Inschriftenkatalog: Hohenlohekreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 73: Hohenlohekreis (2008)

Nr. 145† Ingelfingen, ev. Pfarrkirche um 1502

Beschreibung

Glasmalerei. Reste der spätgotischen Farbverglasung der drei Chorfenster. Schon 1863 waren nur noch Fragmente erhalten, die zudem abweichend von der ursprünglichen Anordnung zu unbekanntem Zeitpunkt „um einer gewissen Symetrie willen“ auf die drei Fenster verteilt worden waren1. Zusammengehörig waren drei der Scheiben, die sich ursprünglich im zweibahnigen nördlichen Fenster befanden: I. Muttergottes auf Mondsichel im Strahlenkranz, gekrönt von zwei schwebenden Engeln; II. nach rechts hin in Anbetung kniend Graf Kraft VI. von Hohenlohe im Vollharnisch und seine Frau Helena geb. Gräfin von Württemberg, über ihnen ein reich verschlungenes Schriftband mit in Schwarzlot aufgemalter Anrufung, unter ihnen Blattkonsole mit zwei einander zugewandten kleinen Wappenschilden; III. Astwerkbekrönung. Eine korrespondierende Heiligen- und Stifterdarstellung im südlichen Fenster (Muttergottes oder Kirchenpatron St. Nikolaus; Graf Albrecht von Hohenlohe?)2 war schon im 19. Jahrhundert verloren. Das Achsenfenster war mit kleinen Kabinettscheiben verglast, die Heiligendarstellungen enthielten, von denen zwei (hl. Nikolaus, hl. Barbara) erhalten sind. Vermutlich bei der Kirchenrestaurierung 1871 wurde die Verglasung des Nord- und Südfensters unter Anlehnung an den vorhandenen Bestand ergänzt, wobei dem Stifterpaar eine neue Scheibe mit dem großen Wappen der Fürsten von Hohenlohe und der Muttergottes eine Scheibe mit einem zwei Schilde haltenden Wappenhalter zugeordnet wurde3. Zu unbekanntem Zeitpunkt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sind die beiden Scheiben mit der Muttergottes und mit dem Stifterpaar durch Kopien ersetzt worden; die Originale sind verschollen. Die ursprüngliche Anordnung der Scheiben im Nordfenster wurde 1976 wiederhergestellt, die Neuschöpfungen von 1871 (?) sind seither im Südfenster vereint. Die qualitätvollen Kopien des späten 19. Jahrhunderts sind offenbar hinsichtlich der figürlichen Darstellung und des Ornaments getreu; wieweit dies auf die Wiedergabe der Schriftformen in dem Schriftband zutrifft, ist unklar.

Wiedergabe der Inschrift nach der Kopie.

Schriftart(en): Kapitalis mit Textura-Versalien4.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. · O · MARIA / · JVNC[FRAVW]a) · REIN · /
    · BIT · / · VOR · UNS · MIT · / · DER GEMEIN

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Wappen:
Württemberg5, Hohenlohe.

