Die Inschriften des Landkreises Göppingen

4. Die Inschriftenträger

4.1. Inschriften des Totengedenkens

Die Inschriften des Totengedenkens bilden mit einer Gesamtzahl von 230 den mit Abstand größten Bestandteil der Inschriften des Landkreises Göppingen. Die folgenden Abschnitte sollen eine erste Orientierung über das Aussehen, die Funktion und das Formular der unterschiedlichen Formen von Totengedächtnismälern geben. Die in großer Zahl nur mehr abschriftlich überlieferten Inschriften werden für den Überblick über die äußere Gestaltung der Grabmäler nur in den Fällen herangezogen, in denen die Beschreibung eine eindeutige Klassifizierung des Inschriftenträgers erlaubt.

4.1.1. Die äußere Gestaltung der Grabmäler

Bei den ältesten erhaltenen inschriftlich bezeichneten Grabmälern des Bearbeitungsgebiets handelt es sich durchweg um Grabplatten, d. h. um aus einem Werkstück gefertigte Steinplatten, die als Grababdeckung waagerecht über der Bestattung in den Kirchenfußboden eingelassen sind oder jedenfalls ursprünglich waren84). Das bei weitem früheste Exemplar ist die nur fragmentarisch erhaltene Faurndauer Grabplatte des Cunemunt aus dem 12. Jahrhundert (nr. 3). Unbeholfen ausgeführt, zeigt sie oben zwei gleicharmige Kreuze in Flachrelief und dazwischen in ungeschickter Verteilung die kurze dreizeilig eingehauene Grabbezeugung, darunter ein Hochkreuz, das vielleicht nach unten verlängert war und ein Vortragekreuz darstellen könnte.

Ein einheitliches Bild bieten die für Adelige bestimmten Grabplatten des 14. Jahrhunderts, die allesamt als Wappengrabplatten mit Umschrift zwischen eingeritzten Linien und Wappendarstellung [Druckseite XXX] im Mittelfeld ausgeführt sind. Das wuchtige, in hohem Relief ausgearbeitete Vollwappen ragt dabei mit dem schräggeneigten Dreieckschild und mit den nach hinten abstehenden Helmdecken unterbrechend in die rahmende Umschrift hinein. Die frühesten Beispiele gehören in die Jahrhundertmitte (nrr. 13, 14, 17 †). Wahrscheinlich ist neben drei weiteren erhaltenen Steinen von 1366, 1374 und 1403 auch die nur abschriftlich bezeugte Grabplatte Gebhards von Rechberg von 1396 (nr. 24 †) in diese Gruppe einzureihen. Auf den Wappengrabplatten des 15. Jahrhunderts ist das Mittelfeld meist eingetieft, die Wappendarstellung in Relief herausgearbeitet (nrr. 84, 100) oder in Ritzlinien gezeichnet (nr. 182). Zwei Schilde (ohne Helm) untereinander finden sich auf der Grabplatte für eine adelige Frau von 1452 (nr. 67 †), drei auf einem für einen Adeligen und seine beiden Frauen bestimmten Stein (nr. 80). Wappengrabplatten für Ulmer Patrizier und für Nichtadelige sind im Kreisgebiet erst ab dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts nachweisbar (nrr. 88, 91, 114).

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der hergebrachte Typ der Wappengrabplatte mit Umschrift und mit Wappendarstellung im Mittelfeld vielfach variiert, unter anderem bei Adeligen durch die Beifügung von Ahnenwappen (frühestes Beispiel erst 1592: nr. 336 †). Dazu treten neue Formen, die auch mit der alten kombiniert werden können. Häufig werden jetzt ein Einzelwappen oder zwei Allianzwappen – frei im Feld, in einen Dreipaß oder in ein Rundmedaillon eingefügt – in die Mitte der Platte gesetzt und oben und unten von zeilenweise angeordneten Inschriften eingerahmt (nrr. 205, 221 †), oder auf dem quergeteilten Stein nimmt die Inschrift die eine, das Wappen die andere Hälfte ein. Das Rahmenornament wird üppiger, Bibelzitate oder lateinische Sprüche können hinzukommen.

Neben den Wappengrabplatten erscheinen im Bearbeitungsgebiet erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts Platten mit figürlicher Darstellung des Verstorbenen. Zwei Grabplatten für Frauen sind in Ritzzeichnung ausgeführt (nrr. 98, 131), ansonsten sind die Figuren im eingetieften Mittelfeld in Relief dargestellt. In der Regel sind die Verstorbenen als Liegefiguren konzipiert. Auffallend ist, daß die erhaltenen und sicher bezeugten Figurengrabplatten im Landkreis Göppingen fast ausnahmslos für – durchweg adelige – Frauen und Kinder bestimmt waren. Die Frauengrabplatten weisen zunächst meist zwei, bei einer zweimal verheirateten Frau auch drei Wappen auf; ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert finden sich vier Ahnenwappen (nrr. 329, 351). Nur bei dem frühesten Beispiel von 1476 (nr. 98) ist ein liegender Hund zu Füßen der Verstorbenen als zusätzliches Motiv beigefügt. Die Inschrift ist stets umlaufend angeordnet85). Die älteste nachweisbare Kindergrabplatte von 1511 (nr. 194 †) zeigte ein nacktes Kleinkind mit zwei Wappen und begnügte sich mit der Angabe des Todesjahres als Inschrift. Die Kindergrabplatten des späten 16. Jahrhunderts bilden die Kinder im Hemdchen und auf einem oder mehreren Kissen liegend ab, stets sind Ahnenwappen beigegeben. Die einzige figürliche Priestergrabplatte ist die des ersten Propstes von Oberhofen (nr. 99) und zeigt den 1477 Verstorbenen im Stiftsherrengewand mit Birett und geöffnetem Buch, ihm zu Füßen einen liegenden Löwen. Die Figur ist eher stehend als liegend aufgefaßt, wozu allerdings der zur Seite geneigte Kopf nicht recht paßt. Die einzige nachweisbare figürliche Bodengrabplatte eines Ritters (1584: nr. 314) zeigt diesen in voller Rüstung stehend, mit vier Vollwappen als Ahnenprobe. Bemerkenswert ist der von der üblichen Rechteckform abweichende Umriß der Platte, deren oberer Abschluß kleeblattbogenförmig gestaltet ist.

Um die Deckplatte eines – wie auch immer gestalteten – Hochgrabes handelt es sich dagegen bei der Grabplatte Karls von Degenfeld von 1575 (nr. 294). Darauf deuten die in sehr hohem Relief, fast vollrund ausgeführte Liegefigur des Ritters wie auch die auf leicht abgeschrägtem Rand angebrachte Umschrift hin, die nach außen ausgerichtet ist und so vom Betrachter beim Gang um das Grabmal gut zu lesen war.

In Faurndau und Göppingen haben sich insgesamt nur wenige Priester- und Stiftsherrengrabplatten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erhalten. Sie weisen meist nur ein schlichtes Hochkreuz in Ritzzeichnung (mit unterschiedlicher Gestaltung des Kreuzfußes) und den Kelch als Symbol des Priesteramts auf. Einige dieser Steine besitzen keinerlei Inschriften, eine begnügt sich mit der Angabe des Todesjahrs (nr. 107). Anzureihen ist die Kreuzgrabplatte eines Priesters in Schlierbach (nr. 82 †), bei der vermutlich der Name des Verstorbenen auf dem Kreuzbalken stand und das Todesjahr unter dem Kreuzfuß eingefügt war.

Eine Börtlinger Kreuzgrabplatte mit O(biit)-Kürzel und Jahreszahl längs des Kreuzstamms war nach Ausweis der beigefügten Werkzeuge für einen Handwerker (Schuster?) bestimmt (1485: nr. 110).

Nur mehr drei Belege finden sich im Bearbeitungsgebiet für Grabplatten mit Metallauflagen, wobei die Metallteile als Inschriftenträger fungieren. Nur in einem Fall ist die zugehörige Rotmarmorplatte [Druckseite XXXI] noch erhalten. Die dreiteilige Auflage besteht aus der rechteckigen Schrifttafel und zwei Wappenschilden (1494: nr. 128). Die beiden anderen Platten, deren Metallteile noch vorhanden sind, waren für Priester bestimmt. Sie gehören ebenfalls ins späte 15. Jahrhundert (nrr. 142, 167). Eine der Metallauflagen ist als Schriftblatt geformt, das von Kelch, Wappen und Büchern umgeben ist.

Im Gegensatz zur Grabplatte ist das Epitaph ein Erinnerungsmal an den Verstorbenen, das nicht zwingend an den Begräbnisplatz gebunden ist und daher beliebige Form und Größe annehmen kann. Es kann aus Stein, Holz oder Metall gefertigt, ja sogar als Glas- oder Wandmalerei ausgeführt sein. Epitaphien sind in der Regel senkrecht an einer Wand angebracht. Hochrechteckige Steinepitaphien mit mäßig hohem Relief sind oft nur an der Art der Abnutzungsspuren, gelegentlich auch gar nicht von Grabplatten zu unterscheiden, die nachträglich aus dem Fußboden genommen und an einer Wand aufgerichtet wurden. Daraus resultiert, daß einige Zuweisungen im vorliegenden Band nur unter Vorbehalt vorgenommen werden können.

Unproblematisch ist die Einordnung bei den beiden frühesten Epitaphien aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Es handelt sich um den Typ der kleinformatigen hochrechteckigen Steinplatte, die in einem Bogenfeld in Hochrelief bzw. fast vollrund die thronende Muttergottes mit dem oder den Verstorbenen zeigt. Die im kleineren Maßstab wiedergegebenen Verstorbenen knien betend vor Maria und werden meist von einem weiteren Heiligen (Kirchen- oder Namenspatron) empfohlen; dazu kann heraldischer Schmuck kommen. Die Inschrift ist bei einem der Epitaphien nicht erhalten86), beim anderen beginnt sie auf dem linken Rand und setzt sich mehrzeilig unter dem Relief fort (nr. 56). Dieser Epitaphtyp war besonders in Augsburg beliebt und dürfte von dorther vermittelt worden sein87). Das Motiv der vor der Muttergottes knienden und betenden Verstorbenen kehrt auch auf einem um 1450 entstandenen Wandgemälde zum Gedenken an die in einer Schlacht Gefallenen wieder (nr. 65), ebenso vielleicht auf einem als Glasfenster ausgeführten Epitaph von 1450 für eine Geislinger Bürgerin (nr. 63 †).

Grabplattengröße und -format haben drei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene Figurenepitaphien in Donzdorf und Drackenstein (nrr. 71, 139, 150). Ihnen gemeinsam ist die lebensgroße Darstellung des auf einem Löwen bzw. Hund stehenden Verstorbenen in Ritterrüstung mit Schaller, auffälliger heraldischer Schmuck und die nur dreiseitig auf einem Schriftband umlaufende Inschrift, die die Fußleiste ausspart, somit eine kopfständige Beschriftung des Grabmals vermeidet und daher als Indiz für schon ursprüngliche senkrechte Aufstellung gewertet werden kann. Am jüngeren Donzdorfer Epitaph sind Ritterfigur, Schriftband und übriger Reliefschmuck in Metall gegossen und auf die Steinplatte aufgelegt, auf dem Drackensteiner Epitaph ist der Verstorbene zusammen mit seiner Frau abgebildet.

