Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 20: Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe (1980)
Nr. 207 Ettlingen, Rathaus 1554 (u. 1569?)
Beschreibung
Kopie eines römischen Weihesteins (A), verbunden mit der Gedenkinschrift auf die Gründung und den antiken Ursprung Ettlingens (B), verfaßt von Caspar Hedio. Außen an der Ostwand, zwischen Alb-Brücke und Toreinfahrt des Rathausturmes. Zwei querrechteckige Tafeln – die obere (A) von geringerer Breite als die untere (B) – sind in eine Rahmung mit Balustersäulchen eingepaßt. A zeigt l. den Gott Neptun in flachem Relief in hochrechteckigem Feld, r. die Weiheinschrift; B ist durchgehend beschriftet. Material: roter Sandstein, B hellgelb gefaßt. Zahlreiche Ausbesserungen mit Zement, der mit Farbe überstrichen wurde.
Maße: H. (gesamt) ca. 230, B. 301; H. 86,5 (A), 103 (B), B. 145 (A), 224 (B), Bu. 8 (A), 3,5 (B) cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
IN H(ONOREM) D(OMVS) D(IVINAE) / D(EO) · NEPTVNO / CONTVBERNIO / NAVTARVM / CORNELIVS / ALIQVANDVS / D(E) · S(VO) · D(EDIT) /
- B
ANNO M · CXI · ANTE CHRISTVM NATV(M) ETLINGIACVM CONDI PRIMV(M), ET INHABITARI / COEPIT · SED MVLTVM VETVSTATIS INTER RHENVM ET NICRVM, AC INTERMEDIIS LOCIS / BADENAE, DVRLACI, ET PHORCENAE QVVM INVENIAS, FACTVM EST · ANNO REDE(M)PTORIS / IESV · M · CCCC · LXXX · QVANDO ALBA INTERLVENS DILVVII INSTAR INVNDARET, A=/GRVMQVE ETLINGIACEN(SEM) CAVARET AC DISCERPERET, PATRIIS POSTEA DVRESCE(N)-/TIBVS AR VIS, ANDRAEAS HAWER LACVM STADII ITINERE SVPRA OPPIDV(M) DISTAN=/TEM, NON LONGE A RVINIS CASTRI FVERSTENZEL, IAM BVRGSTAL DICTI, EXPVR=/GATVRVS, HANC NEPTVNI IMAGINEM, CVM ALIQVOT ALIIS CAPILLATIS, THETIM / HVIVS VXOREM, AVT NYMPHAS AQVARVM DEAS FORTASSE DIXERIS, REPERIT · / NEPTVNVS IN PONTE ALBAE SVB TVRRI, QVAE VTRAQVE OPPIDA SEPARAT, ERE=/CTVS FVIT · POSTEA QVVM ANNO M · D · XI · D(OMINVS) · MAXIMIL(IANVS) CAESAR TRA(N)SIRET, ANTIQVI=/TATE DELECTATVS, WEISSENBVRGV(M) AVEHI MANDAVIT · VBI NOBILI VIRO WALTHERO / A CRONBERG ORD(INIS) TEVT(ONICORVM) · MAGISTRO DONATVS, IN HORNECK ARCEM NYMPHARV(M) PA=/TER SE CONDIDIT · TANDEM ANNO M · D · L · SVB PIIS AC ILLVSTRISS(IMIS) · PATRIAE PRINCI=/PIBVS · PHILIBERTO ET CHRISTOPHORO MARCHIONIB(VS) · BADENS(IBVS) · BENEVOLENTIA D(OMINI) / WOLFGANGI A MILCHING, CRONBERGII SVCCESSORIS, NEPTVNVS POSTLIMINIO / REDVCTVS EST · ITAQVE S(ENATVS) · P(OPVLVS) · Q(VE) ETLINGIACENS(ES) · ANNO LIIII · MEMORIAE ET MONVME(N)=/TI ERGO, IPSVM IN HVNC LOCVM REPOSVERVNT · DIXI, ABI · C · HEDIO · D(OCTOR) · CIVIS · /
Übersetzung:
A (Übersetzung nach Wagner) – Zur Ehre des Kaiserhauses dem Gott Neptun (geweiht). Der Schiffergilde hat Cornelius Aliquandus (das Denkmal) von dem Seinigen geschenkt.
