Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 1† Hirsau, Klosterkirche St. Aurelius 850(?)/nach 1059

Beschreibung

Grabschrift des Grafen Erlafried ‚von Calw‘. Angeblich in der (alten) Aureliuskirche, danach in der Peter-und-Pauls-Kirche; Ausführung unbekannt.

Überlieferung nach Parsimonius1.

  1. QVI FVNDANDO LOCVM DEDIT HVNC DOMINO DOMINORVMERLAFRIDI COMITIS HIC IACET ECCE CINISCORPORIS EXVVIAS FEBRVIa) FERT QVARTA KALENDASCVI SIT SVMMA QVIES ET SINE NOCTE DIES.

Übersetzung:

Sieh, hier ruhen die (sterblichen) Überreste des Grafen Erlafried, der diesen Ort gründete und dem Herrn übergab. An den 4. Kalenden des Februar (29. Januar) hat er die Erde verlassen. Ihm sei ewige Ruhe und das Licht ohne Dunkelheit gewährt.

Kommentar

Die beiden leoninischen Distichen werden von Parsimonius doppelt überliefert, einmal in seinen Nachrichten zur Klostergeschichte und in den Aufzeichnungen über die Epitaphien: an der ersten Stelle fügt Parsimonius dem Text hinzu: ‚Monumentum Erlafridum comitis translatum est ad praesens maius Hirsaugiense monasterium et positum post summum altare chori 23. die Decembris, anno (15)66. In extremitatibus eiusdem monumenti, verbi sequentia leguntur‘2. Darauf folgt die Inschrift von der Tumbenplatte des Hochgrabes. Crusius übernimmt diese Lesart3. In den Aufzeichnungen über die Epitaphien bezeichnet Parsimonius die Distichen als ‚Epitaphium Erlafridi comitis lapidi sepulchrali … incisum‘. Er unterscheidet in seiner Wiedergabe also hier deutlich zwischen dem ‚monumentum … in cuius extremitatibus sequentia verba leguntur‘ und dem vorliegenden Text der Distichen. Beider Standort ist gleich ‚post summum altare chori positum‘4.

Eine Entstehung der Distichen im 9. Jahrhundert – nach dem Tode Erlafrieds – ist höchst unwahrscheinlich. Zwar schließen Metrum und Wortwahl das keineswegs aus; der zweite Pentameter klingt an ein der spätantiken und mittellateinischen Literatur vielbenutztes Motiv von der Herrlichkeit des Jenseits an, das schon bei Venantius Fortunatus in seinen Epitaph-Dichtungen nachweisbar ist und im 10.–12. Jahrhundert im gleichen Genus aufgenommen und häufig verwendet wurde5. Die Kennzeichnung der Grabstätte durch eine real ausgeführte Inschrift blieb jedoch in karolingischer Zeit allenfalls Geistlichen und hohen Würdenträgern vorbehalten6. Wahrscheinlicher ist es daher, daß nach der Reorganisation des Aureliusklosters durch Adalbert von Calw auf Mahnung Papst Leos IX. (d. h. nach 1059) dem Stifter ein Gedenkstein gesetzt wurde7.

Die Nachricht von der Überführung dieses Denksteins steht bei Parsimonius in seinen Ausführungen zur Geschichte Hirsaus, wird aber bei der Wiedergabe der Inschriften nicht erwähnt8. Die Überführung von 1566 kann Parsimonius nicht als Augenzeuge miterlebt haben, er kam erst 1574 als Abt nach Hirsau.

Der Widerspruch zwischen den Aussagen bei Parsimonius wäre erklärlich, wenn man annimmt, daß der aus der Aureliuskirche in die Peter-und-Pauls-Kirche verbrachte Stein in irgendeiner Weise mit dem bestehenden Hochgrab für Erlafried ‚von Calw‘ verbunden wurde. Vielleicht legte man den alten Stein unter das Hochgrab oder lehnte eine querrechteckige Tafel an das Fußende: dann wäre die Verbindung beider Überlieferungen zur Inschrift eines ‚monumentum‘ verständlich, während bei der Abschrift der ‚Epitaphia‘ von den Originalen Parsimonius die Situation vor Augen hatte und korrekt verzeichnete9.

Textkritischer Apparat

  1. Aus metrischen Gründen FEBRVARII verkürzt.

Anmerkungen

  1. Parsimonius fol. 67 und 123v.
  2. Ebd. fol. 67.
  3. Crusius, Annales Suevici Lib. II, partis II p. 43.
  4. Vgl. nr. 135 (Tumbenplatte zum Hochgrab).
  5. Formelhafte Wendungen in dieser oder ähnlicher Form sind seit dem 9. Jahrhundert geläufig: ‚sine nocte dies‘ häufig bei Venantius Fortunatus (MG SS. AuctAntiq IV 8 u. ö.). – Epitaph des Grafen Evrard von Thierry, Bischof von Metz mit fast gleicher Formulierung: ‚est sine nocte dies, et sine fine quies‘; ‚Mundo sublati vivant ibi, posce, beati,/Qua sine nocte dies, qua sine fine quies‘ (Frankreich, 11. Jh., Neues Archiv VI, 445). Vgl. auch Hengstl, Totenklage S. 167ff. Die gleichen Formulierungen werden aber auch im 11. und 12. Jahrhundert wieder aufgenommen. Nachweise zum Vorkommen verdanke ich der Hilfe von Prof. Dr. Robert Favreau-Poitiers.
  6. Vgl. MG Poetae I, V p. 281ff. – Vergleichbare Formen aber auch im 11./12. Jahrhundert: ‚Nomine G. Picis iacet hic cinis‘ CIFM II 31 (12. Jahrhundert). – Vgl. dazu zukünftig Renate Neumüllers-Klauser, Von der Memoria zum Grabdenkmal. Stiftergedenken im 13. Jahrhundert, in: Skulptur und Gestalt Bd. 3: Deutsche und europäische Kunst im 13. Jahrhundert (im Druck).
  7. Dazu Schmid, Stifter Hirsau passim, vor allem S. 59; dort auch die Vermutung eines Erlafried-Epitaphs, das die Erinnerung an den Stifter wachhielt (Anm. 145).
  8. Parsimonius fol. 67sq.
  9. Vgl. das Rainolt-Zitat zu nr. 135.

Nachweise

  1. Parsimonius fol. 67, 123.
  2. Rainolt fol. 4.
  3. Bach, Grabdenkmale S. 120.

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 1† (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0000103.