Inschriftenkatalog: Bad Kreuznach
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 34: Bad Kreuznach (1993)
Nr. 12 Pfaffen-Schwabenheim, ehem. Stiftskirche der Augustinerchorherren 2.V.13.Jh.
Beschreibung
Mit Namensinschriften und einem Bibelspruch versehene, unterlebensgroße Deesis-Gruppe. Eingepaßt in eine dreipaßförmige Blendbogenstellung in der östlichen Sockelzone des inneren Chorpolygons der heutigen katholischen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt. Im Zentrum des Bildfeldes sitzt der mit Kreuznimbus und langem, faltenreichen Gewand dargestellte Christus auf einer kastenförmigen Bank, die rechte Hand segnend erhoben, mit der linken ein aufgeschlagenes Buch mit der Spruchinschrift (A) auf dem linken Knie haltend. Frontal zu seiner Rechten steht Maria in reich gefälteltem Gewand, angetan mit Krone und einem die Namensinschrift (B) tragenden Nimbus; als Gegenfigur zur Linken erscheint Johannes der Täufer in einem gegürteten, knielangen Fellgewand, in der linken Hand einen Palmwedel und ebenfalls mit einem seinen Namen tragenden Nimbus (C) versehen. Beide Heilige weisen ihre rechte Hand flach und offen nach vorne.
Zu der aus Flonheimer Kalkstein1) gefertigten Figurengruppe, deren Einzelfiguren jeweils aus einem Block gehauen wurden, gehören zwei den rahmenden Bogen tragende Kapitelle in Form halbfiguriger Engel, von denen der linke ein Buch, der rechte ein mit einer fragmentarischen Inschrift (D) versehenes Spruchband trägt. Eine weitere, unvollständig erhaltene Inschrift (E) findet sich auf dem Bauch des zweiten, als Adler gearbeiteten Kapitells links der Gruppe.Allen inschriftentragenden Figuren, auch denen der Kapitelle, wurden frühestens während der gewaltsamen Aufhebung des Stiftes im Jahr 15662) die Köpfe abgeschlagen, ebenso wurde die Kniepartie Christi mit der (vom Betrachter aus gesehen) rechten Buchhälfte und das Schriftband des Engels beschädigt. Frei und ohne Vorlagen ausgeführte Ergänzungen3) erfolgten erst anläßlich der Renovierung des Chores in den Jahren 1908/094). Der heutige Gesamtzustand resultiert aus einer erneuten Restaurierung in den Jahren 1961-625).
Maße: Bu. 3 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel, spät.
- A
EGO / SUM [UER/BVM]a)6)
- B
S(AN)C(T)Ab) · MARIA
- C
· S(ANCTUS) · IOHANNES · BAPT(ISTA) ·
- D
DN[.....]c)
- E
BED[.]d)
Übersetzung:
Ich bin das Wort.
Textkritischer Apparat
- Erhalten haben sich lediglich die beiden ersten Zeilen auf der linken Buchhälfte. Die hier vorgenommene Ergänzung folgt der ersten erhaltenen Abbildung (vgl. Anm. 3), wobei anzumerken ist, daß der dort gebotene Text so in der Bibel nicht nachweisbar ist.
- Meier liest S[(ANC)]TA.
- Über dem N befindet ein waagerechter Kürzungsstrich; daher vielleicht mit D(OMI)N(U)[S] aufzulösen.
- Noch eine Haste sichtbar. – Meyer-Husmann und Fath, Baukunst lesen BE DP.
Anmerkungen
- Vgl. Meier 33.
- Vgl. dazu Gerten, Chronik 136f.
- Die älteste bisher bekannte, im Jahr 1853 angefertigte Nachzeichnung zeigt, ungeachtet einiger Ungenauigkeiten, den entsprechenden Zustand der Figurengruppe vor der Renovierung.
- Vgl. Jahresbericht der Denkmalpflege im Großherzogtum Hessen II (1908-11) Darmstadt 1912, 198.
- Vgl. Denkmalpflege 1961/62, 179.
- Nach Io. 1,1 (teilw.).
- Vgl. dazu Einleitung XLVI Anm. 152.
- Meyer-Husmann 25 datiert das Retabel „um 1230“; Fath, Baukunst 66 setzt den Baubeginn des Chors unter Graf Simon I. von Sponheim (vgl. Nr. 14 von 1264) nach 1235 an, die Entstehung des Retabels nach 1240; Meier 38 hingegen hält aufgrund stilkritischer Vergleiche eine Entstehungszeit der Deesis „in den späten zwanziger oder in den dreißiger Jahren“ des 13. Jh. für wahrscheinlich.