Kommentar

Die Schrift der Kopie ist eine steife Kapitalis mit starken Kontrasten zwischen Haar- und Schattenstrichen. Nur unorganisch fügen sich die Versalien ein, die gebrochenen Versalien spätgotischer Buchschriften nachempfunden sind und zum Teil die charakteristischen Schaftverdoppelungen und Zackenleisten aufweisen. Als Worttrenner dienen kreisrunde Punkte auf halber Zeilenhöhe, zudem sind an zwei Stellen Zierranken als Zeilenfüller eingesetzt. Die wenig früher entstandenen hohenlohischen Stifterscheiben in der Stadtpfarrkirche in Langenburg6 (Lkr. Schwäbisch Hall) stammen nach kunsthistorischem Urteil eindeutig aus derselben Heidelberger Werkstatt des Hans Kamberger alias Konberger wie die Ingelfinger7. Auch dort sind allerdings die Stifterscheiben des Grafen Kraft und der Gräfin Helena, die in derselben Art wie die vorliegenden Scheiben mit gereimten Anrufungen in Schriftbändern versehen waren, im späten 19. Jahrhundert durch Kopien ersetzt worden. Die mit den Ingelfinger Inschriften identischen Schriftformen von Gemeinen und Versalien taugen daher nicht als Indiz für die zuverlässige Schriftwiedergabe der Kopien, sondern lediglich für die Identität des Kopisten. Allerdings befinden sich in Langenburg zwei weitere von der Heidelberger Werkstatt gefertigte Stifterscheiben von 1499 (Markgraf Friedrich von Brandenburg und Sophia von Polen)8, die noch im Original erhalten sind. Ihre Schriftbänder sind zwar mit Anrufungen in Gotischer Minuskel beschriftet, die Scheiben sind aber zusätzlich mit ausführlichen Namenbeischriften in Kapitalis versehen. Diese schmal proportionierte Kapitalis (annähernd 2:1) mit fetten Schattenstrichen, senkrechter Schattenachse der Bogenlinien, ausgeprägten Dreiecksporen und runden Worttrennern gibt einen Eindruck davon, wie die Ingelfinger Inschriften ursprünglich ausgesehen haben könnten. Beide Langenburger Namenbeischriften werden von gebrochenen Initialen eingeleitet, die wie die Ingelfinger Versalien buchschriftlichen Vorlagen entstammen. Somit dürfte auch die ungewöhnliche Kombination von Kapitalis und Textura-Versalien auf der Ingelfinger Scheibe dem ursprünglichen Befund entsprechen und nicht erst auf den Kopisten des 19. Jahrhunderts zurückzuführen sein. Ob freilich der unsichere Schriftduktus und der relativ kleine Schriftgrad der Ingelfinger Inschriften das Original getreu wiedergeben, ist unsicher. Auch einige Einzelformen, wie das Versal-U, erscheinen für das frühe 16. Jahrhundert verdächtig und erinnern an Drucktypen des 19. Jahrhunderts.

Die Fensterstiftungen stehen im Zusammenhang mit dem Neubau der Ingelfinger Pfarrkirche in Folge der Verlegung des Ruralkapitels von Künzelsau nach Ingelfingen 1487, deren treibende Kräfte die Grafen Albrecht II. und Kraft VI. von Hohenlohe waren. Albrecht ist 1490 lange vor Vollendung des Neubaus gestorben, doch ist die Annahme R. Becksmanns9 sicherlich zutreffend, daß er als zweiter Stifter in dem Südfenster des Chors dargestellt war. Sein Neffe Kraft und dessen Frau Helena sind mit ihren Wappen und Inschriften auch auf zwei Gewölbeschlußsteinen des Chors verewigt (nr. 144).

Textkritischer Apparat

  1. Die Fehlstelle im Original von Bauer, Geschichte von Ingelfingen 208 eindeutig bezeichnet; in der Kopie ergänzt zu JVNCFRAVW.

Anmerkungen

  1. Vgl. Bauer, Geschichte von Ingelfingen 207f.
  2. Vgl. CVMA Schwaben 2, 100.
  3. Zur Geschichte und Dokumentation der Verglasung vgl. ausführlich ebd. 99–103.
  4. Wiedergabe bei Bauer, Geschichte von Ingelfingen 208, in Minuskeln.
  5. Linksgewendet. Herzogliches Wappen von 1495: quadriert, 1. Württemberg, 2. Teck, 3. Reichssturmfahne, 4. Mömpelgard. Die unübliche Voranstellung des Wappens der Frau ist hier durch die Zuordnung zu den darüber abgebildeten Personen zu erklären, vielleicht aber zudem auch durch die wenige Jahre zuvor erfolgte Rangerhöhung der Grafen von Württemberg zu Herzögen.
  6. CVMA Schwaben 2, 114f., Abb. 138, 143.
  7. Ebd. 100f.
  8. Ebd. 113f., Abb. 136, 137, 140, 141.
  9. Ebd. 100.

Nachweise

  1. Bauer, Geschichte von Ingelfingen 207f.
  2. HZAN GA 55 (Nachlaß Albrecht) IX. Bü 240 (Ingelfingen) p. 42.
  3. OAB Künzelsau 596.
  4. Kdm. Künzelsau 169–171 (erwähnt, m. Abb.).
  5. Ev. Nikolauskirche 9 (Abb.).
  6. CVMA Schwaben 2, 99–103 (m. älterer Lit.), Abb. 128.

Zitierhinweis:
DI 73, Hohenlohekreis, Nr. 145† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di073h016k0014501.