Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 212† Hirsau, Kloster St. Peter und Paul 1530–34

Beschreibung

Die heute zerstörte Kirche des Klosters Hirsau wurde unter Abt Johannes Schultheiß (1524–56) neu mit Wandgemälden ausgestattet, deren Beschreibung in der Handschrift des Abtes Parsimonius erhalten geblieben ist. Die Inschriften können hier nicht wiedergegeben werden, die Angaben beschränken sich auf eine Beschreibung der Bildinhalte.

Abschrifft der gemalten personen und historien in der kirchen zu hirsaw im Kloster

I. Biblische Personen und historien aus dem alten Testament in welchen sonderlich das geschlecht und die Vorelteren Christi von Adam bis auff die vermehlung Mariae gemalet fur die augenn gestellet werden.

II. Die gantze historia von Jesu Christo, Gottes und Mariae Son, aus den 4 Evangelisten im neuen Testame(n)t, vom Teuffer Johannes, als vom Vorleüffer Christi an, bis zur Himelfart Christi.

III. Verzeichnis aller Keiser, König und Regenten in den 4 fürnemsten Monarchien diser Welt, von Nimroth an, dem ersten Monarcha, bis vff Carolum V. den Römischen Keiser, wie sie in der Hirsawischen Kirchen gemalet stehen.

IIII. Verzeichnis der Sibyllen, so in der Hirsawischen Kirchen gemalet stehen.

VII. Verzeichnis des Himelreichs vnnd ewigen lebens, wie es im Innern Chor der Hirsawischen Kirchen, nach Vnderscheid der Heiligen vnd Auserwelten Gottes, gemalet vnd geschriben stehet

    Kommentar

    Die seinerzeit vielfach gerühmte Ausmalung der Hirsauer Kirche läßt sich einzig durch die dem Text folgende Beschreibung in der Handschrift des Parsimonius noch rekonstruieren. Ihre Entstehungszeit ist zeitlich einzugrenzen. Parsimonius berichtet in seiner Abtsreihe et sub illo (Abt Johannes Schultheiß) pictura huius templi incepta et finita est1. Die Regentenreihe (III) geht bis zu Kaiser Karl V., der 1519 zum Kaiser gewählt wurde. Damit ist ein Terminus post quem für die Entstehung der Ausmalung gegeben. Den Terminus ante muß man mit 1534 ansetzen2.

    Die Verteilung der Gemälde läßt sich hypothetisch rekonstruieren: für die Gestalten des Alten Testaments und den Stammbaum Christi (I) dürften die Seitenschiffe des Langhauses in Frage kommen, sie trugen lediglich aufzählende Beischriften. Für das Verzeichnis der Regenten (III, jedoch nicht – wie häufig angenommen wird – ohne Bilder) der Obergaden des Langhauses mit Beischriften und den Daten der Regierungsjahre3. Die insgesamt 134 Szenen des neuen Testaments (II), jeweils von einem deutschen Zweizeiler und der Paraphrase eines Bibeltextes begleitet, müssen im Querhaus gemalt gewesen sein, Himmelreichdarstellung und die Sibyllen (IV bzw. VII) im Chor, wiederum mit Angabe von Bibelzitaten4. Die biblischen Darstellungen und die sie erklärenden Bibelstellen, die Parsimonius angibt, verweisen auf Luthers September-Testament von 1522 als Quelle. Für die Darstellung der 134 Szenen des Neuen Testaments und die sie begleitenden Zweizeiler gibt es aber zusätzlich eine bisher kaum beachtete Parallele: die Zweizeiler entsprechen wörtlich bis zur Graphie den erhaltenen zweizeiligen Beischriften des sog. Gothaer Altars, für den Fleischhauer die Zuschreibung an Heinrich Füllmaurer unter Beratung von Caspar Gräter im benachbarten Herrenberg wahrscheinlich gemacht hat5.

    Die in Gotha nicht vollständig erhaltenen ‚Merkverse‘ (Faix) lassen sich daher für die entsprechenden Szenen aus der Hirsauer handschriftlichen Überlieferung ergänzen. Nun ist aber evident, daß solche Übereinstimmung kaum zufällig sein kann, zumal für Füllmaurer gerade in den Jahren von 1531–34 keine größere Arbeit nachweisbar ist, obwohl er sich in Herrenberg aufhielt6. Kirchenausmalungen hat Füllmaurer nachweislich übernommen.

