Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 179 Hirsau, Marienkapelle 1508 (?)

Beschreibung

Bauinschrift an der Nordwand des Langhauses. Eingeritzter Rahmen, wie die Schrift schwarz nachgezogen. Der rote Sandstein überstrichen, Inschrift in 4 Zeilen eingehauen.

Maße: H. 36, B. 73, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. An(no) · do(mi)ni · 1508 · sub · R(everen)do · p(at)re Joh(ann)e abb(a)te 5 k(a)l(endas) Julij iacta su(n)t hui(us) templj fu(n)dame(n)ta M(a)g(ist)ri / Martini ex vrach Latomi op(er)a

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1508 unter dem ehrwürdigen Vater, dem Abt Johannes, wurde an den 5. Kalenden des Juli (Juni 27) das Fundament dieses Tempels gelegt, ein Werk des Steinmetzen Meister Martin von Urach.

Kommentar

Die Inschrift in sehr wenig repräsentativer Ausführung fällt aus dem Kanon zeitgenössischer Minuskelschriften in Hirsau (und im weiteren Bearbeitungsgebiet) heraus; ungewöhnliche Kürzungen (an, do), fehlende Hastenbrechungen und Buchstabenverbindungen (te, ct, ti, ch) lassen sie eher als epigraphische Kursive erscheinen. Die Nacharbeitung der Buchstaben kann zusätzlich verfälschend gewirkt haben. In den handschriftlichen Überlieferungen bei Parsimonius und Rainolt ist der Wortlaut nicht erwähnt, als erster überliefert ihn Christmann 17821. Mit den historischen Quellen und mit der Weiheinschrift von 1516 stimmt das Datum des Baubeginns 1508 nicht überein. Nach den Annalen des Trithemius wurde der Bau 1511 begonnen, nach der Weiheinschrift 1509.

Eine plausible Erklärung für die offenbar flüchtig in der Art einer Notitia eingemeißelten und eine anderen Angaben widersprechende Datierung der Grundsteinlegung mit Nennung des Baumeisters2 sowie für die fehlende Überlieferung in den Handschriften könnte nur durch baugeschichtliche Fakten untermauert werden3. Wenn der Quader – was bei Grundsteinlegungsinschriften nicht selten ist4 – unzugänglich oder sogar unsichtbar (Schriftfläche nach innen) in das Mauerwerk eingebracht wurde, war die Dokumentation des Baubeginns gesichert; unabhängig davon und sehr viel repräsentativer bezeugte man 1516 die Weihe (nr. 184). Der bei späteren Reparaturen am Bau aufgefundene Quader könnte dann in den Mauerverband der Nordwand eingesetzt worden sein. Für diese Überlegung spricht, daß das Meisterzeichen des Martin von Urach nicht – wie man erwarten sollte – bei der Inschrift steht, sondern am Südportal5; möglicherweise war der Quader ursprünglich in dessen Nähe angebracht. Der in der Inschrift genannte Abt Johannes war Johannes Hannßmann aus Calw (1503–1524, vgl. nr. 194).

Anmerkungen

  1. Christmann, Hirsau S. 244.
  2. Über Martin von Urach vgl. Klemm 1882 S. 110.
  3. Vgl. dazu Anneliese Seeliger-Zeiss, Studien zur Architektur der Spätgotik in Hirsau, S. 347. – Neumüllers-Klauser, Quellen zur Bau- und Kunstgeschichte, Regest nr. 143.
  4. RDK II (1948) Sp. 41ff. (s. verbo ‚Bauinschrift‘).
  5. Stz. nr. 3.

Nachweise

  1. Christmann, Hirsau S. 244.
  2. Steck S. 323.
  3. Klemm (wie Anm. 2) 110.
  4. Paulus, Schwarzwaldkreis S. 60.
  5. OAB Calw S. 228.

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 179 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0017903.