Inschriftenkatalog: Landkreis Calw
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 30: Landkreis Calw (1992)
Nr. 12 Wildberg, ev. Pfarrkirche St. Martin 1266
Beschreibung
Grabplatte des Tuzzelingerius. Im Chor an der Nordwand. Hochrechteckige Platte aus rotem Sandstein mit begrenzender Ritzlinie um den Rand, Inschrift umlaufend, links oben beginnend (A); im Mittelfeld eingeritztes Lilienkreuz, dessen Querbalken an den Enden die Inschrift schneiden. Unter den Kreuzarmen rechts und links Fortsetzung der Inschrift (B) mit Namen (rechts) und Todesdatum (links), jeweils zweizeilig. Die Platte ist durchgehend stark abgetreten und schwer lesbar. Vermutlich lag sie früher als Gruftabdeckung im Boden.
Maße: H. 205, B. 72, Bu. 6,5 (A), 3,5–4 cm (B).
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
- A
+ C[L]AVDOR / · IN HOC · BVSTO · VENIAM · [DE] · IVDI/CE · IVSTO /+ QVI · TRANSIS · POSCE [. . . . . . . . .]
- B
IN TVBOLOa) TVZZELINGERIVS / FRATER FRID[E]RICI VICE[PLE]BANIb)[AN]NO · D[OMI]NI · MCCX LXVI / A [. . .]III M [. . .]IIIc)
Übersetzung:
Eingeschlossen bin ich in diesem Grab. Der du vorübergehst, erflehe Verzeihung von einem gerechten Richter … In diesem Grab (ruht) Tuzzelingerius, der Bruder des Vizeplebans (?) Friedrich. Im Jahr des Herrn 1266.
Textkritischer Apparat
- Lesung deutlich in dieser From. Offenbar hat der schreibunkundige Steinmetz, dessen ungelenke Schrift auffällt, das vorgezeichnete unziale M (mit geschlossenen Bögen) um 45° nach rechts gewendet eingemeißelt.
- Zu ergänzen wohl VICEPLEBANI.
- Über dem A zu erkennen noch ein Kürzungsstrich. Ergänzung nicht möglich. Vor den ersten 3 Hasten ein Zeichen, das einem nach links offenen C vergleichbar ist.
Anmerkungen
- Vgl. dazu künftig Renate Neumüllers-Klauser, Von der Memoria zum Grabdenkmal, in: Funktion und Gestalt Bd. 3: Deutsche und europäische Kunst im 13. Jahrhundert (im Druck).
- Walther, Initia carminum I/1 15710: ‚qui transis, siste, morieris tu velut iste‘.
- Vgl. dazu allgemein Werner Goez, Die Einstellung zum Tode im Mittelalter, in: Der Grenzbereich zwischen Leben und Tod, Göttingen 1976, S. 119ff. – Künftig auch Neumüllers-Klauser (wie Anm. 1) passim.
- Schmid, Monumenta Hohenbergica nr. 74, S. 50f. (Mitsiegler bei einer Urkunde, die der Abt von Hirsau über den Verkauf eines Hofes an den Vogt zu Bulach ausstellt).
- Dank sei den Herren Prof. Dr. Franz Quarthal, Dr. Friedrich Gand und Dr. Michael Klein gesagt, die sich mit mir um Identifizierung des Namens bemühten.
Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 12 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0001206.
Kommentar
Die Schrift wirkt archaisch, was aber wohl sehr weitgehend auf Unbeholfenheit des Steinmetzen zurückgeht. Einzelne Buchstaben haben unziale Formen (A einmal, E einmal, M einmal, T zweimal), die kapitalen Formen überwiegen aber bei weitem. Das unziale E ist in Schreibrichtung noch offen.
Die Umschrift bildet einen Hexameter, dessen letzter Halbvers sinngemäß zu ergänzen ist; gedanklich knüpft er an den in langer Tradition stehenden Wunsch der Toten um das Gebet der Lebenden an, die einstmals denselben Weg gehen werden1. Entsprechend müßte die zerstörte Stelle dieser Gleichsetzung der Lebenden mit den Toten Ausdruck geben, etwa ‚morieris tu velut iste‘2. Die Formulierung des Hexameters verrät einen klassisch gebildeten Autor. In dieser oder ähnlicher Form wird seit dem 9. Jahrhundert (unter Anknüpfung an ältere Traditionen) die Verbindung zwischen Lebenden und Toten beschworen; eines der ältesten Zeugnisse im Mittelalter ist die (verlorene) Grabschrift Alkuins († 804), wo es in Vers 5 heißt ‚quod nunc es fueram / famosus in orbe, viator / et quod nunc ego sum, tuque futurus eris‘3.
In Inschrift B dürfte die Fehlstelle das Verb und die Angabe des Todestages enthalten haben. Sichtbar sind nur unzusammenhängende Hasten, die keinen Sinn ergeben. Nicht auszuschließen ist nach den Schriftresten, daß hier ein zweiter Todestag (der des Bruders?) verzeichnet war.
Über den Verstorbenen lassen sich trotz des nicht häufigen Namens keine Aussagen machen. Wegen des eingeritzten Kreuzes wird man einen Geistlichen in ihm vermuten können. Ein Vizepleban Friedrich läßt sich aus Wildberger Quellen 1277 belegen; FRATER FRIDERICI VICEPLEBANI wäre dann als nähere Personenbestimmung für einen TVZZELINGERIVS zu verstehen, der vielleicht bei einem Aufenthalt in Wildberg verstarb4. Eine Identifizierung des unbekannteren TVZZELINGERIVS – nicht unbedingt eines Priesters – durch einen bekannteren Bruder ist in diesem Fall naheliegend. Eine Beziehung zu den in Wildberg begüterten Grafen von Hohenberg ist möglich. Der Leitname Friedrich erscheint in der Familie der Herter von Dusslingen5. Die Formulierung der Grabschrift kann als Indiz dafür gwertet werden, daß es sich um ein Brüderpaar aus dem niederen Adel handelte.