Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 141† Hirsau, Klosterkirche St. Peter und Paul um 1490?

Beschreibung

Stiftungsinschriften für die Klöster von St. Aurelius und St. Peter und Paul. Der Wortlaut wird von Parsimonius im Rahmen seiner Beschreibung der Kirchenausmalung überliefert (vgl. nr. 212); dabei läßt sich nicht mit Gewißheit sagen, ob diese ‚fundationsschriften‘ von einem oder auch zwei Bildern begleitet waren (Wandgemälde?) oder ob es sich um einen Tafelaltar mit deutschen Stiftungsinschriften handelte. Die Textfassung bei Hieronymus Rainolt ist gleichlautend, er betont die Überlieferung in der Volkssprache (‚Descriptio fundationum utriusque monasterii Hirsaugiensis veteris et novi populari lingua in novo templo extra chorum extans‘)1.

Wortlaut nach Parsimonius.

  1. A

    Anno D(omi)ni 830 hatt der wolgeborn Herr Erlafridus Graff zu Calwa vnd der hochwirdig Herr Notingus sein Son ein Bischoff zu Vercell, Gott dem allmechtigen zu lob vnd ehr, vnd den lieben Heiligen Petro, Paulo, Aurelio vnd Benedicto, ihr hab vnd gut übergeben, darvon lassen ein kloster bawen auff ir Aigenthvmb vnd boden der genant ist der Hirschplan an der Nagolt gelegen, diß man noch auff disen tag da jensit sieht vnd in baw ist, darinn gewont haben vnd in der gehorsam gelebt bej 300, darunder vil heiliger gelerter personen, die über die heiligen geschrift sententioniert haben, darzu 8 personen auß disen zu Bischoffen erwölt worden, nemlich Gebehardus und Reginboldus, beid Bischoff zu Speir, Bernwardus ein Bischoff zu Würtzburg, Gebehardus ein Bischoff zu Costentz, Diemo ein Ertzbischoff zu Saltzburg, Sigismundus ein Bischoff zu Halberstatt, Theogerus ein Bischoff zu Metz, Egwardus ein Bischoff zu Schlesien. Es hat auch dasselbig Kloster der Bapst Leo der 9. nachgehends Anno 1049 aigner person wider reconciliert, vnd mit grossen freiheiten begabt.

  2. B

    Anno Domini 1083 hat sich zugetragen, daß die berg in disem thal als wasserig vnd feucht send worden, daß die personen, so im ersten vnd alten Kloster in der gehorsam gelebt, vor wasser vnd feuchte nicht mehr haben mögen bleiben. Da hatt der heilig Wilhelmus, dann zumal ein Abbt, der auch hie begraben ligt, gebetten den wolgebornen Graffen Adelbertum vnd sein Haußfraw von Calw, vmb rath, steur vnd hilff: angezeigt den mangel, darinn sie nicht lenger bleiben köndten. Da hatt in Adelbertus der Graff erhört, vnd im mittgetheilt, daß er diß gegenwertig new Kloster angefängt vnd in 9. Jaren gantz vollbracht vnd außgebawen hatt: Darzu diß Closter wider mitt 300 personen ersetzt, die Gott dem Herren täglich in aller andacht vnnd gehorsam gedient haben. Solchs hatt der hochloblich vnd fromm Keiser Heinrich der 4. vernomen, sich diser gnaden theilhafftig zu machen begert, diß Closter heimgesuocht, dem frommen Wilhelmo vnd allen seinen nachkomen groß freiheit geben, darzu all sein vorgehend freiheit befestiget vnd bestetiget, dem Gott gnedig vnd barmhertzig sey.

