Die Inschriften der Stadt Jena bis 1650

4. Die mittelalterlichen Inschriften

Die Zahl der überlieferten mittelalterlichen Inschriften aus dem Stadtgebiet Jenas ist auffallend gering. Nur 57 vorreformatorische Inschriften zumeist jüngeren Datums sind bekannt, vier davon gehören in das 13./14. Jh.

Von den Glocken der Michaeliskirche sind nur die lnschriften überliefert (Nr. 3, 4, 8, 9, 49, 60); die Glocken selbst wurden 1945 vernichtet.133) Ihre Tradition reicht weit zurück: In einer Urkunde vom vom 26. April 1309 wird dem Michaeliskloster in Jena das officium campanicie in der hiesigen Schule [Druckseite XXXVIII] übertragen.134) Die Urkunden erwähnen im Jahre 1367 einen Glöckner (campanator) und 1346 bereits den Glockenturm (campanile) der Jenaer Michaeliskirche.135) Auf 1325 soll die älteste Glocke datiert gewesen sein (Nr. 3). Was die Inschriften betrifft, dürften die Jenaer Glocken im Thüringer Raum für typisch gelten; hinsichtlich ihrer Entstehungszeit sind sie mehrfach die frühesten Vertreter unter inschriftlich vergleichbaren Glocken. Von den Ritzzeichnungen der Wetter- und Festglocke (Nr. 9 und 8) vermitteln einige Nachzeichnungen eine Vorstellung. Bemerkenswert ist die namentliche Erwähnung des Zeichners bzw. Gießers Hermann Bergfred auf der Wetterglocke von 1415 (Nr. 9).

In Jena sind 23 mittelalterliche Grabinschriften überliefert, von denen 17 heute verloren sind. Die älteste stammt aus dem Jahre 1382 (Nr. 5). Sie zeigt den Übergang zum formelhaften Anno-Domini-Typus. Noch wird das zeitlose “Begraben sein” in der Inschrift ausgedrückt, aber schon sind Jahreszahl und, in Minuskeln, Todestag nachgetragen. Die anderen Sepulchralinschriften folgen alle, mit Ausnahme von Nr. 34, dem Anno-Domini-Typus.136) Sie unterscheiden sich nur noch durch die wechselnden Daten, Eigennamen und “Amts“bezeichnungen voneinander. 18 Grabmale sind für Dominikanermönche niederen Ranges und vier für Jenaer Bürger bestimmt. Es fehlen gänzlich solche für die Adligen der Umgebung wie z. B. die Besitzer der Rittergüter, von denen es im Landkreis Jena sieben gab (zwei in Lobeda, je eines in Löberschütz, Golmsdorf, Beutnitz, Wogau und Drackendorf).

Die Angabe des Todesjahres erfolgt auf den ältesten Grabmalen (Nr. 5 und 22) mit römischen Zahlzeichen, auf allen anderen nach 1481 (Nr. 20) mit arabischen Ziffern. Den Übergang von römischen zu arabischen Zahlzeichen137) markiert in Jena die Bauinschrift von 1486 (Nr. 25), in der beide Formen nebeneinander stehen. Der Todestag ist in drei der mittelalterlichen Grabinschriften nicht angegeben (Nr. 21, 32, 55). Sonst ist in elf Fällen zwischen 1382/1523 (Nr. 5, 23, 27, 38, 40, 41, 45, 50, 53, 54 und 57) nach dem christlichen Heiligenkalender datiert, zwischen 1483 und 1522 viermal (Nr. 22, 28, 46, 56) in “moderner” Weise mit Tag und Monat. Die Angabe des Wochentages (mit feria, beginnend beim Sonntag als prima feria) war bei Datierung vor oder nach einem bestimmten Festtag notwendig (vgl. Nr. 5, 23, 45); sie wird auf dem Gisenz-Epitaph von 1483 (Nr. 22) pleonastisch: Für die Datierung ist es unerheblich, ob der 18. Oktober ein Sonnabend war. Auf den Dominikanergrabsteinen erfolgte die Angabe der Ordenszugehörigkeit durch das Wort frater vor dem Individualnamen sowie der erreichten Stufe in der Ordenshierarchie. Epitheta begegnen in den mittelalterlichen Grabinschriften Jenas nur zweimal: Hans von Berga wird als “erbar” vorgestellt (Nr. 32), der Vikar Johann Gisenz als dominus honorandus (Nr. 22). Auf den wenigen bildnerisch gestalteten Grabmalen (Nr. 5 und 22) ist dem als Adoranten dargestellten Stifter jeweils ein Spruchband mit Ps 50,3 (miserere mei deus) beigegeben – entsprechend der deutschen Invokationsformel: “dem Gott gnade”, die sich auf nur vier Grabsteinen findet (Nr. 5, 21, 32, 57).

Unter den Bauinschriften ist die am wenigsten aufwendige und sehr häufig vorkommende Form die einfache Jahreszahl. Ältester Jenaer Beleg war ein Stein vom Johannistor von 1304 (Nr. 2). In Innenräumen wurden Jahreszahlen zumeist nur aufgemalt, wie die älteste in Jena erhaltene im Gewölbe der Wolfgangskapelle (Nr. 29). In Erweiterung der – mitunter durch anno oder anno domini ergänzten – Jahreszahl bildeten sich später feste Formulare von Bauinschriften heraus. Die [Druckseite XXXIX] Art der Anbringung bestimmte ihre äußere Gestalt. Im einfachsten Fall handelt es sich um eine Steintafel (Nr. 10, 85), oft mit einer Profilleiste gerahmt (Nr. 25). Die Wappentafel im Collegium Jenense (Nr. 69) aus nachmittelalterlicher Zeit ist überhaupt das einzige Beispiel einer aufwendigen Prachttafel in Jena.

