Inschriftenkatalog: Bad Kreuznach

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 34: Bad Kreuznach (1993)

Nr. 13 Niederhausen, Evang. Pfarrkirche 1.H.13.Jh.?

Beschreibung

Wandmalerei-Zyklus mit kaum noch erhaltenen Namensbeischriften an den Langhauswänden der ehemaligen Wallfahrtskirche St. Mechthild. Gegen den Widerstand der Kirchengemeinde erst nach 16691) überstrichen, wurden sie am 10. August 1940 wiederentdeckt, freigelegt und in den Jahren 1966 und 1979/80 gründlich restauriert2). An jeder Seite des Langhauses befinden sich mehrere, von breiten Ornamentstreifen begleitete, in sich jedoch nicht unterteilte Bildfelder3).

Die erste, zunächst unbeschriftete Bildfolge beginnt im östlichen Teil der Nordwand und zeigt eine Reihe von Szenen aus dem Leben Jesu: An die Darstellung der Darbringung Jesu im Tempel schließt sich die Anbetung der hl. drei Könige an, gefolgt von einer nur noch zur Hälfte erhaltenen Abendmahlsszene. Das nächste Bild zeigt eine stehende männliche Figur mit gesenktem Kopf vor einer unter einem Rundbogen sitzenden Person, über ihr Reste der Beischrift (A). Eigenartigerweise wird die Nordseite mit einer nur teilweise erhaltenen Szene aus der Vita des hl. Nikolaus beschlossen. Sie zeigt das sogenannte Schifferwunder4): Einen schnabelförmigen Schiffsbug mit der linken Hand festhaltend, stößt der neben dem mit bittenden Seeleuten besetzten Schiff erschienene hl. Nikolaus seinen Bischofsstab zweien sich an den abgebrochenen Mast klammernden Teufeln in den Rachen. Über dem Kopf des überlebensgroß dargestellten Heiligen verläuft die Namensbeischrift (B). Die zunächst ebenfalls unbeschriftete Bilderfolge der Südwand setzt sich im Westen mit der fragmentarisch erhaltenen Szene der Versuchung Jesu durch den mit langer Nase und spitzen Ohren dargestellten Teufel fort, gefolgt von dem Bild des Erzengels Michael als apokalyptischer Drachentöter. Abschließend folgen, neben einer kleineren Figur, wohl die stark zerstörten Abbilder der Apostel Simon Zelotes und Judas Thaddäus mit ihren Namensbeischriften (C) über den Nimben.Abgesehen von den einstigen (jüngst behobenen) Beschädigungen der Wandmalereien durch aufsteigende Feuchtigkeit, erfolgten weitere Zerstörungen durch den Einbruch neuer Fenster in Südund Nordwand sowie durch die im 18. Jahrhundert angebaute Westempore.

Maße: Bu. 5-6 (A und B), 4 (C) cm.

Schriftart(en): Späte romanische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Klemens Bender) [1/10]

  1. A

    [...]R[..]a)

  2. B

    · Vb) · S(ANCTVS)c) · NICLAVSd) ·

  3. C

    · SIM(ON) / · IV[DA]S

Kommentar

Die schwarz auf den grundierten Putz gemalten Inschriften5) zeigen im wesentlichen die noch durchgehend offenen, überwiegend in einheitlicher Strichstärke ausgeführten kapitalen Formen der späten romanischen Majuskel. Leichte Schwellungen und teilweise verbreiterte Deckstriche weisen in die 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts, der Übergangszeit von romanischer zu gotischer Majuskel. Diese Einordnung wird auch durch zeittypische Phänomene wie dem bereits mit deutlich geschwungener Cauda versehenen R und dem leicht gedrückten S unterstützt. Zudem weist der ‘Leitbuchstabe‘ A flächig gestaltete Formen auf, die eindeutig der spätromanischen Phase angehören: trapezförmig zulaufende Hasten mit geradem Mittel- und überstehendem Deckbalken.

Der vorgenommene Datierungsvorschlag kann dennoch nur unter Vorbehalt vertreten werden, da der durch die mehrmaligen Restaurierungen entstandene Grad der Eingriffe in die Schriftgestaltung letztlich nicht mehr nachprüfbar ist. Zieht man die vorliegenden kunstgeschichtlichen Untersuchungen zur Datierungsfrage hinzu, könnte man Teile der Wandmalereien sowohl in die zweite Hälfte des 12.6) bzw. in das beginnende 13. Jahrhundert, als auch in die Zeit um 1280/907) einordnen. Eine unterschiedliche Entstehungszeit beider Bilderfolgen ist demnach wohl nicht ganz auszuschließen, wobei dann (nach Pampus) Teile der Nordseite vor der Südseite bemalt worden wären. Daher könnte sich auch das auffallend uneinheitliche Gesamtprogramm der erstmals im Jahr 1254 urkundlich erwähnten Kirche8) erklären: Darstellungen aus dem Leben Jesu mischen sich mit einem Bild aus der Nikolauslegende und weiteren, fast schon beliebigen Szenen aus der biblischen Geschichte.

