Inschriftenkatalog: Landkreis Jena
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 39: Landkreis Jena (1995)
Nr. 79 Ziegenhain, Wallfahrtskirche 15. Jh.?
Beschreibung
Inschrift auf einem Wandbild an der Nordwand des Langchores, im ersten Joch. Nur in seinen oberen Partien über der zweiten Seitenempore in den Umrissen erhalten. Dargestellt ist die Anbetung Christi durch die hl. Könige. Die untere Bildhälfte (die Könige betend vor dem Christuskind) wird durch das Dach des Stalles und die Inschriftleiste von dem Hintergrund getrennt, der aus drei Burgen strömendes Kriegsvolk zeigt; rechts am Bildrand die Verkündigung (an einen einzigen Hirten mit übergroßer Keule), oben zwischen der linken und der mittleren Burg ein Engel in einem vielstrahligen Stern, unter ihm eine Monstranz. In späterer Zeit (2. H. 16. Jh.?) wurde ein breiter Rahmen um das Gemälde gezogen, dem die Randpartien (darunter wohl auch einige Buchstaben der Inschrift) zum Opfer fielen. Der untere Teil des Freskos ist übertüncht; auch ältere Kopien zeigen dort nur noch die Häupter zweier stehender Könige. Die Inschrift verläuft in Höhe der zweiten Empore. Der obere Teil des Bildes ist oft nur in den Umrissen vorhanden, durch Graffiti vornehmlich des 19. Jh. weiter verdorben.
Maße: H. ca. 310 cm; Schriftband: H. 20 cm, B. 291 cm; Bu. 12 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel, rotbraun auf grauem Grund gemalt.
[r]eges tharsis et insule munera afferunta) [re]ges ar– – –1)
Übersetzung:
Die Könige von Tharsis und von der Insel bringen Geschenke. Die Könige von Ar(abien und Saba ...)
Textkritischer Apparat
- Bis hierher die Kopie von Weidenbach und die späteren Editionen; offerunt reges etc. Wiedeburg.
Anmerkungen
- Ps. 71,10: reges Tharsis et insulae munera offerent, reges Arabum et Saba dona adducent; zur Form afferunt in der Inschrift, vgl. Ps. 67,30: tibi afferent reges munera.
- BuKTh Jena, 235: „So ist durch ihn [= den Rahmen] die am rechten Ende des mittlern Inschriftstreifens befindliche Jahreszahl zur größeren Hälfte unleserlich gemacht“; vgl. Mühlmann 1981a, 190.
- Zuletzt ausführlich Gockel, Königspfalzen 234–257.
- Die Daten (1345 Greifberg, 1358 Windberg, 1349/50 Kirchberg wettinisches Lehen) und Quellen bei Gockel, Königspfalzen 252.
- Hierzu gehörten die Dörfer (Jena-)Prießnitz, Rodigast, Wogau, Wenigenjena, Ziegenhain, Löbichau und die Stadt Jena.
- UB Jena II, Nr. 730.
- Zur Baugeschichte zuletzt Mühlmann 1981a, 181–184, in Auseinandersetzung mit BuKTh Jena, 229–232.
- Zu Peter Heierliß, vgl. DI 33 (Jena), Nr. 24.
- Mühlmann 1977, 92: „Daß das Fresko auch auf die Rippenansätze gemalt wurde, ergibt, daß es zu einer Zeit entstanden ist, als man sich schon damit abgefunden hatte, zunächst ohne Wölbung auszukommen“.
- Vgl. zur Einbindung der Minuskel in ein Zweiliniensystem A. Seeliger-Zeiss, DI 25 (Lkrs. Ludwigsburg), S. XLIV–XLV.
- Barsekow 1931, 121.
- E. Devrient, Zweifel und Irrtümer der historischen Ortskunde, in: Altes und Neues aus der Heimat. Beilage zum Jenaer Volksblatt, 5. Folge, 1931–1933 [1934], 106–110; Mühlmann 1965, 282.
- Forschungsüberblick bei Mühlmann 1977b, 105–113.
- Vgl. die Karte bei Gockel, Königspfalzen 239.
- Die vollständige Sammlung der älteren Abbildungen findet sich im Nachlaß v. Ried, Handschriftenabteilung der Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek Jena, Sign.: Ms. Thur. f. 86 (4) [„Die Schlösser bei Jena auf dem Hausberge“].
