Die textilen Inschriften der Stadt Bamberg
1. Vorwort, Vorbemerkungen und Benutzungshinweise
1.1 Vorwort
Die Stadt Bamberg verfügt über einen einzigartigen Schatz an beschrifteten historischen Textilien. Auf diesen Bestand machte Dr. Renate Baumgärtel-Fleischmann, Diözesanmuseum Bamberg, die Kommission für die Herausgabe der deutschen Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit aufmerksam, als sie die Bearbeitung nach dem Tod von Prof. Dr. Rudolf Michael Kloos übernahm. Die Kommission beschloss daher – abweichend von ihren damaligen Usancen – zumindest die Textilien des Domschatzes in die Bearbeitung der Bamberger Inschriften aufzunehmen. Durch ihre starke berufliche Beanspruchung konnte eine Fertigstellung des Teilbandes Bamberg Dom von Frau Dr. Baumgärtel-Fleischmann nicht erreicht werden. Nach ihrem Tod fiel das Manuskript an die Inschriftenkommission zurück. Bei der Weiterarbeit an den Bamberger Beständen fanden sich zahlreiche weitere Textilien im Bereich der Stadt. Vorarbeiten für den Dombestand durch Frau Dr. Tanja Kohwagner-Nikolai führten zu dem Ergebnis, dass die Bearbeitung der sog. Kaisermäntel den Umfang eines DI-Artikels bei weitem sprengen würde. Es gelang der Universität Bamberg in Zusammenarbeit mit dem Diözesanmuseum und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften für die Bearbeitung ein Forschungsprojekt der DFG einzuwerben. Ihm bleibt die Erforschung der sog. Kaisermäntel nunmehr vorbehalten.
Die in Bamberg neben diesen hochrangigen Stücken aufgefundenen Textilien – verwiesen sei hier nur auf die einzigartige Objektgruppe der Fürhangtücher – stellen ebenfalls eine wichtige und kaum je an einem anderen Ort erhaltene Menge an inschriftlichen Quellen in diesem Material dar. Es scheint deshalb geboten die bereits gewonnen Forschungsergebnisse über den vielfältigen Bestand möglichst bald der Forschung zur Verfügung zu stellen.
Die Kommission ist Frau Dr. Tanja Kohwagner-Nikolai zu Dank verpflichtet, dass sie ihre große Sachkenntnis, diesen so oft vergessenen Inschriftenträgern gewidmet hat. Frau Dr. Christine Steininger und Frau Dr. Ramona Baltolu sei für ihre Hilfe bei der Redaktion gedankt. Dank für Hilfe geht an Domkapitular Dr. Norbert Jung, Domstift Bamberg, Dr. Holger Kempkens, Diözesanmuseum Bamberg, Dr. Matthias Exner, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Frau Dr. Anja Kregeloh sowie ihre Kolleginnen und Kollegen in der Textilrestaurierung, dem Historischen Archiv und der Graphischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, den Mitarbeiterinnen des Restaurierungsateliers für Textilien am Bayerischen Nationalmuseum München, Frau Dr. Eva Schurr und den Mitarbeiterinnen der Museen der Stadt Bamberg, Dr. Franz Bornschlegel und Prof. Dr. Peter Zahn, Inschriftenkommission München. Zu danken ist auch Frau Dr. Kathrin Müller, Kommission für Semitische Philologie der BAdW, Frau Dr. Reingard Neumann, Greven, und Frau Dr. Isabelle Dolezalek, Freie Universität Berlin, sowie zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Semitischen Philologie und der Islamischen Kunstgeschichte für ihre vielfältige Hilfe. Last not least geht der Dank an Frau Sibylle Ruß für die kollegiale Zusammenarbeit, ihre stete Bereitschaft zur Hilfe und zur wissenschaftlichen Diskussion. Ohne ihre Unterstützung wäre der Zugang zu den oft fragilen Objekten nicht möglich gewesen.
Walter Koch
1.2 Vorbemerkungen und Benutzungshinweise
Die vorliegende Edition enthält Inschriften auf textilen Trägern im Bereich der Stadt Bamberg aus dem Zeitraum bis 1650. Berücksichtigt werden sowohl die im Original erhaltenen als auch die nicht mehr original, sondern nur mehr in ungedruckten oder gedruckten Quellen sowie auf Fotos oder in Nachzeichnung überlieferten Inschriften. Die Edition folgt den Richtlinien des deutschen Inschriftenwerks, wie sie 1991 von Walter Koch für die Münchner Reihe zusammengestellt worden sind.
Ausgeschlossen sind die Inschriften der drei sog. Kaisermäntel (Sternenmantel Kaiser Heinrichs II., blauer Kunigundenmantel und Chormantel der Hl. Kunigunde) sowie des Bamberger Rationales. Ihre Bearbeitung ist einem gesonderten Forschungsprojekt vorbehalten1).
Ansonsten wurde Vollständigkeit der Erfassung soweit als möglich angestrebt. Objekte mit heute völlig zerstörten und nirgends überlieferten Inschriften sowie Nachrichten über verlorene Inskriptionen ohne Textüberlieferung wurden nicht berücksichtigt.
Die Inschriften werden im Katalogteil in chronologischer Folge geboten. Ihre Präsentation erfolgt nach einem einheitlichen Schema.
Die Kopfzeile gibt links die laufende Nummer im Rahmen der Edition an. Ein lateinisches Kreuz neben der Zahl kennzeichnet nicht mehr im Original erhaltene Inschriften. In der Mitte der Kopfzeile ist der heutige bzw. der letzte bekannte Aufbewahrungsort des Inschriftenträgers angegeben. Am rechten Ende der Kopfzeile steht die Datierung. Sie ist nach Möglichkeit dem Inschriftentext entnommen. Können Objekte nur einer bestimmten Zeitspanne zugeordnet werden, sind sie – gegebenenfalls mit Fragezeichen versehen – jeweils am Ende des ermittelten Zeitraumes eingeordnet.
In der auf die Kopfzeile folgenden Beschreibung finden sich zunächst die Bezeichnung des Inschriftentypus und die Nennung des Inschriftenträgers sowie gegebenenfalls von Personen, denen er zugeordnet werden kann, ferner die präzise Angabe des Aufbewahrungsorts, Hinweise auf frühere Aufbewahrungsorte, eine Kurzbeschreibung des Inschriftenträgers mit Bemerkungen zu Material, Anbringung der Inschrift und Erhaltungszustand des Werks. Stehen mehrere Inschriften auf einem Träger, so werden diese mit römischen Zahlzeichen bezeichnet. Die Beschreibung des Inschriftenträgers erfolgt vom Betrachter aus. Nur bei Wappenbeschreibungen wird nach den Regeln der Heraldik verfahren. Die Beschreibung schließt mit Maßangaben zu Inschriftenträger und Inschrift ab. Die Schrifthöhe ist nach dem Normalwert des Buchstaben N bzw. n angegeben. Erhebliche Schwankungen werden durch die Angabe der Extremwerte vermerkt. Die Angabe der Schriftart ist typisierend. Vor der Textedition kopial überlieferter Inschriften ist die maßgebliche Quelle genannt.
