Inschriftenkatalog: Hohenlohekreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 73: Hohenlohekreis (2008)

Nr. 66 Öhringen, ev. Stadtkirche (ehem. Stiftskirche) vor 1464, 1464–1467

Beschreibung

Glasfenster. Reste der Chorverglasung des spätgotischen Neubaus. In den fünf Chorfenstern haben sich von dem ursprünglichen Bestand insgesamt 21 hochrechteckige Scheiben sowie ein Fragment erhalten1, die im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach versetzt und dabei 1859 zum überwiegenden Teil seitlich um einige Zentimeter beschnitten wurden; gründliche Restaurierung 19522. Die verbliebenen Scheiben sind jetzt in den Fenstern der Nordost- und der Südostwand eingesetzt3.

I. Im Fenster der Nordostwand: in den beiden oberen Reihen außen vier Scheiben mit Stiftern aus dem Haus der Markgrafen von Baden, jeweils mit Wappenschild (schon ursprünglich in diesem Fenster, aber an anderer Position): Johann von Baden, Erzbischof von Trier, Markgraf Karl I. von Baden, Georg von Baden, Bischof von Metz und Markus von Baden, Domherr zu Köln, alle ohne Inschriften.

Oben in der Mitte Scheibe mit dem von zwei Engeln gehaltenen Vierahnenwappen des Grafen Albrecht I. von Hohenlohe (ursprünglich im vierbahnigen Achsenfenster); darunter Darstellung der heiligen Elisabeth (vielleicht ebenfalls aus dem Achsenfenster); beide Scheiben ohne Inschriften.

In der zweiten Reihe von unten drei zusammengehörige Scheiben (ursprünglich wohl im Fenster der Nordwand) mit Darstellung eines Kirchenraums, in der Mitte die Muttergottes im Strahlenkranz, zu beiden Seiten in Anbetung kniend die Stifter: links der Stiftsherr Johannes Neyperger mit Wappenschild, darin ein Notariatssignet mit Inschrift (A), rechts die Schwester Neypergers, Anna Stofer.

In der unteren Reihe ebenfalls drei zusammengehörige Scheiben (vermutlich vom Fenster der Südwand), wiederum mit Darstellung eines Kirchenraums, dessen Rippengewölbe von einer zentralen Säule gestützt wird; in den beiden äußeren Scheiben wiederum kniende Stifter: links ein Abt mit Krummstab, über ihm ein reich verschlungenes Schriftband mit Anrufung (B), vor ihm auf der mittleren Scheibe ein Wappenschild; rechts der Stiftsherr Johannes Gemminger, über ihm Schriftband mit Marienanrufung (C), vor ihm ein weiteres, in die Mittelscheibe hineinreichendes Schriftband mit Devise (D). Alle Inschriften mit Schwarzlot aufgemalt; Inschrift (B) 1888 – wohl in Orientierung am ursprünglichen Befund – ergänzt4.

II. Im Fenster der Südostwand: In der oberen Reihe der Gekreuzigte zwischen zwei Engeln (vermutlich schon ursprünglich in diesem Fenster); oben am Kreuz ein Zettel mit Titulus (E). In der Reihe darunter drei ebenfalls aus diesem Fenster stammende Scheiben mit den unter dem Kreuz trauernden Maria und Johannes und der Pietà; jeweils ohne Inschriften. In der zweiten Reihe von unten drei Scheiben, die vermutlich zur um 1477 entstandenen Langhausverglasung gehörten5. In der unteren Reihe schließlich rechts eine Scheibe mit trauerndem Engel (aus dem Südostfenster) sowie zwei wohl ursprünglich ins Achsenfenster gehörende Scheiben mit der Verkündigung Mariae: links der Engel mit Lilie und Schriftband, darin der Beginn des englischen Grußes (F), rechts Maria mit der Taube des Heiligen Geists; in den Händen Mariae ein geöffnetes Buch mit Pseudoschrift. Der Rest des Schriftbands ist der Beschneidung der Scheiben zum Opfer gefallen.

Siehe Lageplan.

Maße: H. (Einzelscheiben) 83–89, B. 44,5–46, Bu. 0,4 (A), 2,0 (B), 1,8 (C), 1,5 (D), ca. 2,0 (E), 1,8 cm (F).

Schriftart(en): Gotische Kursive (A), Gotische Minuskel mit Versalien (B, C, D, F), Frühhumanistische Kapitalis (E).

