Die Inschriften des Landkreises Göppingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 41: Göppingen (1996)
Nr. 79 Maitis (Stadt Göppingen), ev. Filialkirche (St. Leonhard) 1464 (?)
Beschreibung
Weihekreuze mit beigeschriebenen Apostelnamen. Von den ursprünglich 12 auf die Wand aufgemalten Kreuzen sind noch vier in den Chorbogenlaibungen und an der nordöstlichen und südöstlichen Chorschlußwand erhalten. Die Ausführung ist einheitlich: auf eine runde weiße Scheibe mit doppeltem rotem Randstreifen ist ein ockergelbes Lilienkreuz aufgelegt, die Scheibe ist außen ringsum mit schwarzen Kügelchen besetzt; über der Scheibe befindet sich jeweils ein querrechteckiges weißes Schriftfeld mit einzeiliger Inschrift.
Textkritischer Apparat
- Über e und us-Haken ein kleiner Kreis übergeschrieben, vermutlich als r-Kürzel zu lesen.
- Sic!
Anmerkungen
- Vgl. allg. S. Benz, Art. „Kirchweihe“, in: LThK2 6, Sp. 302–305.
- Beschrieben in dem im 10. Jahrhundert entstandenen Pontificale Romano-germanicum XXXIII, 27 und XL, 57: Le pontifical Romano-Germanique du dixième siècle, Bde. I–III, ed. Cyrille Vogel u. Reinhard Elze (Studi e testi 226, 227, 269), Città del Vaticano 1963–72.
- Vgl. Kdm Göppingen 122.
Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 79 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0007907.
I. Südliche Chorbogenlaibung. Schrift verblaßt, aber noch gut lesbar.
Maße: Dm. (Weihekreuz) 50, H. (Schriftfeld) 12, B. 45, Bu. 6,5–7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Sa(n)t(us) · pete(rus)a) ·
II. Südostwand des Chors. Schrift stark verblaßt und nur noch stellenweise schemenhaft zu erkennen.
Maße: Dm. (Weihekreuz) 45, H. (Schriftfeld) 12, B. 57, Bu. 7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Sa(n)t(us) · J[. . . . . .] ·
III. Nordostwand des Chors. Befund wie bei II., einzelne Linien unsachgemäß nachgezogen.
Maße: Dm. (Weihekreuz) 45, H. (Schriftfeld) 11, B. 54,5, Bu. 6,5–7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Sa(n)[t](us) · [. . . . . . .]s
IV. Nördliche Chorbogenlaibung. Schrift gut erhalten.
Maße: Dm (Weihekreuz) 45, H. (Schriftfeld) 12, B. 49, Bu. 7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Sa(n)t(us) · andeasb) ·
Die Schrift ist sehr unbeholfen ausgeführt, mit schwankender Zeilenhöhe und uneinheitlichen Hastenabständen und Brechungen. Besonders auffällig ist das aus dem Kanon der Texturabuchstaben herausfallende, breit angelegte und in einem Zug ausgeführte runde s, das auch am Wortanfang verwendet wird: es füllt die Zeile nicht ganz aus, indem der untere Bogen nicht auf die Grundlinie hinabreicht, und hat einen langen, oben und unten hakenförmig umgebogenen Diagonalstrich. Der us-Haken nimmt den ganzen Mittel- und Unterlängenbereich der Zeile ein und ist oben dreieckig geschlossen. Als Worttrenner sind paragraphförmig ausgezogene Quadrangeln gesetzt.
Die Weihekreuze markieren die 12 Stellen, an denen bei der Kirchweihe der Bischof oder Priester den Kirchenbau mit dem hl. Öl salbt, indem er mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf der Wand anbringt. Der Kirchweihritus entwickelte sich im Laufe des Mittelalters aus verschiedenen liturgischen Handlungen zu einem komplizierten Verfahren. Die Abfolge war meist folgende: Lustration der Kirche von außen, Einzug, Besprengung von Altar und Innenraum mit dem sog. Gregoriuswasser, Translation und Niederlegung der Reliquien, Salbung des Altars1. Daran schloß sich die Salbung der Weihekreuze an, und zwar im Rundgang durch die Kirche, rechts beginnend und dort wieder endend2. Die Salbzeremonie begann in der Kirche in Maitis also vermutlich ebenfalls auf der rechten, der Südseite. Möglicherweise bieten die beigeschriebenen Apostelnamen einen näheren Anahaltspunkt: Die Weihekreuze könnten in der Reihenfolge ihrer Salbung mit den Namen der Apostel in der nach Mc 3, 13–19 festgelegten und häufig, auch in bildlichen Darstellungen, übernommenen „Hierarchie“ bezeichnet worden sein. In dieser Reihe steht Simon Petrus an der Spitze, sein Bruder Andreas an vierter Stelle. Stimmt die Annahme, müßten die beiden Weihekreuze im Chor mit den Namen Jacobus und Johannes versehen gewesen sein, wozu der fragmentarische Befund paßt. Die verlorenen Weihekreuze des Langhauses wären dann in der Abfolge Nordwand-Westwand-Südwand mit den nachfolgenden Aposteln Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jacobus, Judas Thaddäus, Simon, Matthias bezeichnet gewesen.
Vom Schriftbefund her dürften die Beischriften und somit auch die Weihekreuze anläßlich der urkundlich bezeugten Kirchweihe von 14643 aufgemalt worden sein.