Inschriftenkatalog: Landkreis Bergstraße

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 38: Bergstraße (1994)

Nr. 17† Lorsch, Klosterkirche vor 1281, 12.-13.Jh.?

Beschreibung

Grabgedicht für Herzog Tassilo III. von Bayern. Das heute verlorene Grabdenkmal war noch 1615 in die linke Wand vor dem Altar des hl. Nikolaus eingelassen.1)

Nach Helwich, Syn.

  1. + Tessilo dux primum post rex monach(us) sed ad imu(m)Idibus in ternis decesserat iste decembrisConditur hac fovea quem pie Christe beaa)

Übersetzung:

Tassilo, erst Herzog, später König, doch zuletzt Mönch, war am dritten Tag vor den Iden des Dezember (11. Dez.) verstorben und wurde in diesem Grab bestattet. Gewähre diesem, gütiger Christus, die Seeligkeit.

Versmaß: Ein leoninischer Hexameter und ein leoninisches Distichon.

Kommentar

Wie der Träger der Inschrift beschaffen war, bleibt unklar. Helwich bezeichnet ihn einmal als in die Wand eingemauerten „Sarcophagus“,2) aber es ist sehr fraglich, ob er damit einen Sarkophag im eigentlichen Sinne meint, denn sonst spricht er wie auch Freher nur von einem „monumentum“.3) Es ist außerdem recht schwierig, sich einen in die Wand eingelassenen Sarkophag mit umlaufender und noch lesbarer Inschrift vorzustellen. Daß der Text als Umschrift angebracht war, ist deshalb anzunehmen, weil Zorn, der die Inschrift in seine 1570 abgeschlossene erste Version der Wormser Stadtchronik aufnahm, die nach Helwich letzte Zeile als zweite Zeile4) und Freher sie sogar als erste Zeile edierte. Offenbar war also der Anfang des Gedichts nicht deutlich gekennzeichnet und nicht in Zeilen angeordnet. Die Version von Freher ist die unwahrscheinlichste, da der Beginn mit einem Pentameter kaum intendiert war.

Die von dem Mönch Berchtold (vor 1270 – ca. 1326) zusammengestellte Geschichte des Klosters Kremsmünster5) enthält die Inschrift in der Abfolge wie bei Helwich, jedoch ohne die letzte Zeile.6) Berchtold hebt mit den Worten „Hic est, inquam, Tassilo, in cuius epytaphio veraciter positi sunt hii versus“ ausdrücklich hervor, daß die Verse auf dem Grab Tassilos stehen. Genau dieselben Worte verwendet auch das Nekrolog des Klosters Mattsee zur Erklärung der Inschrift, die erstaunlicherweise in dem Nekrolog wiedergegeben wird. Möglicherweise besteht hier eine Abhängigkeit von Berchtold, denn der Eintrag in dem Nekrolog stammt aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts.7) Im Gegensatz zu der Version Berchtolds hat die Inschrift im Nekrolog eine dritte Zeile, die allerdings einen ganz anderen Text aufweist als die restlichen Überlieferungen.8) Die Genese dieser Fassung läßt sich aus den übrigen Textzeugnissen nicht erklären. Daß die Inschrift tatsächlich in der edierten Fassung in Lorsch vorhanden war, unterliegt aber keinem Zweifel, da Helwich schreibt, er habe sie am 10. September 1615 in Lorsch gesehen und abgeschrieben.9)

Das erste eindeutige Zeugnis für die Inschrift und das Grab Tassilos in Lorsch bietet der Bericht des Pollinger Kanonikers Rudolf. Er schreibt, er habe bei einem Besuch im Jahr 1281 in Lorsch durch Mönche und vor allem durch die Inschrift des Grabes Tassilos erfahren, daß dieser zuerst Herzog von Bayern, dann Langobardischer König und schließlich Mönch in Lorsch gewesen sei.10) In dieser Abfolge zeigt sich eine deutliche Parallele zur ersten Zeile der Inschrift. Das Jahr 1281 ist also als terminus ante quem der Entstehung der Inschrift anzusehen. Nach dem Bericht Rudolfs waren zu dieser Zeit bereits Legenden im Umlauf, die Tassilo als heiligmäßig lebenden Mönch in Lorsch darstellten.11)

