Die Inschriften des Hohenlohekreises

5. Die Schriftformen

5.1. Gotische Majuskel

Äußerst spärlich ist der Bestand erhaltener Inschriften im Bearbeitungsgebiet, die in Gotischer Majuskel ausgeführt sind. Nur sieben dieser Inschriften sind in Stein gehauen. Die Nachzeichnung einer Schriftentwicklung ist angesichts dieses Befunds nicht möglich, es kann hier lediglich darum gehen, einzelne punktuelle Beobachtungen zusammenzutragen. Die ältesten Inschriften in Gotischer Majuskel finden sich auf der Öhringer Adelheidtumba von 1241 (nr. 1). Für die Grabschrift ist eine dünnstrichige, variantenreiche Majuskel mit nur schwachen Bogenschwellungen und langen, feinen Sporen verwendet. Die runden Formen dominieren gegenüber den kapitalen. Deutlich mehr aus dem kapitalen Formenschatz wird dagegen in der Translationsnotiz auf demselben Inschriftenträger geschöpft, die in kleinerem Format, aber wohl von derselben Hand eingehauen wurde. Auffälligster Buchstabe ist das kapitale D mit kurzem Schaft und stark aufgeblähtem Bogen. C und E zeigen noch keinerlei Tendenz zur Abschließung.

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Öhringen, nr. 1

Eine Schöntaler Inschrift von 1257 (nr. 2) ist zu schlecht erhalten, als daß sie für eine paläographische Auswertung etwas hergeben würde. Immerhin ist zu erkennen, daß sie breiter proportioniert ist als die Inschriften der Adelheidtumba und daß die Bogenschwellungen deutlicher ausgeprägt sind. Die runden Formen überwiegen, C und unziales E sind noch offen. Die Inschrift von 1296 am Tympanon der Künzelsauer Johanneskirche (nr. 4) ist sehr unbeholfen ausgeführt. Die Proportionen sind ungewöhnlich breit, Bogenschwellungen sind nur schwach ausgeprägt; C und unziales E sind hier erstmals geschlossen. Bemerkenswerte Einzelformen sind ein rautenförmiges O und eine zweimal verwendete st-Ligatur mit langem Minuskel-s. Ebenfalls recht ungelenk, aber mit völlig anderem Duktus präsentiert sich eine Bauinschrift von 1322 in Altkrautheim (nr. 10). Die Buchstaben sind gestreckter, und der Gesamteindruck wird im wesentlichen von den keilförmig verdickten Schaft-, Balken- und Bogenenden bestimmt. C und unziales E sind hier wiederum noch weit offen, die Bogenschwellungen sind nur mäßig betont.

Die erste völlig einheitlich stilisierte in Stein gehauene Gotische Majuskel findet sich erst in einer Bauinschrift von 1356 an der Buchenbacher Burg (nr. 16). Sie weist gedrungene, quadratische Proportionen, kräftige Bogenschwellungen und keilförmige Verstärkungen der Schaft- und Balkenenden auf, unziale Formen dominieren. Die 20 Jahre jüngere Inschrift auf dem ältesten erhaltenen Berlichingen-Epitaph in Kloster Schöntal (nr. 22) hat deutlich schmalere Proportionen, und ihr Gesamteindruck wird bestimmt durch einen markanten Wechsel von extrem dünnen und fetten, keilförmig verdickten Linien sowie durch die durchweg spitz ausgezogenen Bogenschwellungen, die bei C, kapitalem D, G und O zudem Bogeninnenschwellungen aufweisen. Die auf der Grundlinie umgebogenen Bögen von pseudounzialem A, rundem N, unzialem H und M sind dreieckig verdickt, ebenso das Caudaende des R.


Buchenbach, nr. 16


Kloster Schöntal, nr. 22

Diese besonders für den fränkischen Raum in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts charakteristische Ausprägung der Gotischen Majuskel ist auch auf der einzigen in dieser Schriftart beschrifteten Goldschmiedearbeit, einem Öhringer Kelch aus dem letzten Jahrhundertdrittel (nr. 26), zu beobachten sowie – erhaben ausgehauen – auf einem Wappenstein aus Kloster Goldbach von 1414 (nr. 34). Letzterer markiert das späteste Vorkommen der Gotischen Majuskel als Monumentalschrift im Bearbeitungsgebiet.

Die meisten in Gotischer Majuskel ausgeführten Inschriften im Hohenlohekreis haben sich auf Glocken erhalten. Keine dieser Inschriften ist freilich datiert, so daß allenfalls eine grobe zeitliche Einordnung aufgrund der Schriftmerkmale möglich ist. Noch ins ausgehende 13. Jahrhundert sind die Inschriften einer Niedernhaller Glocke (nr. 6) und – nurmehr durch einen Abklatsch überliefert – [Druckseite 56] einer Eschentaler Glocke (nr. 7 †) zu datieren, die beide in Wachsfadentechnik ausgeführt sind und dadurch bedingt eine weitgehend gleichbleibende Strichstärke und allenfalls schwache Bogenschwellungen aufweisen. Beiden Inschriften gemeinsam sind die große Varianz des Buchstabens A und die eingestellten sehnenartigen Zierstriche in C und unzialem E. Die freien Schaft-, Balken- und Bogenenden sind klobig verdickt. C und E sind noch nicht abgeschlossen.


Niedernhall, nr. 6


Eschental, nr. 7

Zwei Kirchensaller Glocken (nrr. 13, 14), die wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gegossen wurden, bieten mit ihren aus der flachen Wachsschicht ausgeschnittenen Buchstaben ein völlig anderes Erscheinungsbild. Eine der Inschriften (nr. 14) zeigt wiederum eine große Bandbreite des Buchstabens A sowie eingestellte Zierstriche (bei A, G und P). C und E sind mit einem dünnen, stark gekrümmten Abschlußstrich geschlossen. Insgesamt ist ein stärkerer Strichstärkenwechsel festzustellen als bei der zweiten Inschrift (nr. 13), die mit ihren breiten Schäften und Bögen und den keilförmigen Balken noch wesentlich flächiger wirkt. Die Abschlußstriche von C und E erreichen hier fast Schaftstärke. Einzelne überdimensionierte Schaftsporen haben die Form liegender Dreiecke.


Kirchensall, nr. 13


Kirchensall, nr. 14

Reichere Schmuckformen in Gestalt von perlenartig verdickten Sporen und von eingestellten Zierpunkten bietet eine auf dem Kopf stehend angebrachte Glockeninschrift in Crispenhofen (nr. 18), die aufgrund der spitz ausgezogenen Bogenschwellungen bei C und E nicht vor dem mittleren Drittel des 14. Jahrhunderts entstanden sein kann. Diese spitz ausgezogenen Bogenschwellungen kommen auch auf einer Ingelfinger Glocke (nr. 19) vor, wenn auch in weniger deutlicher Ausprägung. Die gegenüber der Crispenhofener Glocke etwas zierlicheren Buchstaben weisen gelegentlich Schaftverzierungen durch einen Nodus auf. Etwas jünger dürfte eine Glocke aus Gommersdorf sein (nr. 27), deren Alphabet sehr einheitlich stilisiert ist. Das Schriftbild wird dominiert von den konsequent spitz ausgezogenen Bogenschwellungen, die auch die aufgesetzten Schwellungen am linken Schaft des pseudounzialen A, an der Cauda des R und am Balken des runden T erfassen. Alle Schaftsporen sind einheitlich zu liegenden Dreiecken umgeformt.


