Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 10 Faurndau (Stadt Göppingen), ev. Pfarrkirche (ehem. Stiftskirche U. L. Frau) E. 13. Jh., A. 14. Jh.

Beschreibung

Gewölbe- und Wandmalereien im Chor. 1957 aufgedeckt.

I. In der Apsiskuppel Christus in der Mandorla. In den vier Kappen des Kreuzrippengewölbes auf mit Rosetten und 4strahligen Sternen bestreutem Hintergrund die vier Evangelistensymbole mit Schriftbändern: im Osten der Adler (A), im Norden der Stier (B), im Süden der Engel (C) und im Westen der Löwe (D); die Inschriften sind stellenweise verblaßt, Schriftband (A) weist keinerlei Schriftreste mehr auf.

II. An der Nordwand zwei Bildstreifen übereinander mit Szenen aus dem Marienleben; oben: Ausweisung Joachims aus dem Tempel; Joachim und Anna; der Engel erscheint Joachim: Joachim kniet links mit zum Gebet erhobenen Händen unter einem Baum inmitten einer Schafherde, rechts der nimbierte Engel mit langem, bis auf den Boden reichendem Schriftband (E); der Engel segnet Anna; Anna kniet rechts, links steht der Engel etwas erhöht und beugt sich mit Segensgestus zu ihr hinab, in der Linken hält er ein langes Schriftband (F); Begegnung Joachims und Annas unter der Goldenen Pforte; Anna im Wochenbett (stark zerstört); unten: Ausgießung des Hl. Geistes; Marientod: die liegende Gestalt Mariens umgeben von drei Engeln (die Flügel eines vierten sind noch sichtbar), die sie offenbar emporheben (beide Bilder stark zerstört); im Rahmenstreifen über dem letzten Bild Inschrift (G)1, Inschriften (E) und (F) sind bis auf wenige Farbreste völlig vergangen.

III. Fortsetzung des Zyklus an der Apsiswand und an der Südwand. Links des nördlichen und rechts des südlichen Apsisfensters Verkündigung Mariae, das linke Bildfeld mit Gabriel ist zerstört, rechts Maria mit Spruchband (H). Südwand: oben Anbetung der Könige, unten Marienkrönung (fragmentarisch); restliche Bilder zerstört.

Maße: Bu. ca. 5 cm (B, C, D, G, H).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/4]

  1. A

    [. . .]

  2. B

    · S(ANCTVS)a) · L[VC]AS

  3. C

    . . M]ARKV//S ·

  4. D

    · S(ANCTVS)a) · [M]ATHEVS ·

  5. E

    [. . . . . . . . . .]ẸṚṆṾb)

  6. F

    [. . .]

  7. G

    · VENI · MATER · SV[. . .c)

  8. H

    · ECCE · ANCILLA · D(OMI)NI ·2)

Übersetzung:

Komm, Mutter (…). – Siehe, ich bin die Magd des Herrn.

Kommentar

Stilistisch lassen sich die Malereien in das späte 13. bis frühe 14. Jahrhundert einordnen. Der Schriftbefund deutet darauf hin, daß die Gewölbemalereien etwas früher entstanden sind als die Ausmalungen der Wände: Die Schriftbänder der Evangelistensymbole zeigen Buchstaben mit kräftigen Bogenschwellungen und ausgeprägt keilförmigen Verdickungen der Hasten (L, T) und besonders der Schräghasten von A, K und V. A hat einen langen und starken Deckbalken und einen nur dünn ausgeführten tiefsitzenden Mittelbalken; E ist durch einen breiten, oben und unten hakenförmig umgebogenen Abschlußstrich geschlossen; die geraden Sporen sind zwar dünn, aber auffällig lang ausgeführt. In deutlichem Unterschied zu dieser insgesamt schlichten Schriftgestaltung steht die Ausschmückung der Buchstaben der Wandmalereien: A weist einen geknickten, mit der Spitze auf die Grundlinie herabreichenden Mittelbalken auf; besonders charakteristisch sind die Zierstriche, die teils die Hasten und Bögen parallel begleiten, teils, ohne der Kontur der Buchstabenelemente zu folgen, in die Buchstaben eingestellt werden (etwa in den geschlossenen Bogen des links geschlossenen unzialen M); die Ausläufer frei endender Bögen (unziales M, rundes N) und Cauden (R) sind eingerollt. Die runden Worttrennerpunkte sind wesentlich größer als in den Inschriften im Gewölbe.

Da durch Umbauarbeiten um die Mitte des 14. Jahrhunderts (Durchbruch eines Fensters in die Südwand) Teile der Wandmalereien wieder zerstört wurden, dürften sie bereits einige Zeit vorher fertiggestellt worden sein. Ich schlage eine Einordnung der Gewölbemalerei noch ins ausgehende 13. und der Wandmalereien ins frühe 14. Jahrhundert vor3.

Textkritischer Apparat

  1. S waagerecht durchstrichen.
  2. Lesung äußerst unsicher. Es ergibt sich keine Übereinstimmung mit den entsprechenden Passagen der Apokryphen (Evangelium Pseudo Matthaei III, 1–3, ed. Aurelio de Santos Otero, Los Evangelios apocrifos 189–257; Liber de nativitate Mariae III, 1–4, ed. ebd. 258–274) oder mit der um 1263/67 von Jacobus de Voragine verfaßten Legenda aurea.
  3. Vielleicht zu ergänzen: SV[RGE] (Komm, Mutter, erhebe dich!) als Aufforderung Christi an Maria? Möglich ist aber auch – in Anlehnung an bekannte Texte zum Marientod – die Ergänzung SV[SCEPTVRVS TE AD MEIPSVM . . .] (Ich bin gekommen, Mutter, dich zu mir zu holen) o. ä., vgl. Antoine Wenger, L’assomption de la T. S. Vierge dans la tradition byzantine du VIe au Xe siècle. Études et documents (Archives de l’orient Chrétien 5), Paris 1955, 315–317 (Cosmas Vestitor, In Dormitionem orationes IV); 352f. (Anonymi Augiensis De Assumptione); als Parallele zur möglichen Ergänzung SV[RGE]: ebd. 257: Maria, surge et accipe palmam . . . (Translatio sacratissime virginis sanctae Marie Matris Domini nostri Ihesu Christi, E. 8. Jh.).

Anmerkungen

  1. In der senkrechten Rahmenleiste zwischen den beiden unteren Bildern vielleicht eine weitere Inschrift […]SAT[…]. Es ist aber nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Schrift oder um bloßes Ornament handelt.
  2. Lc 1, 38.
  3. Ähnlich Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 105, gegen Akermann, Frühe kirchliche Wandmalerei 50, der die Evangelistensymbole in die Zeit um 1250 datiert.

Nachweise

  1. Kurt Rudzinski, Die Wandmalereien in der Faurndauer Kirche, in: Stauferland Jg. 1957 Nr. 5 (m. Abb.).
  2. Akermann, Frühe kirchliche Wandmalerei 50.
  3. Ders., Die Ausmalung der Faurndauer Kirche, in: Metzger, Stiftskirche 48–50, Taf. 21, 23.
  4. Kirschmer/Ziegler, Faurndau 105, 109 (Abb.).
  5. Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 105f., Abb. 1–2.
  6. Hussendörfer/Ziegler, Evang. Stiftskirche Faurndau 14.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 10 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0001001.