Herzog Tassilo III. von Bayern wurde nach seiner Niederlage gegen Karl den Großen im Jahr 787 auf dem Reichstag von Ingelheim 788 zum Tode verurteilt, dann aber zu Klosterhaft begnadigt und zum Mönch geschoren.12) Er wurde zunächst ins Stift St. Goar und von dort ins Kloster Jumièges gebracht.13) Auf der Reichssynode von Frankfurt 794 mußte Tassilo noch einmal auf seine Herzogswürde Verzicht leisten.14) Wohin man ihn von dort brachte, ist unbekannt. Es gibt keine zeitgenössische oder zeitnahe Quelle, die einen Aufenthalt Tassilos im Kloster Lorsch bezeugt. Erst die Chronik Ottos von Freising gibt an, Karl habe Tassilo zur Klosterhaft in Lorsch begnadigt.15) Einen Beleg für ein Gedenken an Tassilo in Lorsch bietet das aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammende Lorscher Totenbuch.16) Es läßt jedoch nicht erkennen, wann dieser Eintrag gemacht wurde. Deshalb kann man in ihm keinen Beweis für einen Aufenthalt Tassilos in Lorsch sehen.17) Auch viele Nekrologe aus dem 13. Jahrhundert und vom Anfang des 14. Jahrhunderts der bayerischen Benediktinerklöster beinhalten Eintragungen wie „Tessilo dux et m(onachus)“18) oder ähnliches, da sie sich auf eine Gründung durch Tassilo beriefen. Zudem wird Tassilo in den erzählenden Quellen, die im 13. Jahrhundert in diesen Klöstern verfaßt bzw. umredigiert wurden, als Gründer vieler bayerischer Klöster und als Gründer von Lorsch bezeichnet.19) Der Grund für diese Entwicklung war, daß die Benediktinerklöster durch die Bettelorden zunehmend unter Druck gerieten. Die aufkommenden Gründungssagen und die Berufung auf Tassilo sind als ein Versuch der Rechts- und Besitzverteidigung der Benediktinerklöster anzusehen.20)

Aus diesem Grund ist es fraglich, ob die ab 1234 in Lorsch ansässigen Zisterzienser oder die sie 1248 ablösenden Prämonstratenser die Tassilotradition fortführten und sie gar durch die Herstellung einer entsprechenden Inschrift noch vertieften, oder ob man nicht die Entstehung der Inschrift noch vor 1234 annehmen muß.21) Dabei ist zu bedenken, daß Lorsch seit 1105 durch den Streit um die Einführung der Hirsauer Reform sowie durch Probleme mit den Vögten und Entfremdung von Klostergut sich vor zunehmende wirtschaftliche Probleme gestellt sah.22) In dieser Zeit könnte die Tassilotradition zum Schutz des Rechts- und Besitzstandes aufgebaut worden sein. Demselben Zweck diente ja auch die Zusammenstellung des Lorscher Codex.23)

Die Reimform der Inschrift bietet ebenfalls Anhaltspunkte für eine Datierung. Die erste Zeile ist ein zweisilbig rein gereimter, die zweite ein einsilbig rein gereimter Leoniner, der Pentameter ist zweisilbig rein gereimt. Der nur einsilbige Reim der zweiten Zeile erklärt sich aus dem Zwang, die Datierungsformel unterzubringen, wodurch eine zweisilbige Reimung unmöglich wurde. Die zweisilbig reinen Reime begegnen in Inschriften ab dem zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts und dominieren seit dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts.24)

Man kann festhalten, daß die Inschrift 1281 bereits existierte und daß sie wahrscheinlich nicht vor dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts gemacht wurde. Zu dieser Zeit läßt sich durch die 1146/47 abgeschlossene Chronik Ottos von Freising in Lorsch bereits eine Tassilotradition nachweisen. Wahrscheinlich entstand die Inschrift noch vor dem Einzug der Zisterzienser 1234.