Crispenhofen, nr. 18


Ingelfingen, nr. 19

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Gommersdorf, nr. 27

Weniger flächig, stattdessen mit zahlreichen Ziernodi und ‑ punkten und mit überdimensionierten klobigen Sporen, wurden zwei Niedernhaller Glockeninschriften geformt (nrr. 28, 29), bei denen die spitzen Bogenschwellungen nur bei C, E und O und zudem wenig markant ausgeprägt sind. Eine nähere Datierung innerhalb des zweiten und dritten Drittels des 14. Jahrhunderts ist nicht möglich. Ebenso unsicher ist die zeitliche Einordnung einer Glocke in Zweiflingen (nr. 30), deren Schrift insgesamt sehr unbeholfen und unregelmäßig geformt ist. Spitz ausgezogene Bogenschwellungen bei C, E und O sprechen auch hier für eine Entstehung in den letzten beiden Dritteln des 14. Jahrhunderts.


Niedernhall, nr. 29


Zweiflingen, nr. 30

Abschließend sei noch auf zwei Wandmalereiinschriften in Gotischer Majuskel in Hollenbach und Sindringen (nrr. 5, 15) hingewiesen, deren paläographischer Ertrag allerdings aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustands bzw. ihres geringen Buchstabenbestands nur sehr dürftig ausfällt.

5.2. Gotische Minuskel

Die Gotische Minuskel tritt in Inschriften des Kreisgebiets erstmals im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts auf. Dies fügt sich gut in die auch andernorts im Bereich württembergisch Frankens und der angrenzenden Gebiete gemachten Beobachtungen104). Die drei frühesten erhaltenen Inschriftendenkmäler von 1392, 1398 und 1414 (nrr. 23, 24, 33) befinden sich allesamt in Kloster Schöntal und wurden nach Ausweis der übereinstimmenden Schriftmerkmale offensichtlich in derselben – vermutlich in Würzburg beheimateten – Werkstatt geschaffen. Die Minuskel ist breit angelegt und hat nur kurze Ober- und Unterlängen. Der obere Bogen des a ragt deutlich in den Oberlängenbereich, und r und x haben eine auffällig große quadrangelförmige Fahne. Die Worttrenner-Quadrangel liegen auf der Kante, und den Inschriftbeginn markiert eine reliefierte Rosette105). Auf einer Krautheimer Wappentafel von 1414 (nr. 37) findet sich am Beginn der Inschrift die gleiche Rosette. Die erhaben ausgehauene Minuskel hat ähnlich gedrungene Proportionen wie die drei Schöntaler Inschriften, so daß man diese Tafel vielleicht ebenfalls der Werkgruppe anschließen kann. Die Buchstabenformen weichen allerdings vielfach ab, soweit sich dies bei dem schlechten Zustand des Steins noch feststellen läßt.

Im 15. Jahrhundert dominiert die Gotische Minuskel als epigraphische Schrift im Bearbeitungsgebiet unangefochten, wobei die Zahl der aus der ersten Jahrhunderthälfte erhaltenen in Stein gehauenen Inschriften noch recht gering ist. Die Buchstabenproportionen innerhalb des Mittellängenbereichs sind jetzt im allgemeinen schmaler als bei den Inschriften der Würzburger Werkgruppe. Sehr unterschiedlich ist allerdings die Ausprägung der Ober- und Unterlängen. So präsentieren sich zwei Inschriften in Kocherstetten, die vom selben Steinmetz 1422 und in den 1430er Jahren gefertigt wurden (nrr. 39, 48), fast im Zweilinienschema, Ober- und Unterlängen ragen kaum aus dem Mittelband heraus. Auffälligstes Merkmal der sehr sorgfältig gehauenen Schrift sind hakenförmig hochgebogene Abstriche an g, r und t. Versalien sind nur für das Tausender-Zahlzeichen verwendet und ganz dem Duktus der Textura angepaßt. Fast völlig auf Oberlängen verzichtet ist auch in zwei um 1440 angefertigten Schöntaler Inschriften (nrr. 49, 50), die weniger durch ihre uncharakteristischen [Druckseite 58] Einzelformen als durch die ungewöhnlich großen Wortabstände auffallen. Dagegen zeigen zwei in den 1430er Jahren entstandene Inschriften in Schöntal und Weißbach (nrr. 45, 46) und eine weitere Schöntaler Inschrift von 1449 (nr. 53) deutlichere Oberlängen sowie auffällige Versalien, welche teils mit links gezackten Schäften versehen, teils als breite Lombarden gestaltet sind.

Eine Sonderstellung innerhalb des Bearbeitungsgebiets nimmt hinsichtlich ihrer Herstellungstechnik und ihres Gesamtbilds die wohl ebenfalls noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gefertigte, flach erhaben ausgehauene Bandminuskel auf einem Taufstein in Krautheim (nr. 54) ein. Die Knicke der gleichmäßig breiten Bänder sind äußerst akkurat ausgeführt, ebenso die haarfeinen, gekrümmten Abstriche an e, g, r und t. Die Proportionen der Buchstaben sind ausgesprochen schlank. Die Oberlängen reichen nur unmerklich, die Unterlängen gar nicht über den Mittellängenbereich hinaus. Da bei diesen „langen“ Buchstaben jedoch die Mittellängen auf zwei Drittel der Höhe des Mittelbandes verkürzt sind, kommen Ober- und Unterlängen trotzdem – innerhalb des Mittelbandes – deutlich zur Geltung.

Während bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts etliche Minuskelinschriften ohne Versalien auskommen (nrr. 23, 37, 49, 50, 54, 55, 56), finden sich fortan nur noch solche mit Versalien – häufig zunächst freilich beschränkt auf den Inschriftbeginn und/oder das Tausender-Zahlzeichen innerhalb der Datierung. Zumeist wurde dabei auf den Formenschatz der Gotischen Majuskel zurückgegriffen, daneben finden sich aber auch Versalien, die im buchschriftlichen Bereich im Rahmen der Textura entwickelt wurden und die dem Duktus der Gemeinen in der Strichstärke und teilweise auch in der Art der Brechungen angepaßt sind106). Bemerkenswert ist, daß als weiteres Reservoir für Versalbuchstaben bereits sehr zeitig 1472 die (Frühhumanistische) Kapitalis herangezogen wird (nr. 79 †), was freilich mit der ebenfalls sehr früh zu konstatierenden Verwendung dieser Schriftart als Textschrift in den Inschriften des Bearbeitungsgebiets korrespondiert107).

Aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist eine stattliche Zahl von Inschriften in Gotischer Minuskel auf uns gekommen, bei denen sich mitunter aufgrund gemeinsamer Schriftmerkmale kleinere Werkgruppen zusammenstellen lassen. Umfangreich ist das Oeuvre eines Steinmetzen, der ab 1465 über einen langen Zeitraum hinweg zahlreiche Grabmäler in Kloster Schöntal schuf (nrr. 67, 71, 85, 89, 90, 91, 99, 119) und diese auch meist mit seinem Steinmetzzeichen markierte. Die lange Zeitspanne seiner Tätigkeit und die Tatsache, daß er offenbar ausschließlich im Kloster arbeitete, legen die Vermutung nahe, daß er ein Mitglied des Schöntaler Konvents war. Seine Minuskel ist zumeist sehr regelmäßig ausgeführt, besitzt mal nur relativ kurze, mal etwas markantere Ober- und Unterlängen und auffällige, breite, meist dünnstrichige Versalien mit schwachen Bogenschwellungen. Die linke Hälfte des oberen Bogens des a ist als geschwungener Haarstrich geformt, das etwas steife, fast kastenförmige Schluß-s ist von einem an beiden Enden eingerollten Diagonalstrich durchzogen, und über u ist ein vförmiges diakritisches Zeichen gesetzt. Auf einer Grabplatte von 1480 (nr. 85) kommt diese Schrift in einer etwas schlankeren, in den Einzelformen aber identischen Variante vor.