In der Textedition sind Zeilenumbrüche durch Schrägstrich gekennzeichnet. Doppelte Schrägstriche markieren die Unterbrechung des Textes oder seinen Übergang auf ein anderes Inschriftenfeld. Metrische oder gereimte Texte sind versweise geboten. Gekürzte Wörter sind in originalen Inschriften nach Möglichkeit zwischen runden Klammern aufgelöst, wobei das Kürzungszeichen selbst entfällt. Worttrenner sind durch Punkte in halber Höhe wiedergegeben und gegebenenfalls in Apparat oder Kommentar beschrieben. Darunter gesetzte Bögen kennzeichnen Nexus litterarum, Ligaturen und Bogenverbindungen. Erhaltene, aber in ihrer Lesung nicht ganz sichere Buchstaben sind unterpunktiert. Zur Kennzeichnung zerstörter Textteile dienen eckige Klammern. Ist eine Ergänzung nicht möglich, wird die ungefähre Anzahl der ausgefallenen Buchstaben durch Punkte innerhalb der Klammern wiedergegeben. Bei umfangreicheren oder in ihrer Dimension ungewissen Verlusten sind drei Gedankenstriche gesetzt.
An den Wortlaut der Inschrift schließt sich der textkritische Apparat, gegebenenfalls der Nachweis von Zitaten sowie die Übersetzung der fremdsprachigen Texte an. Es folgt die Benennung bekannter und unbekannter Wappen.
Der Kommentar enthält gegebenenfalls notwendige Hinweise zu Schrift, Sprache, Formular, kunsthistorischen Fragestellungen und zur chronologischen Einordnung, insbesondere aber Erläuterungen zu den genannten Personen und zum historischen Umfeld.
Es folgt ein Anmerkungsapparat, der Zitate aus der Literatur, Nachweise und ergänzende Erläuterungen zu Beschreibung und Kommentar sowie die Blasonierung unbekannter Wappen bietet. Abgeschlossen wird jede Katalognummer durch ein Literaturverzeichnis, das in chronologischer Folge Abschriften, Abdrucke sowie Abbildungen und wesentliche Arbeiten über die Inschrift nachweist.
2. Die nicht-originale Überlieferung der Inschriften
Die Überlieferung zu Inschriften auf textilen Trägern ist sehr begrenzt. Sie setzt für den Domschatz erst mit den Abbildungen der Reliquien in den Heiltumsverzeichnissen nach 1493 ein (Heiltumsverzeichnis 1493, Heiltumsverzeichnis 1495, Heiltumsverzeichnis 1508/09, Heiltumsverzeichnis 1509 s. Literaturverzeichnis). 1736/43 verfasste Subkustos Johann Graff ein Domschatz-Verzeichnis, das für die behandelten Objekte Beschreibungen und Abzeichnungen bietet. Ihm ist die Überlieferung im Zuge der Säkularisation verlorengegangener Textilien zu verdanken.
Für den Bereich der Stadt Bamberg überliefert Nikolaus Haas (Geschichte der Pfarrei St. Martin zu Bamberg und sämtlicher milden Stiftungen der Stadt. Bamberg 1845) eine verlorene Inschrift auf textilem Träger.
Diese Überlieferungslage spiegelt den üblichen Umgang mit Textilien, die entweder so sehr im Alltag verhaftet waren, dass eine Dokumentation überflüssig erschien und aus diesem Grund fehlt, oder deren Verwendung, Material und Technik bei Beschreibungen im Vordergrund standen, während die Inschriften als nebensächlich bewertet und somit nicht erwähnt wurden.
Handschriftliche Überlieferung
Staatsbibliothek Bamberg
– SB Ba HV.Msc. 2242)
Titel: Außführlich- und Vollständige Beschreibung aller In dem Kayserlich- und Immediaten Hohen Dom-Stifft zu Bamberg sich befindenden Heiligen Reliquien, Antiquitäten, Gold, Silber und Anderer Kostbarkeiten, So fleissigst untersucht und formiert worden Von Joanne Graff, Vicario und Subcustode Anno Domini 1736. Revidirt und renovirt In Gegenwart beyder Vicariorum des Hohen Dom-Stiffts, Joannis Matthaei Behmer und Joannis adami Schlereth. Anno 1743.
Papier; Schweinsledereinband mit Holzdeckeln und Blindprägung, zwei Messingschließen; Großfolioformat; 198 Seiten.
1853 im Besitz von Martin Joseph von Reider; aus dessen Nachlass 1863 vom HVB gekauft.
Der Bildteil ist nicht vollständig erhalten. Einen Teil verwahrt die Staatsbibilothek Bamberg als Depositum des HVB (HVG 1/27-32 und HVG 21/96). Eine zweite Serie mit 15 Blättern befindet sich heute in den Kunstsammlungen der Veste Coburg (Inv. Nr. Z. 3913-3927).
– SB Ba HV.Msc. 457 (Nro. 1706)
Titel: Schramm Johann Sebastian, Sammlung der Inschriften aller Altäre in Bamberg. 18. Jh.
Papier; Kleistermarmorpapierband, Spiegel Kleistermarmor; 38,3 x 23,5 cm; 25 Blätter; beiliegend mehrere Notizzettel Schramms.
1844 von Martin Joseph von Reider erworben (bei Brehm); aus dessen Nachlass 1863 vom HVB gekauft (s. Vorsatzblatt).
3. Die Schriftformen
Die Inschriften auf textilen Trägern sind in sehr vielfältigen Techniken ausgearbeitet: gewebt, gewirkt, gestickt mit Seiden- bzw. Metallfäden und gemalt. Daraus ergeben sich in Hinblick auf die Buchstabengestaltung einige Besonderheiten im Vergleich zu Inschriften in Stein, Holz oder Metall3). Zu den unterschiedlichen Techniken siehe 5. Textile Techniken.
