Inschriftenkatalog: Bad Kreuznach

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 34: Bad Kreuznach (1993)

Nr. 356 Bad Kreuznach, Kath. Pfarrkirche St. Nikolaus 1584

Beschreibung

Fasten- oder Hungertuch (velum quadragesimale) mit gestickter, bisher unbeachteter Spruchinschrift, vier Wappen und zwei Jahreszahlen. Weiße Leinwand aus zwei gleich großen, längs zusammengenähten Bahnen, oben mit fünf Schlingen zur Befestigung an einer Querstange versehen. Oben und unten sind die Jahreszahlen (A) und (C) aufgestickt. In der Mitte befindet sich ein großes, ockerfarbenes Medaillon im rosettenbesetzten Lorbeerkranz mit der Darstellung Jesus‘ mit der Samariterin am Jakobsbrunnen und der Inschrift (B), umgeben von vier weiteren Medaillons mit personifizierten Darstellungen der vier Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, Gerechtigkeit. Seitlich zwei Posaunen blasende Putti, in den vier äußeren Ecken je zwei identische, mit Initialen versehene Wappen. Abgesehen von kleineren Flickstellen gut erhalten.

Maße: H. 197, B. 134, Bu. 2, Z. 7,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/2]

  1. A

    · 1584 ·

  2. B

    AQVA VITAE CHRISTVS1)

  3. C

    · 1584 ·

Wappen:
unbekannt (Bienenkorb auf Dreiberg?, darüber Initialen I V); unbekannt (Kreuz auf Dreiberg?, darüber Initialen S G).

Kommentar

Da das Kreuznacher Karmeliterkloster 1564 aufgehoben wurde und bis Ende des 17. Jahrhunderts teils als reformiertes Gymnasium, teils als simultane Pfarrkirche diente, muß man wohl fast davon ausgehen, daß das vorliegende Fastentuch nach 1623 von den das Kloster wiederbesiedelnden Mönchen mitgebracht wurde.

Die Verwendung von Fastentüchern2) kam um die Jahrtausendwende auf, diente in der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern (bis zum Abend vor Gründonnerstag) ursprünglich zur Verhüllung des Altarraumes und hatte – neben symbolischen und didaktischen Funktionen – wohl auch für die (früh)mittelalterliche Bußpraxis Bedeutung. Die großen, vorhangartigen Tücher wurden von Luther als „gauckelwerck“3) abgeschafft und blieben in nachreformatorischer Zeit lediglich in (ländlichen) katholischen Gegenden in Gebrauch, wo sie – nun verkleinert und höher bzw. vor den Altar gehängt – in der Hauptsache nur noch der äußeren Kennzeichnung der Fastenzeit dienten.

Abgesehen von der auf Christus bezogenen Symbolik4) der Brunnenszene hat die Darstellung besonderen liturgischen Bezug zur Passionszeit, da am Freitag nach dem dritten Fastensonntag das Evangelium nach Johannes 4, 5-42 verlesen wird. Bei dem vorliegenden Exemplar dürfte es sich um das letzte erhaltene Fastentuch5) in Südwestdeutschland handeln.

Anmerkungen

  1. Bezieht sich auf Io. 4,1-38, hier wohl V. 10f.
  2. Vgl. zur Funktion ausführlich RDK VII 826 und Reinle, Ausstattung 243ff.; diese Tücher sind nicht zu verwechseln mit den kleineren Passionsvela zur Verhüllung der vasa sacra u.ä.
  3. Vgl. M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe Bd. 19. Weimar 1897, 112.
  4. Vgl. LCI IV 27f.
  5. Vgl. dagegen zu den gut erhaltenen Beständen im alpenländischen Raum R. Sörries, Die alpenländischen Fastentücher. Vergessene Zeugnisse volkstümlicher Frömmigkeit. Klagenfurt 1988 und im nordeutschen Raum P. Engelmeier, Westfälische Hungertücher vom 14. bis 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus westfälischen Museen 4). Münster 1961 sowie DI 24 (Lüneburg) Nr. 5.

Nachweise

  1. Kdm. 82f.
  2. Buslay/Velten, St. Nikolaus 85.
  3. Brubach, St. Nikolaus 14 (alle A und C).

Zitierhinweis:
DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 356 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0035601.