Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 142 Hirsau, St. Peter und Paul, Kreuzgang 1491ff.

Beschreibung

Glasgemälde im 1474–1495 erbauten spätgotischen Kreuzgang des Klosters und in der zugehörigen Brunnenkapelle. Alle 39 Fenster des Kreuzgangs waren mit 3bahnigen, 3zeiligen Fenstern verglast, deren Bildprogramm sich an die Blockbuchausgabe der Armenbibel anlehnt1. Die Übernahme erstreckt sich auch auf alle Beischriften und Zitate der Armenbibel, auf deren Ausgaben hier verwiesen werden kann2. Die Verglasungen des Ost-, Süd- und Westflügels müssen vor 1503 (Tod des Abtes Blasisus Schölltrub, der die Verglasung in Auftrag gab) fertiggestellt gewesen sein. Überliefert sind die Beschriftungen der Fenster in den Handschriften von Parsimonius und Rainolt aus den Jahren 1579 bzw. 16313; beide unterscheiden sich in ihrer Kopie voneinander insofern, als die erste des Abtes Johannes Parsimonius ganz deutlich nicht vor den Fenstern selbst aufgenommen wurde, sondern entweder aus einem Exemplar des Blockbuches oder aus der Entwurfsskizze zu den Fenstergemälden übernommen wurde. In dieser Abschrift sind 40 Gemälde verzeichnet; das 40. Fenster wurde aber nie ausgeführt, weil der Kreuzgang der Bauanlage nach nur über 39 Fensteröffnungen verfügte. Die zweite Abschrift trägt dem Rechnung; sie verzeichnet auch das abweichend von der Vorlage ausgeführte Fenster im Nordflügel, das in der 4. Bahn eine Darstellung der Trinität zeigte, dazu die Stifterfigur des Abtes Johannes Schultheiß (1524–1556) mit seinem Wappen, der Datierung 1534 und der Anrufung O Jesu fili Dei miserere mei4. Die Zuordnung der Stifterdarstellung ist nicht einwandfrei geklärt. Eine Notiz von Rainolt besagt, daß Abt Johannes Schultheiß die Fenster des Nordflügels habe verglasen lassen5. Datierungen auf 1533 zeigen auch die Fenster XV und XVII, sie könnten auf Reparaturen nach Zerstörungen im Bauernkrieg bezogen werden. Andererseits ist eine Stifterfigur mit dem Bezug lediglich auf Reparaturen höchst ungewöhnlich und für den Nordflügel ist zudem keine sichere Nachricht über den Zeitpunkt der Bildverglasung zu gewinnen. Da aus den 9 Fenstern dieses Kreuzgangsflügels keine Scheibenreste erhalten sind, lassen sich über eine stilistische Zuweisung keine festen Daten ermitteln.

Bruchstücke von Scheiben mit Schriftresten, vor allem aus Fenster X, XI, XVI, XVII, XIV, XXVI, XXX und XXXII haben sich im Klostermuseum Hirsau erhalten6, Bildscheiben ohne Schrift im Württembergischen Landesmuseum und in Schloß Altshausen. Die Zerstörung Hirsaus im Jahr 1692 durch die Truppen Mélacs dürfte die Farbverglasung noch nicht total vernichtet haben, zumal dagegen die erhaltenen 7 Glasgemälde aus Bildfenstern des Kreuzgangs bzw. der Allerheiligenkapelle sprechen. Erst der Verfall der Klosteranlagen im 18. Jahrhundert zerstörte den Bestand völlig.

Schriftart(en): Beschriftungen in gotischer Minuskel.

© Corpus Vitrearum Medii Aevi, Freiburg [1/1]

