Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 94 Wiesensteig, kath. Stadtpfarrkirche (ehem. Stiftskirche) St. Cyriakus 1475

Beschreibung

Reliquienkreuz. In der Sakristei1. Silber, gegossen, getrieben und graviert. Kleeblatt-Hochkreuz auf hohem Vierpaßfuß und sechseckigem Schaft mit flachem sechseckigem Nodus; an der Verbindungsstelle von Kreuz und Schaft sind ringsum vier gegossene Krabben angenietet. Auf der Vorderseite des Kreuzes ist das vollplastische gegossene Corpus des Gekreuzigten aufmontiert (an Dornenkrone und Lendentuch Spuren von Vergoldung), über ihm der eingravierte umrahmte Kreuztitulus (A); in den vier Kleeblattenden des Kreuzes in Vierpässen die gravierten Darstellungen der vier Evangelistensymbole, jeweils mit Schriftbändern: oben der Adler (B), links der Engel (C), rechts der Stier (D) und unten der Löwe (E). Auf der aufklappbaren Rückseite in der Kreuzmitte gravierte Darstellung der Muttergottes, auf den Kreuzarmen Maßwerk, in den Vierpaßmedaillons oben Gottvater und die Taube des Hl. Geistes, links der hl. Petrus, rechts die hl. Katharina und unten der hl. Paulus. Unten auf dem Fuß eingravierte Jahreszahl (F). Das Kreuz enthält keine Reliquien mehr.

Maße: H. 30,5, B. 15,1, Bu. 0,3 (A), 0,2 cm (B–E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), gotische Minuskel mit Versalien (B–E).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. A

    · I · N · R · I ·

  2. B

    · / S(anctvs)a) · / iohannes / ·

  3. C

    · / S(anctvs)a) · mathevs / ·

  4. D

    S(anctvs) lvcas / ·

  5. E

    · / S(anctvs) marcvs

  6. F

    1475

Kommentar

Die Evangelistensymbole haben einen Kupferstich des Straßburger Meisters E. S. von 1466 (Stich L. 149)2 zur Vorlage3, ihre selbständige Umsetzung und Einfügung in die Vierpaßmedaillons läßt auf einen geübten und hervorragend geschulten Graveur schließen. Die Minuskelschrift orientiert sich nicht an der Vorlage. Ein konkreter Anlaß für die Stiftung des Reliquiars im Jahr 1475 läßt sich nicht mehr erschließen. Als Auftraggeber kommt am ehesten der Stiftpropst Johann Graf von Werdenberg-Sargans-Trochtelfingen, Propst ab 1461 sowie ab 1463 Coadjutor, dann 1468 bis 1486 Bischof von Augsburg, in Frage, der auch den Neubau der Stiftskirche (ab 1466) initiiert hatte4.

Textkritischer Apparat

  1. S spiegelverkehrt.

Anmerkungen

  1. Ein Verseh-Ziborium mit eingravierter Jahreszahl 1581 (Abb. in Kdm Geislingen 194), das sich zu Beginn dieses Jahrhunderts ebenfalls im Kirchenschatz befunden hat, ist nicht mehr vorhanden.
  2. Max Lehrs, Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländischen und französischen Kupferstichs im XV. Jahrhundert, 2. Textbd., Wien 1910, ND New York o. J., 211–217 Nr. 149: Johannes d. Täufer in der Wüste, umgeben von den Evangelistensymbolen und den Kirchenvätern, vermutlich Vorlage für eine Patene. Abb. bei Sidney Colvin, Études sur quelques maitres graveurs du XVe et du XVIe siècle. III: Le Maitre E. S. ou Maitre de 1466, in: L’Art. Revue hébdomadaire illustré 5 (1879), T. II, 217–222, hier: nach 218.
  3. Vgl. Pazaurek 7.
  4. So bereits von Pazaurek 7 vermutet. Die Bauzahl 1466 befindet sich noch am südlichen Westturm der Kirche, vgl. Kdm Geislingen 193.

Nachweise

  1. Kdm Geislingen 200, 196f. (Abb.).
  2. Pazaurek 7, 27, Taf. 19.
  3. Joseph Braun, S. J., Art. „Altarkreuz. A. In der katholischen Kirche“, in: RDK I. Sp. 500–506, hier: 504 Abb. 6.
  4. Johann Michael Fritz, Gestochene Bilder. Gravierungen auf deutschen Goldschmiedearbeiten der Spätgotik (Beihefte der Bonner Jbb. 20), Köln Graz 1966, 556 Kat. nr. 787.
  5. Meurer, Werke gotischer Goldschmiedekunst 262, 264f., 267f. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 94 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0009404.