- Abgebildet bei Mühlmann 1977b, 105 Abb. 1.
- Abgebildet bei Mühlmann 1965, 282 Abb. 5; Mühlmann 1977a, 94 Abb. 4.
- Im 3. Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums, Naumburg 1823, Taf. XI; abgebildet bei Mühlmann 1981a, 191 Abb. 5.
- Offenbar unrichtig Schmidt 1830, S. VII: „Die Zeichnung mit den drei Burgen, welche zwar zunächst nach dem Wandgemälde in der Ziegenhainer Kirche entworfen worden ist, sich aber auch in Avemanns Geschichte ... und im 3. Berichte ... findet“.
- Schmid 1830, Faltblatt vor S. 1; abgebildet in: WZ Jena 35, 1986, H.3–4, 274.
- So schon Wiedeburg 1784, 28: „Avemann aber sagt eben so entscheidend: Windberg oder Wintberg stand hinter Kirchberg und Greifberg, und so hat er auch diese drey Schlösser in seinem Kupfer zu S. 37 in lang Folio benennt...“
- A.O. 28: „Ich, vor meinen Theil, finde mich bestimmt Avemannen beyzutreten [d.i. in der Frage der Reihenfolge der Burgen], wie ich schon auf meinem Tittel=Kupfer gethan. Dieses mein Bild der drey vormaligen Kirchbergischen Schlösser ist von einem sehr alten, mir die Sache ganz entscheidenden Urbild in der Ziegenhainer Kirche genommen. Wahrscheinlich ist auch das Avemannische eine unvollständige Kopie von dem nehmlichen, wenn er auch dessen nicht erwähnt hat.“ S. 46 zitiert er die ältere Überlieferung (Hortleder, Beier), die von einem „Schleifloch, oder hohes offen Gewölb“ am Greifberg spricht, und bemerkt: „Dieses mag wohl das zwischen Greifberg und Kirchberg ... gelegene verfallene Loch seyn, auf dem Tittel=Kupfer mit Brunnen bezeichnet, von welchem man sonst glaubte, daß es die Oeffnung in unterirrdische Gänge sey.“ – Der Brunnen wurde im Jahre 1900 untersucht und als Zisterne festgestellt, vgl. Der Hausberg und die Fuchsturmgesellschaft. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der Fuchsturmgesellschaft, Jena 1911, 18.
- BuKTh Jena, 235.
- Mühlmann 1981a, 190; Gockel, Königspfalzen 238.
Nachweise
- Wiedeburg 1784, 30 und Kupferstich auf dem Titelblatt.
- Weidenbach (s. Anm. 18), Taf. XI.
- Nachlaß Heß, Ms. Thur. f. 26, p.181–182 (vgl. Heß 1865, 204–205).
- BuKTh I (Jena), 1888, 234.
- Mühlmann 1981a, 190 und Photo Bild 20.
- Vgl. Avemann 1747, 20–37.
- 3. Jahresbericht (s. Anm. 18), 45–46.
- Schmid 1830, S. VII und Taf.
- Ortloff 1859, 122.
- H. Lorenz, Geschichte des Fuchsturmes in Jena [1886], in: Fuchsturm und Fuchsturmgesellschaft. Festschrift ... 1936, 80–82.
- BuKTh I (Jena), 1888, 70–72.
- Glaue 1924, 4.
- Barsekow 1931, 121.
- Mühlmann 1965, 282.
- Mühlmann 1977a, 90–94.
- Mühlmann 1977b, 110.
- Gockel, Königspfalzen 238.
Zitierhinweis:
DI 39, Landkreis Jena, Nr. 79 (Luise und Klaus Hallof), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di039b006k0007908.
Kommentar
Die richtige Lesung des Schlußes der Inschrift erlaubt es nicht nur, mit der unbewiesenen Überlieferung aufzuräumen, an dieser Stelle habe früher eine Datierung gestanden;2) sie erfordert auch die Annahme eines weiteren, nicht überlieferten Inschriftstreifens (wohl am unteren Rand des Bildes), der den Schluß des Bibelverses enthielt. Denn der um das Gemälde später gezogene Rand kann nur wenige Buchstaben vernichtet haben, unmöglich die ganze zweite Hälfte des Psalmenverses.
