Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 20: Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe (1980)
Nr. 36 Gondelsheim, Schloßpark (Graf Douglas) um 1430/40
Beschreibung
Wandgemäldezyklus in der Turmhalle des Glockenturms der alten Ortskirche1. Das Untergeschoß der ehemaligen Turmchoranlage hat ein Tonnengewölbe, in das von Norden und Süden niedrigere Quertonnen einschneiden, woraus sich zwei kapellenartige Seitenräume ergeben. Von der ursprünglich alle Wandflächen überziehenden Ausmalung sind nur noch Teile an der Nord- und Südseite erhalten; die Ostwand mit später eingebrochenem Fenster ist übertüncht; die Öffnung zum Langhaus im Westen wurde nach dessen Abriß 1857/8 vermauert. Erkennbar ist ein Bildstreifen von 173 cm Höhe über einem hohen Sockelstreifen, dessen Bemalung zerstört ist; Grund dunkelrot. Dargestellt sind Standfiguren, z. T. paarweise einander zugeordnet; jede ist von einem langen, bogenförmig geführten Spruchband umgeben; Spruchbänder weiß mit schwarzer Schrift. Erhaltung sehr schlecht, jedoch offenbar weitgehend in originalem Zustand.
Maße: H. (d. Spruchbänder) 7,5–8, Bu. ca. 5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Textkritischer Apparat
- Ohne Trennung in einem Wort.
Anmerkungen
- Erstmals 1103 bezeugt, Patrozinium unbekannt. Die der Ortsherrschaft zugehörige Kirche wurde 1857/58 bis auf den Turm abgebrochen, nachdem 1842 an anderer Stelle eine neue Pfarrkirche erbaut worden war; vgl. KdmBaden IX 1, 84; AmtlKreisbeschreibung V 74.
- Vgl. W. Rotzler, Die Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten. Winterthur 1961.
- Ebd. 73ff.
- Ebd. 113ff.; KdmBaden V 76ff. – Auch hier schmückt der Zyklus eine Turmhalle.
- Die Kunstdenkmäler der Schweiz: Basel-Stadt III 1, 403ff., Abb. 221; Rotzler a. a. O. 236.
- Außer Zyklen in Loffenau (Kr. Rastatt) und Niefern (Enzkreis), die beide ebenfalls um 1430/40 anzusetzen sind, vgl. die Ausmalung des Vorchors der Friedhofskirche zu Hirschhorn-Ersheim (vor 1355; KdmHessen, Kr. Bergstraße 242ff. u. Abb. 398ff.) und den Zyklus der ev. Stadtkirche zu Wimpfen a. Berg (datiert 1516; DI. IV nr. 95). Weitere Beispiele bei J. Sauer, in: FDA NF. 19 (1919) 442f. Im Bearbeitungsgebiet vgl. nrr. 124, 125, ferner den Zyklus in Oberacker (Stadt Kraichtal), entstanden um 1400, dessen Inschriften erloschen sind; KdmBaden IX 1, 131; J. Sauer, in: FDA NF. 10 (1909) 282f.
- Loffenau, Niefern, Wimpfen.
- Vgl. DI. VIII (Mosbach, Buchen, Miltenberg) nrr. 5a, 7. – Deutschsprachig ist auch der Credo-Text in Zeutern; vgl. nr. 125.
Nachweise
- W. Spengel, Gondelsheim in Geschichte und Bild. Gondelsheim (1966) 210.
Zitierhinweis:
DI 20, Die Inschriften des Großkreises Karlsruhe, Nr. 36 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di020h007k0003603.
I. Nordseite, Nordwand westlich der Quertonne: drei aufrecht stehende Tote, die Körper mit Binden umwickelt. Die zwei Figuren links unter gemeinsamem Spruchband zusammengefaßt, die rechte wendet sich n. r.; ihr Spruchband zu Füßen führt in das an der Westwand der Quertonne anschließende, zerstörte Bildfeld hinüber.
Spruchband links:
. . . . . . . . .ful · alz · d(er) · mvt · /
Spruchband rechts: zerstört.
Die Malerei auf der Westwand und Nordwand der Quertonne erloschen.
II. Nordseite, Ostwand der Quertonne: zwei (?) Standfiguren, kaum mehr sichtbar; unten Spruchbandreste, nicht zu entziffern.
III. Südseite, Südwand der Chorkapelle: Reste von zwei Standfiguren, deutlich nur noch je ein Fuß, Teile der Binnenzeichnung der Gewänder und Spruchbandreste; Nord- und Ostseite der Chorkapelle ohne erkennbare Malereireste.