Zu den beschrifteten Malereien: Ikonographisch handelt es sich bei der Szene mit der Beischrift (A) wohl um eine Episode aus der Passion, wo der gefangene Christus entweder den Hohepriestern Annas bzw. Kaiphas, dem Landpfleger Pilatus oder dem Fürsten Herodes (Antipas)9) vorgeführt wird. Auf Herodes deuten die kaum noch kenntlichen Buchstabenreste und die mit einer runden Kugel versehene Krone; Pilatus10) dagegen wird meist mit ‘orientalischer‘ Mütze, die Hohepriester in ihrer Stellung entsprechender Kleidung dargestellt. Das schon in byzantinischer Zeit überlieferte Schifferwunder – die beiden Teufel am Mast verkörpern den unheilbringenden Sturm – begründete den Ruhm des hl. Nikolaus als Patron der Seefahrer; möglicherweise hängt die Wahl dieser Darstellung als Abschluß des nördlichen Zyklus mit der Schiffahrt auf der Nahe, bzw. mit dem historischen Fährbetrieb11) zwischen Niederhausen und Thalböckelheim zusammen. Die Identifizierung der beiden Apostelbrüder Simon Zelotes und Judas Thaddäus wird dadurch erleichtert, daß sie aufgrund ihrer gemeinsamen Missionstätigkeit in Persien und ihres gleichzeitigen Martyriums fast immer zusammen dargestellt werden12); eine besondere Beziehung zu den restlichen Bildern scheint allerdings nicht zu bestehen13).

Textkritischer Apparat

  1. Vor dem R kaum noch erkennbare Spuren der ehemaligen Beschriftung, dahinter vielleicht EX, so daß REX zu lesen wäre. Glatz liest demgegenüber ...oL..R..RIV..
  2. Befund nach Restaurierung: oben gerade geschlossenes V.
  3. Befund nach Restaurierung: Eine Art halbunzial geschlossenes, mit einem Kürzungsstrich über dem quadratischen (!) Vorderteil versehenes M, bei dem es sich vermutlich um ein wegen des an dieser Stelle geringen Platzes liegend angebrachtes S für S(ANCTVS) gehandelt haben könnte.
  4. Möglicherweise war als zeitübliche Form dem C ein kleines o eingeschrieben, das bei der Restaurierung übersehen wurde.

Anmerkungen

  1. Nach Abriß der im 18. Jh. eingebauten Nordempore; vgl. dazu E. Hartz, Die evangelische St. MechthildisKirche, in: NK (1958) 83f. und Denkmalpflege 1979-81, 249. Damals wurden sechs originalgroße Kopien angefertigt, die sich heute im LfD Mainz befinden (Sign. 48452).
  2. Vgl. Denkmalpflege 1965-67, 89 und Böhm, Evang. Kirche 92.
  3. Vgl. auch die ausführliche Beschreibung mit Abb. bei Pampus 6ff.
  4. Vgl. dazu ausführlich Meisen, Nikolauskult 245ff. und Pampus 22ff.
  5. Vgl. zum Folgenden die Vergleichsbeispiele bei Koch, Paläographie 17ff.
  6. So Pampus 48ff. – Für diese Datierung spricht das für das 12. Jh. typische, halbunzial geschlossene, ohne auslaufende Cauda gestaltete M im Apostelnamen der Südseite; vgl. dazu Koch, Paläographie 11.
  7. So Glatz 292.
  8. Vgl. Seibrich, Entwicklung 132, der jedoch eine ältere Tradition vermutet.
  9. Diese Szene ist nur bei Lk. 23, 7-12 überliefert.
  10. Vgl. LCI 3, 436f.
  11. Vgl. Kdm. 316.
  12. Vgl. LCI 8, 368 und 427.
  13. An den beiden Pfeilern des Chorbogens befinden sich noch einmal die Figuren zweier Apostel, nach Pampus 21f. wohl Petrus und Paulus.

Nachweise

  1. Pampus, Wandmalereien 9 (B), (mit Abb. A-C).
  2. Glatz, Wandmalerei 292 (A, B).
  3. Böhm, Evang. Kirche 93 mit Abb. (B).
  4. H. Böhm, Ausschnitte aus den Wandmalereien in der ev. Kirche zu Niederhausen, in: NK 1983, 185 mit Abb. (B).

Zitierhinweis:
DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 13 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0001301.