Inschriften mit im Verhältnis zur Schaftbreite niedrigem Mittellängenbereich (nrr. 60, 70, letztere erhaben) werden nach 1470 selten, wobei die späten Beispiele (nrr. 124, 125) wenig sorgfältig ausgeführt sind. Die Buchstaben werden zum Jahrhundertende hin im allgemeinen – unabhängig von der mehr oder weniger deutlichen Ausprägung der Ober- und Unterlängen – im Mittelband schlanker. Ein dünnstrichiger Duktus, bei dem die Zwischenräume zwischen den Schäften breiter sind als die Schäfte selbst, bleibt die Ausnahme (nr. 80). Die Gemeinen sind zumeist schlicht und ohne besonderen Schmuck. Durch eine etwas reichere Ausgestaltung fällt die Schrift eines Schöntaler Epitaphs von 1480 (nr. 86) auf. Ihre Oberlängen sind tief gespalten, und die zahlreichen angehängten Zierlinien sind an den freien Enden markant eingerollt. Eine Vielzahl von an Schaft- und Balkenenden angefügten halbrunden Zierhäkchen weist schließlich eine weitere Schöntaler Inschrift von 1498 (nr. 126) auf, die sorgfältig mit flach rechteckiger Kerbe ausgehauen wurde und die besonders durch ihre zwei bizarr verzierten Versalien hervorsticht. Sie verrät dieselbe Hand wie die Minuskel einer Grabplatte von 1503 in Adelsheim (Neckar-Odenwald-Kreis)108).

Weitere Werkstattzusammenhänge erschließen sich durch eingehenden Schriftvergleich gelegentlich trotz unspezifischer Gestaltung der Gemeinen. So stammen zwei Öhringer Grabplatten von 1483 (?) und 1488 (nrr. 94, 102), denen Versalien mit doppelt eingekerbten Bogenschwellungen gemeinsam sind, sicherlich von einer Hand. Und ein Schöntaler Berlichingen-Epitaph von 1483 [Druckseite 59]


Die Versalien der in Stein gehauenen Gotischen Minuskel in chronologischer Reihenfolge, Teil 1

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Die Versalien der in Stein gehauenen Gotischen Minuskel in chronologischer Reihenfolge, Teil 2

(nr. 93) läßt sich aufgrund der gemeinsamen Schriftmerkmale mit einem Epitaph für einen Angehörigen desselben Geschlechts in Rothenburg ob der Tauber von 1484109) verbinden. Eine Ausrundung von Bogen- und Schaftbrechungen läßt sich im 15. und frühen 16. Jahrhundert nur bei nachlässig ausgeführten Inschriften (nrr. 116, 198) beobachten. Tief gespaltene und nach rechts umgebogene Oberlängen finden sich im Bearbeitungsgebiet nur ein einziges Mal auf einer Öhringer Grabplatte von 1500 (nr. 130). Bogen-r wird in den Inschriften des 15. Jahrhunderts im Kreisgebiet nur selten verwendet und besteht dann stets aus zwei übereinandergesetzten gleich langen linksschrägen Balken (nrr. 72, 80, 130).

Sehr unterschiedliche Ausprägungen der Gotischen Minuskel lassen sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beobachten. Äußerst schmal und dünnstrichig, mit langen Ober- und Unterlängen, mit dornartigem Ansatz am Schaft des langen s und mit links gezackten Versalien präsentiert sich die Schrift auf zwei von einer Hand gefertigten Schöntaler Grabplatten von 1506 und 1509 (nrr. 156, 167). Daneben gibt es Schriften, die durch die lange rechtsschräge Oberlänge des d, teils durch analoge Gestaltung des Oberbogens des zweistöckigen a sowie durch ein kastenförmiges g mit [Druckseite 61] langem waagerechten „Deckbalken“ etwas ungelenk und eckig wirken. Waagerechte Bogenbrechungen bei c und langem s können diesen Eindruck verstärken (nrr. 144, 149, 161, 163, 213, 224, 235, 298).

Auflockerungen des strengen Duktus der Textura sind jetzt vielfach zu konstatieren: Der Schaft des g kann linksschräg ausgerichtet sein (nr. 161), der Oberbogen des a und der Unterbogen des runden s völlig ausgerundet (nrr. 181, 196 bzw. nrr. 193, 226), die Bögen des Schluß-s rechtwinklig gebrochen sein (nrr. 181, 196). Völlig aufgelockert – bei noch fetten Schäften der Gemeinen – ist das Schriftbild auf zwei Schöntaler Abtsgrabplatten von 1535 und 1537 (nrr. 226, 230) durch die Verwendung überdimensionierter Kapitalisversalien. Über i ist hier regelmäßig ein klobiger quadrangelförmiger Punkt gesetzt, die Langschäfte tragen einen dornartigen Ansatz. Eine stark aufgelockerte Form der Gotischen Minuskel kennzeichnet auch das Œuvre eines Meisters, von dem aus dem Zeitraum von 1538 bis 1553 insgesamt sechs in Minuskel beschriftete Inschriftenträger im Norden des Bearbeitungsgebiets erhalten sind (nrr. 234, 236, 241, 243, 245, 278). Die Schäfte sind hier zumeist schmaler als die Zwischenräume, einige Schäfte stehen schräg (v, w) oder sind leicht durchgebogen (g), o ist sechseckig und läßt keinen Strichstärkenwechsel erkennen. Weitere Merkmale sind relativ weite Wortabstände und charakteristische Versalien, die sich zum Teil aus Kapitalis und Frühhumanistischer Kapitalis rekrutieren. Besonders markant ist der A-Versal am Beginn der Inschriften, der auf der Grundform des pseudounzialen A der Gotischen Majuskel basiert. Von diesem „Meister von Niederstetten und Wachbach“ haben sich vorwiegend im nördlich angrenzenden Main-Tauber-Kreis etliche weitere Werke erhalten, bei denen es sich fast durchweg um Grabmäler für den Niederadel handelt110).

Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich nur noch wenige in Stein ausgeführte Inschriften in Gotischer Minuskel. Als epigraphische Schrift wird die Textura nun völlig verdrängt von Kapitalis und Fraktur. Eine Öhringer Bauinschrift von 1553 (nr. 275) zeigt in der Ausrundung der Bögen von h und z leichte Anklänge an die Fraktur. Viel deutlicher ist die Übernahme von Frakturelementen in einer zwei Jahre jüngeren Waldenburger Inschrift (nr. 283), bei der f und langes s eine deutliche, nach links umgebogene Unterlänge und eine kreisrund gebogene Fahne haben, wenngleich der Schaft noch nicht die für die Fraktur typische Schwellung aufweist. Eingerollte oder geschwungene Zierlinien anstelle der i-Punkte und Kürzungsstriche sowie vor allem die teilweise üppig ausgeschmückten Frakturversalien verstärken den Eindruck einer Mischschrift, bei der freilich die Texturaelemente noch eindeutig überwiegen.