Die wissenschaftliche Diskussion um das Gemälde konzentriert sich auf die Frage, welchen historischen Wert dieses für das Aussehen und die Lage der drei Hausbergburgen oberhalb von Ziegenhain habe; zeigt doch der Hintergrund des Bildes, wie erwähnt, drei mit Burgen besetzte Bergkuppen.
Die Reihenfolge der Hausbergburgen Kirchberg, Greifberg und Windberg war lange Zeit heftig umstritten. Kirchberg befand sich als Königspfalz bis in das 12. Jh. hinein in unmittelbarer Gewalt der Krone;3) Aufenthalte der salischen Kaiser sind zwischen 974 und 1009 bezeugt. Im Jahre 1149 wurden unter Konrad III. die Burggrafen von Kirchberg als Ministerialen eingesetzt, die während der Stauferzeit zu einem der bedeutendsten Feudalgeschlechter an der mittleren Saale wurden. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht, spätestens im 1. V. 13. Jh., gründeten die Kirchberger die neue, geräumigere Burg Windberg, erstmals 1279 erwähnt. Von den Besitzern der dritten Burg Greifberg ist nur wenig bekannt; sie werden 1257 letztmalig genannt. Im Jahre 1304 wurden wegen Landfriedensbruch des Burggrafen Otto von Kirchberg die drei Schlösser von einem Erfurter Heer unter landgräflicher Führung belagert, erobert und Windberg und Kirchberg geschleift. Windberg bauten die Burggrafen zwar wieder auf, aber bereits 1358 waren alle drei Hausbergburgen in der Hand der Wettiner.4) Windberg ist im Jahre 1378 Sitz eines fürstlichen Amtes.5) Die Burgen selbst verfielen mehr und mehr; die Kapelle auf dem Kirchberg wird 1471 letztmalig genannt, und 1484 wurde die Nutzung der Burgwälle als Weide verpachtet.6) Am Ende des 15. Jh. war offenbar keine der Burgen mehr bewohnt; als monumentaler Überrest hat sich einzig der runde Fuchsturm auf dem mittleren Bergrücken erhalten.
Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Datierung des Wandbildes eine besondere Wichtigkeit zu. Die Annahme, das Bild sei kein Produkt der Phantasie des Malers, sondern reflektiere den tatsächlichen Zustand der Burgen, steht und fällt mit der Datierung. Die Wallfahrtskirche in Ziegenhain wurde im wesentlichen in zwei Etappen gebaut. Ein erster Abschnitt, um 1427 fertiggestellt,7) umfaßt den Chor und die drei Chorjoche, in deren erstem sich das Gemälde befindet. Nach langer Unterbrechung kam erst 1466 mit einem eigens eingeräumten Ablaß das Baugeschehen wieder in Gang, wobei die endgültige Gestaltung des dreischiffigen, auf nur zwei Joche berechneten Langhauses und des nach dem Vorbild von Vierzehnheiligen (vgl. Nr. 46) gebauten Turmes mit dem Namen des Steinmetzen Peter Heierliß verbunden ist, der im letzten Viertel des 15. Jh. im Jenaer Raum wirkte.8) Die Mauerteile, auf denen sich das Gemälde befindet, entstammen demnach der ersten Bauperiode (1. V. 15. Jh.). Nach Mühlmann habe man das Bild aber erst um 1480 aufgebracht, als man auf die ursprünglich geplante Einwölbung des Chores endgültig verzichtete;9) zum Beweis dient ihm, daß die für die geplante Wölbung angebrachten Konsolen übermalt und in das Fresko einbezogen sind. Das ist aber keineswegs für eine Spätdatierung zwingend. Der epographische Befund ermöglicht keine sichere Datierung: Die breiten Buchstaben haben feine Haarstriche an den Enden, die Unterlängen sind reduziert, die Oberlängen dagegen nicht; auffällig ist das Fehlen von Majuskeln, was auf das frühe 15. Jh. deutet.10) Man sollte daher die Bindung des Gemäldes an den zweiten Bauabschnitt aufgeben und eine Datierung in das frühe 15. Jh. mit 1427 als den terminus post quem vornehmen.
