiefe, Buchstaben- und Wortabständen sowie in der Durchformung der einzelnen Buchstaben aus. Die quadrangelförmige Fahne des r hat einen etwas unter die Zeilenmitte reichenden und rechts nach oben aufgebogenen Abstrich; über u sind regelmäßig als diakritische Zeichen zwei Punkte gesetzt4. Die mit flacherer Kerbe eingehauenen Versalien sind schlecht erhalten, die Zuverlässigkeit der kopierten Formen läßt sich daher nicht überprüfen.

Die Stadt Göppingen hat dem Kloster Adelberg 1510 die Steuerfreiheit für die an der östlichen Stadtmauer gelegenen vom Kloster erworbenen Grundstücke verbrieft und ein Stück städtisches Allmend hinzugegeben zur Errichtung des Kornhauses5. Noch im selben Jahr wurde der Bau begonnen, der zur Speicherung der Naturalabgaben diente, die dem Kloster aus seinen Besitzungen in der Umgebung Göppingens zuflossen. Der Göppinger Pfleghof des Klosters, von dem aus neben weiteren Höfen in Esslingen, Gmünd, Heilbronn, Schorndorf und Stuttgart der Klosterbesitz verwaltet wurde, wird 1383 erstmals urkundlich erwähnt6. Die Stadt verpflichtete sich zum Schutz des Adelberger Hofes in Kriegszeiten und zum etwaigen Verkauf der im Kornhaus eingelagerten Naturalien auf Kosten des Klosters7. Nach dem Stadtbrand von 1782 mußte ein Teil des Gebäudes neu errichtet werden. Es beherbergt heute die Stadtbücherei.

Textkritischer Apparat

  1. a fratribus ohne Worttrennung.
  2. So eindeutig noch zu erkennen; das „überzählige“ erste a ist wohl aus metrischen Gründen eingefügt, leo müßte dann als eine Silbe und kurz gemesen werden.
  3. Sic! in utroqe ohne Worttrennung.
  4. sub ditione ohne Worttrennung.

Anmerkungen

  1. Hier wohl nicht am ursprünglichen Ort, Gabelkover (wie unten) gibt als Standort „ in Vestibulo Portae“ an, also offenbar an einer Art Portal-Vorbau.
  2. Akermann/Schmolz, Fußtapfen 38.
  3. Entlaubter und entwurzelter Baum, beseitet von den Initialen A und L; im Original stark zerstört, die Reste lassen aber erkennen, daß die Kopie das Schildbild nur vereinfacht wiedergibt.
  4. Fehlen in der Kopie. Die in der Kopie ausgeführten i-Punkte sind dagegen im Original nicht zu verifizieren.
  5. Illig, Geschichte von Göppingen und Umgebung II 206.
  6. Vgl. Ziegler, Kulturdenkmale 92.
  7. Ebd.

Nachweise

  1. Gabelkover (HStAS, J1 Nr. 136 I), Mappe Göppingen, fol. 54r.
  2. OAB Göppingen 112.
  3. Kdm Göppingen 44.
  4. Illig, Geschichte von Göppingen und Umgebung II 214 (m. Abzeichnung).
  5. Akermann/Schmolz, Fußtapfen 38, Abb. nach 42 (Kopie).
  6. Akermann, Göppingen 45f. (m. Abb.).
  7. Ziegler, Kulturdenkmale 92 (m. Abb. der Kopie).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 199 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0019901.