Noch eindeutiger ist die Unterscheidung von der Grabplatte bei einigen Figurenepitaphien des 16. Jahrhunderts für die Ritter von Zillenhart und von Rechberg: Die vollrund gearbeitete Figur steht in einer tiefen Bogennische unter einem Astwerkbaldachin, und die Inschrift läuft nur auf den abgeschrägten Längsseiten um (1506: nr. 183) oder die Figur steht auf einem vorspringenden Sockel (nrr. 268, 354). Gemeinsam ist all diesen Grabmälern die Beigabe eines Löwen oder Hundes, der unter den Füßen des Ritters kauert. Die Inschrift kann jetzt auch zeilenweise in einem giebelartigen Aufsatz angebracht sein (nrr. 241, 354?)88). Die im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts entstandenen Adelberger Abtsgrabmäler zeigen in der Rahmenarchitektur – soweit dies die erhaltenen Fragmente noch erkennen lassen – in der Form der die Abtsfiguren flankierenden Halbsäulen, im Ranken- und Blattwerkornament und in der Beigabe von spielenden Putti deutliche Stilmerkmale der Renaissance.

Ein Donzdorfer Doppelepitaph für ein Ehepaar (nr. 223) bildet den Ritter und seine Frau als unterlebensgroße Standfiguren vor schlichten Bogennischen ab, die Inschrift ist in einer großen querrechteckigen Schrifttafel darübergesetzt. Bei zwei Frauengrabmälern mit Liegefiguren (mit Löwe bzw. Hund zu Füßen), Wappen und Umschrift (nr. 251) bzw. zeilenweiser Inschrift in einer Schrifttafel (nr. 270) ist eine sichere Abgrenzung zur Grabplatte nicht möglich. Das einzige Kinderepitaph mit fast lebensgroßer Standfigur ist 1577 entstanden (nr. 302). Der Typ des Standfigurenepitaphs blieb – zumindest nach dem Befund der inschriftlichen Überlieferung – im Bearbeitungsgebiet auf den Adel beschränkt.

Dies gilt nicht für die ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts im Kreisgebiet nachweisbare Form des Figurenepitaphs, bei der die Verstorbenen allein oder zusammen mit weiteren Personen, meist den Ehepartnern oder der ganzen Familie, kniend im Gebet dargestellt sind. Der Gegenstand [Druckseite XXXII] der Anbetung – fast ausschließlich der Gekreuzigte – wird in den Epitaphien des Bearbeitungsgebiets durchweg ebenfalls ins Bild gesetzt. Hinzu kommt in der Regel heraldische Zier. Die Größe der Figuren und die Ausarbeitung (in Relief oder fast vollrund) variiert stark. Die Inschriften sind meist zeilenweise unter der Anbetungsszene plaziert, gelegentlich auch in einem giebelartigen Aufsatz (nrr. 233, 234), selten als Umschrift (nrr. 386, 443). Das früheste Beispiel von 1528 (nr. 227) für einen Chorvikar zeigt nicht den Kruzifixus, sondern integriert den Verstorbenen in das Geschehen der Gregorsmesse. Zur Verdeutlichung der Anbetung ist ihm ein Spruchband mit Segenswunsch beigefügt. Der dornengekrönte Heiland ist Gegenstand der Anbetung auf dem Grabmal eines adeligen Mädchens, das in der Szene von einem Engel mit der Himmelskrone gekrönt wird (nr. 299). Im 17. Jahrhundert wird das Steinepitaph mit Darstellung der Beter unter dem Kreuz auch von Nichtadeligen übernommen (nrr. 396, 443, 498).

Ins Monumentale gesteigert ist dieser Typus bei einigen in Ulm gefertigten Grabmälern des späten 16. Jahrhunderts für katholische Adelige. Die Anbetungsszene nimmt in einer mehrgeschossigen Ädikula die zentrale Stelle ein. Außer der Sterbeinschrift sind Bibelzitate oder Versinschriften angebracht, weitere Reliefs, die Gottvater und die Taube des Hl. Geists sowie biblische Szenen zeigen, sowie Wappen89) und Putti mit den Arma Christi oder mit Vanitassymbolen ergänzen die Ausstattung. Die Ritter sind stets in Rüstung und auf einem Löwen kniend wiedergegeben. Eine originelle Bildkomposition bietet das Epitaph der Eheleute Albrecht und Margarethe von Rechberg von 1576: Zwischen dem Paar (die Frau kniet auf einem Schaf) steht der dornengekrönte Heiland und umfaßt die beiden segnend mit ausgebreiteten Armen (nr. 297)90). Die Standfigurenepitaphien haben im Bearbeitungsgebiet – anders als etwa im benachbarten Rems-Murr-Kreis –91) keine vergleichbare monumentale Ausführung erfahren.

Die ab 1600 bezeugten Steinepitaphien, die als einzigen Bildschmuck außer rahmendem Ornament Wappen aufweisen, sind in Format, Ausführung und Schriftanordnung den Wappengrabplatten sehr ähnlich. Ein Geislinger Adelsepitaph des späten 16. Jahrhunderts, dessen Hauptschmuck ein großes Allianzwappen ist, ist freilich etwas aufwendiger gestaltet (nr. 353). In seinem Giebel ist das Relief eines schlafenden Knaben mit Totenschädel und Stundenglas und dem Mahnspruch MEMENTO MORI angebracht. Das Relief des Gekreuzigten oder der Auferstehung Christi bildet bei einigen kleinformatigen Epitaphien des ausgehenden 16. Jahrhunderts den einzigen Bildschmuck (nrr. 325, 332, 358).

Bemalte Holzepitaphien sind im Bearbeitungsgebiet in verhältnismäßig großer Zahl erhalten. Außerdem vermitteln die mitunter ausführlichen Beschreibungen Wollaibs ein recht gutes Bild von einigen heute nicht mehr vorhandenen Stücken. 1481 und damit bemerkenswert früh ist das Epitaph für eine Geislinger Bürgerin entstanden (nr. 104): ein schlicht gerahmtes Tafelgemälde, die Ecce-homo-Szene darstellend, mit der Verstorbenen und ihrem Mann im Gebet unter Christus kniend. Die Inschrift ist auf der Unterseite des die Tafel abschließenden schrägen Dachs angebracht. Alle übrigen Holzepitaphien stammen erst aus dem letzten Drittel des 16. und aus dem 17. Jahrhundert. Sie sind fast ausnahmslos als mehr oder weniger aufwendige Ädikula gestaltet. Dabei nimmt das Hauptfeld in der Regel das Gemälde einer biblischen Szene auf92); im Bild oder darunter in einer eigenen Bildzone sind die Verstorbenen kniend im Gebet abgebildet. Wesentlich häufiger als auf den Steinepitaphien sind auf den gemalten die Verstorbenen mit ihrer gesamten Familie ins Bild gesetzt. Ein zusätzliches Brustbild des oder der Verstorbenen im Giebelfeld findet sich erstmals 1597 (nr. 352). Häufiger nimmt diese Stelle ein Gemälde Gottvaters oder eine Wappendarstellung ein; der Architrav kann mit Bibelsprüchen beschriftet sein. Die Sterbeinschrift befindet sich in der Regel im Sockel oder im Untersatz der durchweg als Hängeepitaphien konzipierten Denkmäler. Der weitaus größte Teil der Holzepitaphien gilt Göppinger und Geislinger Bürgern und der dörflichen Oberschicht. Die Auftraggeber der größten und prunkvollsten Exemplare waren freilich Adelige. Hervorzuheben sind die mehrgeschossigen Grabdenkmäler für Dorothea von Liebenstein in Jebenhausen (1597: nr. 352) mit mehreren Gemälden, Sprüchen, Versinschriften und einer Ahnenprobe zu ursprünglich zweimal 16 Wappen und für Dorothea von Berlichingen in Uhingen (1606: nr. 379), [Druckseite XXXIII] ebenfalls mit umfangreichem ikonographischem und inschriftlichem Programm. Als Triptychon ist das Epitaph eines Göppinger Stadtschreibers und seiner Frau gestaltet (nr. 341). Reine Schriftepitaphien ohne jede bildliche Darstellung haben sich aus der Zeit vor 1650 nicht erhalten93).

Das einzige Metallepitaph ist die kleine Tafel für den letzten katholischen Abt von Adelberg (nr. 298) mit Abtswappen im Rundbogenfeld und darunter einer langen lateinischen Inschrift. Im ganzen Aufbau den ädikulaförmigen hölzernen Hängeepitaphien nachgebildet ist ein als Wandgemälde ausgeführtes Grabdenkmal von 1581/82 (nr. 312).

Eine weitere Möglichkeit des Totengedächtnisses neben Grabplatte und Epitaph bot die Anbringung eines Totenschilds in der Kirche. Wie das Epitaph ist der Totenschild nicht räumlich an den Bestattungsort gebunden, er kann sogar Personen gedenken, die andernorts beigesetzt sind. Die älteste bislang bekannte Form des Totenschilds dürfte das in den Umrissen des Wappenschilds ausgesägte Holzbrett mit aufgemaltem Wappen und auf dem Rand umlaufender Inschrift gewesen sein. Erhaltene Nürnberger Exemplare stammen aus der Zeit um 137094). Ein weiterer früher Typ, dem ein Geislinger Totenschild von 1430 zuzurechnen ist (nr. 46), ist die hochrechteckige Tafel mit aufgemaltem oder geschnitztem Wappen und mit umlaufender oder zeilenweise angeordneter Sterbeinschrift95). Ob der ungewöhnlich kleine runde aus der Dürnauer Kirche stammende, nur mehr in einer Fotografie überlieferte Totenschild für Ludwig von Grafeneck mit Umschrift und mit gemaltem Vollwappen im Mittelfeld (nr. 12 †) vor diesem Befund tatsächlich schon 1334 entstanden sein kann, ist fraglich. Der Stil der Wappendarstellung und die Schriftformen passen durchaus in die Zeit, doch begegnet die runde Form des Totenschilds sonst erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts96). Eine nachträgliche Herstellung des Schildes in der zweiten Jahrhunderthälfte wäre denkbar. Möglicherweise handelt es sich überhaupt um eine zu unbekanntem Zeitpunkt hergestellte Kopie nach einem älteren Vorbild, das vielleicht auch als Wandmalerei ausgeführt war97). Einige nur abschriftlich überlieferte Totenschilde des 15. Jahrhunderts wiesen zusätzlich zu Umschrift und Vollwappen eine Ahnenprobe zu vier Wappen auf (nrr. 87 †, 116 †, 137 †). Die erhaltenen Schilde des 16. Jahrhunderts sind durchweg rund; der heraldische Schmuck ist geschnitzt oder aufgemalt.

