Inschriftenkatalog: Hohenlohekreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 73: Hohenlohekreis (2008)
Nr. 202 Öhringen, ev. Stadtkirche (ehem. Stiftskirche) 1519, 1. D. 17. Jh.
Beschreibung
Kelch. In der Südsakristei. Silber vergoldet, gegossen, getrieben und graviert. Der Kelch wurde vermutlich im ausgehenden 15. Jahrhundert gefertigt und 1519 umgestaltet. Sechspaßförmiger Fuß mit breitem, abgetrepptem Rand und profilierter, mit einem gepunzten, maßwerkgefüllten Rautenfries versehener Zarge; die Felder des zum sechskantigen Schaft ansteigenden Fußes sind mit scharfen Mittelgraten versehen, unter denen auf zwei gegenüberliegenden Seiten je ein gegossenes silbernes und ursprünglich emailliertes Wappenschildchen aufgelegt ist. Alle sechs Felder des Fußes wurden nachträglich mit figürlichen Gravuren versehen: um die beiden Wappen herum sind symmetrisch je zwei Delphine angeordnet; in den übrigen Feldern: 1. Adam und Eva auf einer Bank sitzend, auf Evas Schulter die Schlange, darüber ein mit Äpfeln behängtes Schrifttäfelchen, auf dem ein Drache sitzt, auf der Tafel Jahreszahl (A); 2. hl. Helena mit Kreuz und hl. Margaretha mit Kreuzstab und getötetem Drachen; 3. gekrönte Heilige (Maria?) und ein in kleinerem Maßstab dargestellter Mann, der aus einer Kanne Wasser oder Wein in einen Becher gießt und über dem drei Engelsköpfchen schweben; 4. hl. Wendelin mit Hirtenkeule, Rosenkranz und Hund und hl. Matthäus mit Beil. Auf das Feld mit der Darstellung der gekrönten Heiligen ist ein silbernes Wappenschildchen aufgelegt, über dessen graviertes und ursprünglich wohl emailliertes Schildbild in einer Art Schildhaupt die Nameninitialen (B) eingraviert sind. Am Übergang vom Fuß zum Schaft gegossener Fries aus hängenden Kreuzblumen (teilweise abgebrochen). Die Seiten der beiden sechseckigen Schaftstücke ober- und unterhalb des Nodus mit gravierten Doppelbögen und vorgesetzten gegossenen Säulchen verziert. Flach gewölbter Nodus mit sechs getriebenen Blüten und mit gravierten lilienähnlichen Motiven auf den Lanzettfeldern dazwischen. Die Cuppa wird im unteren Drittel von einem durchbrochen gearbeiteten und mit gravierten Figuren (kämpfende, auf Ungeheuern reitende und Horn blasende Putti) versehenen Korb umfangen, der von einem Fries aus gegossenen Ranken und Köpfchen bekrönt wird. Auf der nicht vergoldeten Unterseite des Fußes zwei zu unterschiedlicher Zeit nur schwach und flüchtig eingeritzte Gewichtsangaben (C) und (D), auf der Unterseite des Standrings der nachträglich zu unbekanntem Zeitpunkt eingravierte Besitzvermerk Öhringen. Leichte Beschädigungen; Schaftteile etwas lose; Email der Wappenschildchen ausgebrochen.
Maße: H. 21,4, Dm. (Fuß) 13,9, (Cuppa) 11,7, Bu. 0,4 (B), 0,3 (C), 0,5 (D), Zi. 0,35 cm (A).
Schriftart(en): Kapitalis (B), Kursive (C, D).
- A
1519
- B
· H(ans) ·a) S(iginger) ·
- C
2 M(ark) 4 L(ot)
- D
2 M(ark) 4 l(ot)
Sickingen, Gockenschnabel; Siginger. |
Textkritischer Apparat
- Sechsstrahliges Sternchen.
Anmerkungen
- Vgl. das reiche Vergleichsmaterial bei Kohlhaussen, Nürnberger Goldschmiedekunst 180–202.