Eine völlige Durchmischung des Gemeinenalphabets mit Frakturbuchstaben läßt sich dagegen in der Schrift eines wohl im sechsten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts von dem Würzburger Bildhauer Peter Dell geschaffenen Schöntaler Epitaph (nr. 304) beobachten. Auf der Grundlinie umgebrochenes langes s steht neben Fraktur-s mit Schwellschaft, e kommt mit gebrochenem oder mit ausgerundetem Bogen vor. Die meisten Bögen sind nach Art der Fraktur ausgerundet, die des d aber noch nach dem Kanon der Gotischen Minuskel gebrochen; a ist noch zweistöckig. Als Kuriosum ist schließlich ein letztes Vorkommen der Gotischen Minuskel im Kreisgebiet auf einem 1623 geschaffenen Bildstock in Schöntal (nr. 742) festzuhalten. Es handelt sich um eine kurze lateinische Marienanrufung; als Versal dient ein Kapitalisbuchstabe. Ähnlich spät (1602) entstand eine in Holz geschnitzte Bauinschrift in Öhringen (nr. 561), die ausgesprochen regelmäßig ausgeführt wurde und deutliche Ober- und Unterlängen und ausgewogene Textura-Versalien aufweist.

Die zwei frühesten datierten Glocken im Bearbeitungsgebiet, die Inschriften in Gotischer Minuskel tragen, wurden 1415 und 1416 von dem Nürnberger Meister Sifridus gegossen (nrr. 35, 36). Die völlig einheitlich stilisierte Schrift ist ganz in ein Zweilinienschema gezwängt. Die Schäfte von b, h und l sind oben rechtsschräg geschnitten und an der Spitze knopfartig verdickt. Die gleichen Zierelemente finden sich an zahlreichen Quadrangelspitzen und an den freien Bogenenden des runden s sowie an den langen Abstrichen von c, e, f, g, r und t. Eine undatierte Rüblinger Glocke (nr. 40) ist aufgrund ihrer identischen Schriftgestaltung ebenfalls Meister Sifridus oder seinem Vorgänger Heinrich Grunwalt zuzuweisen. Weitgehend identisch ist die Minuskel des Nürnberger Gießers Konrad Gnotzhamer I auf zwei Glocken von 1443 in Ingelfingen und Waldenburg (nrr. 51, 52). Ähnliche gedrungene Proportionen und lange Abstriche hat auch die – insgesamt aber deutlich gröbere – Minuskel eines (Haller?)111) Gießers, von dem drei zwischen 1428 und 1433 gegossene Glocken in Öhringen, Sindringen und Belsenberg erhalten sind (nrr. 41, 42, 44). Für die Belsenberger Glocke wurden zwei unterschiedliche Modelsätze verwendet. Auffälligste Besonderheit der Schrift ist der [Druckseite 62] weit nach links gezogene obere Bogen des a, dessen unterer Abschnitt als geschwungener Haarstrich gestaltet ist und in den offenen unteren Bogen hineinragt.

Eine behäbige Minuskel mit fetten Strichen und mächtigen Quadrangeln verwendet der Heilbronner Gießer Meister Daniel auf zwei Glocken von 1451 und 1474 in Ailringen und Bitzfeld (nrr. 57, 81). Die Buchstaben sind sehr locker mit teilweise großen Abständen aneinandergereiht, und l hat eine auffallend lange, steil rechtsschräg geschnittene Oberlänge. Die als Worttrenner gesetzten Tatzenkreuze finden sich auch auf einer 1454 von Daniels Bruder, dem Reutlinger Gießer Hans Eger, gegossenen Bretzfelder Glocke, deren Schrift aber wesentlich regelmäßiger ist und sich völlig im Zweilinienschema bewegt.

Noch breitere und gedrungenere Proportionen innerhalb des Mittellängenbereichs als die Minuskel des Meisters Daniel hat die des Heilbronner Gießers Bernhard Lachaman d. Ä. auf zwei Eschentaler Glocken von 1485 (nrr. 96, 97). Die kurzen Oberschäfte sind flach rechtsschräg geschnitten, als Worttrenner fungieren große paragraphzeichenförmig verzierte Quadrangel. Eine elf Jahre jüngere Glocke desselben Gießers (nr. 118) zeigt eine etwas schmalere Minuskel mit schwach ausgeprägten Unterlängen (g, h). Quadrangelspitzen und die umgebogenen freien Enden der Abstriche weisen mitunter knopfartige Verzierungen auf. Dieselbe Schrift verwendet später auch Bernhard Lachaman d. J. auf vier zwischen 1517 und 1522 gegossenen Glocken (nrr. 197, 199, 207, 212).

Insgesamt läßt sich für die Gotische Minuskel auf Glocken des 15. Jahrhunderts im Kreisgebiet zusammenfassen, daß sie – bei unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichem Stilisierungsgrad – weitgehend auf ein Zweilinienschema beschränkt bleibt und eher breite Proportionen aufweist. Das früheste Beispiel für eine deutlich schlankere Minuskel mit zwar kurzen, aber doch erkennbaren Ober- und Unterlängen begegnet auf einer Glocke von 1499 in Neunstetten (nr. 129), die vielleicht von Jost Glockengießer gegossen wurde. Bemerkenswert sind das e mit waagerechter Bogenbrechung und die konsequente Verwendung eines auf den Kopf gestellten v anstelle des n. Der Schaft des h ist im Oberlängenbereich zu einem mächtigen Dreieck verdickt. Ziffern und Versal (spitzovales O) sind nicht mit Hilfe von Modeln hergestellt, sondern frei aus der Wachsschicht ausgeschnitten. Auch eine undatierte Untersteinbacher Glocke eines Gießers in der Nachfolge des Konrad Gnotzhamer (nr. 134) zeigt schmalere Proportionen und schwache Ober- und Unterlängen. Die knopfartig verdickten Enden der langen Abstriche bei c, e, g, r, t und am Diagonalstrich des Schluß-s erinnern an die oben erwähnten Nürnberger Glocken. Zusätzliche Zierelemente sind Blattmotive, die an die Spitzen der rechtsschräg geschnittenen Oberlängen angefügt sind.

Eine Verwendung von Versalien ist erst ab dem frühen 16. Jahrhundert zu beobachten. So begegnen zwei lombardenähnliche Versalien der Gotischen Majuskel auf einer 1505 gegossenen Waldenburger Glocke (nr. 152) und ein symmetrisches A mit kräftigem Deckbalken und mit aufgesetzten Schwellungen auf den geschwungenen Schrägschäften in der Inschrift einer Mulfinger Glocke von 1508 (nr. 165). Kapitales A mit einseitig nach links gerichtetem Deckbalken findet Verwendung auf einer Öhringer Glocke von 1515 (nr. 191) – eigenartigerweise aber im Wortinnern.

Ein ausgeprägtes Vierlinienschema mit deutlichen Ober- und Unterlängen läßt sich auf Glocken des Bearbeitungsgebiets erstmals um die Mitte des 16. Jahrhunderts in der Minuskel des Nürnberger Gießers Hans Rosenhart III feststellen. Die Zierelemente (lange Abstriche, knopfartige Verdickung der freien Haarstrichenden, der Oberlängenspitzen und einzelner Quadrangelspitzen sowie gelegentlich angesetzte Blattmotive) entsprechen dabei im wesentlichen denen der älteren Nürnberger Glocken. Ähnlich markante Ober- und Unterlängen hat die Minuskel Christoph Rosenharts d. Ä. von Nürnberg, von dem aus den letzten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts fünf Glocken erhalten sind (nrr. 351, 356, 400, 463, 490), sowie die Christophs d. J., der zwei weitere undatierte Glocken im Kreisgebiet gegossen hat (nrr. 550, 551). Besonderes Merkmal dieser Schrift sind die tief gespaltenen Ober- und Unterlängen, deren Spitzen eingerollt sind. Eingerollt sind auch die Bögen von rundem s und z. Die Oberschäfte haben links in der Höhe der Oberlinie des Mittelbandes einen Dorn. Mit den Rosenhart-Glocken endet im Bearbeitungsgebiet zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Verwendung der Gotischen Minuskel für Glockeninschriften.