Als letzter Grabmaltyp tritt ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Grabstein auf, ein – in der Regel – monolithes Grabdenkmal, das seinen Platz auf dem Friedhof unmittelbar am Grab hat. Der Grabstein kann als freistehende Stele konzipiert sein, die eine beidseitige Bearbeitung erlaubt und die zum sicheren Stand einen mehr oder minder hohen, im allgemeinen nur roh behauenen Fundamentsockel benötigt. Die an der Friedhof- oder Kirchenmauer angelehnten Grabsteine können einen solchen Fundamentsockel entbehren und größere Ausmaße erreichen als die Stelen. Ist ein derartiger Grabstein aus mehreren Werkstücken zusammengesetzt und aufwendiger ausgestaltet, ist eine eindeutige Abgrenzung zum Epitaph nicht immer zu ziehen, vor allem wenn sich der Stein nicht mehr an seinem ursprünglichen Standort befindet.

Drei ganz schlichte, kleine Grabstelen mit halbrundem Abschluß dienten der Bezeichnung von Kindergräbern in Süßen (nrr. 306, 307, 310). Ein Kreuz in Ritzzeichnung ist neben der knappen Sterbeinschrift ihr einziger Schmuck. Vom Geislinger Kirchhof und dem Friedhof in Rorgensteig ist ab 1577 (?, nr. 303) eine ganze Serie nach einheitlichem Schema in Ulmer Werkstätten (Schaller/Huber) gefertigter Grabsteine erhalten. Sie sind fast alle flach gegiebelt und weisen reichen bildlichen und inschriftlichen Schmuck auf. Die beidseitig bearbeiteten Stelen zeigen auf der einen Seite in einer Rundbogennische ein Relief (biblische Szene, Verstorbene unter dem Kreuz betend, Wappendarstellung oder Kombination dieser Bildelemente), darunter eine Inschrift, und auf der Rückseite eine meist längere und in Versen abgefaßte Inschrift. Die Verteilung von Sterbeinschrift, Sprüchen, Bibelzitaten und religiösen Versinschriften variiert. Der Aufbau der nur einseitig bearbeiteten Grabsteine unterscheidet sich kaum von dem der Stelen. Gelegentlich ist eine ädikulaähnliche Architekturgliederung vorgeblendet (nrr. 400, 403, 429). Sämtliche erhaltenen Geislinger und Rorgensteiger Grabsteine sind Grabdenkmäler der bürgerlichen Führungsschicht, deren Repräsentationsbedürfnis die Ulmer Bildhauerwerkstatt mit ihrer Serienproduktion ansehnlicher, aber nicht allzu aufwendiger Grabsteine entgegenkam.

4.1.2. Form und Inhalt der Sterbeinschriften

Die Grab- und Sterbeinschriften der verschiedenen Arten von Grabdenkmälern unterscheiden sich hinsichtlich ihres Formulars in der Regel nicht. Der Name des Verstorbenen und das Todesdatum bilden im allgemeinen die Hauptelemente der Sterbeinschrift. Die im Früh- und Hochmittelalter beliebten in metrischer Form abgefaßten Grabinschriften, die oft auf die Angabe des Todesdatums verzichten, lassen sich im Bearbeitungsgebiet nicht nachweisen.

Die älteste hier belegte Grabinschrift, die noch dem 12. Jahrhundert angehört, begnügt sich mit der in der frühen Zeit häufiger gebrauchten knappen Grabbezeugungsformel hic iacet N. N. ohne weiteren Zusatz (nr. 3). Aus dem gesamten 13. Jahrhundert sind keine Sterbeinschriften bezeugt. Die aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind dann bereits nach dem Schema Anno dominiobiit N. N. gebildet. Dieses Formular blieb über Jahrhunderte vorherrschend, veränderte sich jedoch in der Art der Datumsangabe und wurde allmählich durch den Ausbau der vorhandenen und durch Aufnahme neuer Elemente immer komplexer.

Die Jahresangabe erfolgt durchweg nach der christlichen Zeitrechnung. Sie wird, auch in deutschen Inschriften, in der Regel mit der Formel anno domini eingeleitet98); ab etwa 1600 fällt domini häufig weg. Die Reduzierung der Jahreszahl auf die Zehner- und Einerstellen (Minderzahl) läßt sich nur in zwei kopial überlieferten deutschsprachigen Inschriften von 1423 und 1496 sowie auf einem Epitaph von 1593 nachweisen (nrr. 40 †, 137 †, 338).

Der Todestag bleibt nur selten unerwähnt, er wird in den mittelalterlichen Sterbeinschriften des Bearbeitungsgebiets fast ausschließlich nach dem christlichen Fest- und Heiligenkalender angegeben. Die Wiederaufnahme der römischen Tagesdatierung unter humanistischem Einfluß läßt sich nur in einer Sterbeinschrift von 1474 (nr. 93 †) und ein zweites Mal erst 1623 (nr. 446) belegen99). Die heute übliche fortlaufende Zählung der Monatstage ist 1477 erstmals angewandt (nr. 99)100), kann sich zunächst gegen die Festdatierung kaum durchsetzen101), ersetzt diese nach Einführung der Reformation dann freilich schlagartig: Ab 1533 wird die Festdatierung fast vollständig verdrängt, sogar in den katholisch gebliebenen Gebieten. Vereinzelt finden sich anfangs noch Doppeldatierungen nach beiden Bräuchen (nr. 251: 1550). Die Jahreszahl wird ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert recht häufig hinter das Tagesdatum gestellt102). Ein als Chronostichon gestalteter Pentameter, der zusätzlich zur deutschsprachigen Sterbeinschrift das Todesjahr eines 1612 verstorbenen evangelischen Pfarrers enthält (nr. 402 †), bleibt im Bearbeitungsgebiet einmalig.

Die im Original erhaltenen Sterbeinschriften des 14. Jahrhunderts sind durchweg in lateinischer Sprache abgefaßt. Ein außergewöhnlich frühes Beispiel für die Anwendung der deutschen Sprache bietet die Sterbeinschrift für Friedrich von Leimberg von 1358, vorausgesetzt, Gabelkover gibt ihren Wortlaut tatsächlich getreu wieder103). Die Inschrift folgt in ihrem Aufbau dem lateinischen Anno dominiobiit-Formular. Ganz im Gegensatz zum benachbarten Rems-Murr-Kreis, in dem sich die lateinische Sprache noch bis ins frühe 16. Jahrhundert hinein gegenüber dem Deutschen in den Sterbeinschriften behauptete104), verdrängten die deutschen Sterbeinschriften die lateinischen im Bearbeitungsgebiet ab etwa 1420 fast völlig105). Ein Verdacht gegen die zuverlässige Überlieferung der nur abschriftlich bezeugten deutschen Inschriften von 1423 und 1426 (nrr. 40 †, 45 †) ist angesichts der bereits 1430 einsetzenden original erhaltenen volkssprachigen Inschriften (nr. 46) nicht angebracht. Für das gesamte 15. Jahrhundert stehen den insgesamt 34 deutschsprachigen Sterbeinschriften [Druckseite XXXV] nur mehr neun lateinische gegenüber; eine Inschrift scheint beide Sprachen zu kombinieren (nr. 117 †)106). Das Lateinische blieb vor allem die Sprache der Grabinschriften für Kleriker. Die übrigen wenigen lateinischen Inschriften befinden sich auf Grabmälern des Niederadels. Aus dem gesamten 16. Jahrhundert sind nur noch sechs lateinische Sterbeinschriften (vier für Kleriker, zwei für adelige Kinder) bekannt. Für die evangelischen Äbte von Adelberg wurden noch im 17. Jahrhundert wie für ihre katholischen Amtsvorgänger lateinische Grabinschriften verfaßt (1626). Ein aufwendiges Epitaph für einen 1612 verstorbenen Pfarrer kombiniert eine deutschsprachige Sterbeinschrift mit lateinischem Votum, Widmungsinschrift, Chronostichon und Lobgedicht in Form eines in elegischen Distichen abgefaßten Akrostichons (nr. 402 †).

Während die älteste Grabschrift (nr. 3) sich der bloßen Grabbezeugungsformel hic iacet N. N. ohne Sterbevermerk und Todesdatum bedient, folgen die ab dem 14. Jahrhundert erhaltenen Sterbeinschriften dem eintönigen obiit-Formular: Anno domini … obiit (bzw. starb) N. N. Grabbezeugungen finden sich wieder – jetzt meist als Erweiterung der Sterbeinschrift – ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts: hie leitt (nr. 91), der hie begraben liegt (nr. 92 †), hic sepultus (nr. 99), hie lit begraben (nr. 151 †), hie begraben (nr. 205), unter humanistischem Einfluß auch in Distichen (nr. 142) oder sapphische Strophen (nr. 332) gekleidet oder mit klassischen Wendungen umschrieben: huc in sinum matris omnium deponi voluit (nr. 298), hic suas exuvias recondi voluit (nr. 454).

Der Ausdruck für „Sterben“ ist in den lateinischen Inschriften stets obiit, in den volkssprachigen zunächst ausschließlich starb107). Erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts kommen daneben Formeln wie verschied, ist verschieden, ist aus dieser Zeit/in Gott verschieden vor. Ab 1576 (nr. 296 †) begegnet ferner die Wendung ist in Gott christlich/seliglich entschlafen in verschiedenen Abwandlungen. Originellere Lösungen finden sich in humanistisch geprägten lateinischen Sterbeinschriften108), in deutschen Versinschriften109) sowie bei der Bezeichnung besonderer Todesursachen: in Kindsbanden seliglich verschieden (nr. 353); sicario vulnere … erepto (nr. 446). Im 17. Jahrhundert werden theologisch anspruchsvollere barocke Formulierungen verwendet wie: hat aufgehört zu sterben, anfangen zu leben (nr. 394 †) oder aus dem Jammertal ohne Zweifel zu der ewigen Freude und Seligkeit abgefordert (nr. 395 †). Wie im benachbarten Rems-Murr-Kreis110), ist auch in unserem Bearbeitungsgebiet eine allmähliche Verdrängung der Form seliglich durch das „modernere“ selig ab dem frühen 17. Jahrhundert zu beobachten (Erstbeleg 1603).

Die Beifügung einer abschließenden Fürbittformel (dem Gott barmherzig/gnädig sei u. ä.) an die Sterbeinschrift ist erstmals 1430 sicher bezeugt (nr. 46). Über die Häufigkeit der Verwendung von Fürbittformeln im 15. Jahrhundert lassen sich keine zuverlässigen Aussagen machen, da bei nur abschriftlich überlieferten Inschriften diese genealogisch und historisch uninteressanten Formeln vermutlich häufig von den Kopisten unterschlagen wurden. Ab dem letzten Jahrhundertdrittel fehlt die Fürbitte jedenfalls nur noch selten. Einige lateinische Grabinschriften sind durch die Fürbitte cuius anima requiescat in pace erweitert. Eine ungefähre deutsche Entsprechung findet sich nur einmal in der Sterbeinschrift einer katholischen Adeligen von 1609 (nr. 394 †): der adeligen Seele Gott geb die ewige Ruhe. Das die Fürbitte abschließende bekräftigende Amen kommt 1466 erstmals vor (nr. 84), wird zunächst aber nur vereinzelt, erst ab etwa 1560 dann sehr häufig eingesetzt.