Romanische Majuskel
Die Beischriften der drei ältesten Objekte sind in romanischer Majuskel ausgeführt. Hier sind die brettchengewebten Borten auf den Pontifikalschuhen aus dem Grab Ottos II. (Nr. 1) und die in derselben Werkstatt hergestellten brettchengewebten Borten (Nr. 2) zu nennen, die ebenfalls dem Grab Ottos II. entnommen worden und wenigstens zum Teil auf einem Kissen befestigt sind. Beide Objekte zeigen eine Romanische Majuskel mit fast ausschließlich kapitalen Buchstaben, wobei F und E sowohl in der kapitalen wie unzialen Form vorkommen. Beide E-Formen sind durch Sporen annähernd geschlossen, während das C stets offen ist. Das M ist symmetrisch unzial mit spitz auslaufenden Bogenenden gestaltet. H wurde unzial gebildet. G ist stark eingerollt. Das A ist als kapitales A mit Deckbalken und breiterem, rechten Schrägschaft gebildet, wohingegen bei V der linke Schrägschaft kräftiger gearbeitet ist. B, P, R und zum Teil D zeigen leicht „aufgeblähte“ Bögen. Q besitzt eine eingestellte Cauda. Alle Buchstaben besitzen Sporen, bei den Rundungen sind Bogenschwellungen erkennbar.
Auch die gestickte Romanische Majuskel auf dem Circulus, der dem Grab Papst Clemens II. entnommen worden ist (Nr. 3), nutzt fast ausschließlich kapitale Buchstaben. Das A ist flachgedeckt mit einer leichten Schwellung am linken Schaft. Der folgende Buchstabe ist ein eingerolltes, fast geschlossenes G mit sehr langem, die äußere Kreislinie berührendem Sporn. Das sehr breite N weist einen Nodus in der Mitte des Schrägbalkens auf. Das S hat einen kleineren, nach links ausgreifenden unteren Bogen. Alle Buchstaben, bis auf das V, haben (kleine) Sporen.
Gotische Majuskel
Zwei Objekte sind in Gotischer Majuskel ausgeführt. Aus epigraphischer Sicht spricht beim Bamberger Antependium (Nr. 4) nichts gegen eine Datierung um 1260. Der Variantenreichtum der in Metallstickerei ausgeführten Buchstaben liegt in der Technik und der anzunehmenden arbeitsteiligen Herstellung begründet (siehe 5. Textile Techniken).
Die gestickten Buchstaben der sog. Pius Mitra (Nr. 6) sind ebenfalls in Gotischer Majuskel gestaltet. Auffallend sind hier große Punktverdickungen an Schäften und Bögen, innen oder außen liegende, parallel zu den Schäften geführte, dünne Zierstriche sowie sehr variantenreich gestaltete, zum Teil mehrfach aufgefächerte Sporen. Mit der sehr verspielten Ausführung (das zweite A ist z.B. spiegelverkehrt ausgeführt) machen die Buchstaben eine Datierung Mitte des 14. Jahrhundert wahrscheinlich. Aus diesem Grund ist ein originaler Zusammenhang der Borte mit einer Mitra Papst Pius I. (ca. 142–155) auszuschließen.
Auch bei den Beschlägen am sog. Kunigundengürtel (Nr. 8), die als einzige im vorliegenden Bestand nicht in einer textilen Technik ausgeführt, sondern in Metall graviert sind, negiert der epigraphische Befund neben der Bildgestaltung der Beschläge einen zeitlichen Zusammenhang mit einem Kleidungsstück Kunigundes.
Gotische Minuskel
Nur ein erhaltenes Objekt zeigt eine Gotische Minuskel. Der aufgestickte Kreuztitulus im linken unteren Bildfeld des Passionsteppichs (Nr. 9) zeigt eine spätere fehlerhafte Überarbeitung. Der Grund für diese zu einem nicht näher zu bestimmenden späteren Zeitpunkt ausgeführte Überarbeitung liegt wohl in einem Verlust durch Abrieb oder Wollausfall begründet, wodurch der Titulus – wie auch das zweite noch original erhaltene i nahelegt – nicht mehr klar zu lesen war. Dabei wurde aus einem Minuskel-r ein kapitales K, so dass im heutigen Befund inKi zu lesen ist.
Kapitalis
In Kapitalis sind ausschließlich Kreuztituli (Nr. 18 und Nr. 19) sowie Initialen gearbeitet. Die Initialen auf der sog. Festtagskrone der Hl. Kunigunde (Nr. 11) sind als Perlstickerei ausgeführt, wobei die Perlen bis auf rudimentäre Reste verloren sind, so dass offen bleiben muss, inwieweit die ursprüngliche Überstickung mit Perlen das Erscheinungsbild der Buchstaben veränderte. Die Initialen auf dem Fürhangtuch der Weißgerber (Nr. 16) sind – wie für Führhangtücher üblich – gemalt und wenig aussagekräftig.
Fraktur
Vier Objekte zeigen eine Fraktur. Auf dem Tüchlein mit Inschrift des Totengedenkens für Hieronymus Imhoff (Nr. 12) ist nur mehr der ehemals überstickte Vordruck in Neudörfer-Andreä-Fraktur 1526 erhalten4). Die drei anderen Objekte gehören zur Gruppe der Fürhangtücher (Nr. 13, Nr. 18, Nr. 19). Die gemalten Buchstaben in Fraktur zeigen den durchaus typischen Variantenreichtum des frühen 17. Jahrhunderts. Beim Fürhangtuch der ehemaligen Veitspfarrei (Nr. 13) könnten die andere Farbigkeit und Gestaltung des ersten diakritischen Zeichens bei Furhang einen Hinweis auf eine spätere Überarbeitung geben. Die Buchstaben haben in der Regel im Laufe der Jahre stark gelitten (vgl. z.B. Nr. 18). Oft sind die Buchstaben nur mehr an den Veränderungen, die sie auf dem Leinengrund hinterlassen haben, zu erahnen und nicht immer ist zweifelsfrei festzustellen, was originaler Befund und was Übermalung des 20. Jahrhunderts ist. Am Fürhangtuch eines Bamberger Schwesternhauses (Nr. 19) fällt auf, dass kaum Kürzungen und nur wenige Ligaturen eingesetzt wurden, deren Gestaltung jedoch bemerkenswert ist. Die ff-Ligatur ist einmal mit gespiegeltem zweiten Buchstaben gebildet. Ein anderes Mal ist das p ungewöhnlich gestaltet, um eine Ligatur eingehen zu können.
Zur hebräisierenden Inschrift auf dem Passionsteppich (Nr. 9) siehe auch 5. Textile Techniken.