    Eine Konkordanz belegt einsichtig die nahe Verwandtschaft der Hirsauer Kirchenausmalung mit dem Gothaer bzw. dem Mömpelgarder Altar, dabei zeigt der letzte Teil der Bilderfolgen deutlich größere Varianten als der erste Teil; die stärkeren Verschiebungen der Bildfolgen untereinander betreffen auch die Altäre von Gotha bzw. Wien in ihrem Verhältnis zueinander. Die Ursache liegt mit darin begründet, daß der Gothaer Altar einige größere Bildfelder hat, vor allem eine überdimensionale Kreuzigungsdarstellung, die im Mömpelgarder Altar (jetzt in Wien) und in der Hirsauer Kirchenausmalung fehlen; außerdem waren die gegen Ende der Szenenfolge sich häufenden Lehrworte und Prophezeiungen vielfach schwerer in Bilder zu fassen als die Gleichnisse. Abgesehen davon aber erweist die Konkordanz eindeutig die Zusammengehörigkeit der 3 Bildfolgen bzw. ihre gegenseitige Abhängigkeit, die sich auch bei einem genauen Vergleich der benutzten bzw. der paraphrasierten Bibelzitate deutlich ergibt. Die Zahl der Einzelszenen ist mit 162 beim Gothaer bzw. 157 beim Mömpelgarder Altar etwas höher; die Einzeltafeln haben eine Größe von 27:40 cm.

    Man wird sich also die Ausmalung des Querhauses der Kirche durchaus in einer ähnlichen Reihung kleiner Bildfelder vorstellen können wie bei den erhaltenen Altären. Dabei muß keineswegs eine genaue Übereinstimmung der Bilderfolge angenommen werden, zumal Füllmaurer beim Gothaer bzw. Mömpelgarder Altar die einzelnen Szenen durchaus variiert hat.

    Für die Chorausmalung mit dem Gemälde des Himmelreichs (VII), die durch eine Skizze (p. 52) anschaulich gemacht wird, läßt sich mit einiger Sicherheit Dürers Allerheiligen-Altar (1511) als Vorbild annehmen7.

    Gegen diese Überlegung könnte lediglich der Einwand geltend gemacht werden, daß Abt Johannes Schultheiß als katholischer Abt des Klosters die Kirche nicht mit Gemälden biblischen Inhalts ausmalen lassen konnte, die sich an einer Ausgabe der Luther-Bibel orientierten. Die Hirsauer Gemäldebeschriftungen unterscheiden sich aber in einem sehr wesentlichen Punkt von den Altären: die Beischriften sind nicht – wie in Gotha bzw. beim Mömpelgarder Altar – wörtliche Zitate, sondern es sind Paraphrasen der jeweiligen Bibelstellen. Wenn die Zuschreibung an Füllmaurer bzw. seine Herrenberger Werkstatt und die Entstehungszeit 1530–34 richtig ist, ist eine Paraphrasierung einleuchtend, weil sie sehr viel weniger Anstoß erregen konnte, als ein im Wortlaut zitierter Text der Lutherbibel. Angesichts der 1531 keineswegs völlig eindeutig fixierten Fronten zwischen den Konfessionen, konnte eine monumentale ‚Bilderbibel‘ sehr wohl Vorlagen übernehmen, die dem didaktischen Zweck der Bilder – Veranschaulichung von Heilstatsachen – adäquat waren, wenn sie nicht im Wortlaut den Text der Bibelstellen zitierte8. Zudem ist die Stellung des Abtes Schultheiß nicht eindeutig; gewiß widersetzte er sich der offiziellen Auflösung des Klosters, aber seine religiöse Überzeugung war offenbar sehr stark von Toleranz geprägt9. Eine Restaurierung, für die 1571 Abt Parsimonius von Herzog Ludwig Mittel erbeten hatte, im Sinne einer ‚Reinigung‘ von altgläubigen Beischriften auszulegen10, scheint nach dem Wortlaut des Briefes ausgeschlossen, zumal er in seinen Notabilia alle bemerkenswerten Baumaßnahmen bzw. Renovierungen verzeichnet hat11. In dem Brief an Herzog Ludwig ist in keiner Weise davon die Rede. Es heißt da: ‚Vnd sintemal das große biblisch gemeld in vnser kirchen an den wenden vom tachtrauff vorlengst an ettlich orten verderbt … wäre mein vnderthenigst bitten vnd beger … daß solch abgangen gemeld widerum ernewert vnd gebessert würde. Denn eure fürstliche Gnaden hatt sich gnediglich zu erinnern, daß dies gemeld in vnser Kirchen so ein schön artliche pictur ist, dergleichen im gantzen teutschland oder schier in Europa keines zu finden, davon allenthalben gesagt vnd von meniglich hohen vnd nidern standt gerümbt, auch von fernen wegen her besucht wird12. Die rühmende Erwähnung im Epitaphium des Abtes Schultheiß († 1556, vgl. nr. 237) ist zudem schwer mit einer etwa ‚anstößigen‘ Kirchenausmalung zu verbinden, zumal Parsimonius Hirsau nicht erst seit seinem Amtsantritt 1569 kannte, sondern bereits 1542/43 als Tübinger Student – vor seiner Wittenberger Studienzeit – mit der Universität Tübingen vor der Pest im Kloster Zuflucht gefunden hatte. Er dürfte die Kirchenausmalung damals gleich nach der Fertigstellung gesehen und auch in ihrer Bedeutung erkannt haben. Schließlich hätte sie kaum vom Erlaß über das ‚Abtun der Bilder‘ verschont bleiben können, wenn durch Darstellung oder Beischriften Anlaß zu Ärgernis gegeben gewesen wäre. Das war aber offensichtlich nicht der Fall, vielmehr war die Ausmalung der Hirsauer Klosterkirche insgesamt vielfach Gegenstand der Bewunderung und sogar der Nachahmung13.