Eine zunehmende Erweiterung des deutschen Fürbittformulars läßt sich ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in Formelhäufungen wie der Seelen Gott gnädig und barmherzig sein wolle (nr. 98: 1476) beobachten. Bemerkenswert ist die unübliche Mitanrufung Marias in einer Fürbitte von 1494 (nr. 128): dem gott gnaedig vnd baremherzÿg sÿ vnd Maria. Noch längere und umständlichere Formulierungen resultieren aus der Aufnahme des Wunschs nach der Auferstehung in die Fürbitte: deren Seelen wolle Gott eine fröhliche Urstend verleihen an jenem großen Tag (um 1533) oder dem Gott samt allen Christgläubigen eine fröhliche Auferstehung verleihe (1573)111). Die kurze Formel dem Gott gnad/gnädig sei(n wolle) blieb neben diesen komplexen Konstruktionen freilich stets in Gebrauch. Auffällig ist, daß das „Auferstehungs-Formular“, das um 1533 erstmals, aber erst ab 1561 häufig verwendet wird, fast ausschließlich in Sterbeinschriften für Protestanten Aufnahme findet, während die Katholiken nach wie vor die Formel dem Gott gnad u. ä. bevorzugen112). Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts begegnet [Druckseite XXXVI] diese Formel auch noch in protestantischen Sterbeinschriften, danach ist dort nur noch das „Auferstehungs-Formular“ nachweisbar. Von den acht Fällen, in denen letzteres für Katholiken benutzt wurde113), entfallen allein fünf auf Grabmäler der Familie von Rechberg zu Staufeneck in Salach und Donzdorf, entstanden zwischen 1576 und 1592. Eine Hinwendung dieser Linie zum Protestantismus wird man daraus aber nicht ablesen dürfen, eher könnte die Herstellung der Grabmäler im protestantischen Ulm die Wahl des Wortlauts der Inschriften beeinflußt haben.

Eine Erweiterung des Namens des Verstorbenen durch Beifügung einer Standesbezeichnung ist zunächst – aber durchaus nicht regelmäßig – ab der Mitte des 14. Jahrhunderts beim Niederadel festzustellen: miles (1354, 1403) bzw. ritter (1358, 1473, 1479, gehäuft gegen Ende des 15. Jahrhunderts). Daß der Hochadel (Graf erstmals 1438) und der Klerus (prepositus 1477, sacerdos 1500, ecclesie colegiate vicarius 1528, abbatiae prefectus 1576; evangelische Geistlichkeit: Adeliche Aptissin 1590, abbas et superintendens generalis 1626; Pfarrer) zeitlich nachfolgen, ist sicherlich dem Zufall der Inschriftenüberlieferung anzulasten. Die Standesbezeichnung civis ist bereits 1488 belegt (nr. 114), während Bürger in deutschsprachigen Inschriften erst ab 1561 ganz vereinzelt begegnet.

Die dominus-Anrede allein oder zusätzlich zur Standesbezeichnung ist wiederum zuerst beim Niederadel 1354 (dominus) und 1358 (herr) bezeugt114). Die für den Hochadel übliche Doppelung herr herr als Anrede und Titel zeigt erstmals die Sterbeinschrift des Grafen Friedrich von Helfenstein von 1438 (nr. 53 †)115). Geistliche hatten ebenfalls Anspruch auf die dominus-Anrede (nr. 99: Propst von Oberhofen, nr. 342: Leutpriester). Für Bürger läßt sich vor 1576 (nr. 296 †) kein Beispiel beibringen, und auch danach sind nur vier Belege, alle aus dem 17. Jahrhundert, anzuführen. Die evangelischen Pfarrer wurden wie der katholische Klerus mit der Herr-Anrede bezeichnet, freilich stammen auch hierfür die Belege erst aus dem 17. Jahrhundert.

Standesspezifische Epitheta dringen vereinzelt ab dem Beginn des 15. Jahrhunderts in die Sepulkralinschriften ein: Der Bezeichnung strenuus für ritterbürtige Adelige (nr. 32: 1403) entspricht das deutsche fest, das freilich meist in Kombination mit weiteren Attributen verwendet wird: edel vest (1430), wohl edel und vest (1433). Das den Grafen zustehende Epitheton wohlgeboren ist 1438 erstmals belegt (nr. 53 †); es wird – wie die Doppelung der Herr-Anrede – im ausgehenden 16. Jahrhundert von den in den Freiherrenstand aufgestiegenen Herren von Rechberg adaptiert (nr. 335 u. ö.). Ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ist der Gebrauch von Epitheta in Sterbeinschriften allgemein: Kleriker werden als venerabilis vir (nrr. 99, 227) oder honorabilis (nr. 167), der Niederadel als nobilis et strenuus, edel und vest, edel und streng, streng und vest u. ä., die adeligen Frauen als edel, edel und tugendsam oder edel und ehrsam bezeichnet. Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert finden sich Häufungen wie edel, ehrenreich und tugendsam oder viel ehr- und tugendreich. Die Bürgerschaft folgte dem Beispiel des Adels mit der Anrede honestus vir (1488) bzw. ehrbar Mann/ehrbar Frau (Erstbeleg 1481). Ab dem 16. Jahrhundert wird bei den Männern ehrbar dann meist unmittelbar vor den Namen gesetzt; nach adeligem Vorbild kommen zunehmend Doppelungen wie ehrsam und weise, ehrbar und fürnehm, ehrenfest und fürnehm vor, bei Frauen ehren- und tugendsam, ehrbar, tugendsam und gottselig u. ä. Im 17. Jahrhundert tritt bei Bürgerlichen zum Kanon der Epitheta noch das Attribut wohlbescheiden hinzu.

Akademische Titel und Grade (doctor, magister) begegnen in Sterbeinschriften des Bearbeitungsgebiets erstmals 1499 (nr. 142). Die evangelischen Pfarrer werden als ehr- und wohlgelehrt, ehrwürdig und wohlgelehrt oder würdig und wohlgelehrt apostrophiert116). Die von dem Rechtsgelehrten Joseph Schütz 1568 geführten Epitheta ehrenfest und hochgelehrt (nr. 285) nehmen sich geradezu bescheiden aus gegenüber der rühmenden Hervorhebung des Arztes Öxlin als ehrenfest, hochgelehrt, hoch- und weitberühmt (nr. 415).

Durch die Aufnahme biographischer Nachrichten über den Verstorbenen werden die Sterbeinschriften ab dem 16. Jahrhundert immer umfangreicher. Schon früher finden sich Angaben zum Ehepartner: In der Sterbeinschrift des Grafen Friedrich von Helfenstein von 1438 (nr. 53 †) wird die Frau des Verstorbenen genannt: verließ fraw Agnes geborne von Weinsperg sein gemahel. Üblich ist ab der Mitte des 15. Jahrhunderts der umgekehrte Fall, daß in Sterbeinschriften verheirateter Frauen der Ehemann genannt wird (Erstbeleg 1442), überwiegend in der Formulierung des N. N. (eheliche) Hausfrau, Ehegemahl oder Ehren Hausfrau bzw. des N. N. (nachgelaßne) Witwe. Die Zubenennung nach dem Familiennamen des Ehemanns und die Beifügung des Geburtsnamens (geborn von N.) ist in den [Druckseite XXXVII] Inschriften des Kreisgebiets 1497 erstmals nachweisbar (nr. 140 †). Bei Grabmälern für Ehepaare ist die Sterbeinschrift für die Frau stets nachgestellt, wobei die Frau fast immer mit ihrem Geburtsnamen und dem Zusatz sein Ehegemahl oder seine (eheliche) Hausfrau bezeichnet ist. Bei Kindern werden in der Regel der Vater (Erstbeleg 1528) oder auch beide Eltern aufgeführt (Erstbeleg 1599). Ganz ungewöhnlich ist das Formular einer Grabinschrift aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, das auf die namentliche Nennung der verstorbenen Eheleute verzichtet und statt dessen ihren Sohn nennt: hie leitt Doctor Stümpen VAtter Vnd muotter (nr. 91).

Die Angabe des Geburts- oder Herkunftsorts findet sich bei Patriziern und einfachen Bürgern ab 1488, entweder in adjektivischer Bildung (civis Badensis), in der Form von Ulm (1494)/ Burger von Nürnberg (1561)/ de Weggerstal (1594) bzw. Burger allhie (1636) oder in der lateinischen Wendung patria Hochdorfensis (1576); der Ort kann auch näher durch seine territoriale Zugehörigkeit bezeichnet sein: von Albeckh vlmer Herschafft (1620).

Weitere biographische Informationen über die Verstorbenen sind den Sepulkralinschriften dann ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts zu entnehmen. In einer Inschrift von 1573 (nr. 289) sind zum ersten Mal Lebensdauer, Dauer der Ehe und die Dauer eines ausgeübten Amts genannt. Die Angabe der Lebensdauer ist in der Folgezeit sehr häufig117). In Sterbeinschriften für Kinder ist das erreichte Alter gelegentlich auf Wochen und Tage genau bezeichnet118). Auch die Ehedauer, die ab dem 17. Jahrhundert immer öfter vermerkt wird, ist einmal in Wochen und Tagen berechnet (nr. 428). Übliche Formeln sind: im ... Jahr seines Ehestands; lebten im ehelichen Stand beysamen; nachdem sie beedt … Jar miteinander gehauset hatten u. ä.

Die Zahl der in der Ehe gezeugten Kinder melden die Inschriften vereinzelt ab 1561 und verstärkt ab der Jahrhundertwende. Ab und an wird die Zahl der noch lebenden Kinder gesondert aufgeführt119), einmal ist auch die Gesamtzahl der zu Lebzeiten des Verstorbenen geborenen Enkel und Urenkel erwähnt (nr. 289).

Nur selten wird das Geburtsjahr explizit genannt (Erstbeleg 1593). Mitunter werden die Todesumstände genauer beschrieben. So kann die Sterbestunde (erstmals 1584, häufig ab 1612) und der Sterbeort (Erstbeleg 1576) mitgeteilt werden, selten auch der Tag der Beisetzung (Erstbeleg 1581).

Amtsbezeichnungen begegnen zuerst bei Geistlichen, da sie bei ihnen im allgemeinen gleichzeitig die Standesbezeichnung bilden120).

Unter den weltlichen Ämtern wird das des ulmischen Pflegers zu Geislingen als erstes 1481 in einer Sterbeinschrift angeführt121). Die Nennung weltlicher Amtsfunktionen setzt sich freilich erst ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts allmählich durch. Neben den ulmischen Amtsträgern in der Unteren Herrschaft (Vögte, Pfleger, Amtmänner) erscheinen schon relativ früh Angehörige der Thurn und Taxisschen Post: ein Postbote 1549 und ein Postmeister 1592.

Die lokalen Verwaltungsämter werden vereinzelt ab 1573 und verstärkt ab dem Ende des 16. Jahrhunderts vor allem in Geislinger Sterbeinschriften aufgeführt: Bürgermeister, Richter, Stadtschreiber. Etwa gleichzeitig finden in Sepulkralinschriften für Adelige die Angabe von württembergischen Hofämtern (nrr. 300, 350, 356, 381 †, 386) und der Titel Römisch Kaiserlicher Majestät Rat (ab 1576) Aufnahme.