B – Im Jahre 1111 v. Chr. begann man, Ettlingen zu gründen und erstmals zu bewohnen. Zahlreich sind nämlich (die Zeugnisse), des Altertums, die du zwischen Rhein und Neckar und in den zwischen beiden (Flüssen) liegenden Orten Baden-Baden, Durlach und Pforzheim finden kannst. So geschah es im Jahre des Erlösers Jesus 1480, als die (hier) hinströmende Alb gleich einer Sintflut über ihre Ufer trat und die Ettlinger Gemarkung unterspülte und verwüstete, daß Andreas Hawer – nachdem die heimatlichen Fluren wieder trocken geworden waren – einen Teich säubern sollte, der etwa 200 m1 oberhalb der Stadt und nicht weit von den Ruinen der Burg Fürstenzell2, jetzt Burgstall genannt, gelegen war. Dort fand er dieses Bildwerk des Neptun zusammen mit einigen Figuren mit langen Haaren, Göttinnen, die man vielleicht als Thetis, (Neptuns) Gattin, oder als Wassernymphen bezeichnen könnte. Neptun wurde an der Brücke über die Alb unter dem Turm, der die beiden Teile der Stadt3 trennt, aufgestellt. Als später, im Jahre 1511, der Herr und Kaiser Maximilian auf der Durchreise Gefallen an dem Denkmal des Altertums fand, gab er den Befehl, es nach Weißenburg zu bringen. Dort wurde es dem edlen Herrn Walter von Kronberg, Meister des Deutschen Ritterordens, übergeben. Dann kam der Vater der Nymphen auf Burg Horneck in Verwahrung. Schließlich wurde im Jahre 1550 unter den frommen und erlauchten Fürsten des Vaterlandes, den Markgrafen Philibert und Christoph von Baden, und durch Entgegenkommen des Herrn Wolfgang Milchling, Nachfolger Kronbergs, der Neptun gemäß seinem Heimatrecht zurückgebracht. So haben nun Rat und Bürgerschaft Ettlingens im Jahre (15)54 denselben zum Gedächtnis und als Denkmal an dieser Stelle wieder aufstellen lassen. Meine Rede ist zu Ende. Geh du nun weiter! C. Hedio, Doctor, Bürger.
Anmerkungen
- Griechisches Längenmaß; 1 stadium = ca. 600 Fuß (ca. 200 m).
- Wüstung oberhalb Ettlingens am rechten Ufer der Alb; vgl. Krieger I 664; AmtlKreisbeschreibung V 88.
- Gemeint sind die Kernaltstadt auf dem linken Albufer und die 1363 erstmals erwähnte Neustadt; vgl. KdmBaden IX 3, 22.
- Der spätgotische Bau, abgebrannt 1689, an der Stelle des heutigen barocken Rathauses von 1737/38; vgl. KdmBaden IX 3, 56ff.
- Schedel a. a. O. – Der Wormser Bischof und Humanist Johann von Dalberg ließ 1484 römische Spolien in Ladenburg und Worms durch Einmauerung sichern und eine Gedenkinschrift beifügen; zur Antikenrezeption des Humanismus nördlich der Alpen grundlegend H. Ladendorf, Antikenstudium und Antikenkopie. Berlin 1958 (mit ausf. Literaturangaben); R. v. Busch, Studien zu deutschen Antikensammlungen d. 16. Jahrhunderts. Diss. phil. Tübingen 1973.
- Brief Maximilians an den Markgrafen Christoph, Landau 1513 Feb. 28; Wortlaut bei: Schoepflinus, Alsatia I 492 Anm. k. – Als Parallele zu dem Ettlinger Vorgang sei die Aufstellung eines römischen Inschriftsteins aus Cilli in der Grazer Burg durch Maximilian erwähnt; vgl. v. Busch a. a. O. 10. Aventin berichtet, der Kaiser habe einen antiken Meilenstein von Mittenwald nach Innsbruck bringen lassen. Auch an der Sterzinger Pfarrkirche wurde 1497 auf Befehl Maximilians ein römischer Grabstein mit einer erklärenden Inschrift eingelassen; vgl. E. Egg u. W. Pfaundler, Kaiser Maximilian und Tirol. Innsbruck, Wien, München 1969, 158f. (mit Abb.).
- Rhenanus a. a. O. lib. III pag. 124; ebenso Apianus a. a. O. 456; Hedio a. a. O. tom. IV pag. 727.
- Zur Person vgl. NDB 8 (1969) 188f.; Schottenloher I nrr. 8052–8059; V (Nachträge) nrr. 46709f.
- Hedio a. a. O. tom. IV pag. 727. Einzelne Wendungen fast wörtlich aus den Chronikwerken des F. Irenicus (1518) und des B. Rhenanus (1531) übernommen. – Hedios literarische Tätigkeit verzeichnet J. Adam, Versuch einer Bibliographie Kaspar Hedios. In: ZGO NF. 31 (1916) 424–429.