Die häufigste Formel für eine Bauinschrift ist ein eingliedriger Satz des Schemas: Datierung – Verbum (im Passiv konstruiert) – Bauobjekt. Dieser Typ138) kommt an sakralen wie an weltlichen Gebäuden vor und ist allgemein verbreitet. Er bleibt das ganze Mittelalter hindurch vorherrschend, da sich erforderliche Erweiterungen leicht in diese Satzkonstruktion einbauen ließen. Beim Datum tritt die Jahreszahl seit dem 15. Jh. fast ausnahmslos in Verbindung mit der Angabe des Tages (meist nach christlichem Festkalender) auf. Vor allem werden nun Baubeginn und Bauabschluß unterschieden durch die Verben inceptus/inchoatus bzw. completus und finitus. Deutsche Entsprechungen sind: “vollbracht” bzw. “angelegt, angefangen”. In Nr. 10 sind Beginn und Abschluß auf demselben Stein verzeichnet. Das Bauobjekt ist teils sehr allgemein mit haec structura/hoc opus benannt (Nr. 1, 11, 15, 30, 31), teils aber, wenn es sich z. B. um Teilneubauten oder Einbauten von besonderer Wichtigkeit für den Auftraggeber handelt, sehr präzise (z. B. Nr. 10, 12, 25, 42, 44, 68). Die Bauinschriften dokumentieren häufig auch Stiftungen. Neben Monogramm oder Wappen (Nr. 7) wird der Donator mit vollem Namen (Nr. 18, 19, 24), gelegentlich die Stiftung selbst genannt (Nr. 30). In einem Fall ist sogar der Wortlaut der Stiftungsurkunde in Stein übertragen worden (Nr. 42). Der Bauherr kann als indirektes Subjekt in den oben genannten Grundtypus mit den Präpositionen sub oder per aufgenommen werden, oder der Name steht asyndetisch im Nominativ am Beginn oder am Schluß der Inschrift (z. B. Nr. 42). Es ist in Jena ohne Parallele, daß in der Inschrift am Roten Turm von 1430 (Nr. 10) als Bauherr und Bauausführender die gesamte Bürgerschaft (per civitatem) genannt wird.

Von den Bauherren zu unterscheiden sind die eigentlichen Baumeister, die selten namentlich genannt sind. Bisweilen sind sie durch ihr Steinmetzzeichen präsent (z. B. Peter Heierliß in Nr. 25). Zur Dokumentierung der von der Jenaer Bürgerschaft getragenen Bauwerke – wie z. B. die Stadtmauer und besonders die Stadtkirche – ist ein spezielles “städtisches” Inschriftenformular ausgeprägt und großzügig in Stein umgesetzt worden (Nr. 11, 16, 25, 44, 68). Die civitas Jenensis nennt sich nur in der ältesten ihrer Bauinschriften als civitas (Nr. 10). Später werden ausgewählte Magistrate angeführt: an der Spitze stehen mit den Ratsmeistern die obersten Beamten der Stadt, es folgen die Baumeister, in deren Verantwortung die gesamte Bauleitung und Rechnungsführung fiel. Aus Nr. 16 geht hervor, daß es sich hierbei um die “Altermeister” handelt, d. h. die als Kirchvorsteher fungierenden Zunftmeister. In der Regel hatten diese Meister auch Sitz und Stimme im Stadtrat. Die Turmbauinschriften (Nr. 16 und 25) fügen in Erweiterung Werkmeister und Steinmetze hinzu. Eine solche Namensreihung ist aber, da der Jenaer Rat jährlich wechselte, zugleich ein Element der Datierung139) und steht somit in einer Tradition, die bis auf die antiken eponymen Jahresbeamten zurückreicht. In Thüringen gibt es nur wenige entfernt vergleichbare Inschriften.

Inschriften an privaten Wohnbauen sind erst aus der zweiten Hälfte des 16. Jh. und später überliefert.

Zitationshinweis:

DI 33, Stadt Jena, Einleitung, 4. Die mittelalterlichen Inschriften (Luise und Klaus Hallof), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di033b005e002.

  1. 133. Erhalten blieb nur eine profane Glocke aus dem Collegium Jenense von 1688, vgl. Hallof 1986a, 59. »
  2. 134. UB I, Nr. 78. »
  3. 135. UB I, Nr. 334 und Nr. 203. »
  4. 136. Vgl. P. Buxtorf, Die lateinischen Grabinschriften in der Stadt Basel, Univ. Basel, phil.-hist. Fak., Diss. Basel 1940, 40; die dort genannte Reihenfolge (Anno domini – Datum – obiit – Name – Stand – Invokation) wird ebenfalls in Jena bevorzugt, doch finden sich auch Abweichungen, z. B. Nr. 53 (Tagesangabe am Ende). »
  5. 137. Vgl. Kloos 1980, 63; er nennt als sehr frühe Zahl DI I, Nr. 5 von 1419. – Älteste arabische Zahl in Naumburg-Land: 1448 (DI IX, Nr. 384), im Naumburger Dom: 1505 (DI VI, Nr. 52). »
  6. 138. In Jena ist die einfache Grundformel nur noch drei Mal vertreten: Nr. 1 (lat.), Nr. 12 und 85 (dt.). »
  7. 139. Daher die merkwürdige Syntax in Nr. 25: Die Namen stehen losgelöst von der übrigen Inschrift als Einschub und können so zum Datum (= Amtsjahr der Genannten) wie zum Verbum (= die Genannten in ihrer Funktion beim Baugeschehen) gezogen werden. Auffällig auch die doppelte Jahreszahl. »