Barsekows Auffassung, daß gegen Ende des 15. Jh. die Burgen keineswegs mehr so gestanden haben wie dargestellt,11) ist bei einer Entstehung des Gemäldes im 2. V. 15. Jh. gegenstandslos; aber selbst für die Zeit um 1500 hat bereits E. Devrient auf Urkunden hingewiesen, die noch 1481 von „Häusern“ auf dem Windberg und 1502 von den Gebäuden der Burg Kirchberg sprechen.12) Damit ist natürlich die Freiheit des Künstlers bei der Gestaltung des Gemäldes keineswegs in Abrede gestellt; aber eine Orientierung an dem tatsächlichen Aussehen der Gebäude ist recht wahrscheinlich.
Somit gewinnt das Wandgemälde an Bedeutung für die Frage nach der Abfolge der drei Burgen, die in der Forschung höchst umstritten war.13) Die Urkunden erlauben zunächst unabhängig von dem Gemälde folgende Feststellungen: Greifberg „an der Ziegenkoppe“ lag unmittelbar bei diesem westlichsten Gipfel des Hausberges über der Saale, der keine Spuren von Besiedlung aufweist.14) Der im Lehnsbuch Friedrich des Strengen von 1359 erwähnte Flurname Sonnenbutel unterhalb von Windberg haftete noch am Beginn dieses Jh. am östlichsten Teil des Hausberges. Demnach war die Reihenfolge, von West nach Ost: Greifberg – Kirchberg – Windberg.
Eben diese Abfolge scheint auch (von links nach rechts) auf dem Hintergrund des Ziegenhainer Freskos beachtet und, wenn man Lehfeldt glauben darf, durch neben die Burgen geschriebene Namen ausdrücklich fixiert worden zu sein. Hierbei hat man auf die älteren Kopien des Freskos verwiesen, von denen einige Namensbeischriften aufweisen. Die fraglichen Kopien sind die folgenden15):
a) Kupferstich (von 1747) bei Avemann, Taf. A: „die Schlösser Greif= Kirch= und Windberg, wie sie ehemals in ihrem esse gestanden, und von ferne sich präsentiret“. Der Stich zeigt keine Personen, nur die Burgen vor düsterem Himmel, mit den Beischriften.16)
b) Kupferstich (o. J., vor 1784) bei Wiedeburg. Die Titelviginette zeigt das Gefolge der hl. Könige zwischen Felsen, im Hintergrund die Burgen; auch sonst Einzelheiten, die sich bei Avemann nicht finden (Engel im Stern, das gotische Tabernakel17), so daß Autopsie Wiedeburgs bestätigt wird; auf die Beischriften ist unten noch besonders einzugehen.
c) Lithographie, angefertigt um 1822 von dem Maler Weidenbach nach Autopsie, sehr zuverlässig, mit dem Psalmenzitat, aber ohne Beischriften.18)
d) Lithographie, angefertigt um 1830 von dem Porzellanmaler Fuchs in Jena, offenbar in enger Anlehnung an Avemann;19) die drei Burgen auf felsiger Höhe, ohne Beischriften.20)
Die beiden älteren Darstellungen weisen Beischriften auf: Bei Avemann (a) finden sich über den Burgen die Namen: Greifberg. Kirchberg. Windberg. In dieser Form ist das freilich für das 15. Jh. unmöglich, und man muß diese Namen als das in den Kupferstich genomme Ergebnis der Avemannschen Forschungen betrachten, was bereits Wiedeburg tut.21) Auch auf dessen Kupferstich (b) finden sich Beischriften, zunächst wie bei Avemann: Greifberg. Kirchberg. Windberg, und zusätzlich zwischen der linken und der mittleren Burg das Wort Brunn. Hierzu bemerkt er aber ausdrücklich, daß er selbst diese Bezeichnungen auf dem Kupferstich hinzugefügt habe; mit Brunn habe er eine Zisterne markiert, die unmittelbar vor Greifberg lag und in der topographischen Diskussion eine gewisse Rolle gespielt hat.22) Damit muß Lehfeldts Bemerkung „am rechten Rande läßt sich das Wort vind... noch erkennen“23) als ein von Avemanns und Wiedeburgs Beischriften provoziertes Produkt seiner Phantasie abgetan werden; zumal trotz aufmerksamster Suche nicht die geringste Spur dieser Namen auf dem Gemälde mehr zu erkennen ist, obwohl sonst gerade die schwarzen Linien der Umrisse noch am besten erhalten sind. Die historische Geographie der Hausbergburgen hat zukünftig ohne das ominöse vind... auszukommen, mit dem in der Literatur bisweilen argumentiert worden ist.24)