Von insgesamt neun Grabplatten des Kreisgebiets sind Metallauflagen erhalten, die in Gotischer Minuskel beschriftet sind. Sie sind zumeist – wie die Glockeninschriften – erhaben gegossen. Die beiden frühesten Beispiele von 1472 in Waldenburg (nrr. 78, 79) sind allerdings lediglich in Kontur eingraviert und heben sich mit ihrer glatten Fläche von dem kreuzschraffierten Hintergrund ab. Die Gemeinen weisen die für die buchschriftliche Textura charakteristische Gitterstruktur auf, wobei die Schäfte deutlich breiter sind als ihre Zwischenräume. Ober- und Unterlängen sind nur kurz, auf Zierelemente ist bis auf ein unter die Grundlinie reichendes Häkchen am Bogen des h verzichtet. Eigenartig sind die fast waagerechten Brechungen von v und o auf der Grundlinie. In einer der beiden Inschriften sind Textura-Versalien verwendet.

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Die sehr regelmäßige Minuskel der Nürnberger Vischer-Werkstatt auf einer Öhringer Grabplatte von 1487 (nr. 100) hat wenig spezifische Gemeine mit mäßig langen Oberschäften, charakteristisch ist allerdings der A-Versal am Beginn der Inschrift in Form einer breiten Lombarde. Deutlich schmaler innerhalb des Mittelbands ist die Minuskel auf der Öhringer Grabplatte der Gräfin Helena von Hohenlohe von 1506 (nr. 154). Die zahlreichen Textura-Versalien mit links angesetzten Zacken, Quadrangelleisten und eingestellten doppelten rechtsschrägen Zierstrichen prägen zusammen mit den flach rechtsschräg bis fast waagerecht geschnittenen Oberlängen das Schriftbild. Bogen-r besteht aus einem oben und unten gebrochenen Schaft mit darübergesetztem Quadrangel; auf Worttrenner ist verzichtet.

Während die senkrechten und schrägen Linien in dieser Inschrift durchweg völlig gerade verlaufen und damit einen für die Textura eher untypischen sterilen Eindruck vermitteln, bietet die Minuskel einer Öhringer Grabplatte von 1521 (nr. 208) mit ihren eingebogenen und mit den Spitzen aneinanderstoßenden Quadrangeln ein wesentlich lebhafteres Gesamtbild. Die eng aneinandergefügten Gemeinen setzen die Gitterstruktur der buchschriftlichen Textura gekonnt um. Die Oberlängen sind eingekerbt oder gespalten. Anklänge der Fraktur zeigen sich nicht nur in der Form einiger Versalien, sondern auch in der Ausrundung des rechten Schafts von v und w, des Bogen-r und des unteren Bogens des Schluß-s. Zum Teil reich verzierte Frakturversalien und zaghafte Ausrundungen einzelner Bögen der Gemeinen (Bogen des h, Bogen-r, rechter Schaft des w) sind auch auf zwei Grabplatten von 1551 zu beobachten, die zwar zeitgleich in einer Nürnberger Werkstatt entstanden sind, aber unterschiedlich proportionierte Minuskelschriften aufweisen (nrr. 270, 271). Die eine läßt durch die große Höhe des Mittellängenbereichs kaum Raum für Ober- und Unterlängen, während die zweite wesentlich ausgewogener disponiert ist.

Einen erheblich stärkeren Einfluß der Fraktur zeigt die Minuskel einer wenig jüngeren Waldenburger Grabplatte (nr. 279). Die Versalien sind mit den für die Fraktur typischen „Elefantenrüsseln“ und Kontraschleifen versehen, die Bögen von g und h, das Bogen-r und die rechten Schäfte von v und w weisen Schwellzüge auf, einzelne Oberlängen sind rund nach rechts umgebogen. Die späteste Verwendung der Gotischen Minuskel für gegossene Inschriften auf einer Grabplatte läßt sich 1590 nachweisen (nr. 448). Der Fraktur-Einfluß ist hier im wesentlichen auf die Versalien und die nach rechts umgebogenen Oberschäfte der Gemeinen sowie auf geschwungene, die Oberlängen durchschneidende Zierlinien und Kontraschleifen beschränkt. Ungewöhnlich ist die bisweilen sehr weit nach rechts reichende, nach unten durchgebogene Fahne des langen s sowie die stark nach links durchgebogene und in eine eingerollte Haarlinie auslaufende Oberlänge des d.

Auf den wenigen erhaltenen Goldschmiedearbeiten, die in Gotischer Minuskel beschriftet wurden, ist die Schrift stets in Kontur eingraviert und hebt sich mit ihren glatten Buchstabenflächen vom schraffierten Schriftgrund ab. Es handelt sich durchweg um kurze Inschriften auf Kelchen. Das früheste Exemplar, ein Kelch in Niedernhall, stammt noch aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert (nr. 25), also aus der gleichen Zeit, aus der auch die ältesten in Stein gehauenen Minuskelinschriften erhalten sind. Die wenig sorgfältig gravierte Schrift ist ebenso völlig in das Zweilinienschema gezwängt wie die primitive Bandminuskel eines etwa hundert Jahre später entstandenen Ingelfinger und die etwas qualitätvollere Bandminuskel eines Waldbacher Kelchs (nrr. 133, 139).

Die gemalten Inschriften in Gotischer Minuskel taugen aufgrund ihrer teilweise erheblichen Verfälschung durch spätere Überarbeitung zumeist nicht für eine paläographische Auswertung. Die in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts entstandenen Glasfenster der Öhringer Stiftskirche (nr. 66) bieten den frühesten Beleg einer gemalten Gotischen Minuskel. Die Oberlängen sind dort tief gespalten. Bemerkenswert ist der rechtsschräg geschnittene obere Abschluß des rechten u-Schafts. Nur wenig später entstanden sind die Wandmalereien in der Waldbacher Kirche (nr. 76). Die Evangelistennamen dort sind in einer schlanken Minuskel mit großen Buchstabenabständen aufgemalt. Plumper sind die Beischriften im Chorgewölbe der Dörzbacher Kirche (nr. 68), die freilich offenbar stark überarbeitet wurden, und sehr undiszipliniert präsentieren sich die schwer datierbaren, dünnstrichig ausgeführten und ebenfalls nachträglich verfälschten Beischriften zu den Evangelistensymbolen in Ohrnberg (nr. 138). Die letzten gemalten Inschriften in Gotischer Minuskel im Bearbeitungsgebiet endlich sind die Stundenzahlen auf zwei Uhrtafeln der Untersteinbacher Kirche von 1622 (nr. 734).

5.3. Frühhumanistische Kapitalis

Die Frühhumanistische Kapitalis tritt im Bearbeitungsgebiet bemerkenswert früh als epigraphische Schrift auf. Diese Schriftart, deren Kennzeichen gestreckte Proportionen (annähernd 2:1), keilförmige Verbreiterung der Schaft-, Balken- und Bogenenden und eine Durchmischung kapitaler Formen mit Elementen vorgotischer Schriften des 12. und 13. Jahrhunderts und mit vereinzelten griechisch-byzantinischen [Druckseite 64] Schriftmerkmalen und somit ein großer Variantenreichtum sind112), verdankt ihre Entstehung humanistischen Kreisen. Ziel war, eine gegenüber der vorherrschenden Gotischen Minuskel klarer lesbare, an klassisch-antiken Vorbildern orientierte Schriftart zu schaffen. Die frühesten Beispiele epigraphischer Umsetzung dieser neuen Schrift finden sich im Umkreis des Hofs Kaiser Friedrichs III. in Wiener Neustadt 1442 und 1453113), doch findet die Schrift andernorts zunächst nur wenig Resonanz. Die dekorative Wirkung und der Charakter einer Auszeichnungsschrift prädestinierte die Frühhumanistische Kapitalis zur Verwendung in der Buch- und Tafelmalerei (Spruchbänder, Nimben- und Gewandsauminschriften) und im Kunsthandwerk, wo sie in den meisten süddeutschen Regionen denn auch zuerst in den inschriftlichen Bereich eindringt, vermehrt freilich erst ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts114).