Wesentlich seltener als die Amtsbezeichnungen werden die bürgerlichen Berufe der Verstorbenen genannt. Bei den bereits erwähnten Bediensteten der Thurn und Taxisschen Post lassen sich beide Bereiche kaum trennen. Unter den reinen Berufsbezeichnungen sind die Wirte und Gastgebe am häufigsten vertreten (Erstbeleg 1590, Badwirtin 1603), daneben ein Barbierer und Wundarzt (1607), ein Arzt (1616) und ein Fuhrmann (1636). Ein 1583 verstorbener junger Mann wird als gewesener Student zu Tübingen näher bezeichnet (nr. 313 †).

Der Verlust der Adelberger und Wiesensteiger Abtsgrabmäler ist sicherlich ein Grund dafür, daß Angaben über die Amtsdauer in Sterbeinschriften des Kreisgebiets nicht vor 1573 nachzuweisen sind und erst ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert zahlreicher werden. Die frühesten Beispiele betreffen Ämter von Laien (nrr. 289, 325). Bei evangelischen Pfarrern fehlt der entsprechende Hinweis nur selten122). Das einzige Grabmal des 16. Jahrhunderts für katholische Pfarrer (nr. 342) verzeichnet ebenfalls die Dauer der Amtsausübung. Die Angabe des Alters bei Antritt der Amtstätigkeit (nr. 432) [Druckseite XXXVIII] bleibt im Bearbeitungsgebiet ebenso ein Einzelfall wie die Schilderung der gesamten – freilich aus nur wenigen Stationen bestehenden – Ämterlaufbahn auf dem Epitaph eines ulmischen Amtmanns von 1639 (nr. 478 †). Einen knappen Lebenslauf enthält schließlich die lateinische Grabinschrift für den letzten katholischen Abt von Adelberg (1576: nr. 298).

Die ab dem späten 16. Jahrhundert immer öfter geübte Abfassung der Sepulkralinschriften in deutschen Versen führte zu einem weiteren Anschwellen des Formulars. Gelegentlich weitete sich die Inschrift zu einem umfangreichen Totenlob aus (nr. 371). Zusätzlich zum reinen Sterbe- und Fürbittformular wurden ferner bisweilen Totenklagen – meist in Versform – abgefaßt (besonders ausführlich: nr. 352).

Bibelsprüche kommen ab 1561 (nr. 273 †) auf Grabmälern vor, zunächst noch selten, ab 1600 dann häufig, mitunter sogar zu mehreren auf einem Inschriftenträger. Die Zitate folgen mit einer einzigen Ausnahme der deutschen Lutherübersetzung, gelegentlich wird der Text in Paraphrase – auch in Versform – wiedergegeben. Ausgewählt werden fast durchweg Texte, die die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben ausdrücken; besonders häufig finden sich die Stellen Joh 11, 25 (Ich bin die Auferstehung und das Leben) und Hiob 19, 25 (Ich weiß, daß mein Erlöser lebt). In diesen Kontext gehört auch das deutschsprachige Kirchenväterzitat nach Gregor d. Gr., das sich bislang anderweitig nicht in inschriftlicher Verwendung nachweisen läßt: Unser Erlöser hat den Tod auf sich genommen, daß wir uns zu sterben nit fürchten und sein Auferstehung gezeigt, auf daß wir auch wieder aufzuerstehen ... uns getrösten (nr. 309). Die Bibelzitate schmücken fast ausnahmslos protestantische Grabmäler. Das angebliche Bibelzitat Job: 17. Cap: auf dem Epitaph der katholischen Katharina von Breitenlandenberg (1609) läßt sich – jedenfalls in der Lutherbibel – nicht nachweisen. Als einziges Grabmal weist die Grabplatte des 1623 ermordeten Zacharias Langjahr in Faurndau ein lateinisches Bibelzitat auf (nr. 446), das auf den gewaltsamen Tod Langjahrs anspielt: Sicut solent cadere coram filiis iniquitatis corruisti (2 Sam 3, 34).

Als letztes Element, das Aufnahme in die Sterbeinschriften fand, seien Wendungen erwähnt, die auf die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des irdischen Lebens hinweisen und die Lebenden dazu auffordern, stets ihrer Vergänglichkeit eingedenk und somit gut auf den Tod vorbereitet zu sein. Dieses Memento-mori-Motiv kommt erstmals in dem Hexameter einer Grabplatte von 1571 zum Ausdruck: Disce mori uiuens moriens ut viuere possis (nr. 288), ebenso deutlich in dem Distichon einer Grabplatte von 1621: Nil magis est certum summa Mortalibus hora / Serius aut citius una terenda uia est (nr. 442). Ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts wird das Thema auch in deutschen Versinschriften variiert: O mensch, dein end all augenblickh / bedenk und dich zum ende schickh (nr. 303, ähnlich nr. 319 †); Das alte recht ist: du bist erden / Zu erden mustu wider werden (nr. 309); O Mensch betracht daß Ende dein / Und wie der Tod frist alls hinein (nr. 323 †); Verlaß dich nicht auf Jrdisch ding (nr. 429). Ein Spruchband mit den Worten MEMENTO MORI ist schließlich Teil des über graphische Vorlagen vermittelten ikonographischen Programms in dem Relief eines schlafenden Knaben mit Totenschädel und Stundenglas auf einem Epitaph aus dem Ende des 16. Jahrhunderts (nr. 353).

Widmungsinschriften der Hinterbliebenen finden sich nach klassischem Vorbild mitunter in lateinischer Sprache, auch wenn die Sterbeinschrift und die übrigen Inschriftentexte volkssprachig abgefaßt sind (z. B. nrr. 289, 298, 309, 311, 373 †, 446).

4.2. Glocken

Die Glocken123) machen mit einer Gesamtzahl von 83 und einem Anteil von fast 17% nach den Grabmälern die zweitgrößte Gruppe der Inschriftenträger im Bearbeitungsgebiet aus. 52 der inschriftlich bezeichneten Glocken aus der Zeit vor 1650 sind noch erhalten, von 31 sind die Inschriften nur abschriftlich überliefert.

Die gründliche und gewissenhafte Katalogisierung der Glocken vor dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Erstellung der Kunstdenkmälerinventare für die Oberämter Göppingen und Geislingen durch Baum und Klaiber ermöglichte in den beiden Weltkriegen eine korrekte Einstufung der historischen Stücke, was zur Folge hatte, daß nur wenige alte Glocken des Bearbeitungsgebiets abgeliefert und eingeschmolzen werden mußten. Freilich sind bereits in früheren Zeiten durch Kriegseinwirkung, Brände oder den Abbruch von Kirchen immer wieder Glocken zerstört worden; noch im vorigen Jahrhundert wurden zudem wiederholt historische Glocken umgegossen, um neue, besser [Druckseite XXXIX] aufeinander abgestimmte Geläute zu erhalten. Für das ehemals ulmische Gebiet dürfte immerhin der Glockenbestand der Zeit um 1700 durch die Aufzeichnungen Wollaibs vollständig dokumentiert sein.

Die ältesten erhaltenen inschriftlich bezeichneten Glocken des Landkreises stammen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und aus der Zeit um 1300 (nrr. 6, 7, 8, 9, vielleicht auch nr. 30 †). Allen diesen Glocken gemeinsam ist das einfache Formular, das lediglich aus den vier Evangelistennamen besteht. Zu den Namen der Evangelisten, denen unheilabwehrende Kräfte zugeschrieben wurden, sind auf einer der beiden frühen Drackensteiner Glocken (nr. 7) die apokalyptischen Buchstaben Alpha und Omega hinzugefügt, von denen man sich ebenfalls apotropäische Wirkung versprach.

Eine Heininger Glocke, die vielleicht ebenfalls noch ins späte 13. Jahrhundert gehört (nr. 15), trägt die in dieser Zeit beliebte in Hexameterform gekleidete Marienanrufung Me resonante pia populi memor esto Maria124). Die Inschriften der beiden ältesten Glocken (in Boll und Drackenstein) sind in Wachsfadentechnik in romanischer Majuskel ausgeführt, die späteren dann in gotischer Majuskel.

Unter den wenigen Glocken des 14. Jahrhunderts sind wiederum Evangelistenglocken – jetzt aber auch mit der Beifügung von S(ANCTVS) vor den Namen –; daneben finden sich Heiligenanrufungen mit Fürbittaufforderung (nr. 21 †) sowie der auch anderweitig häufig als Glockeninschrift nachweisbare Engelsgruß an Maria nach Lc 1, 28 (nr. 27) oder die Anrufung O rex glorie veni cum pace (nr. 28 †), welche auch noch im folgenden Jahrhundert wiederholt auf Glocken begegnet. Die erste datierte Glocke des Bearbeitungsgebiets wurde 1363 gegossen (nr. 21 †), ab 1400 fehlt die Datierung nur noch selten. Die Gießer nennen sich auf den Glocken des 13. und 14. Jahrhunderts noch nicht. Durch Schriftvergleich lassen sich einige der Glocken Wandergießern zuschreiben, die wohl eher aus dem Süden kamen, da die Glocken des Landkreises jeweils die nördlichsten Punkte der Absatzgebiete bilden (nrr. 8, 9). Für eine Glocke aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in St. Gotthardt läßt sich die Herkunft aus einer Nürnberger Gießhütte wahrscheinlich machen (nr. 27).

Von 1418 und 1425 stammen die ersten signierten Glocken. Die von dem Ulmer Gießer Jörg Balmer gegossene Türkheimer Glocke von 1418 (nr. 38 †) ist zugleich die erste Glocke mit deutschsprachiger Inschrift. Das Formular vereinigt Datierung, Weiheformel an die Heiligen (in diesem Fall wiederum die vier Evangelisten) und Meisterinschrift in Form der Glockenrede: Jn Sant Matheus Marcus Lucas Johannes er gos mich Joerg Balmer zu Ulm anno domini 1418 Jar. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts finden sich einige weitere Ulmer Glocken (eine lateinisch signierte und eine unsignierte des Gießers Hans Fraedenberger mit lateinischer Marienanrufung) und solche fränkischer Gießer (nrr. 43, 48). Die Schrift ist nach 1400, von einer gesicherten Ausnahme (nr. 60 †)125) abgesehen, die gotische Minuskel. In den 50er und 60er Jahren des 15. Jahrhunderts dominieren die Glocken des Reutlinger Gießers Hans Eger126), der den westlichen Teil des heutigen Kreisgebiets bis zur Linie Wäschenbeuren – Kuchen mit Evangelistenglocken versorgte, deren Formular nur aus der Datierung und den vier Namen – gelegentlich mit dem Zusatz s(anct) – besteht, die aber durch die charakteristischen Tatzenkreuz-Worttrenner eindeutig der Reutlinger Gießhütte zuzuweisen sind. Vielleicht sind Eger auch drei verlorene Evangelistenglocken in Weiler ob Helfenstein und Türkheim (nrr. 159 †, 162 †, 163 †) zuzuschreiben. Eine Evangelistenglocke in Albershausen von 1499 (nr. 143 †) wurde möglicherweise von dem um 1515 verstorbenen Jos Eger/Egen gefertigt127). Der Meister Jacob, der 1467 in Roßwälden eine Glocke mit Aachener Pilgerzeichen und der deutschen Marienanrufung ave Maria bit got fur uns goß (nr. 86), dürfte aus dem Westen des Reichs stammen.