Eine Besonderheit in dem bearbeiteten Bestand sind die arabischen Inschriften, die meist in der kalligraphischen Form der kufischen Schrift erscheinen. Hier sind drei Objekte zu nennen. Auf den Ärmeln der Dalmatik Ottos II. (unter Nr. 1, DMB, Inv. Nr. 2728/3-43) zeigt jeweils eine Borte einen Streifen mit einer fortlaufenden, wortweise an einer senkrechten Achse gespiegelten, blauen, unpunktierten arabischen Inschrift. Auch auf dem Schleier aus dem Grab Clemens II. (unter Nr. 3, DMB, Inv. Nr. 2728/3-8) finden sich als einzige Verzierung zwei eingewebte Streifen, auf denen sich fortlaufend, horizontal gespiegelt eine im textilen Kontext vergleichsweise klar lesbare, unpunktierte arabische Schrift in hellen kufischen Zeichen auf blauschwarzem Grund wiederholt. Auf der Rückseite erscheint die Inschrift invers. Das Gewebe der sog. Pius-Mitra (Nr. 6) zeigt in der Mitte des Samits eine fragmentierte arabische Inschrift, deren Bedeutung derzeit nicht entschlüsselt werden kann. Gerade der bei textilen arabischen Schriften typische Verzicht auf die Punktierung erschwert die Lesung5).
4. Die Inschriftenträger bzw. Inschriftenarten
Im Vergleich zu anderen DI-Bänden handelt es sich bei dem bearbeiteten Bestand der Bamberger Textilien in Hinblick auf das Material der Inschriftenträger um einen sehr einheitlichen Bestand: Alle Inschriftenträger sind mit Ausnahme der Beschläge des Kunigundengürtels (Nr. 8) aus textilem Material. Bezüglich ihres Aussehens, der Technik und ihrer Funktion sind sie jedoch sehr disparat. Zu den verschiedenen Techniken und ihren Einflüssen auf die Inschriftengestaltung siehe 5. Textile Techniken.
Drei Objekte (Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3) gelangten aus Grabungsfunden, sechs Textilien (Nr. 6, Nr. 7 †, Nr. 8, Nr. 10 †, Nr. 11, Nr. 14 †) im Kontext der Heiligenverehrung in den Bamberger Domschatz. Der Passionsteppich (Nr. 9) stammt ursprünglich aus dem ehemaligen Dominikanerinnenkloster zum Heiligen Grab. Im 19. Jahrhundert wechselte er in den Besitz der Marianischen Bürgersodalität und wurde 1956 durch das Metropolitankapitel angekauft. Es ist das einzige Objekt des bearbeiteten Bestands, das durch eine Bildsignatur in der unteren Bordüre als Arbeit der Bamberger Dominikanerinnen belegt ist (Abb. 1). All die genannten Objekte befinden sich heute im Diözesanmuseum Bamberg.
Das Bamberger Antependium (Nr. 4) wurde während des 1. Weltkriegs im Bereich des Bamberger Doms wiederentdeckt und 1923 als Tauschleihgabe im Wechsel für die sog. Tunika Heinrichs II. an das BNM abgegeben. Die Fürhangtücher (Nr. 13, Nr. 16, Nr. 17, Nr. 18, Nr. 19), gingen zum überwiegenden Teil als Schenkung der Zünfte oder Hinterbliebener bzw. des Stadtmagistrats in den Besitz des Historischen Vereins Bamberg über.
Betrachtet man die inschriftlich überlieferten Texte hinsichtlich ihrer sehr unterschiedlichen Funktionen, so lässt sich zunächst eine Gruppe feststellen, deren Inschriften im weitesten Sinn Ornatteile mit Beischriften versehen. Dazu gehören die brettchengewebten Goldborten aus dem Grab Ottos II., die im Falle der Pontifikalschuhe (Nr. 1) – soweit der fragmentarische Erhaltungszustand Rückschlüsse zulässt – ausdrücklich auf die typologische Legitimation des Bischofsamtes bzw. die Funktion der Schuhe hinweisen. Bei den Borten, die zum Teil auf einem Kissen befestigt sind (Nr. 2), legen die rudimentären Textreste eine ähnliche Funktion nahe. Einzelne Wörter (FRONTE, UESTE, PONTIFICALIA) weisen daraufhin, dass es sich bei den Borten ursprünglich – vergleichbar zu den Schuhen – um textile Besätze mit näheren Erläuterungen zu anderen Ausstattungsstücken des bischöflichen Ornats gehandelt haben dürfte. In diesen Kontext gehört selbstverständlich auch der erhaltene Circulus eines verlorenen Pontifikalhandschuhs aus dem Grab Clemens II. (Nr. 3), wobei hier der direkte Erläuterungscharakter fehlt. Allerdings steht in der Kombination der beiden Handschuhbilder das Agnus Dei für das Messopfer, die Dextera Dei für die Rolle des Bischofs als Stellvertreter Christi6). Somit steht auch hier wiederum der Legitimationscharakter im Vordergrund. Bei den Mitren versuchen die Inschriften überwiegend den Bezug zu einem ursprünglichen Besitzer (oder Reliquiar) herzustellen (Nr. 6, Nr. 14 †). Die kopial überlieferten Tituli der Mitra Clemens II. (Nr. 14 †) S. Petrus / S. Paulus setzen den Bischof als Nachfolger in Beziehung zu den beiden Apostelfürsten. Inwieweit dieser Aspekt bei einer weiteren Mitra (Nr. 15 †) bereits ursprünglich intendiert war, lässt sich anhand der Überlieferungssituation nicht zweifelsfrei klären.
Eine weitere Gruppe lässt sich unter dem Aspekt der temporären Ausstattung liturgischer Feiern zusammenfassen. Hier wäre das Bamberger Antependium (Nr. 4) zu nennen, dessen Verwendung an den Hauptaltarmensen beider Chöre des Bamberger Doms an den Tagen des Weihnachtsfestkreises bis Epiphanie wahrscheinlich ist. Sowohl die bildliche Darstellung des Zugs der Hl. Drei Könige als auch die Medaillonumschriften thematisieren die Reise der Könige sowie die jungfräuliche Empfängnis, die Menschwerdung Christi und die Göttlichkeit des Kindes. Das untere Schriftband übernimmt eine Antiphon zu Epiphanie.
Durch diese Thematik ergeben sich Bezüge zu verschiedenen Festen des Kirchenjahres.
Auch die nur mehr kopial überlieferten Fahnen (Nr. 5 †, Nr. 7 †, Nr. 10 †) wurden unter anderem anlässlich liturgischer Feiern genutzt. Die Heinrichs- und die Georgsfahne wurden neben den Heiltumsweisungen im Kirchenjahr zusätzlich an Fronleichnam gebraucht, wo sie die Prozession anführten. Beim anschließenden Gottesdienst standen die beiden Fahnenträger vor dem Altar. Die Stretzenweg-Fahne steht wohl im Zusammenhang mit dem bis 1802 alljährlich am 20. August gefeierten „Stretzenwegfest“, bei dem unter allen im Dom Anwesenden in Leinwand eingenähte Geldstücke verteilt wurden7). Somit wird auch diese Fahne vermutlich im Dom Verwendung gefunden haben.