Vor diesem Befund verdient das erste Auftreten der Schriftart im Hohenlohekreis auf der wohl in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts entstandenen „Stiftertumba“ in der Öhringer Stiftskirche (nr. 75) Beachtung115). Die Schrift wurde hier sicherlich bewußt gewählt, um den Eindruck hohen Alters zu erzielen. Die Ausführung (von zwei unterscheidbaren Händen) ist dünnstrichig, typische Einzelformen sind u. a. trapezförmiges A mit beidseitig überstehendem Deckbalken und geknicktem Mittelbalken, zweibogiges E, eingerolltes G, unziales H sowie R mit sehr kleinem Bogen und steiler Cauda.

Das frühe Öhringer Beispiel fand allerdings keine unmittelbare Nachahmung. Die nächsten Belege für die Verwendung der Schriftart finden sich vielmehr erst über eine Generation später. Eine offenbar in Öhringen ansässige Werkstatt schuf im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts eine Reihe von Grabplatten, bei denen die Frühhumanistische Kapitalis durchweg als Textschrift – also nicht, wie andernorts häufig, lediglich als dekorative Beischrift – eingesetzt wurde: Die früheste dieser Inschriften von 1510 (nr. 172) weist als Besonderheit vereinzelt Schaftbrechungen nach Art der Gotischen Minuskel auf, was sie – neben anderen Merkmalen – mit einer 1515 ausgeführten Grabschrift (nr. 188) verbindet, die vermutlich von derselben Hand ausgeführt worden ist. Eng verwandt sind auch die Inschriften zweier Öhringer Grabplatten von 1512 und 1514 (nrr. 177, 184), deren gemeinsame typische Merkmale u. a. zweibogige E mit sich überschneidenden Bögen und S mit getrennten Bögen sind. Ob der Steinmetz, der diese beiden Platten fertigte, und dem wohl auch ein Grabplattenfragment von 1515 (nr. 187) zuzuschreiben ist, derselbe ist, der die Inschriften nrr. 172 und 188 ausgeführt hat, sei dahingestellt. Gemeinsamkeiten, wie etwa ein D mit verkürztem Schaft und mit auf der Grundlinie waagerecht verlaufendem unteren Bogenabschnitt, identische – freilich auch variierte – Formen von A, M, N, O und R sprechen zwar dafür, könnten aber auch lediglich aus der Zugehörigkeit zur selben Werkstatt herrühren. Vielleicht gehört auch die Inschrift eines Ingelfinger Bildstocks von 1515 (nr. 189) hierher.

Ganz anders präsentiert sich eine kurze Inschrift von 1518 an der Ingelfinger Friedhofskapelle (nr. 198.II). Die Schäfte verlaufen hier jeweils auf der einen Seite gerade, auf der anderen Seite sind sie nach innen durchgebogen, an den dadurch keilförmig verbreiterten Schaftenden schräg geschnitten und in der Schaftmitte mit Halbnodus oder Nodus besetzt. Das unziale D ist fast kreisrund, und sein Bogen ist weit offen.

Wiederum der Öhringer Gruppe anzuschließen ist eine Öhringer Grabplatte von 1529 (nr. 221) mit variantenreicher Schrift. Zweibogiges E und S mit getrennten, weit eingekrümmten Bögen kommt auch hier wieder vor, aber in etwas anderer Gestaltung als bei den früheren Beispielen. M hat jetzt nicht mehr wie bisher parallele sondern schräggestellte Schäfte, und für D und O werden am Wortanfang frakturähnliche Versalien verwendet.

Ein sehr breites A mit beidseitig weit überstehendem Deckbalken, offenes kapitales D und G mit jeweils markant eingerolltem oberen Bogenende, relativ breites N sowie zweistöckiges Z sind einige der Schriftmerkmale eines Steinmetzen, der 1537 eine Öhringer Grabplatte (nr. 231) und etwa um dieselbe Zeit ein Pfedelbacher Epitaph für einen gräflich hohenlohischen Amtmann (nr. 240) geschaffen hat und dem wohl auch eine Ingelfinger Wappentafel von 1540 (nr. 237, mit eckigem C) und der Nachtrag eines Sterbevermerks 1525 auf einer Grabplatte in Öhringen (nr. 188.B) zuzuschreiben sind. Auch hier wird man davon ausgehen dürfen, daß es sich um einen Öhringer Steinmetzen handelt.

[Druckseite 65]

Eine letzte geschlossene Gruppe bilden schließlich fünf zwischen 1544 und 1547 entstandene Öhringer Grabplatten (nrr. 251, 256, 257, 258, 259), die – bei unterschiedlich sorgfältiger Ausführung – so weitgehende Gemeinsamkeiten in der Schriftgestaltung aufweisen, daß sie alle sicherlich von einer Hand stammen. Das früheste Beispiel wirkt mit der schwankenden Ausrichtung der Schäfte und der schmalen Strichstärke besonders unruhig. Übereinstimmende Merkmale dieser Gruppe sind die Ausbuchtungen an Schäften, Balken und Schrägschäften, A mit nur einseitig überstehendem, mitunter schräggestellten Deckbalken, I mit Punkt, K mit einem zum geschlossenen Bogen eingerollten oberen Schrägschaft sowie M mit schrägen Schäften. In zwei der Inschriften kommen zudem ein O und ein in der Grundform unziales, links geschlossenes M mit merkwürdig eingedrückten Bögen vor, für die vermutlich Frakturversalien als Vorbilder dienten.

Den Einzelformen und dem Duktus zufolge, nicht aber den quadratischen Proportionen nach ist eine abgekürzte Devise, die auf dem Brustharnisch Philipps von Berlichingen auf dessen Schöntaler Epitaph von 1534 (nr. 225) angebracht ist, der Frühhumanistischen Kapitalis zuzurechnen. Bemerkenswert ist hier vor allem die Form des G, das aus einem oben offenen Kreis besteht, in dessen Öffnung ein nach rechts gewendeter Winkel ragt.

Dem ungewöhnlich häufigen Auftreten der Frühhumanistischen Kapitalis im Hohenlohekreis als in Stein ausgeführter Textschrift steht eine nur spärliche Verwendung im Bereich der Goldschmiedearbeiten gegenüber. Nur drei Kelche sind mit den Namen Jesu oder Mariae in dieser Schriftart versehen. Das früheste Beispiel, ein undatierter, im ausgehenden 15. oder frühen 16. Jahrhundert gefertigter Waldbacher Kelch (nr. 139), ist zudem ein Importstück aus Kloster Lichtenstern (Lkr. Heilbronn). Seine Schrift ist dünnstrichig und weist kaum Besonderheiten auf. Auffälliges Merkmal der Schrift eines Buchenbacher Kelchs von 1512 (nr. 179) sind die s-förmigen Sporen an den Bogenenden des S. In beiden Inschriften ist der Schaft des I beidseitig mit Zierpunkten geschmückt, der Balken des H ausgebuchtet. Charakteristischer sind die flächig und mit Betonung der Bogenschwellungen und der keilförmig verbreiterten Schaft-, Balken- und Bogenenden eingravierten Buchstaben auf einem ebenfalls im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts entstandenen Kelch in Waldenburg (nr. 217). Der Schaft des I trägt links einen Halbnodus, und die linke Bogenhälfte des O wird innen von einem parallelen Zierstrich begleitet. Auch hier sind die langen Sporen des S s-förmig gekrümmt.