Die reiche Glockenproduktion im Kreisgebiet im Zeitraum von 1493 bis 1517 wird völlig beherrscht von der Esslinger Gießhütte des Pantlion Sidler128). Von den 20 bekannten Sidler-Glocken sind noch 19 erhalten. Die sorgfältig in gotischer Minuskel ausgeführten Inschriften folgen fast ausnahmslos dem stereotypen Formular: in der er sant lvx marx iohannes vnd sant mathevs gos mich pantlion sidler von esslingen anno ... iar129); mitunter ist die Weiheformel um Christus, Maria oder den Kirchenpatron erweitert. Zwei der Glocken tragen zusätzlich Namen: sant lorentzen glock bin ich bzw. osanna hais ich (nrr. 125, 146). Zwei weitere Glocken sind mit lateinischen unheilabwehrenden Sprüchen versehen: Kyrillos von Alexandria gilt die Anrufung als dem Schutzpatron gegen Blitzschlag, [Druckseite XL] und Christus, Tau-Kreuz und Kreuztitulus werden als Heilsbringer gegen Seuchen und Hunger beschworen (nrr. 141, 148).

Der im Rems-Murr-Kreis mit Sidler konkurrierende Heilbronner Gießer Bernhard Lachaman130) ist im Bearbeitungsgebiet nur mit einer einzigen im Jahr 1500 für Kloster Adelberg gegossenen Osanna-Glocke vertreten (nr. 166). Die wenigen im 16. Jahrhundert nach der Einführung der Reformation gegossenen Glocken stammen fast alle aus Ulm, sind freilich auch bis auf die zwei Glocken im helfensteinischen Deggingen (nr. 347) und im rechbergischen Rechberghausen (nr. 320) durchweg für Kirchen des Ulmer Territoriums bestimmt. Als Gießer nennen sich Lorenz Kastner, Hans Algeier und Wolfgang Neidhardt. Die beiden Algeier-Glocken und eine Neidhardts tragen den im 16. Jahrhundert beliebten Glockenspruch Aus dem Feuer floß ich, N. N. zu Ulm goß mich. Die Schrift der Glocken ist ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Kapitalis, nur für eine Neidhardt-Glocke von 1596 (nr. 347) und eine weitere Ulmer Glocke von 1619 (nr. 435 †) wird noch einmal gotische Minuskel verwendet. Die Kapitalis begegnet erstmals auf einer 1564 gegossenen Weißensteiner Glocke (nr. 277), die in der ansonsten im Bearbeitungsgebiet nicht in Erscheinung getretenen Volmerschen Gießhütte in Biberach entstanden ist.

Die Glocken des 17. Jahrhunderts zeichnen sich durch umfangreichere Inschriften und oft reiches Ornament aus. Regelmäßig werden die wichtigsten örtlichen Amtsträger (Pfarrer, Schultheiß bzw. Amtmann, Heiligenpfleger, Burgermeister, Schulmeister, Anwalt), auf drei Glocken auch die Stifter namentlich genannt131). Zwei der erhaltenen Glocken sind Arbeiten des Esslinger Gießers Hans Miller. Die drei Glocken des Hans Braun aus Ulm sind allesamt verloren (nrr. 435 †, 448 †, 471 †), von einer vierten bekannten ist die Inschrift nicht überliefert132). Der in Stuttgart tätige Gießer Nikolaus Martinus von Campen hat die große Ebersbacher Glocke von 1625 gegossen, die außer der Meisterinschrift, Datierung und Amtsträgernennung noch eine gereimte Gedenkinschrift aufweist, in der die Zerstörung der Vorgängerglocke infolge Blitzschlags erwähnt wird (nr. 453). Zwei von lothringischen Wandergießern hergestellte Glocken in Treffelhausen und Winzingen tragen als Inschriften unter anderem lateinische Heiligenanrufungen. Bei beiden Orten handelt es sich bezeichnenderweise um katholische Ritterschaftsorte.

Die Ulmer Rotgießer Algeier, Neidhardt und Braun haben auch Bronzeepitaphien bzw. Metallauflagen für Grabmäler gegossen, von denen sich im Kreisgebiet zwei signierte Stücke erhalten haben (nrr. 298, 399).

4.3. Kirchliche Ausstattungsgegenstände und Geräte

Mehr als jede andere Gruppe von Inschriftenträgern haben der Bildersturm der Reformation, Brände und Plünderungen die kirchlichen Ausstattungsstücke, Möbel, Paramente und Geräte dezimiert. Sie waren stets entweder wegen der geringen Widerstandsfähigkeit des Materials (Holz, Textilien) oder wegen seiner Wiederverwertbarkeit (Kupfer, Edelmetalle) besonders gefährdet.

Von nur sechs spätgotischen mit Inschriften versehenen Retabelaltären haben sich Teile erhalten, von weiteren sind Inschriften abschriftlich überliefert. Bei den Inschriften handelt es sich durchweg um Nimbenumschriften zu den geschnitzten Schreinfiguren, um Nimbenumschriften und Gewandsauminschriften der Flügel- und Predellabilder, um Spruchbandbeschriftungen (Engelsgruß der Verkündigung, Aussendungsworte Christi an die Apostel) sowie um Künstlersignaturen und Datierungen. Vier der teilweise erhaltenen und ein verlorener Altar sind Arbeiten der Ulmer Werkstatt des Bartholomäus Zeitblom; einer der Altäre kann vielleicht mit dem württembergischen Hofmaler Ludwig Friesz in Verbindung gebracht werden (nr. 119).

Ein Teil des spätgotischen Chorgestühls der Göppinger Oberhofenkirche (nr. 153) mit am Dorsale entlanglaufenden eingeschnitzten religiösen Sprüchen hat die Zeit ebenso überdauert wie das vollständige Chorgestühl der Geislinger Stadtkirche (nr. 196), das in der Werkstatt Jörg Syrlin d. J. 1512 angefertigt wurde. Es trägt neben der Meistersignatur am Dorsale eine lange Gedenkinschrift und an den Seitenwangen unter geschnitzten Brustbildern der Propheten Bibelparaphrasen in lateinischen Distichen. Die Schrift ist eine im inschriftlichen Bereich selten verwendete gotisch-humanistische Mischminuskel („Gotico-Humanistica“). Ebenfalls Teile eines Gestühls oder aber einer Emporenbrüstung sind vier Fragmente eines in Flachschnitzerei ausgeführten Apostel-Credo-Zyklus von [Druckseite XLI] 1499 (nr. 145). Vielleicht aus Kloster Adelberg rührt ein in Ottenbach aufgefundenes, von Jörg Syrlin d. Ä. 1458 signiertes Lesepult mit Schnitzfiguren der vier Evangelistensymbole her (nr. 73). Inschriftlich bezeichneter Skulpturenschmuck ist nur noch in Süßen erhalten: Hier halten die drei steinernen Marienfiguren vom Heiligen Grab Salbdosen mit Namenbeischriften (nr. 201).

Von den ehemals sicher zahlreichen in den Kirchen angebrachten Spruchtafeln mit religiösen Sprüchen und Ermahnungen an Priester und Kirchenbesucher ist im Bearbeitungsgebiet nur eine einzige aus vorreformatorischer Zeit überliefert, die sich in der Sakristei der Geislinger Stadtkirche befand und die die Priester zur ordentlichen Verrichtung der Gebete anhielt (nr. 208 †). Schließlich dürfte auch das von Wollaib beschriebene große, zur Verhängung des Hochaltars in der Fastenzeit dienende Hungertuch in Gingen an der Fils (nr. 364 †) mit seinen biblischen Bildern und Beischriften noch aus der Zeit vor der Einführung der Reformation stammen.

Die evangelische Kirchenausstattung des 16. und 17. Jahrhunderts ist heute fast völlig verschwunden. Sie fiel wohl mehr den Kirchenrenovierungen und -umbauten der letzten Jahrhunderte als Zerstörungen durch Krieg oder Brand zum Opfer. Nach dem Umschwenken der Ulmer Kirche zum Luthertum wurden nach der zwischenzeitlichen völligen Ablehnung von Bildschmuck in der Kirche im frühen 17. Jahrhundert wieder Altäre geschaffen, die mit Gemälden biblischer Szenen ausgestattet wurden. Die Bilder erhielten jetzt aber – oft umfangreiche – erklärende Inschriften in Form von Bibelsprüchen oder von deutschen Versinschriften. In Türkheim und in Geislingen wurden auf die Altäre ferner lange Gedenkinschriften in deutschen (in Geislingen auch in lateinischen) Versen aufgemalt. Besonders originell ist die namentliche Eintragung der amtierenden Richter und eine genaue nach Stand, Geschlecht und Familienstand spezifizierte Bevölkerungsstatistik auf der Rückseite des Türkheimer Altars (nr. 410 †).

In Kuchen, Türkheim und Geislingen trugen die Emporen Inschriften (nrr. 405 †, 417 †, 433 †). Dabei handelte es sich in erster Linie um Bibelzitate, aber auch um Gedenk- und Belehrungsinschriften oder um Gebete in Versform. Die Kanzel als Zentrum der protestantischen Kirchenausstattung war bevorzugter Träger von Inschriften. Meist auf der Brüstung, aber auch im Schalldeckel wurden Bibelzitate oder religiöse Sprüche in deutscher Sprache aufgemalt, die die zentrale Bedeutung der Verkündigung von Gottes Wort hervorheben.

Ein Chorpult in Hausen an der Fils trug eine lange Versinschrift, die die Leser zum Kirchengesang aufforderte (nr. 414 †). Almosentafeln mit inschriftlichem Aufruf zur Armenspende haben sich in Überkingen und Göppingen erhalten, eine dritte aus Kuchen ist nur mehr kopial überliefert. Schließlich seien noch ein Türkheimer Taufstein mit Nameninitialen der örtlichen Amtsträger und eine Geislinger Orgel mit Stiftungsinschrift (nr. 441 †) erwähnt.

Eine der wenigen Kirchenausstattungsinschriften des 17. Jahrhunderts aus dem katholischen Bereich ist die lateinische Renovierungsinschrift des Dotzburger Gnadenbilds mit Nennung der Stifter (nr. 389), zugleich ein Zeugnis der Gegenreformation in der Herrschaft Wiesensteig.

An inschriftlich bezeichneten liturgischen Geräten sind aus vorreformatorischer Zeit nur das Wiesensteiger Reliquienkreuz von 1475 (nr. 94) und einige spätgotische Kelche erhalten. Drei der Kelche tragen Jesus-Anrufungen (einmal in der ausführlicheren Form ihesvs hilf vns), einer eine Stiftungsinschrift. Eine barocke Monstranz von 1621 aus Drackenstein ist ebenfalls mit einer gravierten langen Stiftungsinschrift versehen. Vom evangelischen Kirchengerät des Berichtszeitraums sind einzig drei Kelche in Göppingen und Zell unter Aichelberg erhalten mit Datierung bzw. Besitzvermerk. Eine 1646/47 für die Altenstädter Kirche gestiftete aus Abendmahlskanne, Taufschüssel und Taufkännchen bestehende Garnitur mit religiösen Versinschriften, Bibelsprüchen und Nennung der Stifternamen (nrr. 481 †, 482 †, 483 †) ist dagegen ebenso verloren wie ein anläßlich des Reformationsjubiläums 1617 gestiftetes, vielleicht aus Sachsen stammendes Silberkännchen aus der Dürnauer Kirche (nr. 421 †).