- Zum Altar vgl. Erdmann, Stiftskirche Öhringen 31–33 (m. Abb); Knoblauch I/1, 414f. Am Altar ist eigenartigerweise das Wappen der Margareta Gockenschnabel dem ihres Ehemanns vorangestellt. Zur Beschreibung des Altars vgl. Boger, Stiftskirche Öhringen 78f.; Knoblauch I/1, 414–417 und zuletzt Karl Halbauer, „Ein höchst vollendetes Schnitzwerk“. Das Hochaltarretabel der Öhringer Stiftskirche, in: Unter der Lupe. Neue Forschungen zu Skulptur und Malerei des Hoch- und Spätmittelalters; FS für Hans Westhoff zum 60. Geburtstag, hg. v. Anna Morath-Fromm u. Gerhard Weilandt, Ulm Stuttgart 2000, 245–267, hier: 265 Anm. 6. Zur Stiftungsurkunde für den Altar (Weihedatum 7. Mai 1494) vgl. Die Altäre in der Oehringer Stiftskirche, in: Hohenloher Chronik 3 (1956) Nr. 12, 3f., hier: 3.
- Boger, Stiftskirche Öhringen 69 identifiziert lediglich die hl. Helena und erkennt so den Zusammenhang mit dem Margarethenaltar nicht.
- Boger, Stiftskirche Öhringen 69.
Nachweise
- Boger, Stiftskirche Öhringen 69.
- Pazaurek, Alte Goldschmiedearbeiten, Taf. XVII, Nr. 2 (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 73, Hohenlohekreis, Nr. 202 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di073h016k0020201.
Kommentar
Die Zargenverzierung mit dem maßwerkgefüllten Rautenfries und die schlichte Form der Wappenschilde passen gut zu einer Entstehung des Kelchs im späten 15. Jahrhundert, es könnte sich um eine Nürnberger Arbeit handeln1. Die nach der Jahrhundertwende entstandenen Nürnberger Kelche haben dagegen zumeist eine mit senkrechtem Stabmuster versehene Zarge. Die auf 1519 datierte Gravur wurde demnach erst nachträglich angebracht, ebenso vermutlich der Cuppakorb. Ob auch Schaft und Nodus bei dieser Gelegenheit verändert wurden, ist unklar. Die beiden Stifterwappen weisen darauf hin, daß der Kelch von Kaspar von Sickingen und seiner Ehefrau Margaretha Gockenschnabel († 1500, vgl. nr. 130) in die Stiftskirche geschenkt wurde, und zwar sicherlich als Zubehör zu dem ebenfalls von dem Ehepaar mit einem neuen Steinretabel bestifteten Margarethenaltar in der ersten Einsatzkapelle des nördlichen Seitenschiffs (heute in der nördlichen Seitenkapelle)2. Dieser Altar wurde zusammen mit den übrigen Nebenaltären der Kirche 1494 geweiht, womit möglicherweise die Stiftung des Kelchs in Verbindung zu bringen ist. Erst 1519 wurde dann durch das Anbringen der figürlichen Gravuren die Zugehörigkeit des Kelchs zum Margarethenaltar auch ins Bild gesetzt: Neben der hl. Margaretha wurden die drei Nebenheiligen des Altars Helena, Matthäus und Wendelin abgebildet3, die außer dem letzteren auch im Retabel zu sehen sind. Die in dem Feld gegenüber von Adam und Eva dargestellte gekrönte Heilige ist sicherlich mit der Himmelskönigin Maria zu identifizieren. Der in kleinerem Maßstab rechts von ihr stehende Mann mit Kanne und Becher soll wahrscheinlich der 1525 als Keller des Öhringer Stifts nachweisbare4 Hans Siginger sein, dem auch das dieser Szene aufgelegte Wappenschildchen zuzuordnen ist. Merkwürdig ist freilich, daß das Wappen einen Teil der Marienfigur verdeckt, so daß nicht auszuschließen ist, daß das Schildchen erst nach 1519 angebracht wurde. Jedenfalls scheint Siginger die Umgestaltung des Kelchs finanziert zu haben. Die beiden Gewichtsangaben auf der Unterseite des Kelchfußes schließlich wurden zu unterschiedlichen Zeiten, aber – da gleichlautend – sicherlich erst nach der Veränderung des Kelchs eingeritzt. Die Eintragung (D) stammt wahrscheinlich von derselben Hand wie die Gewichtsangaben auf den Öhringer Abendmahlskannen von 1595 (nr. 488) und 1625 (nr. 756), womit ein ungefährer Zeitansatz gegeben ist.