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Heilbronn [1/15]

  1. A

    Joh(an)nes Nyperg

  2. B†

    Oa) mater / dei //b) myserere / mei ·

  3. C

    Felixc) mater / aue qua mu(n)dus / soluit(ur) / aued)6)

  4. D

    Da gloriam //e) deo

  5. E

    · I · N · R · I ·

  6. F

    · Aue [– – –]7)

Übersetzung:

O Mutter Gottes, erbarme dich meiner! (B) – Glückliche Mutter, sei gegrüßt, durch die die Welt erlöst wird von dem Weh! (C) – Gib Gott die Ehre! (D)

Versmaß: Leoninischer Hexameter (C).

Wappen:
Erzstift Trier/Baden8, Baden-Sponheim9, Baden10, Baden11;
Hohenlohe/Leuchtenberg/Württemberg/Zollern12;
Neyperger13; Donre?14.

Kommentar

Die Gotische Minuskel ist regelmäßig ausgeführt. Der Schaft des l ist oben tief gespalten. Auffällig ist das u, dessen linker Schaft oben nach links gebrochen, der rechte aber ohne Brechung rechtsschräg geschnitten und dadurch kürzer als der linke ist. Der obere Bogen des a ragt in den Oberlängenbereich. Das Schluß-s ist aus der kursiven Brezelform abgeleitet und hat links einen durchgehenden Schaft. Die Frühhumanistische Kapitalis des Kreuztitulus wird durch die betonten Senkrechten mit keilförmiger Verbreiterung der Schaftenden geprägt. Der eingeschnürte Schaft des I ist in der Mitte beiderseits mit einem Zierpunkt besetzt, der schmale Schrägschaft des N ist nach unten ausgebuchtet. R hat einen leicht eingerollten, mit einer kräftigen Schwellung versehenen Bogen und eine am Bogenende ohne Schaftberührung ansetzende, stark gekrümmte und stumpf auf der Grundlinie endende Cauda. Als Worttrenner dienen hier runde Punkte, in der Gotischen Minuskel hingegen Quadrangel mit oben und unten angesetzten Zierhäkchen.

Rüdiger Becksmann hat mit überzeugenden Argumenten wahrscheinlich gemacht, daß die Chorfenster der Öhringer Stiftskirche von einer Speyerer Werkstatt geschaffen wurden und daß ihre Entstehung innerhalb weniger Jahre in die Zeit zwischen 1464 oder etwas früher und 1467 fallen dürfte15. Anlaß für die Beteiligung der Markgrafen von Baden an der Fensterstiftung war demnach ein konkretes historisches Ereignis: Die Grafen von Hohenlohe waren am 13. Februar 1464 Gastgeber eines Treffens der Verlierer der Schlacht von Seckenheim (1462). Die dem Pfalzgrafen Friedrich I. unterlegenen, in Gefangenschaft geratenen und erst nach Zahlung hoher Lösegelder wieder freigekommenen Fürsten Bischof Georg von Metz, dessen Bruder Markgraf Karl I. von Baden und Graf Ulrich von Württemberg trafen in Öhringen zusammen, um über die Versöhnung mit dem Kaiser zu beraten. „Da sowohl die Markgrafen von Baden als auch die Grafen von Württemberg vielfältige freundschaftliche Kontakte mit den Grafen von Hohenlohe unterhielten, liegt es angesichts der Bedeutung dieses Treffens nahe, daß die Grafen von Hohenlohe als Dank für ihre Gastgeber- und Vermittlerrolle die Markgrafen von Baden und die Grafen von Württemberg zur Stiftung je eines Fensters für den 1464 seiner Vollendung entgegengehenden Chor der Öhringer Stiftskirche verpflichten konnten“16. Auch wenn für das Fenster der Südostwand keine Stifterbilder und -wappen erhalten sind, wird man folglich wohl davon ausgehen dürfen, daß dieses Fenster von den Grafen von Württemberg gestiftet worden ist. Aus stilistischen Gründen könnten das von den Initiatoren des spätgotischen Kirchenneubaus (vgl. nr. 60), den Grafen Albrecht II. und Kraft V. von Hohenlohe, selbst gestiftete Achsenfenster und die beiden Fenster der Nord- und Südwand etwas älter sein als die badische und die (erschlossene) württembergische Stiftung und bereits kurz vor 1464 entstanden sein.