Textkritischer Apparat

  1. Das Necrologium Matseense überliefert als dritte Zeile: Tassilo dictus ego Christo mea predia lego (MGH Necr. 4,1, 190).

Anmerkungen

  1. Helwich, Syn. 397; Helwich, Ant. Lauresham. 16, 107.
  2. Helwich, Syn. 397.
  3. Helwich, Ant. Lauresham. 16 u. 107; Freher.
  4. Zorn 27 u. 2.
  5. Zur Verfasserschaft Berchtolds vgl. W. Neumüller, Bernardus von Kremsmünster, Wels 1947, 133f.; A. Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (MIÖG Ergänzungsband 19) Graz-Köln 1963, 284-287; vgl. auch K. Schnith, Bayerische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter - Eine Studie zu den Quellen Passau-Kremsmünster, in: HJ 97/98 (1978) 195f. Der Text ist von G. Waitz ediert unter dem Titel „Bernard, Liber de origine et ruina monasterii Cremifanensis“ in MGH SS 25. Diese Edition ist der von J. Loserth, Die Geschichtsquellen von Kremsmünster im XIII. und XIV. Jahrhundert, Wien 1872, vorzuziehen, vgl. Lhotsky a.a.O. 285 und Schnith a.a.O. 197.
  6. MGH SS 25, 641.
  7. MGH Necr. 4,1, 190; zur Datierung vgl. ebd. 184.
  8. Vgl. Anm. a).
  9. Helwich, Ant. Lauresham. 16.
  10. Abgedruckt bei G. Leidinger, Fundationes monasteriorum Bavariae, in: Neues Archiv 24 (1899) 682: „Anno domini 1281 nos Rudolphus canonicus et custos Pollingensis ecclesiae relacione virorum discretorum didicimus videlicet sacerdotum et conversorum ordinis S. Benedicti in Laurissa necnon in prescriptione tumbe domini Tasselonis hunc primum fuisse ducem Bavariae, postea regem Longobadorum ... postremoque monachum in Laurissa ...“ Zu dem Problem inschriftlicher Fälschungen im Zusammenhang mit dem Totengedächtnis vgl. Neumüllers-Klauser, Epigraphische Fälschungen 180-183.
  11. Leidinger [wie Anm. 10] 682f.
  12. Annales Petaviani 788 (MGH SS 1, 17); Annales Laureshamenses 788 (MGH SS 1, 33); Fragmentum Annalium Chesnii 788 (MGH SS 1, 33); Annales Nazariani Cont. 788 (MGH SS 1, 44). Vgl. zu diesen Vorgängen ausführlich W. Laske, Die Mönchung Herzog Tassilos III. und das Schicksal seiner Angehörigen, in: Die Anfänge des Klosters Kremsmünster, ed. S. Haider (Ergänzungsband zu den Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 2) Linz 1978, 189-197.
  13. Annales Nazariani Cont. 788 (MGH SS 1, 44); Annales Petaviani 788 (MGH SS 1, 17); Fragmentum Annalium Chesnii 788 (MGH SS 1, 33); Annales Mosellani (MGH SS 16, 497).
  14. Annales Laureshamenses 794 (MGH SS 1, 36).
  15. Otto von Freising, Chronica 5,29 (MGH SS rer. Germ., ed. A. Hofmeister, Hannover-Leipzig 1912) 255: „Rex tamen misericordia motus in monasterio Laureacensi, quod ipse construxerat, eum monachicum habitum assumere ... permisit.“ Otto von Freising schreibt „Laureacensi“, also Lorch, statt Laureshamensi (Lorsch), meint aber letzteres, was schon der Hinweis auf Karl d. Gr. als Gründer zeigt, worin Otto wiederum irrt. Das „ipse“ ist vom Satzbau her eindeutig auf „rex“ zu beziehen und nicht, wie Hofmeister a.a.O. meint, auf „eum“.