Eine dritte Gruppe bilden die Fürhangtücher (Nr. 13, Nr. 16, Nr. 17, Nr. 18, Nr. 19), die in dieser Anzahl ein singuläres Spezifikum Bambergs sind. Dabei handelt es sich um einseitig auf Leinen gemalte Rollbilder, die auch als Vorhänge, Leichentücher oder Totenfahnen bezeichnet werden. Die Bezeichnungen sind jedoch verwirrend, denn sie dienten weder zum Schmücken oder Verdunkeln von Fenstern noch zum Umhüllen oder Bedecken der Verstorbenen. Außerdem begleiteten sie nicht wie Bruderschaftsfahnen den Leichenzug, sondern wurden ursprünglich im Todesfall eines Zunft- oder Gemeinschaftsmitglieds – gegebenenfalls gegen Bezahlung – am Trauerhaus aufgehängt, um neben der erbetenen Teilnahme an der Beerdigung und der Memoria auch die Zugehörigkeit des Verstorbenen zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu demonstrieren8). Bei den Zünften war für die Gestaltung der Begräbnisfeierlichkeiten eines Zunftmitglieds unter Aufsicht der Viermeister der jeweilig jüngste Meister verantwortlich9). Er hatte das Ausleihen und Anbringen des Tuches zu überwachen. Vergleichbare Zuständigkeiten dürfen wohl auch die die Bruderschaften und Schwesternhäuser anzunehmen sein. Für das Fürhangtuch der ehem. Veitspfarrei wird angenommen, dass mit der Todesanzeige beim zuständigen Pfarrer die Modalitäten um die Ausleihe des Fürhangtuches zu klären waren10). Die mehrere Meter breiten und hohen Tücher waren auf eine obere und untere Querstange genagelt und wurden in gerolltem Zustand transportiert. So waren sie auch außerhalb ihrer Verwendung platzsparend aufzubewahren. Der Transport der Tücher zum Trauerhaus und von dort zurück zum Aufbewahrungsort sowie die Hängung im Freien, wo sie Witterungseinflüssen ausgesetzt waren, strapazierten sie stark und waren für ihre Erhaltung nicht gerade förderlich. Die meisten Tücher hatten eine Haltbarkeit von etwa 80 bis 100 Jahren. Dies belegen dokumentierte Reparaturen und Ersatzkäufe (z.B. Nr. 13, Nr. 18). Dem Verschleiß versuchte man mithilfe der öl-harzgebundenen Leinenmalerei entgegen zu wirken, da diese Technik haltbarer ist als die sog. Tüchleinmalerei (Tempera-Malerei), die für ausschließlich im Innenraum verwendete Tücher wie die Gruppe der sog. alpenländischen Fastentücher genutzt wurde11). Dadurch verloren die Tücher zwar an Flexibilität, blieben aber beweglicher als auf Keilrahmen gespannte Leinwandbilder. Aufgrund der 1764 erlassenen Beschränkung auf ein einziges Tuch, das am Sterbehaus aufgehängt werden durfte, muss davon ausgegangen werden, dass zum Teil mehrere Tücher gleichzeitig verwendet worden sind und somit ursprünglich mit einer wesentlich größeren Anzahl zu rechnen ist. Obwohl im Januar 1802 die Verwendung von Fürhangtüchern in Bamberg im Gegensatz zum Mittragen von Bruderschaftsfahnen beim Leichenzug verboten wurde, lässt sich der Brauch zweifelsfrei bis 1829 nachweisen. Spätestens in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, mit der Eröffnung des Leichenhauses an der Gundelsheimer Straße, wurde der Brauch überflüssig, da der Trauerzug nun nicht mehr am Sterbehaus begann12). 1845 beschreibt Nikolaus Haas in seiner Pfarrgeschichte von St. Martin, dass es früher (!) Brauch gewesen sei, eine Fahne oder ein Vorhangtuch am Sterbehaus „aufzustellen“13). Heute sind noch neun Fürhangtücher erhalten, von drei wissen wir aus der kopialen Überlieferung14). Ein weiteres, das in der Rüstkammer gelagert war, erwähnt Subkustos Johann Graff im Dominventar von 173815). Aus dem Bearbeitungszeitraum tragen fünf Tücher gemalte Inschriften. Bei diesen Inschriften handelt es sich überwiegend um Datumsangaben, Stifterinschriften bzw. –initialen und Bildbeischriften.
Singulär ist ein Leinentüchlein mit einer Inschrift des Totengedenkens für Hieronymus Imhoff und seine zwei verstorbenen Ehefrauen Magdalena Tucher und Barbara Letscher (Nr. 12), das die dritte Ehefrau Dorothea Hegner in Auftrag gegeben hat. Ob sie als ausführende Stickerin zu bezeichnen ist oder die heute größtenteils verlorene Stickerei in ihrem Auftrag – wie auch der Vordruck – von anderer Hand entstand, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden. Trotz der Herstellung des Tüchleins in Nürnberg ist ein Bezug im Rahmen von Jahrtagsfeiern zu Bamberg sehr wahrscheinlich, da der Verstorbene Besitzungen in Bamberg und Verbindungen zu Bamberger Dompropst und Bischof hatte.
5. Textile Techniken und ihr Einfluss auf die Inschriftengestaltung
Die Vielfalt der textilen Techniken, die beim vorliegenden Bestand zur Anwendung kamen, ist groß und bei jeder Technik werden andere Einflüsse auf die Inschriftengestaltung wirksam. Während bei gewebten Inschriften die Gestaltung der Buchstaben in einem rechtwinkligen System aus Kett- und Schussfäden erfolgt, kann der Faden bei Stickereien flexibel geführt werden. Die Wirkerei nutzt ebenfalls Kettfäden, doch die Schussfäden werden hier partiell mit der Hand eingelegt, sodass eine Zwischenstufe an Flexibilität erreicht werden kann.