Für die Stiftung der beiden übrigen Fenster haben nach Ausweis der Stifterdarstellungen offensichtlich Öhringer Kanoniker Sorge getragen. Johannes Neyperger – vermutlich ein unehelicher Sproß des Kraichgauer Niederadelsgeschlechts von Neipperg – war Vikar des Stifts Öhringen und Pfleger der Michaelskapelle auf dem Kirchhof. Ab 1463 ist er in der Funktion des „Krufftherrn“ nachweisbar, dem der Marienkult in der Krypta der Stiftskirche oblag. Für die Krypta hatte er zuvor einen Marienaltar gestiftet17. Die zusammen mit Neyperger dargestellte Stifterin ist höchstwahrscheinlich seine verwitwete Schwester Anna Stofer18. Die Geschwister haben sich vor allem durch eine reiche Dotierung der Michaelskapelle hervorgetan, in der sie auch beigesetzt wurden19.

Der Stiftscustos Dr. Johannes Gemminger hat 1464 einen Annenaltar in die Krypta gestiftet und ausgestattet. Ein wohl dafür verwendeter Kelch (nr. 64 †) trägt dieselbe Devise wie Inschrift (D), wodurch Gemminger als Mitstifter der Fenster eindeutig zu identifizieren ist20. Der ihm gegenüber kniend dargestellte Stifter ist vermutlich Abt Johannes IV. von St. Matthias in Trier, der Gemminger schon bei der Ausstattung des erwähnten Annenaltars mit Reliquien unterstützt hatte – auch wenn das Wappen nicht dem sonst von dem Abt geführten entspricht21.

Textkritischer Apparat

  1. Wiedergabe der Inschrift nach derzeitigem Befund und nach Albrecht, Stiftskirche Oehringen.
  2. Unterbrechung der Inschrift durch den Krummstab.
  3. F-Versal aus verdoppeltem f gebildet.
  4. So statt a vae; vgl. Übersetzung und Anm. 6.
  5. Übergang auf die mittlere Scheibe.