  16. Lorscher Totenbuch fol. 105v zu iii id. dec.: „Tessilo dux ex l(aico) mo(nachus).“ Zur Datierung vgl. Falk, Lorsch 185 u. CL I 28 mit Anm. 7.
  17. So aber Wehlt, Reichsabtei 108, der das Problem der Datierung des Eintrags und den möglichen Zusammenhang mit der im 13. Jh. nachweisbaren Tassilotradition völlig außer acht läßt. Das Lorscher Kalendar Cod. Pal. lat. 485 aus dem Ende des 9. Jh. hat keinen Eintrag zu Tassilo, ebensowenig das Sakramentar aus Cod. Pal. lat. 499 vom Ende des 11. Jh., vgl. dazu Gugumus, Lorscher Kalendarien 289-303 u. 304-321.
  18. Vgl. die Nekrologien der Klöster Niederaltaich, Kremsmünster und Mondsee (MGH Necr. 4, 28, 56, 236, 417) sowie Tegernsee und Weltenburg (MGH Necr. 3, 156, 302 u. 369) und Wessobrunn (MGH Necr. 1, 51). Bereits um 1150 ist das Nekrolog des Klosters St. Emmeram in Regensburg entstanden (MGH Necr. 3, 302); die Einträge in den Nekrologien von Niederaltaich und Wessobrunn gehen bis ins 9. bzw. 10. Jh. zurück, doch sind sie durchweg erst in Fassungen des 12.-13. Jh. überliefert, so daß unklar ist, wann manche Einträge gemacht wurden.
  19. Auctarium Ekkehardi Altahense 788 (MGH SS 17, 362); Annales ducum Bavariae 778 (MGH SS 17, 366); Bernhard, liber (MGH SS 25, 640); Historia monasterii Manse metrica (MGH SS 15, 1101ff.). Zum Tassilobild Bernhards (Berchtolds) vgl. Schnith [wie Anm. 5] 205-207.
  20. Vgl. dazu J. Kastner, Historiae fundationum monasteriorum. Frühformen monastischer Institutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter, München 1974, 83ff., bes. 90f.; R. Folz, Le Souvenir et la Légende de Charlemagne dans l‘Empire germanique médiéval, Paris 1950, 351-356.
  21. Zur Übernahme Lorschs durch die Zisterzienser und Prämonstratenser vgl. Brück, Lorsch und Mainz 147-149; Schaab, Bergstraße 246-250; Knöpp, Das letzte Jahrhundert 198ff.; Meyer zu Ermgassen, Hertwich 407-417.
  22. CL I Kap. 143 a-b, 423f., Kap. 144, 426 u. Kap. 150, 431; vgl. dazu kritisch Knöpp, Das letzte Jahrhundert 175-196.
  23. Schaab, Bergstraße 244.
  24. Bayer, Metrische Inschriften 120-124.

Nachweise

  1. Bernhard, liber de origine et ruina monasterii Cremifanensis 5 (MGH SS 25, 641) – Zorn, Chronik (Arnold 27).
  2. Freher, Orig. Palat. 43.
  3. Helwich, Syn. 398.
  4. Helwich, Ant. Lauresham. 16 u. 107.
  5. Falk, Lorsch 156.
  6. Kraus, Inschriften II 88f., Nr. 197.
  7. K. J. Minst, Herzog Tassilo in Lorsch, in: Beiträge zur Geschichte des Klosters Lorsch 325.

Zitierhinweis:
DI 38, Bergstraße, Nr. 17† (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di038mz04k0001704.