Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)
Nr. 238 Rathaus 1563
Beschreibung
Belehrende Texte nach den Zehn Geboten für die Mitglieder des Rats auf einer Steinätztafel. Sitzungssaal. Hochrechteckige Tafel, durch zwei Flechtwerkbögen in zwei kolumnenförmige Felder geteilt, darunter ein weiteres, durch den weitergezogenen Flechtwerkrahmen an den Seiten, eine schmale Flechtwerkleiste oben und eine breite Flechtwerkleiste unten gerahmtes, querrechteckiges Feld. Die untere Leiste ist in der Mitte unterbrochen, dort ein Wappenschild. Über den beiden Flechtwerkbögen in den Ecken links und rechts, den Bögen folgend, Überschrift (I), in der Mitte Jesusmonogramm (II), in den beiden Kolumnen, in größerer Fraktur, das neutestamentliche Doppelgebot (III), vor dem Text je ein Flechtwerkornament. Dazwischen in kleinerer Fraktur die Gebote des Alten Testaments, wobei die Worte des Doppelgebotes als Initien der alttestamentlichen Gebote dienen und daher in der Edition in runden Klammern wiederholt werden (IV), beide Texte in deutscher Sprache. Unten, im querrechteckigen Feld, belehrende Inschrift für die Ratsherren in Latein (V), unten rechts Monogramm - Künstlersignatur (VI). Inschrift erhaben geätzt, mit Resten von roter Fassung bei Inschrift III, der Jahreszahl in Inschrift V und der Zunge des Panthers im Wappen. Steinätztafel. Kalkstein.
Maße: H. 31,5 cm, B. 24,5 cm, Bu. 1,3 (III), 0,4 cm (IV).
Schriftart(en): Fraktur (I, III, IV), Kapitalis (II, V, VI).
- I. In den oberen Ecken der Tafel:
Halt Die gebot //Gebeut dir gota),
- II. Oben in der Mitte:
IE(SV)Sb)
- III. Zwischenzeilen:
Das Erstc) // Lieb= / Gott = / Deinen = / Herrn = / Genntzlichd) = // Das annderc) // Unnd=// Deinen = / Negsten = / Alls = / Dich =
- IV.
(Lieb=/)e) hoff · vnnd glaub in einen gottden anbett vnd halt seine gebott ·(Gott=/)e) des namen hab alzeit in Eernf)nit vnützlich soltu bei im schw/=erng)(Deinen=/)e) Feirtag heilig vleisigklichh)got zu lob mit andacht diemuetirg/=klichg)(Herrn=/)e) die dir vorsteen vnd die dich lernvatter vnnd mueter · die soltu Eern(Genntzlich=/)e) behalt in deiner gedechtniemandt soltu tödten widerrechti) // (Vnnd=/)e) es sey dann dein eelich ma(n) oder weibnit vnkeusche du mit keine(m) andern / treibj) .(Deinen=/)e) gleichen den got erschaffen hat als / dichg)nicht nime im sein guet noch eere onrechtlichg)(Negsten=/)e) durch lieb, gab, feindschafft · oder / peinj) .nitk) soltu falscher Zeug noch richter / seinj) .(Alls=/)e) zu vnkeuscheit oder antern vnernnit soltu deines negsten gmahels / begernj)(Dich=/) mensch verlaße ich nit spricht gotnit beger vnrechts guets halt die / gebotg)
- V.
QVISQVISl) SENATOR OFFITII CAVSA CVRIA INGREDIERIS / ANTEl) HOC OSTIV(M) PRIVATOS AFFECTVS OMNES ABIICITOm) . / IRAMl), VIM, ODIVM , AMICITIAM, ADVLATIONEM . / PVBLICAE REI PERSONAM ET CVRAM SVSCIPITO / NAMl) VT ALIIS AEQVVS AVT INIQVVS IVDEX FVERIS / ITAl) QVOQ(VE) DEI IVDITIV(M) EXPECTABIS ET SVSTINEBIS / M . D // LXIIIn) .