Anmerkungen

  1. Zu Dokumentation und Beschreibung des Bestands sowie zu allen die Stiftung und die Datierung der Fenster betreffenden Fragen vgl. ausführlich CVMA Schwaben 2, 138–154.
  2. Ebd. 140.
  3. Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Scheibenanordnung vgl. ebd. 141–144.
  4. Vgl. ebd. 147. Der Text der Inschrift ist durch die Überlieferung durch Albrecht, Stiftskirche Oehringen 25 (1837) als ursprünglich gesichert.
  5. Ebd. 155–157. Die drei Scheiben sind die einzigen Überreste der Langhausverglasung. Sie tragen keine Inschriften.
  6. Thomas de Cantimpré, Bonum universale de apibus, ed. G. Colnevere, Douai 1627, 2, 1, 19. Der um 1256–63 in Flandern entstandene Text ist in 86 Handschriften überliefert. Vgl. Thomas Kaeppeli/Emilio Panella, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 4, Roma 1993, 352–355 Nr. 3775; Thomas de Cantimpré, Les exemples du „Livre des abeilles“. Une vision médiévale. Présentation, traduction et commentaire par Henri Platelle, Turnhout 1997; Nadia Pollini, Les propriétés des abeilles dans le Bonum universale de Thomas de Cantimpré (1200–1270), in: Micrologus. Nature, Sciences and Medieval Societies 8/1 (2000) 261–296. Den Hinweis auf dieses Zitat verdanke ich meinem Kollegen Ilas Bartusch, Heidelberg.
  7. Lc 1,28.
  8. Linksgewendet. Quadriert von Trier und Baden. Wappen des Erzbischofs Johann II. von Baden, 1456–1503.
  9. Quadriert von Baden und Sponheim. Wappen des Markgrafen Karl I. von Baden († 1475).
  10. Schild linksgewendet und mit einem Krummstab hinterlegt. Wappen Georgs von Baden, Bischofs von Metz, 1459–1484. Das Wappen des Hochstifts Metz findet keine Berücksichtigung.
  11. Unvermehrtes Stammwappen. Wappen des Markus von Baden († 1478), Domherrn zu Köln (ab 1459) und später auch zu Straßburg.
  12. Quadriertes Vierahnenwappen des Grafen Albrecht I. von Hohenlohe († 1429), die beiden rechten Felder linksgewendet: 1. Hohenlohe, 2. Leuchtenberg, 3. Württemberg, 4. Zollern (hier schwarz-silber statt silber-schwarz geviert). In Analogie zu diesem Schild müßte im Achsenfenster außerdem das korrespondierende Vierahnenwappen von Albrechts Gemahlin Elisabeth geb. Gräfin von Hanau († 1475) abgebildet gewesen sein (quadriert von Hanau, Wertheim, Ziegenhain und Braunschweig); vgl. CVMA Schwaben 2, 151. Beide Wappenschilde zusammen ergaben somit die Achtahnenprobe der Initiatoren des Kirchenneubaus, der Brüder Albrecht II. und Kraft V. von Hohenlohe.
  13. In Grün ein goldenes Notariatssignet: auf einem Schriftband stehender Kegel, besetzt mit einer großen Scheibe mit eingeschriebenem, einen Kreis umschließendem Vierpaß, in den Pässen je sechs als Rosetten angeordnete schwarze Punkte, die Bogenzwickel des Vierpasses schwarz gefüllt; im Schriftband der Name des Wappenführers. Das Wappenbild deutet auf notarielle Tätigkeit des Stiftsherrn Johannes Neyperger hin.
  14. Linksgewendet. In Silber ein schräggelegter roter Ast mit sechs Lindenblättern. Vermutlich das Wappen des Johannes IV. Donre (Donner, Tonarius), 1451–1484 Abts von St. Matthias in Trier. Eine andere Zuweisung ist m. E. nicht möglich in Anbetracht der Tatsache, daß das Wappen hier einem Abt beigegeben ist, der zusammen mit dem Öhringer Chorherrn Johannes Gemminger in einem Raum dargestellt ist. Ganz zurecht wird in CVMA Schwaben 2, 147 auf diesen Umstand hingewiesen: „Geht man davon aus, daß mit dem Raum, in dem er zusammen mit … Johannes Gemminger erscheint, die Krypta der Öhringer Stiftskirche gemeint ist, so muß auch er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausstattung dieses Raumes stehen. Dies trifft am ehesten auf jenen Abt des Benediktinerklosters St. Matthias in Trier zu, der 1464 dem genannten Chorherrn Reliquien für den von ihm gestifteten Annenaltar überließ, auf Johannes Tonerius…“. In seinen zwischen 1452 und 1483 nachweisbaren Abtssiegeln führte Donre allerdings durchweg ein anderes Wappen (geteilt, oben ein wachsender Löwe); vgl. Das Erzbistum Trier 8: Die Benediktinerabtei St. Eucharius-St. Matthias vor Trier, bearb. v. Petrus Becker OSB (Germania sacra. Historisch-statistische Beschreibung der Kirche des Alten Reiches, NF 34: Die Bistümer der Kirchenprovinz Trier), Berlin New York 1996, 628f. Man muß demnach davon ausgehen, daß in Öhringen das richtige Wappen des Abts nicht bekannt war und man stattdessen kurzerhand ein Phantasiewappen gewählt hat.
  15. CVMA Schwaben 2, 145f. Den Terminus ante quem bildet die Weihe der Choraltäre 1467.
  16. Ebd. 142.
  17. Vgl. Albrecht, Stiftskirche Oehringen 5, 9, 26f.; Boger, Stiftskirche Öhringen 55f.; CVMA Schwaben 2, 148.
  18. CVMA Schwaben 2, 149.
  19. Knoblauch I/1, 451. 1477 waren beide nicht mehr am Leben.
  20. Ebd. 148.
  21. Vgl. Anm. 14 sowie nr. 64 †.

Nachweise

  1. HZAN GA 55 (Nachlaß Albrecht) IX. Bü 272 (Öhringen Stiftskirche).
  2. Albrecht, Stiftskirche Oehringen 23–30.
  3. Bauer, Stiftskirche Öhringen 281f.
  4. Boger, Stiftskirche Öhringen 71–75.
  5. Öhringer Heimatbuch, Taf. 9 (Abb.).
  6. Marianne Schumm, Die Glasbilder in der Stiftskirche zu Oehringen, in: Hohenloher Chronik 2 (1954) Nr. 12, 1f. (nur erwähnt).
  7. Hans Wentzel, Die Farbfenster in Öhringen. Ein didaktisches Beispiel, in: Zs. d. Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 21 (1967) 141–156.
  8. Knoblauch I/1, 340, 342.
  9. CVMA Schwaben 2, 138–154 (m. weiterer Lit.), Abb. 174, 177–179, 189, 193.
  10. Erdmann, Stiftskirche Öhringen 21f., 24.
  11. Konrad Krimm, Gemeinschaftsstiftungen der Markgrafen von Baden und der Grafen von Württemberg im Spätmittelalter, in: Das Land am mittleren Neckar zwischen Baden und Württemberg, hg. v. Hansmartin Schwarzmaier u. Peter Rückert (Oberrheinische Studien 24), Ostfildern 2005, 231–246, hier: 243–245, Taf. 47f.

Zitierhinweis:
DI 73, Hohenlohekreis, Nr. 66 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di073h016k0006605.