Die eingewebten Schriftborten mit unpunktierten arabischen Inschriften (Dalmatik aus dem Grab Ottos II. unter Nr. 1, Schleier aus dem Grab Clemens II. unter Nr. 3 sowie das Gewebe der sog. Pius-Mitra, Nr. 6) zeigen die Besonderheit einer im Musterrapport fortlaufend oder gespiegelt wiederholten Buchstabenfolge. Der Gestaltungsprozess der Inschrift liegt vor dem eigentlichen Webvorgang in der Entwurfsphase, der Erstellung der Patrone16) und dem Einrichten des Webstuhls und muss den rechtwinkligen Verlauf der beiden Fadensysteme berücksichtigen. Die Patrone basiert auf den Kreuzungspunkten von Kett- und Schussfäden, wobei in einem einfachen System der obenliegende Faden von der Vorderseite, der untenliegende von der Rückseite des Gewebes zu sehen ist. Liegt der Kettfaden über oder unter mehreren Schussfäden, kann die Sichtbarkeit und Wirkung erhöht werden. Für Bögen bedeutet diese Technik bei einem zweifarbigen Gewebe, dass Rundungen nur erreicht werden können, wenn in der parallelen Abfolge nacheinander eingetragener Schussfäden Kettfäden jeweils links (bei einem Linksbogen wie z.B. für C) oder rechts (bei Rechtsbögen wie z.B. für P) versetzt überdeckt werden, während die Buchstabenmitte erweitert wird. Das ergibt optisch eine Stufung. Um für den Betrachter eine Rundung zu erzeugen, müssen die Schussfäden im Vergleich zur Garnstärke sehr eng liegen. Ein Nachteil bei einfachen, zweifarbigen Bindungssystemen wäre, dass Schussfäden über oder unter mehrere Kettfäden geführt werden (flottieren) und so anfällig für Zugfäden und Verschleiß wären. Deswegen werden häufige komplexere Bindungssysteme, aus zwei Kettfadensystemen (Haupt- und Bindekette) und zwei oder mehr Schussfadensystemen angewandt. Dabei ist die Hauptkette an der Gewebeoberseite nicht sichtbar, sondern bleibt unsichtbar innerhalb des Stoffes. Sie trennt nur die Schüsse. Die Bindekette hingegen wechselt zwischen Oberseite und Unterseite und bindet den Schuss mit der jeweils für das Muster notwendigen Farbe in drei- oder vierbindigem Köper17) (Samitbindung bzw. Köper-Schuss-Kompositbindung). Lässt man die Schussfäden einem Muster folgend auf die jeweils andere Seite wechseln, erhält man einen farbig gemusterten Stoff, dessen Rückseite das genaue Negativ der Vorderseite ist. Die Lampasbindung ist eine Weiterentwicklung der Samit-Technik, die ab dem 11. Jahrhundert im Vorderen Orient nachweisbar ist, sich von dort langsam nach Europa verbreitete und neben der Leinwandbindung18) als Hintergrundbindung verschiedene Bindungstechniken nutzt. Die Gestaltung gewebter Inschriften lebt von Wiederholungen und Spiegelungen. Für eine einzelne Inschrift oder ganze Texte wäre diese Technik zu kompliziert. Für einen einmaligen Schreibfehler wie beim Schleier Clemens II. muss bewusst in den Webprozess eingegriffen werden und der „Fehler“ händisch eingetragen werden.
Nah verwandt ist das Brettchenweben wie bei den Inschriften der Borten aus dem Grab Ottos II. (Nr. 1, Nr. 2). Das Brettchenweben ist eine Webtechnik zur Herstellung textiler Bänder und Gewebeabschlusskanten, bei der die Kettfäden durch eine Anzahl, neben einander parallel zur Kettfadenrichtung liegender Webbrettchen mit einer unterschiedlichen Anzahl von Löchern gespannt sind. Die Bildung des Webfaches erfolgt durch Drehen der Webbrettchen. Ein in das Webfach19) eingebrachter Schussfaden verbindet das Kettfadensystem zu einem Gewebe. Die Kanten der Borte aus dem Grab Ottos II. sind beiderseits als rote Linien gestaltet, die den Goldgrund abgrenzt. Die Buchstaben stehen parallel dazu zwischen diesen Linien mit einem etwas größeren Abstand nach oben, d.h. sie sind um 90° gegen die Kettrichtung gedreht und wurden im längs der Kettrichtung voranschreitenden Arbeitsprozess von der linken Buchstabenseite her nach rechts aufgebaut20).
Die Technik der Wirkerei ist im Gegensatz zur Stickerei gewebebildend, also wie die Weberei eine stoffbildende Technik. Bei der Wirkerei werden in eine gespannte Kette mit buntem Garn musterbildende Schussfäden eingetragen. Im Gegensatz zum gewobenen Stoff, bei dem der Schuss von Webkante zu Webkante rechtwinklig geschossen wird und gegebenenfalls auf der Rückseite flottiert, wird der Faden bei der Wirkerei nur an den Stellen eingetragen, an denen er benötigt wird. An den Rändern des Farbfeldes, den Motivkonturen kehrt er mitten im textilen Gefüge um. Der Wirker baut folglich jeweils nur die Farbfläche eines einzelnen Motives, eines einzelnen Buchstabens auf21). Um aneinanderstoßende Farbflächen zu verbinden und Spalten zu verhindern, werden Schraffuren eingesetzt, mit denen die jeweiligen Farben verzahnt werden. In manchen Fällen ist jedoch eine harte Trennung zwischen zwei Farben wünschenswert. Die dort entstehenden Spalten werden nach Fertigstellung der Wirkerei mit kleinen Stichen zusammengenäht. Die „Gefahr“ von Spalten könnte vor allem bei der Wirkerei des 14. und 15. Jahrhunderts einer der Gründe sein, warum vorwiegend geschwungene Schriftbänder verwendet oder wie beim Passionsteppich (Nr. 9) Inschriften in Fahnen gesetzt wurden, da es hier zwangsläufig aufgrund schräger Schaft- und Balkenverläufe häufiger zu Verschränkungen kommt und damit den Spalten aus dem Weg gegangen wird. Beim Passionsteppich sind die verdeckten Kettfäden deutlich in der horizontalen Rippenstruktur zu erkennen. Dadurch wird ersichtlich, dass die Kettfäden horizontal zum Bild verlaufen, der Behang folglich von der Querseite oder im Vergleich zum fertigen Erscheinungsbild um 90° gekippt gearbeitet wurde. Eine weitere Besonderheit der Wirkerei ist, dass der Wirker von der Rückseite arbeitet. Dies bedeutet, dass der Entwurf in einem zweiten Arbeitsschritt idealerweise spiegelbildlich in Originalgröße auf den sogenannten ‚Bildner’ oder Karton übertragen wurde. Das kann gerade bei Inschriften dazu führen, dass sie in der Wirkerei wie auch bei der hebräisierenden Inschrift am Passionsteppich spiegelverkehrt ausgeführt sind, wenn derjenige der den Bildner erstellte des Lesens und Schreibens nicht mächtig und/oder der Entwerfer mit der Technik der Wirkerei und der Arbeitsweise von der Rückseite nicht unbedingt vertraut war. Im Unterschied zu gestickten Inschriften, bei denen sich der Faden auch einmal der Form des Buchstaben anpassen kann, müssen sich gewirkte Inschriften überwiegend an das System der rechtwinklig gekreuzten Fäden halten.