- VI. Unten rechts:
S(IXTVS) L(OEBLEIN)o)
Übersetzung:
Wer auch immer (du bist) der du als Ratsherr das Rathaus um der Geschäfte willen betrittst, so sollst Du vor dieser Tür alle privaten Gefühle ablegen, den Zorn, die Gewalt, den Hass, die Freundschaft und die Kriecherei. Du sollst nämlich das Amt und die Sorge um die öffentlichen Dinge auf dich nehmen, damit du den anderen ein gerechter und unvoreingenommener Richter seist, wie es auch Du im Gericht Gottes erwarten und auch ertragen wirst. 1563. (V)
Bibel- und Schriftstellerzitat(e):
- Nach Lk 10, 27 (III) und Ex 20, 1-17. (IV)
Versmaß: Deutsche Reime. (I, IV)
Ingolstadt. |
Textkritischer Apparat
- Links und rechts in der Ecke dem Rahmenverlauf folgend.
- Nomen sacrum IHS.
- Nach dieser Zeile ein Flechtwerkornament.
- Bogen des h zu einem Linienornament ausgezogen. Wechsel in die zweite Kolumne.
- Text aus Inschrift III, wird auch zum Verständnis von Inschrift IV gebraucht, daher hier in Klammer wiederholt.
- E vergrößert und ornamental verziert, mit Resten farbiger Fassung.
- Letzte Zeile rechts unter die vorherige gesetzt.
- Bogen des h zu einem Linienornament ausgezogen.
- Wechsel in die zweite Kolumne.
- Letzte Zeile rechts unter die vorherige gesetzt. Abschlusszeichen in Form eines schrägliegenden Strichs.
- Zerstörung der unteren Hälfte der Buchstaben und des darunterliegenden Ornaments.
- Vergrößerte Anfangsbuchstaben.
- O kleiner.
- Datierung mit weiten Abständen über die untere Zeile verteilt, in der Mitte durch Wappenschild geteilt.
- S und L verschränkt.
Anmerkungen
- Vgl. Steininger, Steinätztafeln 646f.
- DI 84 (Weilheim-Schongau) Nr. 145.
Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 238 (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0023801.
Kommentar
Die Steinätzplatte ist durch die Signatur als Werk des Straubinger Modisten Sixtus Löblein gekennzeichnet. Löblein fertigte für zahlreiche süddeutsche Städte Ratsspruchtafeln und Gebotetafeln, meist ohne Auftrag, sondern in der Hoffnung für die Tafeln von den Städten ein Ehrengeschenk zu erhalten, wie dies z. B. für die Stadt Bamberg belegt ist1). Gebotetafeln mit identischem Text und fast identischer Anordnung der oberen Kolumnen finden sich heute im Weilheimer Stadtmuseum und im Maximilianmuseum in Augsburg2). Ungewöhnlich ist die Kombination von Gebotetafel und belehrender Inschrift für den Rat. Die belehrende Inschrift findet ihre deutsche Entsprechung auf der zweiten im Rathaussaal überlieferten Tafel (vgl. Nr. 239). Diese trägt die Signatur G K, stammt also von einem anderen Steinätzer, der bisher noch nicht identifiziert werden konnte. Die Tafel des Sixtus Löblein scheint sich jedoch auch auf ein Pendant zu beziehen, denn der Ingolstädter Panther ist auf der erhaltenen Tafel nach links gewendet. Wenn Löblein hier nicht bei der Gestaltung des Wappens irrte, ist davon auszugehen, dass eine zweite Tafel mit einem weiteren Wappen existierte, dem sich der Panther aus heraldischer Courtoisie zuwandte – vielleicht eine Tafel mit deutschem Ratsspruchtext.
Darüber hinaus überliefert Ostermair den Text zweier Ratsspruchtafeln, die zwar inhaltlich mit den erhaltenen Tafeln übereinstimmen, aber doch einen weit längeren und auf einen gelehrten Verfasser schließen lassenden Text enthalten, sodass man von der Existenz weiterer Ratsspruchtafeln ausgehen muss. Vgl. dazu unten Nr. 240†.