Aus dem Bereich der Tafelmalerei haben sich in Untersteinbach zwei Assistenzfiguren einer Kreuzigungsgruppe mit in Frühhumanistischer Kapitalis aufgemalten Nimbeninschriften erhalten (nr. 142), die zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden sein dürften. Ein prägnanter Wechsel von Haar- und Schattenstrichen zeichnet diese insgesamt nicht sonderlich regelmäßige Schrift aus. Winzige Zierpunkte und Haarstriche, die die Bögen parallel begleiten, dienen als Schmuckelemente. Die Flügel eines Mulfinger Altars von 1514 (nr. 186) trugen ebenfalls Beischriften in Frühhumanistischer Kapitalis, die allerdings durch spätere Übermalung fast gänzlich getilgt wurden und deren Reste lediglich erkennen lassen, daß es sich um eine flüssig und mit deutlichem Strichstärkenwechsel aufgemalte Schrift handelte.

Auch wenn die Frühhumanistische Kapitalis im Bearbeitungsgebiet in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts im inschriftlichen Bereich nicht mehr verwendet wurde, wirkte sie doch noch dadurch fort, daß einzelne ihrer Elemente in Kapitalisinschriften aufgenommen wurden, um diese zu variieren oder bewußt zu verfremden.

5.4. Kapitalis

Die am Vorbild der antiken Monumentalschrift orientierte Renaissancekapitalis ist in inschriftlicher Verwendung im Hohenlohekreis erstmals zu Beginn des 16. Jahrhunderts festzustellen. Die Schrift an der undatierten, von Bernhard Sporers Werkstatt geschaffenen Doppeltumba in der Öhringer Stiftskirche (nr. 140) weicht in ihrem steifen Duktus und der weitgehend gleichbleibenden breiten Strichstärke freilich weit von der antiken Kapitalis ab. Auffällige Einzelformen sind das spitze A mit kräftigem, beidseitig überstehenden Deckbalken, D mit waagerecht verlaufendem unteren Bogenabschnitt, zweibogiges E (als Doppelform), E caudata mit rechtwinkligem Haken und P mit ungewöhnlich großem Bogen. Jeweils nur geringen Buchstabenbestand weisen eine vor 1506 entstandene Schöntaler Inschrift (nr. 153) und die Datierung eines Unterginsbacher Weihwasserbeckens von 1507 (nr. 162) auf. Erstere besteht aus erhabenen Buchstaben von gleichbleibender Strichstärke mit nur schwach ausgeprägten Sporen; sehr schmales A und R kontrastieren mit breitem H, M (mit schrägen Schäften) und V. Die kurze Unterginsbacher Inschrift zeigt dagegen einen betonten Strichstärkenwechsel mit Linksschrägenverstärkung und „klassischen“ Serifen. Dasselbe gilt für die – allerdings relativ schmal proportionierte – Kapitalis eines Schöntaler Epitaphs von 1517 (nr. 194).

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Das ungewöhnliche Dominieren der Frühhumanistischen Kapitalis als Majuskelschrift im Kreisgebiet (vgl. Kap. 5.3.) verhinderte offenbar die rasche Ausbreitung der Renaissancekapitalis, für die sich bis zur Jahrhundertmitte keine weiteren Beispiele beibringen lassen. Ein in erhabenen Buchstaben ausgeführter Kreuztitulus auf einem Krautheimer Epitaph von 1540 (nr. 235) ist aufgrund der Einzelformen (nach rechts geneigtes R mit unten offenem Bogen und steiler Cauda, I mit Halbnodus) auch noch eher der Frühhumanistischen Kapitalis zuzuordnen. Und die dünnstrichige Kapitalis eines Meisters, der im benachbarten Main-Tauber-Kreis eine Reihe von Grabmälern in Wachbach und Niederstetten schuf116) und von dem im Kreisgebiet zwei Epitaphien in Künzelsau und Schöntal (nrr. 253, 278) stammen, weist Fremdformen der Frühhumanistischen Kapitalis auf (in nr. 278 nur als Versalien der Gotischen Minuskel): zweibogiges E, H und N mit Ausbuchtung am Schrägschaft bzw. Balken, schmales L mit Oberlänge, R mit kleinem Bogen und steil gekrümmter Cauda.

Eine noch stärkere Verfremdung durch erhebliche Anklänge an die Frühhumanistische Kapitalis kennzeichnet schließlich eine Gruppe von acht kurz nach der Jahrhundertmitte entstandenen Inschriftenträgern, die von einem vermutlich in Öhringen tätigen Steinmetzen geschaffen wurden (nrr. 238, 272, 286, 287, 289, 296.I, 296.II, 299). Es handelt sich um vier Öhringer Grabplatten von 1552 und 1556, um zwei Neuensteiner Wappentafeln von 1558, um das in den 50er Jahren entstandene Schöntaler Epitaph des Götz von Berlichingen mit der Eisernen Hand sowie um eine Bauinschrift (mit Baunachricht zu 1540) desselben an seinem Rossacher Schloß, die wohl aufgrund des Schriftbefunds ebenfalls erst ins sechste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu datieren ist. Diesen Inschriften gemeinsam ist eine charakteristisch verzierte A-Initiale mit geschwungenen Schäften, geschwungenem Deckbalken und zahlreichen begleitenden Zierlinien und Schleifen. Typische Einzelformen der Gemeinen sind: trapezförmiges A mit senkrechtem rechten Schaft, weit unter die Grundlinie geführtem linken Schrägschaft und nach links überstehendem Deckbalken, C mit nur wenig gekrümmtem Bogen, offenes, spitzovales unziales D neben weit offenem kapitalen D mit waagerecht verlaufendem unteren Bogenabschnitt, zweibogiges neben kapitalem E, G mit rechtwinklig nach innen geknickter Cauda und häufig mit waagerechtem unteren Bogenabschnitt, H mit ausgebuchtetem Balken, I mit rechtsschrägem, unter die Grundlinie gezogenen Sporn, M mit schrägen, mit dem Mittelteil spitz zusammentreffenden Schäften neben M mit senkrechten, oben mit Sporen versehenen Schäften, N mitunter mit ausgebuchtetem Schrägschaft, schmales, spitzovales O, R mit getrennt unter dem Bogen am Schaft ansetzender, unter die Grundlinie reichender Cauda, analog dazu geformtes K mit getrennt ansetzenden Schrägbalken, zweistöckiges Z sowie variierende Worttrenner. Bemerkenswert sind darüber hinaus einzelne eingestreute Formen der Gotischen Minuskel (gehäuft in nr. 299), so wiederholt t, st-Ligatur und v, vereinzelt auch b und h.

Das von einem Steinmetzen mit dem Monogramm HB signierte Epitaph für den Öhringer Pfarrer Huberinus von 1553 (nr. 276) zeigt eine individuelle Ausprägung der Kapitalis mit insgesamt recht schmalen Proportionen, mit starkem, die Senkrechten betonenden Strichstärkenwechsel und zu Dreiecken verdickten Sporen. Bemerkenswert sind das R mit steiler, geschwungener und am Ende eingerollter Cauda und eine Doppelform des O mit doppelt gebrochener linker Bogenhälfte. Reich verzierte, dem Formenschatz der Gotischen Majuskel entlehnte A- und J-Versalien fallen besonders ins Auge.