Im Bereich der Stickerei sind mehrere Techniken zu unterscheiden. Der Circulus (Nr. 3) wurde in Goldstickerei in Anlegetechnik gearbeitet. Dabei wurden die Goldfäden parallel zueinander gelegt und mit roten und grünblauen, als Musterzeichnung erscheinenden Seidenfäden fixiert. Mit diesen Seidenfäden sind auch die Konturen des Agnus Dei und die Buchstaben ausgeführt. Sie bilden gleichfalls die zwei parallel geführten, schmalen Kreislinien, die das Medaillon nach außen abgrenzen und zwischen denen die Buchstaben stehen.
Das Bamberger Antependium (Nr. 4) wurde flächendeckend auf hellblauem, leinwandbindigem Leinengrund22) mit farbiger Seide in parallel ausgeführten, reihenweise versetzten Stielstichen (Kettsticheffekt) sowie mit vergoldetem Silberlahn um eine Seidenseele in Anlegetechnik ausgeführt, wobei die farbigen Überfangstiche aus Seide musterbildend sind. Für die Kettenhemden der Ritterheiligen wurde (heute schwarz angelaufener) Silberlahn benutzt. Die in Schwarz ausgeführten Konturen sind zum überwiegenden Teil ausgefallen, nur wenige Reste verraten deren ursprüngliches Vorhandensein. An manchen Stellen wird so die als Umrisszeichnung ausgeführte Vorzeichnung sichtbar23).
Die Buchstaben sind alle in Metallstickerei in Anlegetechnik ausgeführt, wobei die Muster variieren, die ausschließlich durch die überfangenden Seidenfäden gebildet werden: teils entsteht ein Fischgrätmuster, teils diagonale Streifen. Teilweise passen sich die Fäden der Krümmung der Buchstaben mehr oder weniger an. An manchen Stellen wirken die Buchstaben sehr uneben, dann wieder vergleichsweise plan. Diese aufgezeigten Varianten können mehrere Gründe haben:
- Unter dem Marienmedaillon befindet sich auf der Rückseite des Antependiums keinerlei zusätzlicher Stützstoff wie bei der restlichen Stickfläche. Aufgrund dieses Befunds sind die Unebenheiten bei der Schrift dort eindeutig bedingt durch den vergleichsweise schwachen Träger.
- Das Antependium wurde arbeitsteilig von mehreren Stickern zeitgleich hergestellt, so dass die Individualität des jeweiligen Stickers zum einen die Gestaltung der Musterflächen beeinflusst, zum anderen auch die Umsetzung der Vorzeichnung24).Die einheitliche Hand des Vorzeichners ist zum Beispiel bei der Gestaltung des L bei Buchstabendoppelung deutlich spürbar.
- Die Lage der Buchstaben bedingt zum Teil die unterschiedliche Gestaltung, da in einem Rahmen gestickt wurde, was manche Bewegungen des Stickers erschwerte.
- Spätere Reparaturen, wie sie möglicherweise im oberen und unteren Schriftband durch den Wechsel der Hintergrundfarbe deutlich werden, führten sicher ebenfalls zu Veränderungen. Gerade im unteren Schriftband sind in dem erwähnten andersfarbigen Bereich die Buchstaben sehr gerade, ohne die sonst üblichen Verjüngungen im Schaft gestaltet.
Eine spätere Veränderung erschwert auch bei der sog. Festtagskrone der Hl. Kunigunde (Nr. 11) die Rekonstruktion des ursprünglichen Buchstabenbefundes. Heute erscheinen die Buchstaben nur mehr in ihrer Unterfütterung aus Leinenfäden, die ursprünglich – wie noch eine verbleibende Flussperle belegt – mit Perlen überstickt waren. Die Perlstickerei kann in unterschiedlichen Varianten ausgeführt werden. Entweder werden zunächst alle Perlen auf einen Faden aufgefädelt, der anschließend in Anlegetechnik auf dem Träger fixiert wird, oder jede Perle wird einzeln auf dem Träger „aufgenäht“. Ab dem 15. Jahrhundert war es nicht unüblich, wie das auch hier zu beobachten ist, die Perlstickerei zunächst mit Leinenschnüren zu unterfüttern, damit die Perlen besser zur Geltung kommen. Natürlich verändert ein Übersticken mit Perlen den Buchstabencharakter erheblich.
Bei der mit Klöppelspitze eingefassten Samtborte, die zusammen mit dem sog. Kunigundengürtel (Nr. 8) in den Domschatz gelangte, wurden die in Metallstickerei ausgeführten Buchstaben mit Perlen konturiert. In diesem Fall handelt es sich bei der Metallstickerei um eine sog. Sprengtechnik. Hierbei wird der Goldfaden über einer Form aus Papier, Pergament oder ähnlichem Füllmaterial hin- und hergeführt und an der Fadenwende jeweils von unten fixiert. Dadurch erhalten die Buchstaben eine vergleichsweise saubere Kante.
Die Buchstaben des Leinentüchleins mit einer gedruckten Inschrift des Totengedenkens für Hieronymus Imhoff (Nr. 12) waren ehemals in heute zum größten Teil ausgefallener schwarzer Seide mit einer Art Kreuzstich überstickt, der wohl zusätzlich durch einen Knötchen- oder Schlingstich gehöht war. In der Regel sieht man die Einstichlöcher unmittelbar neben dem gedruckten Buchstaben. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Schrift im überstickten Zustand etwas kräftiger, nicht ganz so fein gewirkt hat. An manchen Stellen hat die Farbe des Stickfadens ausgeblutet, sodass die Ränder verschwommen wirken.
Die Tatsache, dass die Buchstaben gedruckt sind, legt den Schluss einer Serienproduktion nahe und zeigt die Nähe zur Buchschrift.
Die Inschriften der Fürhangtücher (Nr. 13, Nr. 16, Nr. 17, Nr. 18, Nr. 19) sind mit dem Pinsel und öl-harzgebundenen Farben auf den Leinengrund gemalt. Zum Teil sind die Pinselstriche deutlich zu erkennen, gerade beim Ausschwingen von Bögen und Caudae. Immer wieder ist in dieser Technik zu beobachten, dass alternierend zunächst Buchstaben satter ausgeführt sind, in der Folge aber der Farbauftrag schwächer wird. Das liegt am Arbeitsprozess und zeigt, wann der Pinsel erneut in Farbe getaucht wurde. Da eine Grundierung des Leinengrundes fehlt, hinterlassen selbst abgeriebene Buchstaben Veränderungen im Trägergewebe. Ist die Farbe sehr pastos aufgetragen, kommt es bei den Rollbildern sehr leicht zu Sprüngen und Rissen in der Farbschicht, die in der Folge sehr leicht abplatzt. Ist die Farbe dünner aufgetragen, scheint die Gewebestruktur innerhalb des Buchstaben durch. Während so wohl bei der Wirkerei wie bei der Stickerei von arbeitsteiligen Herstellungsprozessen auszugehen ist, dürfte dies bei der Malerei kaum eine Rolle gespielt haben.