- Irenicus a. a. O. Zur Person: NDB 10 (1974) 178f.; G. Cordes, in: Oberrhein. Studien 3 (1975) 353–371. – Zur römischen Vergangenheit Ettlingens vgl. KdmBaden IX 3, 15ff.; Cämmerer a. a. O. 262ff. – Römische Inschriftsteine wurden mehrfach zur Herleitung von Städtenamen herangezogen; berühmt ist der Fall des Steins aus Winterthur im Konstanzer Münster (CIL XIII 2, 1 nr. 5249); vgl. H. Reiners, Das Münster Unserer Lieben Frau zu Konstanz 1955, 212ff.
- Über die Geschichte des Denkmals nach 1569 informierte zuerst: Schoepflinus, Alsatia I 493f. – Zur Sammlungsgeschichte des Münchener Antiquariums vgl. v. Busch a. a. O. 108ff. (ohne Erwähnung des Ettlinger Denkmals).
- CIL XIII 2, 1 nr. 6324. Zusammenfassung der Literatur bei Wagner a. a. O. 22f., 66f.; Cämmerer a. a. O. 261f. u. Taf. 27b. – Erste Erwähnung bei Schoepflinus, Alsatia I 493.
- Wagner a. a. O. 67f.; Cämmerer a. a. O. 262.
- Die Bittschrift im Wortlaut bei Waltzer a. a. O. 92f.; Original in München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Auswärtige Staaten, Akten Baden 34.
- Antwortschreiben, München 1582 Jan. 18: „… dieweil aber si die von Ettlingen, umb das dise Statt irn namen davon bekhomen haben solle, ie so grosses verlangen darnach tragen, gedenckhen wir inen solche antiquitet umb sovil weniger vorzehalten…“ (Zitat nach Waltzer a. a. O. 91).
- Denkbar wäre die Spekulation, Kopie und Original seien 1569 vertauscht worden; das beschädigte Original blieb in Baden-Baden zurück, während die ergänzte Kopie nach München geschickt wurde. – Zum Problemkreis von Fälschung, Nachbildung und Vervielfältigung antiker Denkmäler seit dem 16. Jahrhundert vgl. Ladendorf a. a. O. 51ff., 182ff.
- Den heutigen Forschungsstand vertritt Wagner a. a. O. 22f., 66ff.; dort wird auch die Ansicht widerlegt, das Ettlinger Werk sei original römisch, das Baden-Badener eine Nachbildung. Zuletzt dazu: Cämmerer a. a. O. 262.
- Vgl. dazu z. B. die Inschrift der Jupitergiganten-Säule aus Berwangen (Gem. Kirchardt, Kr. Heilbronn), jetzt Karslruhe, Bad. Landesmuseum, Inv. nr. 59/3; Cämmerer a. a. O. 324.
- Zum „Meister der Carlsburg“ vgl. nr. 231 und Einleitung S. XXVI.
- Vgl. nr. 192.
Nachweise
- KdmBaden IX 3, 20.
- M. Schedel, in: Hs. München, Bayerische Staatsbibliothek Clm. 716, fol. 305 (verfaßt 1504).
- F. Irenicus, Totius Germaniae descriptio. Francofurti a. M. 1570 (Erstausgabe 1518), lib. II pag. 52; lib. XI pag. 388.
- B. Rhenanus, Rerum germanicarum libri tres. Basileae 1531, lib. III pag. 124.
- P. Apianus, Inscriptiones sacrosanctae vetustatis … Ingolstadii 1534, 456 (m. Abb. von A).
- C. Hedio, Ein Außerleßne Chronick von anfang der welt bis auff das jar nach Christi gepurt 1539. Straßburg 1539, lib. IV pag. 727 (m. Abb. von A).
- J. Gruterus, Inscriptiones Antique totius orbis Romani in corpus absolutiss. redactae… o. O. (1602/03), lib. I pag. 62.
- M. Adamus, Vitae Germanorum theologorum. Heidelbergae 1620, 240.
- Schoepflinus, Alsatia I 489ff.
- Schoepflinus, Hist. Zar. Bad. III 5, 60.
- Sachs III 260f.
- M. Gerbertus, Historiae Nigrae Silvae … St. Blasii 1783, tom. I fol. 9.
- J. Lampadius (d. i. E. J. Leichtlen), Beitr. z. Vaterlandsgeschichte. Heidelberg 1811, 42–49.
