Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 120 Stuttgart, Württ. Landesmuseum 1465(?)

Beschreibung

Meßkelch. Der Kelch ist bis zum Jahr 1933 in der Pfarrkirche St. Martin von Wildberg nachgewiesen und wurde in diesem Jahr nach Stuttgart an die Altertumssammlung verkauft. Material Silber, vergoldet. Heute Inv. Br. 1933-624 des Württembergischen Landesmuseums. Der runde Fuß ist durch sechs Grate gegliedert, auf drei nebeneinanderliegenden Feldern sind die Jahreszahl 1465 (4 in Form der halben 8) und zwei Figuren (Madonna, hl. Abt) graviert, die Jahreszahl zweilinig, also in Art einer Bandminuskel. Inschriften auf dem Schaft ober- und unterhalb des Knaufes (A und C) und auf den Rotuli des Knaufes (B).

Maße: H. 17,6, B. 12,3, Bu. 0,4 (A und C), 0,5 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    ave mari(a)a)

  2. B

    a e i o ub)

  3. C

    gracia1)

  4. D

    1 4 6 5

Kommentar

Die Auflösung der Inschrift B ist kontrovers; die Deutung ‘Austriae est imperare orbi universa‘ steht im Notizbüchlein Kaiser Friedrichs III., das zahlreiche Variationen der Devise von der Hand des Kaisers enthält, von anderer Hand nachgetragen2. Andere Deutungen lauten abgewandelt ‚austria erit in orbe ultima‘ bzw. ‚austria est imperium orbis universi‘ oder ‚aquila electa justo omnia vincit‘3. Im Jahr 1933 wurde der Kelch von der Kirchengemeinde verkauft, um den Neubau eines Kindergartengebäudes zu finanzieren4.

Die Devise Kaiser Friedrichs III. (1440–1493) auf einem Kelch in Wildberg ist zunächst schwer erklärlich. Die Darstellung der Muttergottes und eines hl. Abtes (kaum einer hl. Äbtissin) auf dem Fuß des Kelches lassen vermuten, daß der Kelch aus dem Besitz des Klosters Maria Reuthin stammt und nach der Reformation an die Kirche in Wildberg kam. Nach Maria Reuthin könnte er durch eine Schenkung – Seelgerätstiftung? – aus habsburgischem Besitz oder habsburgischer Verwandtschaft gekommen sein. Möglich wäre eine Stiftung durch Herzogin Mechtild von Württemberg, die in zweiter Ehe mit Erzherzog Albrecht von Österreich, einem Bruder Kaiser Friedrichs III., verheiratet war und von 1452 bis zu ihrem Tode 1482 in Rottenburg am Neckar residierte. Ihre zahlreichen Stiftungen von Paramenten und liturgischem Gerät an umliegende Klöster (u. a. Hirsau) könnten auch Maria Reuthin einbezogen haben; in Asselfingen bei Ulm ist ein ganz ähnlich gestalteter Kelch mit der Marienanrufung und der um ein s (am Beginn oder am Ende) erweiterten Devise erhalten5. Ein weiterer Kelch mit der Devise ist in Wiener Neustadt aus dem Jahr 1438 belegt; seine Ausführung weist mit den beiden württembergischen Exemplaren kaum Ähnlichkeiten auf6. Stilistisch wäre eine Entstehung des Wildberger Kelches zwischen 1438 und 1465 zu vertreten; die eingravierte Jahreszahl könnte auch später angebracht sein und das Datum der Schenkung bezeichnen.

Textkritischer Apparat

  1. Das a von ave und das letzte a von maria sind identisch, der Buchstabe ist also zweimal verwendet worden.
  2. Verteilt auf die 5 Rotuli des Knaufes.

Anmerkungen

  1. Nach Luc. 1, 28.
  2. Vgl. dazu R. Schmidt, in: LexMAI (1980) Sp. 179 (Lit.).
  3. Cremer, in: Blätter des württ. Schwarzwaldvereins 1906, S. 121. – Johann Michael Fritz, Gestochene Bilder (1966) S. 194, Abb. 168.
  4. Neef, Wildberg S. 51f. – Kat. Spätgotik am Oberrhein (Karlsruhe 1970) nr. 181. – Heinrich Kohlhaussen, Nürnberger Goldschmiedekunst (1968) S. 197, Abb. 323. Die Herkunft aus Nürnberg ist unwahrscheinlich.
  5. Hans Andreas Klaiber und Reinhard Wortmann, Die Kunstdenkmäler des ehemaligen Oberamts Ulm. Berlin 1978, S. 127f. und Abb. 60.
  6. G. E. Pazaurek, Alte Goldschmiedearbeiten aus schwäbischen Kirchen. Leipzig 1912, S. 29 und Taf. XXVI.

Nachweise

  1. Neef, Wildberg S. 43.
  2. Weitere Lit. unter Anm. 3 und 4.

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 120 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0012003.