Zitationshinweis:
DIO 6, Bamberg (Textilien), Einleitung (Tanja Kohwagner-Nikolai), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio006m002e004.
- Eine Zusammenfassung des derzeitigen Forschungsstands bietet: Kdm NF OF IV, II, 1 (Teil 2) 1828-1835, 1841-1850. »
- Ausführliche Beschreibung s. Baumgärtel, Leben 80-88. »
- Vgl. zu Besonderheiten textiler Inschriften allgemein Kohwagner, Inschriften 225-262. »
- Kohwagner, Kostbarkeiten 341-344; Kohwagner, Dorothea Hegner (in Druckvorbereitung). »
- An dieser Stelle geht ein herzlicher Dank für den kollegialen Austausch und die umfangreiche Unterstützung an Frau Kathrin Müller (Kommission für Semitische Philologie, München), Frau Reingard Neumann (Greven), Frau Isabelle Dolezalek (Freie Universität Berlin), Herrn Markus Ritter (Universität Wien) sowie Konrad Lorenz (Bamberg). Auch Frau Friederike Voigt (National Museums Scotland, Edinburgh) und Herrn Hashmat Hossaini (Humboldt Universität Berlin) ist für alle Tipps vielmals zu danken. »
- Braun, Gewandung 375. »
- StA Ba Rep. K 202, Nr. 190. »
- Ruß, Fürhangtuch Schwesternhaus 355. »
- Scharrer, Laienbruderschaften 174. »
- Ruß, Fürhangtuch 24. »
- Dudeck Volker u.a., Tüchleinmalereien in Zittau und Riggisberg (Riggisberger Berichte 4) Riggisberg 1996. »
- Braun, Fahnen 17-19. »
- Haas, Geschichte 479. »
- Braun, Fahnen 12-19; Ruß, Fürhangtuch 26, Anm. 3. »
- AEB Rep. I, Nr. 1312 p. 285. »
- Als (Bindungs)patrone bezeichnet man in der Weberei die Umsetzung der Bindung in ein graphisches Schema. Für jede Fadenkreuzung wird ein quadratisches oder rechteckiges Feld verwendet. Ist das Feld farbig handelt es sich um eine Ketthebung (Kettfaden über Schussfaden), ist es leer/weiß um eine Kettsenkung (Kettfaden unter Schussfaden), d.h. hier liegt der Schussfaden oben.Horizontal nebeneinanderliegende Felder stellen den Kettfadenverlauf dar, vertikale den Schussfadenverlauf. »
- Köper ist eine der drei Grundbindungen und basiert auf mindestens drei Kett- und drei Schussfäden. Jeder Kettfaden bindet über (Kettköper) oder unter (Schussköper) zwei oder mehreren Schussfäden. Die Bindungspunkte verschieben sich jeweils um einen Kett- oder Schussfaden in fortlaufend derselben Richtung. Dabei entstehen diagonale Grate, die entweder nach links (S-Grat) oder rechts (Z-Grat) verlaufen und man Köpergrat oder Diagonalgrat nennt. Die beiden Seiten eines in Köperbindung gewebten Stoffes sehen unterschiedlich aus. »
- Grundbindung mit einem Rapport aus zwei Kett- und zwei Schussfäden. Die Kettfäden liegen abwechselnd über bzw. unter einem Schussfaden. Die Verkreuzungsart wechselt von Faden zu Faden. Ober- und Unterseite des Gewebes sehen gleich aus. »
- Durch das Anheben bestimmter Kettfäden während des Webprozesses entsteht jeweils ein rautenförmiger Zwischenraum zwischen den gehobenen und den gesenkten Kettfäden. Dieses sog. Fach dient zum Eintrag des Schussfadens. Das Fach ist ein dynamisches Gebilde, das während des Webvorgangs nach jedem Schusseintrag geschlossen und in anderer Form – abhängig von der verwendeten Bindung – wieder neu geöffnet wird. Durch das Schließen wird der eingetragene Schussfaden abgebunden. »
- Somit sind die Buchstaben nicht aus dem Goldgrund ausgespart, wie dies z.B. in Sakrale Gewänder, 28 beschrieben wird, sondern durch die unterschiedlichen Farben des Kettfadensystems gebildet. »
- Kohwagner, Inschriften 259-262. »
- Das Trägergewebe wurde in der Breite in Kettrichtung verwendet. Entgegen dieser Richtung ist an beiden Seiten ein etwa 3,5 cm breiter Streifen angesetzt. Während beim überwiegenden Teil der Stickerei auf der Rückseite des Antependiums ein zusätzlicher Stützstoff eingearbeitet worden ist, befindet sich im Bereich des Marienmedaillons und rechts davon, dort wo die Hintergrundfarbe sowohl im Hauptfeld wie in den beiden horizontalen Schriftbändern wechselt, keinerlei weiteres Stützleinen. Vgl. Restaurierungsbericht BNM 1981.Aufgrund dieses Befunds könnte man davon ausgehen, dass am rechten Rand mit der Stickerei begonnen worden ist, worauf bald deutlich wurde, dass der Leinenträger allein nicht ausreichte, die Metallstickerei zu tragen und man deshalb beim weiteren Herstellungsprozess daraufhin Stützgewebe einarbeitete. Allerdings kann diese Hypothese nur durch eine genaue Analyse der Stickerei verifiziert werden, die zurzeit aus museumstechnischen Gründen nicht durchzuführen ist. »
- Kohwagner, Zug 50-52. »
- Die Vorzeichnung ist an manchen Stellen des Bamberger Antependiums sichtbar, da die ehemals darüber liegende Stickerei ausgefallen ist. Sie stellt sich als Umrisslinie dar. Für den Eindruck der späteren Stickerei ist es nicht unerheblich, ob der Sticker die Innenkante dieser Umrisslinie oder die Außenkante als Begrenzung des Farbfeldes auffasste. Für Buchstaben kann die unterschiedliche Auffassung der Vorzeichnung darüber entscheiden, ob ein Buchstabe schmal oder eher breit wirkt. »