4.4. Inschriften an Gebäuden, Wandmalereien

Unter den ortsfest an Gebäudeteilen angebrachten Inschriften bilden im Landkreis Göppingen die Inschriften auf Wandmalereien die größte Gruppe133). Der Bildersturm der Reformation, Zerstörungen von Kirchen und immer wieder auch Umbaumaßnahmen führten zu großen Verlusten des Bild-, vor allem aber auch des Schriftbestandes an Wänden und Gewölben. Übertünchte und im vorigen oder in diesem Jahrhundert wieder freigelegte Wandgemälde erfuhren nicht selten eine unsachgemäße Restaurierung, wobei besonders dem Schriftbefund wenig Sorgfalt zugewandt wurde.

[Druckseite XLII]

Die nur mehr fragmentarisch erhaltenen in romanischer und gotischer Majuskel ausgeführten Inschriften auf Wand- und Gewölbemalereien des 13. und 14. Jahrhunderts in Altenstadt, Faurndau, Oberwälden, Gruibingen und Heiningen sind kurze erläuternde Bildbeischriften, Bibelzitate auf Spruchbändern oder Namenbeischriften. Bemerkenswert, weil für den südwestdeutschen Raum vergleichsweise früh, ist eine nur abschriftlich überlieferte Malersignatur in Verbindung mit einer Fertigstellungsinschrift von 1363 in der Altenstädter Michaelskirche (nr. 20 †).

Im 15. Jahrhundert ist die Schrift der Wandmalereien die gotische Minuskel. In Bezgenriet, Gruibingen und Zell unter Aichelberg finden sich längere deutschsprachige Fertigstellungsinschriften nach dem einheitlichen Formular: dis ward gemalt da man zalt von cristus geburt … iar. Wie bisher finden sich die Inschriften hauptsächlich in Spruchbändern und als Bildbeischriften in den Rahmenleisten der Bildfelder134). In Maitis wurden die Weihekreuze der Kirche mit den Apostelnamen beschriftet (nr. 79). Um die Jahrhundertmitte entstand in der Göppinger Oberhofenkirche ein monumentales Wandbild zum Gedenken an die in einem Gefecht auf württembergischer Seite Gefallenen mit ausführlicher Gedenkinschrift (nr. 65). Die vermutlich um 1475 anzusetzenden Ahnenreihen mit Namenbeischriften in den Stuben der Rechberger-Burgen Donzdorf, Staufeneck und Ravenstein (nrr. 95 †, 96 †, 97 †) waren wohl ebenfalls als Wandmalereien ausgeführt.

Gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts finden sich ausführlichere Bilderläuterungen, die über die bisherigen kargen Bildüberschriften hinausgehen, so zu dem Leben-Jesu-Zyklus und zu den Bildern der Befolgung und Übertretung der Zehn Gebote in der Dürnauer Kirche (nr. 176), zur Darstellung der Gründungslegende des Oberhofenstifts in Göppingen (nr. 121) und vor allem zu der in sechs Bildern geschilderten Klostergründungsgeschichte in der Adelberger Ulrichskapelle (nr. 188). Eine längere chronikalische Versinschrift wurde auch dem Wandgemälde Friedrich Barbarossas in der Hohenstaufener Jakobskirche hinzugefügt (nr. 360 †), das bereits in die Zeit nach der Einführung der Reformation gehört.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert wurden in den evangelischen Kirchen, zunächst anstelle der übertünchten Wandbilder, später dann auch mitunter als Beischriften zu neu geschaffenen Wandgemälden mit biblischen Szenen, Bibelzitate und religiöse Sprüche, Paraphrasen von Bibelstellen, Kirchenväterzitate in deutscher Sprache und Gebete in großer Zahl aufgemalt. Davon ist nichts mehr erhalten, aber Wollaib überliefert diese Inschriften, die als programmatische Einheit zusammen mit den Beschriftungen der Kirchenausstattung gesehen werden müssen, für die Kirchen in Geislingen, Stötten, Süßen, Altenstadt, Überkingen und vor allem in Türkheim und Kuchen. Für das inschriftliche Programm waren sicherlich auch in den Fällen, in denen dies nicht explizit bezeugt ist, die Pfarrer verantwortlich. Auswahl und Gruppierung der deutschsprachigen Inschriften, die jeweils einem gemeinsamen Themenkomplex (z. B. Taufe, Abendmahl, Kirchengesang, Verhalten gegenüber der Obrigkeit) gewidmet sind oder sich an eine bestimmte Zielgruppe richten, deren Sitzplätze sich in unmittelbarer Nähe dieser Inschriften befanden (Amtmann, Richter, Schulmeister, Knechte, Mägde usw.), sollten sicherlich der Belehrung der Kirchenbesucher dienen. Dagegen wurden die zahlreichen von den Kirchgängern nicht zu entziffernden und nicht zu verstehenden hebräischen Bibelzitate in der Türkheimer Kirche (nr. 417 †) wohl in erster Linie angebracht, um das Wort Gottes zu vergegenwärtigen.

Im späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert wurde ein monumentales Fresko in der Ramsberger Schloßkapelle mit Darstellung Christi in der Kelter geschaffen (nr. 418). Die langen Versinschriften erläutern zum einen das Bildgeschehen, teilen aber zum anderen auch Vorgänge mit, die im Bild nicht dargestellt, jedoch zum Bildverständnis notwendig sind.

Glasmalereien mit Inschriften sind aus dem Bearbeitungsgebiet nur in sehr geringer Zahl überliefert, erhalten hat sich davon nichts. Ins 15. Jahrhundert gehören einige biblische Szenen und Heiligendarstellungen mit Bittsprüchen und vermutlich mit Darstellung der Stifter in Geislingen und Süßen (nrr. 59 †, 63 †, 101 †) sowie Wappen und Beischriften aus der Geislinger Stadtkirche (nr. 44 †). Aus dem 16. Jahrhundert und aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts ist nur eine Reihe von Kabinettscheiben mit Wappenbeischriften aus Geislingen, Göppingen und Wiesensteig bezeugt.

Die inhaltlich ergiebigste Gruppe der Inschriften an Gebäuden sind die Bau- und Weiheinschriften. Sie berichten in knapper oder ausführlicher Form über Baubeginn oder -abschluß eines Gebäudes oder eines Gebäudeteils und überliefern in vielen Fällen die Namen der Bauherren oder Stifter. Weiheinschriften nennen das Datum der Kirchweihe. Die einfachsten Bauinschriften sind bloße Jahreszahlen, die an der Stelle, an der sie angebracht sind, in der Regel die Vollendung eines bestimmten Bauabschnitts bezeichnen, einen Umbau oder eine Renovierung dokumentieren. Diese [Druckseite XLIII] isolierten Bauzahlen wurden im vorliegenden Band, wie eingangs begründet, nicht aufgenommen. Ausgeschriebene oder abgekürzte Bauherren- oder Baumeisternamen begegnen in Verbindung mit Bauzahlen aufgemalt, in Stein gehauen oder in Fachwerkbalken geschnitzt im Bearbeitungsgebiet nur vereinzelt. Besonders im Bereich der Bürgerhäuser dürfte die Verlustrate derartiger einfacher Bauinschriften recht hoch zu veranschlagen sein.

Die älteste Bau- und Weiheinschrift des Landkreises ist die berühmte Gingener Inschrift von 984, die erste Bauinschrift auf deutschem Boden, die nach der christlichen Aerenrechnung datiert ist (nr. 2). Die eigentliche Bauinschrift ist als Aktivsatz mit dem Bauherrn als Subjekt konstruiert (Salemannus abbas ... hoc oratorium … erexit), während die Weihenotiz als Passivkonstruktion angehängt ist. Ebenfalls passiv konstruiert ist eine Weiheinschrift, die wohl um 1200 anzusetzen ist (nr. 4 †): … dedicatum est hoc templum. Aus dem 15. Jahrhundert stammen die frühesten deutschsprachigen Bauinschriften an der Geislinger Stadtkirche (1424) und an der Göppinger Oberhofenkirche (1436). Erstere nennt sowohl den Auftraggeber – den Rat der Stadt Ulm – als auch die mit der Grundsteinlegung beauftragte Einzelperson, die zudem in einem Stifterrelief mit ihrem Wappen abgebildet ist.

Der Grundstein der Wäschenbeurer Kirche von 1505 (nr. 179) enthält nur die Jahreszahl und anstelle einer Bauinschrift ein Votum (in der er Vnser liebe Frow Vnd sancti iohanniS). Wesentlich ausführlicher sind die lateinischen Bau- und Grundsteinlegungsinschriften, die im ausgehenden 15. und im frühen 16. Jahrhundert unter den Äbten Berthold und Leonhard Dürr in Kloster Adelberg, an der Hundsholzer Dorfkirche und am Adelberger Klosterhof in Göppingen angebracht wurden (nrr. 118, 169, 199). Die Göppinger Inschrift ist in elegischen Distichen abgefaßt und dient gleichzeitig als Lobgedicht auf Abt Leonhard.

Im 16. Jahrhundert überwiegen die Bauinschriften aus dem weltlichen Bereich. Hervorzuheben sind eine in deutsche Verse gekleidete Inschrift Graf Ulrichs von Helfenstein am Wiesensteiger Schloß von 1555, in der in ungewöhnlicher Weise Bauverzögerung und unerwartet hohe Kosten zur Sprache kommen (nr. 264 †), sowie die mit einer Wappentafel kombinierte lange Bauinschrift Konrads VII. von Rechberg auf Burg Staufeneck von 1592, in der die Errichtung des Baus zu Ehren der eigenen Familie besonders betont wird (nr. 337).

Anläßlich der Errichtung der Göppinger Stadtkirche 1617–19 ist eine ganze Serie von Bauinschriften im Auftrag Herzog Johann Friedrichs von Württemberg entstanden. Eine in den Grundstein eingelassene Tafel und eine in Stein gehauene Bauinschrift am Westportal der Kirche trugen lateinische Inschriften, die neben dem Bauherrn jeweils auch den Architekten nannten (nrr. 422 †, 424 †), während die Inschrift zur Erinnerung an die Einweihung der Kirche in deutschen Versen abgefaßt ist (nr. 431).