- Vgl. dazu RDK III 1198ff. sowie LCI 1, 402 und 494ff.
- Attribut bei Braun, Tracht 366ff. und LCI 7, 167f. nicht aufgeführt; möglicherweise handelt es sich jedoch bei dem Palmwedel um das generelle Attribut für Märtyrer und Heilige (vgl. LCI 3, 364f).
- Vgl. etwa die Darstellung einer (ausdrücklich) fürbittenden Gottesmutter in einem Missale des späten 10. Jh., in: Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu. Katalog der Ausstellung Köln 1991 S. 125 mit Abb. 99.
- Vgl. dazu ausführlich Fath, Baukunst 64ff. und Meier 34ff.
- Datiert um 1165, vgl. dazu DI 29 (Worms) Nr. 23.
- Vgl. dazu ausführlich Meier 37.
- So Fath, Baukunst 66.
Nachweise
- Denkmäler fol. 16 (Taf. 45; A-C).
- Kraus, Christliche Inschriften II Nr. 133 (A-C).
- Bronner, Pfaffen-Schwabenheim 111.
- Meyer-Husmann, Baugeschichte S. 17 und Abb. 10 (A-C), S. 15 und Abb. 17 (E), S. 15 und Abb. 19 (D).
- Fath, Baukunst 65 (A), 62 (D, E).
- M. Fath, Die Klosterkirche von Pfaffen-Schwabenheim, in: NK (1972) 75 (A).
- Jöckle, Pfaffen-Schwabenheim 8 (A) mit Abb. S. 5.
- C.A. Meier, Das Deesis-Relief in Pfaffen-Schwabenheim, in: MzZs 81 (1986) 34 (A, B) mit Abb. 2.
Zitierhinweis:
DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 12 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0001203.
Kommentar
Die gut erhaltenen Buchstaben dokumentieren die Übergangszeit zwischen später romanischer und früher gotischer Majuskel. Die mit zahlreichen unzialen bzw. gerundeten Formen (E, G, M, N, T, U) durchsetzte, vor allem in den Nimben eher noch kapital wirkende Schrift zeigt eine erstaunliche Vielfalt in der Ausgestaltung des A: Kapitale, trapezförmig zulaufende, mit geraden und schrägen Mittelbalken versehene Formen variieren mit pseudounzialen und pseudounzial gerundeten mit bzw. ohne Mittelbalken. Entscheidend für die schriftgeschichtliche Zuordnung ist jedoch die noch nicht erkennbare Tendenz zur Abschließung einzelner Buchstaben sowie das Fehlen ausgeprägter Schwellungen. Die leicht verbreiterten Hasten der Nimbeninschriften dienten möglicherweise zur Aufnahme einer kontrastierenden Masse7). Die vorgenommene Datierung läßt sich mit den bauund kunstgeschichtlich gewonnenen Ergebnissen8) vereinbaren.
Die der byzantinischen Kunst9) entstammende Bildkompostion, die Maria und Johannes den Täufer als Fürbitter vor (dem thronenden) Christus zeigt, fand etwa seit dem Ende des 12. Jahrhunderts vereinzelt Eingang in die abendländische Kunst. Das Buch in der Linken Christi stellt das Evangelium und damit, wie die Inschrift bezeugt, symbolisch ihn selbst dar. Das Attribut des Palmwedels für Johannes den Täufer läßt sich sonst nicht beobachten10). Die nur vereinzelt nachzuweisende Handgebärde der Assistenzfiguren hat wohl fürbittenden Charakter11).
Die kunstgeschichtliche Diskussion12) um die ursprüngliche Funktion der Figurengruppe als Tympanon oder Wand- bzw. Altarretabel wurde unlängst trotz liturgiehistorischer Bedenken und des Fehlens direkter formaler Vergleichsbeispiele überzeugend zugunsten des Retabels entschieden. Formale und motivische Bezüge lassen sich unter anderem zum Wormser Südportaltympanon13) und vor allem zum nördlichen Seitenschiffportal der Marienkirche zu Gelnhausen14) nachweisen. Als „eine(m) der ältesten steinernen Altarretabel in Deutschland“15) kommt dem Pfaffen-Schwabenheimer Deesis-Relief große Bedeutung zu.