- P. J. Schneider, Versuch einer medizinisch-statistischen Topographie von Ettlingen etc. Karlsruhe, Baden-Baden 1818, 25ff.
- G. Brambach, Corpus Inscriptionum Rhenanarum. Elberfeldae 1867, nrr. 1668, 1678.
- Schwarz, Ettlingen 3ff. u. Anhang S. 90.
- CIL III 2, 1 (Germania Superior). Berlin 1905, nr. 6324.
- H. Waltzer, in: ZGO NF. 20 (1905) 90–93.
- E. Wagner, Fundstätten u. Funde aus vorgeschichtlicher, römischer u. alemannischer Zeit im Großherzogtum Baden. Bd. II. Tübingen 1911, 22f., 66ff.
- B. Cämmerer, in: Die Römer in Baden-Württemberg. Stuttgart, Aalen 1976, 261f.
Zitierhinweis:
DI 20, Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe, Nr. 207 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di020h007k0020702.
Kommentar
Aus Inschrift B geht die Geschichte des Originals von Inschrift A hervor: der Ettlinger Neptunstein wurde nach seiner Auffindung 1480 im Bereich des Rathauses4 angebracht, weil das unter humanistischem Einfluß wiedererwachte Bewußtsein vom Wert antiker Denkmäler und Spolien in ihm ein hervorragendes Zeugnis für den römischen Ursprung der Stadt Ettlingen sah. Erstmals wird der Stein 1504 an seinem späteren Aufstellungsort bezeugt5. 1511 wurde Kaiser Maximilian I. (1493–1519) auf das Denkmal aufmerksam und ließ es „abkonterfeien“; zwei Jahre später wünschte er, den Stein an sich zu bringen6. Markgraf Christoph I. von Baden (1475–1515) konnte angesichts seiner engen Bindungen an das Haus Oesterreich diese Bitte nicht abschlagen: der Neptunstein wurde ausgebrochen und in die freie Reichsstadt Weißenburg verschleppt, wo ihn Beatus Rhenanus vor 1531 gesehen hat; 1531 befand er sich im Gewahrsam des kaiserlichen Landvogts Johann Jakob von Mörsperg in Hagenau7. Wann das Denkmal in die Obhut des Deutschordensmeisters Walter von Kronberg (gest. 1543) auf Burg Horneck (Kr. Heilbronn) gelangte, ist nicht bekannt. Unter der Vormundschaftsregierung (1536–1556) für die unmündigen Markgrafen Philibert und Christoph wurde der Neptunstein jedenfalls 1550 durch den Deutschordensmeister Wolfgang Schutzbar gen. Milchling (1543–65) an die Stadt Ettlingen zurückerstattet. Dieses Ereignis war für den Ettlinger Rat offenbar denkwürdig genug, um die Gedenkinschrift B anfertigen zu lassen und beide Denkmäler in monumentaler Rahmung wieder an der alten Stelle anzubringen. Für die Abfassung des Textes von Inschrift B wandte man sich – wie die in humanistischer Manier formulierte Signatur des Verfassers ausweist – nach Straßburg an den aus Ettlingen gebürtigen Humanisten und Theologen Caspar Hedio (Heyd) (gest. 1552)8. Seine schriftstellerische Tätigkeit umfaßt neben theologischen Werken auch historiographische Versuche; sein Hauptwerk auf diesem Gebiet, die 1539 erschienene „Außerleßne Chronick“, widmet dem Neptunstein einen kurzen Abschnitt9. Die Ettlinger Inschrift B gehört zu Hedios letzten literarischen Arbeiten; die Ausführung erfolgte in Stein erst nach seinem Tod (gest. 1552), wie die Datierung in der letzten Zeile ausweist.
Hedios Text gibt die Ereignisse seit 1480 in verkürzter Form, aber gewissenhaft wieder; daher ist auch der Mitteilung Glauben zu schenken, daß ursprünglich noch ein weiteres Relief mit weiblichen Begleiterinnen des Neptun vorhanden war; es ging offenbar vor 1550 verloren. Hedio betrachtet das römische Denkmal als indirekten Beweis für den frühen Ursprung und damit für die illustre Vergangenheit der Stadt. Das in der ersten Zeile genannte Gründungsdatum Ettlingens 1111 v. Chr. muß freilich in den Bereich der Sage verwiesen werden. Ähnlich argumentierte der mit Hedio befreundete Irenicus, der schon 1518 die Legende von der Gründung Ettlingens durch die Trojaner und die Ableitung des Städtenamens von „Neptingen“, d. i. „Stadt des Neptuns“, veröffentlichte10.