Spruchband links:
. . . . . . d(e)r · i(v)ng · . . . . . .
Spruchband rechts:
. . . . . . von · dem · d. . . . . . . . . .
IV. Südseite, Ostwand der Quertonne; zwei Standfiguren mit Büchern in Händen und von langen Spruchbändern begleitet; bei der r. Figur der bärtige Kopf mit Nimbus erhalten.
Spruchband links:
der · vf(f) · fvr · zv himela) · . . . . . .
Spruchband rechts:
ich · glewbe · in · den · [h]eil[gen geist] . . .
Die Südwand der Quertonne mit Fenster (neu) und Eingangstür ist ohne malerische Verzierung, nur der rote Malgrund ist fortgeführt.
V. Südseite, Westwand der Quertonne: zwei Standfiguren, einander zugewandt, mit Büchern und Spruchbändern.
Spruchband links:
· ich · glewbe · gmain[schaft] · d[er] . . . .
Spruchband rechts:
. . . . . . . . . . .ng · ablas · miner · svnd ·
VI. Südseite, Südwand westlich der Quertonne: zwei einander zugewandte Figuren, lebhaft gestikulierend, die linke bärtig, die rechte jugendlich, mit Buch.
Spruchband links:
· ich · glewbe · vrstendt · . . . . . . . . .
Spruchband rechts:
· ich · [g]lewbe . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kommentar
Die noch erkennbaren Teile des malerischen Programms lassen sich zwei Themenkreisen zuordnen: der Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten und dem Apostelkollegium mit dem Text des Glaubensbekenntnisses.
Die Legende der drei Lebenden, die drei Toten begegnen und von ihnen zur Buße ermahnt werden mit den Worten „Was ihr seid, das waren wir; was wir sind, das werdet ihr!“, geht auf nordfranzösische literarische Quellen des 13. Jahrhunderts zurück2. Die bildliche Darstellung, thematisch dem Totentanz verwandt, war im Spätmittelalter vor allem in Frankreich und Italien verbreitet und schmückte vorzugsweise Sakralräume, die ihrer Funktion nach mit dem Tod verbunden waren, so z. B. Friedhofskirchen, Kreuzgänge, Beinhäuser und Friedhöfe. Die hier vorliegende Darstellung folgt dem sog. „französischen Typus“3: drei als Tote gekennzeichnete Gestalten sind drei modisch gekleideten Figuren gegenübergestellt. Dieselbe Anordnung zeigt die Darstellung der Legende in der ev. Pfarrkirche in Badenweiler (Kr. Breisgau-Hochschwarzwald), dort angeblich 1413 datiert4. Ein weiteres oberrheinisches Beispiel befindet sich in der Friedhofskirche St. Jakob an der Birs bei Basel (Entstehung 1. Hälfte 15. Jahrhundert)5. Die bogenförmig die Figuren umschließenden Spruchbänder mit Anrede und Antwort der sich Begegnenden sind offenbar typisch für die hier faßbare oberrheinische Bildtradition der Legende. Der in Gondelsheim vorkommende, nur fragmentarisch erhaltene Text ließ sich anderweitig nicht nachweisen.
Der Figurenzyklus an der Südseite umfaßt das Apostelkollegium, wie aus den Bruchstücken des beigegebenen Credo zu erkennen ist. Dargestellt sind acht paarweise angeordnete Figuren. Da die Spruchbandtexte dem Ende des Credo zugewiesen werden können, muß sich der Anfang mit den vier ersten Aposteln auf Wandflächen der Ost- und Nordseite des Chores befunden haben. Das Apostelkollegium gehört zu den Hauptthemen kirchlicher Wandmalerei und ist im Bearbeitungsgebiet und seiner nächsten Nachbarschaft Betandteil zahlreicher Wandgemäldezyklen6. Die Beispiele mit lateinisch abgefaßten Credo-Artikeln überwiegen7; der hier vorliegende deutschsprachige Credo-Text ist daher bemerkenswert. Der Erhaltungszustand ist jedoch so schlecht, daß auch ein Vergleich mit besser erhaltenen, ebenfalls deutschsprachigen Formulierungen – etwa mit den Texten der Apostelzykeln in der Mosbacher Stadtkirche (Ende 14. Jahrhundert) und der Zwingenberger Burgkapelle (um 1420) – keine Ergänzung des fragmentarischen Befundes erlaubt8. Zur zeitlichen Ansetzung lassen sich aus der nicht erforschten Baugeschichte der Kirche keine Anhaltspunkte gewinnen, jedoch spricht der stilistische Befund für eine Entstehung um 1430/40.