    Anmerkungen

    1. Parsimonius fol. 95.
    2. Fleischhauer, Renaissance S. 172 Anm. 116. – Steck, Hirsau S. 318 (nach Crusius, hs. Tagebuch): Das Gemälde in der Kirche zu Hirschau ist bei königlicher Regierung zur Zeit des großen Reichstags, anno 1530 gehalten, unter Abt Johann Schultheiß angefangen und unter gemeldetem Abt anno 1534, als Herzog Ulrich wieder in sein Erbland kommen, vollendet worden.
    3. So Lieske (wie Anm. 7) S. 78. Vgl. auch Weizsäcker, Baugeschichte S. 24f.
    4. Vgl. G. Schmoller, Ein Besuch in Hirsau und Liebenzell vor 300 Jahren, in: Aus dem Schwarzwald I S. 72f.
    5. Fleischhauer, Renaissance S. 156–157. – Zuletzt Herbert von Hintzenstern, Der Mömpelgarder und der Gothaer Altar, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 87 (1987) S. 141–152 und Gerhard Faix, Heinrich Füllmaurer, Maler zu Herrenberg, in: ebd. S. 153–173 (Lit.). Wiedergabe der deutschen Verse vollständig bei Steck, Hirsau S. 320–322.
    6. Faix (wie Anm. 5) S. 156.
    7. Kramer, Parsimonius S. 339ff.; Weizsäcker, Neue Studien S. 27. Grundsätzliches zur ‚Bildfrömmigkeit‘ bei Fleischhauer, Renaissance S. 17ff. und Lieske, protestantische Frömmigkeit S. 78f. – Lieske macht Priorität für die Altäre geltend, weil die Zahl der Bilder in der Hirsauer Kirchenausmalung geringer sei; das allein scheint mir – zumal bei den Altären auch keine gleichlaufende Anordung eingehalten ist – nicht ausschlaggebend, zumal die Bezeugung der Entstehungszeit und die Paraphrasierung der Bilder statt wörtlicher Zitate bei Lieske unberücksichtigt bleiben.
    8. Belege bei Lieske (wie Anm. 7) passim.
    9. Die eher vermittelnde Haltung des Abtes Johannes Schultheiß in religiösen Fragen läß sich belegen: er setzte seinem Stiefvater Heinrich Winkelhofer († 1527), österreichischer Kanzler während des Exils von Herzog Ulrich, ein Epitaph in der Kirche (vgl. nr. 202), aber nach Pfeilsticker 2889 wäre Abt Johannes Schultheiß verheiratet gewesen (als Ehefrau wird eine Schwester des Wilhelm Benslin aus Tübingen angegeben).
    10. So Fleischhauer, Renaissance S. 172.
    11. Parsimonius fol. 131r.
    12. Vgl. dazu den vollständigen Text Regest nr. 54 bei Neumüllers-Klauser, Quellen zur Bau- und Kunstgeschichte (Brief des Abtes Parsimonius an Herzog Ludwig 1571 Apr. 24).
    13. Vgl. dazu Martin Crusius (wie Anm. 4). Im Jahr 1585 schickte Herzog Georg Friedrich von Preußen seinen Hofmaler Thomas Bittrer aus Ansbach nach Hirsau, um dort die Kirche abmalen zu lassen: Hermann Ehrenberg, Die Kunst am Hof der Herzöge von Preußen. Leipzig und Berlin 1899, S. 90, 215f. nr. 622 (Briefe und Urkunden); vgl. auch Fleischhauer, Renaissance S. 172.

    Nachweise

    1. Parsimonius fol. 2v–68r.

    Zitierhinweis:
    DI 30, Landkreis Calw, Nr. 212† (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0021206.