Nach dem Tod des Markgrafen Philibert I. (1557–69) wurde Ettlingen abermals seines Wahrzeichens beraubt: der Statthalter des Herzogs Albrecht V. von Bayern (1550–79), Otto Heinrich von Schwarzenberg (gest. 1590), ließ 1569 den Neptunstein wiederum ausbrechen und als Geschenk für das neu begründete Antiquarium nach München führen11. Auf Ersuchen des Ettlinger Rates erreichte Markgraf Philipp II. von Baden (1577–88) erst 1586 die endgültige Rückgabe.
Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe befindet sich ein zweites Exemplar des Neptunsteins, das 1748 in Baden-Baden in einem Keller aufgefunden worden war (Inv. nr. 20; neu C 47)12. Ein Vergleich ergibt, daß es sich bei dem leicht beschädigten Karlsruher Exemplar um das römische Original handelt. Das Ettlinger Denkmal (A) weist sich in der Ausführung des Reliefs, der manieristischen Form der Barttracht des Gottes und anderen Details als eine Kopie aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus13. Das ist mit der quellenmäßigen Überlieferung zu vereinen. Der undatierten, wohl 1581 abgefaßten Bittschrift der Ettlinger Bürger an den Markgrafen Philipp II. ist zu entnehmen, daß der Neptunstein 1569 nicht unverzüglich nach München transportiert, sondern zur Anfertigung einer Zeichnung und einer Kopie nach Baden-Baden gebracht worden ist14. Dieser „neu ausgehauene Stein“ – wie die Kopie genannt wird – war jedoch 1581 noch nicht als Ersatz für das Original nach Ettlingen versetzt worden; daher bemühte man sich um den Rücktransport des Originals aus München auf eigene Kosten. Im Hinblick auf die Beziehung des Stadtnamens zu dem Stein, also auf seinen Wahrzeichen-Gehalt, gewährte Herzog Wilhelm V. von Bayern (1580–97) die Bitte15. Die Frage, warum 1586 offensichtlich doch die Kopie in Ettlingen eingemauert wurde, das Original aber nach Baden-Baden gelangte und in Vergessenheit geriet, kann nicht beantwortet werden16. Epigraphisch interessant ist das Faktum, daß 1569 oder bald danach in einer Baden-Badener Werkstatt eine Kopie bzw. eine Fälschung angefertigt wurde, die dem Original so nahekommt, daß Inschrift A bis 1911 als echt und als antike Replik des Karlsruher Exemplares galt17.
Inschrift A reproduziert das antike Schriftbild mit bemerkenswerter Exaktheit. Die Schriftformen und Ligaturen sind bis in Einzelheiten hinein genau kopiert. Selbst die ungewöhnliche Bildung der Interpunktionszeichen in Zeile 7 ist genau beobachtet; sie weicht von den blattförmigen Interpunktionszeichen römischer Originalinschriften ab18. Die als gestielte Blätter geformten Zeichen sind hier in beiden Fällen ohne Stiel und oben beschnitten wiedergegeben. Die moderne Hand verrät sich in der starren Form des R, dessen Cauda fast ohne Schwingung ausläuft, und in den schmaler proportionierten Formen einzelner Buchstaben, vor allem merklich bei N. Die antike Schrift wirkt gegenüber der Nachbildung insgesamt kräftiger und sie ist tiefer in den Plattengrund gegraben. Im Bereich der Schrift erreicht die Nachbildung eine Perfektion, die im Bereich des figürlichen Reliefs nicht zu verwirklichen war.
Inschrift B – fünfzehn Jahre vor A ausgeführt – trägt alle Züge einer in Formgebung und Meißeltechnik hervorragenden Renaissance-Kapitalis, die in einzelnen Formen – wie z. B. M mit schräggestellten Hasten, S mit zwei etwa gleichgroßen Bogen, Q und R mit nach unten auslaufender Cauda – von der antiken Inschrift abweicht und insgesamt schlanker proportioniert ist. Die Art der Ausführung erinnert an die Schrifttafeln, die aus den in Durlach und Pforzheim für die Markgrafen der Durlacher Linie tätigen Werkstätten hervorgingen19. In Ettlingen selbst ist die Inschrift des Narrenbrunnens von 1549 vergleichbar20. Die Renaissance-Ornamentik des Brunnenpfeilers steht jedoch künstlerisch auf einem höheren Niveau als die ungeschickt ausgeführte Rahmenarchitektur des Neptun. Daher ist zu erwägen, ob für die Anfertigung solcher, höchsten Ansprüchen genügenden Schrifttafeln Spezialwerkstätten herangezogen wurden.