4.5. Wappentafeln in Kur- und Badeorten

Der mittelalterliche Brauch des Adels, auf Reisen an der Herberge sein eigenes Wappen aufzuhängen, um so für alle sichtbar seine Anwesenheit kundzutun135), führte spätestens im 16. Jahrhundert dazu, daß die Gäste – und jetzt durchaus nicht mehr nur Adelige – bei ihrer Abreise dem Wirt ihr Wappen gewissermaßen als „Reiseandenken“ verehrten. Die Wappen wurden offenbar meist erst eigens dazu am Ort von Malern angefertigt136). An beliebten Reisezielen wie den Bad- und Kurorten Göppingen, Jebenhausen und Überkingen scheint es eine regelrechte Massenproduktion solcher Wappentafeln gegeben zu haben137). Die übliche Form war offenbar das rechteckige Holzbrett, bemalt mit Wappen, Namen und Titeln des Gastes sowie meist mit der den Aufenthalt bezeichnenden Jahreszahl. Dazu konnten bildliche Darstellungen und Devisen, gelegentlich auch kürzere Versinschriften kommen. [Druckseite XLIV] Einige repräsentative Exemplare dieser Tafeln, durchweg mit einer Art „Schutzdach“ versehen, haben sich im Göppinger Christophsbad und im Überkinger Badhotel erhalten. Bei weniger aufwendigen Tafeln waren Wappen und Inschrift auf Papier gemalt und auf das Holzbrett aufgeklebt. Die bezeugten Wappentafelstiftungen beginnen im Bearbeitungsgebiet erst 1551.

Zitationshinweis:

DI 41, Göppingen, Einleitung, 4. Die Inschriftenträger (Harald Drös), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012e004.

  1. Zur Terminologie vgl. Seeliger–Zeiss, Grabstein oder Grabplatte 289. »
  2. Eine Frauengrabplatte in Weißenstein von 1493 wies keine Inschrift auf, vgl. nr. 116 † bei Anm. 4. »
  3. Eybach, vgl. nr. 56 Anm. 4. »
  4. Vgl. Bauch 199–201. Einen guten Überblick bieten die zahlreichen Abbildungen bei Kosel, passim. »
  5. Zwei weitere, oben beschnittene Rittergrabmäler dieses Typs in der Dürnauer Pfarrkirche weisen keine Inschrift mehr auf. »
  6. Zweimal vier Ahnenwappen eines Ehepaars bieten die umfangreichste Ahnenprobe (nr. 297). »
  7. Eine Wiederholung des Bildaufbaus mit allen ikonographischen Einzelheiten stellt das in derselben Werkstatt gefertigte Epitaph für Dietrich Speth und Agatha geb. von Neipperg (um 1585) in der kath. Pfarrkirche Zwiefaltendorf (Riedlingen, LKr. Biberach) dar; vgl. Christa, Abb. 5. »
  8. Vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis) nrr. 167, 228, 229, 256, 267»
  9. Bevorzugte Themen sind die Kreuzigung und die Auferstehung Christi; außerdem verschiedene Passionsszenen sowie die Auferweckung des Lazarus und das Totenfeld nach der Vision des Ezechiel. Eher ungewöhnlich sind dagegen die Motive der Beschneidung Christi (nr. 352) und der Enthauptung Johannis des Täufers (nr. 402 †). »
  10. Vgl. aber das nur kopial überlieferte Epitaph nr. 478 † (1639). »
  11. Vgl. Pilz 67 Abb. 3. »
  12. Frühe Beispiele im Ulmer Münster ab den 60er Jahren des 14. Jahrhunderts, vgl. Bach, Grabdenkmale 138ff. »
  13. Für Nürnberg vgl. Pilz 83. »
  14. Vgl. den nur wenig größeren runden auf die Wand aufgemalten „Totenschild“ eines Vol von Wildenau mit – fast völlig vergangener – Umschrift in gotischer Majuskel in der ev. Pfarrkirche zu Leonberg (LKr. Böblingen). »
  15. Das relativ häufige Fehlen von domini in kopial überlieferten Inschriften dürfte der Ungenauigkeit der Abschriften anzulasten sein. Bei erhaltenen Inschriften aus der Zeit vor 1600 steht bloßes Anno nur fünfmal: nrr. 205 (1518), 285 (1568), 294 (1575), 300 (1577), 338 (1593). »
  16. Noch nach dem römischen Kalender sind die frühen Bau- und Weiheinschriften nrr. 2 und 4 † sowie die Malersignatur nr. 20 † (1363) datiert. »
  17. Noch später als im benachbarten Rems-Murr-Kreis, vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis), Einl. XXI: 1471. »
  18. Nrr. 133 † (1495), 142 (1499), 205 (1518), 220 † (1526). »
  19. Nrr. 352 (1597), 357 (1599), 371 † (1603), 374 † (1604), 379 (1606) u. ö. Ein vereinzeltes frühes Beispiel schon 1499 (nr. 142). »
  20. Zum Eindringen des Deutschen in die Inschriften allgemein vgl. Kloos, Einführung 41; Renate Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache in Bau- und Künstlerinschriften, in: Deutsche Inschriften 1984, 62–81; dies., Frühe deutschsprachige Inschriften, in: Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500. Regensburger Colloquium 1988, hg. v. Nikolaus Henkel u. Nigel F. Palmer, Tübingen 1992, 178–198; Nikolaus Henkel, Die Stellung der Inschriften des deutschen Sprachraums in der Entwicklung volkssprachlicher Schriftlichkeit, in: Vom Quellenwert 161–187; Christine Wulf, Versuch einer Typologie der deutschsprachigen Inschriften, in: Epigraphik 1988, 127–137. »
  21. Vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis), Einl. XXXII»
  22. Inschrift nr. 34 † (1409?) kann außer Betracht bleiben; sie ist nach ihrem schon ausführlichen Formular vermutlich 100 Jahre später einzureihen. »
  23. Die geringe Zahl der erhaltenen lateinischen Inschriften ist sicherlich unter anderem mit der ungünstigen Überlieferungslage für die Grabmäler in den Klöstern und Stiften zu erklären. »
  24. Nr. 84 (1466) und nr. 221 † (1527): ist gestorben»
  25. Fato suo functus (nr. 298); pie defuncto (nr. 311 †); in domino defunctus (nr. 454). »
  26. Aus dieser Welt mein Urlaub nahm (nr. 311 †); vom Tod gfällt (nr. 331). »
  27. Vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis), Einl. XXXIII»
  28. Über die verschiedenen ausführlichen Fürbittformeln orientiert das Register 6, Wortfeld „Fürbitte, Bitte um Fürbitte“. »
  29. Vgl. dazu DI 38 (Bergstraße), Einl. XXX»
  30. Nrr. 285, 297, 299, 330, 335, 336, 395, 408 (letzteres kombiniert mit dessen Seele der allmechtig Gnedig). »
  31. 1466 Junker (nr. 84). »
  32. Im späten 16. Jahrhundert folgen die gefreiten Herren von Rechberg diesem Beispiel: nrr. 335, 343, 370, 378 †, 408»
  33. Die Epitheta reverendus et clarissimus vir eines ev. Abts von Adelberg (nr. 454) stehen in der Tradition der Anreden für katholische geistliche Dignitäre. »
  34. 1590 in Versform: bis septem et annum lustra clausit exitu vitae beato leniter (nr. 332). »
  35. Nrr. 357, 372, 381. 1608 die eigenartige Formulierung eines halben viertel Jahrs alt (nr. 390 †). »
  36. Nr. 372 (1603), 403, 420»
  37. Nachweise ab 1477 (nr. 99). Lediglich 1500 (nr. 167) zusätzlich zur Standesangabe sacerdos die Funktionsbezeichnung als capellanus pauperum »
  38. Grabmal für die Frau des Pflegers, nr. 104»
  39. Fünf Belege: nrr. 332, 373, 402, 406, 432»
  40. Vgl. grundsätzlich Heinrich Otte, Glockenkunde, Leipzig 21884; Karl Walter, Glockenkunde, Regensburg Rom 1913. »
  41. Vgl. im angrenzenden Rems-Murr-Kreis die beiden Glocken aus Beutelsbach und Kaisersbach-Gebenweiler: D1 37 (Rems-Murr-Kreis) nrr. 5, 8»
  42. Vielleicht auch nrr. 49 †, 124 †. »
  43. Zu Eger vgl. Dt. Glockenatlas WürttHohenzollern 22–24 »
  44. Vgl. ebd. 24. »
  45. Ebd. 28–30. »
  46. Die Herkunftsbezeichnung lautet auf den Glocken nach 1500 meist zu esslingen»
  47. Vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis), Einl. XXXVIII. Zu Lachaman vgl. Dt. Glockenatlas WürttHohenzollern 31–33. »
  48. Der früheste Hinweis auf die Stifter von Glocken findet sich im Bearbeitungsgebiet auf einer Eybacher Glocke von 1483 mit dem Wappen der Degenfeldschen Ortsherrschaft. »
  49. Vgl. unten S. LXIII. »
  50. Vgl. die übersichtliche Zusammenstellung bei Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen. »
  51. Besonders zahlreich in den Marienleben- und Passionszyklen in der Krummwäldener Kirche (nr. 172). »
  52. Vgl. die bildlichen Darstellungen der während des Konstanzer Konzils an den Wirtshäusern und Quartieren angebrachten Wappenschilde in Ulrich Richentals Konstanzer Konzilschronik: Ulrich Richental, Das Konzil zu Konstanz. Faksimile und Kommentarband, hg. v. Otto Feger, Starnberg Konstanz 1964 (Facsimile der Handschrift 1 des Konstanzer Rosgartenmuseums). Zu dem Phänomen der Verewigungen von Adeligen auf Reisen allgemein vgl. demnächst die noch ungedruckte Kieler Diss. von Detlev Kraack, Monumentale Zeugnisse der spätmittelalterlichen Adelsreise. Inschriften und Graffiti des 14.–16. Jahrhunderts, die mir noch nicht zur Verfügung stand. »
  53. Der Brauch scheint sich vornehmlich im südwestdeutschen und lothringischen Raum und in der Nordschweiz durchgesetzt zu haben. So ließ Michel de Montaigne auf seiner Badereise 1580/81 in Plombières-les-Bains (Hzm. Lothringen), „da es Landessitte ist, ... der Wirtin einen Holzschild mit seinem Wappen zurück, das ein Maler im Ort für einen Taler malte, und die Wirtin hängte es sorgfältig außen an der Mauer auf“: Michel de Montaigne, Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland in den Jahren 1580 und 1581, hg. u. aus dem Französischen übertragen v. Otto Flake, Frankfurt am Main 1988, 22. Auch in Baden im Aargau waren im Badhaus „die Wände in den Wohnungen ... ganz mit Wappenschildern der Edelleute, die dort logiert haben, behangen“; vgl. ebd. 33. »
  54. Vgl. Fleischhauer, Renaissance 184f. sowie die große Zahl der aus dem Oberen und Unteren Bad in Liebenzell (LKr. Calw) überlieferten Wappentafeln, die 1506 bzw. 1512 einsetzen: DI 30 (Calw) nrr. 371 †, 372 †. Nach Montaignes Zeugnis (wie Anm. 136, 59) gab es in Deutschland „in allen Gasthäusern (Wappen) von den durchziehenden Edelleuten schockweise an den Wänden zurückgelassen, auch alle Scheiben (waren) damit versehen“. Ein ähnliches Betätigungsfeld für Maler war die Anfertigung von Votivtafeln an Wallfahrtsorten, vgl. etwa die zahlreichen Tafeln des 16. und 17. Jahrhunderts an der Heiligen Kapelle in Altötting. »