  1. Fenster X [Cristum tem]ptavit sathanas ut [eum superaret] 
    Fenster XI [Per te fit criste redi]viv(us) lazarus iste 
    Fenster XVI [Turba malignatur fratrum puer et] nominatur 
    Fenster XVII [Te sign]at cristum [iuvenis venundatus iste] 
    Fenster XXIV Legitur in Genesi [XXII cap.7 Quod cum Abraham et Isaac filius eius pergerent simul Abraham portavit ignem et gladium Isaac ultro portaba]t ligna per [que oboediens] Isaac qui [lignum portavit cristum signat qui lignum crucis in quo pro nobis immolari voluit in suo corpore portavit] 
    Fenster XXVI Legitur in Genesi II [cap.8 Quod cum Adam] obdormisset dominus [de latere eius costam tulit] et formavit de ea muli[erem. Adam iste dormiens] cristum iam in cruce mortu[um signat de cuius latere] pro nobis fluxere sacra[menta cum miles lan]cea sua latus cristi ap(er)uit s[anguinisque et aqua effluxit] 
    Fenster XXX [Legitur in lib Salomonis Canticoru]m III. cap.9. Quod [sponsa solicite quesivit dilectum suum et ait,] quesivi quem [diligit anima mea et non inve]ni illum hec sponsa [gerit figuram sancte mar]ie magdalene que [suum dilectum id est crist]um quesivit in [tumulo et postea in horto invenit] 
    Fenster XXXII [Quod vexit pridem blanditur fra]tribus idem 

Kommentar

Die 5 Fenster der Brunnenkapelle am Südflügel des Kreuzgangs waren zwei- bzw. dreibahnig und dreizeilig; sie zeigten zwölf Darstellungen (alt- und neutestamentliche Szenen), die alle mit dem Thema Wasser in Verbindung zu bringen sind. Als Beischriften könnten die zugehörigen Bibelsprüche zu verstehen sein, die Parsimonius im Anschluß an die Beschreibung der Bildinhalte zitiert; letzte Sicherheit ist nicht zu gewinnen, da er nicht – wie bei den Kreuzgangfenstern – den Wortlaut wiedergibt10.

Die chronologische Einreihung der Kreuzgangsverglasung folgt hier den begründeten Ausführungen in der Edition des CVMA. Die in zeitgenössischen Quellen erwähnten Spätdatierungen beruhen auf einer irrigen Zitatauslegung durch Crusius11; er schreibt die Verglasung Abt Johannes Hannßmann zu und nimmt ein auf das Sommerrefektorium bezügliches Zitat für den Kreuzgang in Anspruch (vgl. nr. 191). Bemerkenswert ist dabei die Parallele, die Crusius zwischen dem angeblichen Beginn der Kreuzgangverglasung und der Einführung der Reformation sieht, die er mit den Worten beschließt ‚de hac tertia monasterij Hirsaugiani fundatione, hactenus‘12. Offenbar sah er das Kloster einer neuen Blütezeit entgegengehen.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu die ausführliche Dokumentation von Rüdiger Becksmann und Fritz Herz in CVMA Deutschland, I 2, S. 77–97, 375–396, Taf. 32–35; die im Anhang S. 203–225 aus der Parsimonius-Handschrift wiedergegebene Transkription wurde dank des Entgegenkommens der Herausgeber des CVMA aus dem Band entnommen. Sie ist für die Textgestaltung der Fragmente erhaltener Scheiben generell heranzuziehen. Eine Gegenüberstellung der Holzschnitte der Biblia Pauperum und der Nachzeichnungen des Abtes Johannes Parsimonius in seinen Collectaneen bringt Kramer, Parsimonius S. 369–449.
  2. H. T. Musper, Die Urausgaben der holländischen Apokalypse und Biblia pauperum, München 1961.
  3. Vgl. dazu die Einleitung S. XXIIIf.
  4. Vgl. Lc. 18, 38.
  5. Dazu Neumüllers-Klauser, Quellen zur Kunst- und Baugeschichte, Regesten nrr. 100–111; CVMA Deutschland, I 2, S. 82.
  6. Vgl. CVMA Deutschland (wie Anm. 1) Taf. VIIIc und S. 89f.
  7. Nach Gen. 22, 2.
  8. Nach Gen. 2, 21.
  9. Nach Cant. 3, 2.
  10. Parsimonius fol. 189–193. – CVMA Deutschland (wie Anm. 1) S. 88, S. 396. – Kramer, Parsimonius S. 450f.
  11. Vgl. Neumüllers-Klauser, Quellen zur Kunst- und Baugeschichte (wie Anm. 5), Regest Nr. 109.
  12. Martin Crusius, Oration de vetustissimo Wirtembergensis Ducatus oppido Calvae. Tübingen 1595, S. 24.

Nachweise

  1. CVMA Deutschland (wie Anm. 1) mit ausführlicher stilistischer Einordnung (Lit.).
  2. Kramer, Parsimonius (wie Anm. 1).

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 142 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0014209.