Kommentar

Der Text schließt sich weitgehend an die überlieferte Gründungsgeschichte an2; allerdings verschweigt er den Neubau des Aureliusklosters (seit 1059) und die Berufung von Mönchen aus Kloster Einsiedeln, betont vielmehr sofort die Berufung von Abt Wilhelm aus Regensburg und die Verleihung des Freiheitsprivilegs durch Kaiser Heinrich IV.3 Die Begründung des Neubaus mit dem ungeeigneten Ort der ersten Ansiedlung ist nahezu ein Topos bei den zahlreichen Klosterverlegungen des Mittelalters. Für die Quelle ist vor allem für die Aufzählung der von Hirsau ausgegangenen Bischöfe in Inschrift A der Codex Hirsaugiensis in Anspruch zu nehmen, der auf fol. 17 die ‚Nomina episcoporum‘ verzeichnet, die zwar in der Reihenfolge differieren, aber im Codex nahezu identisch verzeichnet stehen; lediglich Egwardus ein Bischoff zu Schlesien muß aus anderer Überlieferung in den Text gelangt sein. Trithemius hat in die Annales Hirsaugienses vermutlich aus der gleichen Quelle seine Namensliste übernommen4. – Als selbständiger Fundationsbericht (Wandmalerei?) ist diese Textfassung schwer denkbar. Vermutlich handelte es sich um erklärende Beischriften zu einer bildlichen Darstellung der Gründungsgeschichte. Nicht ausgeschlossen ist es, daß die Schrift zu einem Tafelaltar gehörte. In diesem Zusammenhang ist ein handschriftlich überlieferter Briefentwurf des Abtes Parsimonius aus dem Jahr 1571 an Herzog Ludwig von Württemberg von Interesse, in dem er die Zustimmung dazu erbittet, ein für den Abt Heinrich Weikersreuter geplantes Bildepitaph ‚in die hiltzins ledige tafel, die mitten in vnser kirchen auff dem abbstul, zwischen den zweien fundationsschriften mit zwein auffgethonen flügelen steht, darein auch nichts weder gemalt noch geschriben steht‘ einzufügen5. Das spricht für eine Überlieferung dieser Gründungsgeschichte in Form eines Tafelaltars mit Mittelbild und begleitendem Text auf den Klappflügeln, aus dem aber infolge reformatorischer Veränderungen das Tafelbild (vielleicht identisch mit dem Sebald Bopp zugeschriebenen Stifterbild mit der Darstellung des Aurelius-Klosters, der Heiligen Benedikt und Aurelius und des Grafen Adalbert) entfernt worden war6.

Die deutsche Sprache war sinnvoll, wenn die Texte an einer auch Laien zugänglichen Stelle der Klosterkirche angebracht waren7. Ähnlich ist auch aus dem Kloster Maulbronn eine Stiftungstafel erhalten, die eine Darstellung der Gründungsgeschichte mit einer ausführlichen volkssprachigen Dokumentation verband. Sie ist datiert auf 1450, der Standort war vermutlich im Laienrefektorium8.

Anmerkungen

  1. Rainolt fol. 15 sq. Gleichlautend führt Crusius den Text ein.
  2. Vgl. Schmid, Stifter S. 23–30.
  3. Das sog. Hirsauer Formular (DH IV 280).
  4. Codex Hirsaugiensis ed. Schneider S. 19. – Vgl. dazu auch Schreiner, Trithemius S. 109ff. (zur Quellenüberlieferung); zur Aufzählung auch die Liste bei Parsimonius fol. 97v–100v, die nahezu gleich lautet; nur die Anordnung differiert.
  5. Vgl. dazu Renate Neumüllers-Klauser, Quellen zur Bau- und Kunstgeschichte nr. 89 (mit Abdruck der Quellenstelle).
  6. Zu diesem Tafelbild vgl. zuletzt CVMA Deutschland I, Schwaben 2, S. 94. Das Bild befindet sich heute im Heimatmuseum zu Calw; Abbildung bei Irtenkauf, Hirsau Taf. 19.
  7. Neumüllers-Klauser, Hirsauer Stifterdenkmäler S. 167.
  8. Vgl. dazu DI 22 (Enzkreis) nr. 78.

Nachweise

  1. Parsimonius fol. 48r–50.
  2. Crusius, Annales Suevici Lib. VIII partis II, p. 275.
  3. Rainolt fol. 15r sq.

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 141† (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0014102.