Einem mit Sicherheit in Öhringen ansässigen Steinmetzen ist eine große Gruppe von zwischen 1552 und 1577 (bzw. spätestens 1584) entstandenen Inschriften zuzuweisen, deren gemeinsames Merkmal eine dünnstrichige, wenig regelmäßige, mit zahlreichen Fremdformen durchsetzte Kapitalis mit auffälliger A-Initiale ist. Letztere geht in ihrer Grundform auf ein pseudounziales A der Gotischen Majuskel mit aufgesetzter tropfenförmiger Schwellung am linken Schaft zurück, dessen Aufbau der Steinmetz aber offenbar nicht richtig verstanden hat und das zudem in unterschiedlicher Weise unorthodox mit Zierlinien versehen wurde. Als Vorbild dienten vielleicht zwei sehr ähnlich gestaltete A-Versalien auf dem Öhringer Huberinus-Epitaph (nr. 276). Besondere Merkmale des Alphabets sind ein A mit einseitig nach rechts angesetztem rechtsschrägen Deckbalken (ab 1574 von einem kapitalen A ohne Deckbalken abgelöst); offenes kapitales D mit verkürztem Schaft, über den das obere Bogenende nach links deutlich hinausragt (ab 1575 geschlossen), G mit rechtwinklig geknickter Cauda, K mit zwei nach rechts durchgebogenen Schrägbalken, M mit – gelegentlich durchgebogenen – schrägen Schäften und kurzem Mittelteil, häufig schiefes N, spitzovales O, P mit nach links über den Schaft hinausreichendem oberen Bogenende, R mit zittriger Cauda, variables Z (mit und ohne Mittelbalken, auch mit rechtsschrägem oberen und unteren Balken) sowie meist dreieckige Worttrenner. Der Werkgruppe sind insgesamt zehn Öhringer Grabplatten (nrr. 273, 293, 326, 331, 342, 354, 359, 372, 412, 413) und ein Öhringer Epitaph (nr. 364) zuzuordnen, außerdem der Nachtrag von zwei [Druckseite 67] Sterbevermerken im Jahr 1569 auf zwei bereits zu Lebzeiten für einen hohenlohischen Amtmann errichteten Epitaphien in Öhringen und Pfedelbach (nrr. 240, 330). Zwei der Grabplatten (nrr. 412, 413) sind – da zu Lebzeiten in Auftrag gegeben – nicht eindeutig zu datieren, sind aber jedenfalls vor 1584 entstanden.

Eine noch unregelmäßigere, verfremdete Kapitalis verwendet 1570 ein mit dem Monogramm TR signierender Steinmetz auf einem Niedernhaller Grabmal (nr. 338). Die Schriftgestaltung dürfte hier aber sehr wahrscheinlich auf einen Maler zurückgehen, der die Vorzeichnung besorgt haben dürfte und von dem ein gemaltes Niedernhaller Epitaph aus demselben Jahr mit identischen Schriftformen erhalten ist (nr. 343). Der verschnörkelte A-Versal am Beginn der Inschrift könnte in Kenntnis der Öhringer Werkgruppe gewählt worden sein. Fremdformen sind breites, trapezförmiges A mit langem Deckbalken und spitzovales O. Die Linksschrägen werden weniger durch größere Strichstärke betont als vielmehr durch besondere Formgebung: Der Schrägschaft des N, der untere Schrägbalken des K und die Cauda des R sind geschwungen, und letztere reichen weit unter die Grundlinie, ebenso der linksschräg gestellte und hoch am Schaft angesetzte Balken des L.

Die prägnante, weit vom klassischen Schriftkanon entfernte, schmal proportionierte Kapitalis der Frühwerke Sem Schlörs findet sich im Kreisgebiet auf zwei Waldenburger Grabplatten von 1554 und 1556 (nrr. 280, 288), die dadurch eindeutig dem Haller Bildhauer zugewiesen werden können. Charakteristisch sind besonders das D mit weit nach links über den Schaft hinaus verlängerten und mit kräftigen Dreiecksporen abgeschlossenen Bogenenden, die eng zusammengeschobenen, schmalen Nexus litterarum von FF und LL, sehr schmales M mit senkrechten Schäften und kurzem Mittelteil, R mit getrennt unter dem Bogen am Schaft ansetzender Cauda sowie ein eigenartig gekrümmtes Y, dessen Schaft unten eine Schlinge bildet117). Eng verwandt und vielleicht ebenfalls von Schlörs Hand sind die Kapitalis und die Ziffernformen auf einer Öhringer Wappentafel von 1555 (nr. 285), deren Wappengestaltung allerdings von den Werken Schlörs abweicht.

Der Großteil der Kapitalisinschriften der 60er Jahre im Bearbeitungsgebiet ist meist ungelenk, nicht selten finden sich weiterhin Fremdformen, vorweg A mit einseitig oder beidseitig überstehendem Deckbalken, H und N mit ausgebuchtetem Balken bzw. Schrägschaft, M mit nach innen gebogenen, schrägen Schäften, spitzovales O, zweistöckiges Z oder auch links offenes kapitales D mit verkürztem Schaft. Eine Häufung dieser dekorativ eingesetzten Verfremdungselemente läßt sich am Treppenturmportal des Neuensteiner Schlosses von 1560 (nr. 303) und an zwei Wappentafeln von 1569 in Sindringen (nr. 336) beobachten.

Zwischen diesen kunstlosen Schriften heben sich zwei kleine Werkgruppen ab durch ihre sehr regelmäßige, dünnstrichige Schrift mit quadratischen Proportionen, bei denen die Kreise sorgfältig mit dem Zirkel konstruiert wurden. Die erste Gruppe umfaßt vier zwischen 1564 und 1571 entstandene Öhringer Grabmäler (nrr. 311, 341, 344, 347), deren auffälligste Schriftmerkmale ein K mit verkürzten Schrägbalken, enger TT-Nexus mit prägnanten, gegenläufig ausgerichteten Balkensporen und dreieckige Worttrenner sind. Die zweite Gruppe bilden zwei stark verwitterte und nicht mehr sicher datierbare Grabplatten in Neuenstein (nrr. 317, 369), deren Schriftreste immerhin noch eindeutig erkennen lassen, daß sie von anderer Hand gefertigt wurden als die vier Öhringer Inschriften.

Ebenfalls quadratische Proportionen und sorgfältige Ausführung kennzeichnen die Inschriften auf einem vor 1569 entstandenen Öhringer Epitaph (nr. 330). Auffällig ist die Ähnlichkeit der verschnörkelten A-Initiale mit denen des Huberinus-Epitaphs von 1553 (nr. 276), während die Gemeinen deutlich abweichen. Die kreisrunden Bögen haben eine rechtsschräge oder senkrechte Schattenachse, die oberen Bogenenden sind mit s-förmig gekrümmten Sporen besetzt, die unteren Bogenenden tragen dagegen keine Sporen. Schaft- und Balkensporen sind nur gelegentlich gesetzt. Augenfällige Einzelformen sind das E mit rechts hochgebogenem unteren Balken, I mit ringförmigem Punkt und M mit schrägen Schäften und kurzem Mittelteil, die oben spitz und ohne Sporen zusammentreffen.

Drei Epitaphien in Kocherstetten und Altkrautheim (nrr. 324, 350, 375), von denen das älteste vor 1568, das jüngste 1577 gefertigt wurde und die nach Aufbau, Ornamentformen, figürlichem Stil und Art der Wappengestaltung sehr wahrscheinlich in der Haller Schlör-Werkstatt entstanden sind, zeigen eine weitgehend identische Schrift, deren Gestaltung sich aber deutlich von Sem Schlörs früher Kapitalis (s.  o.) unterscheidet. Kennzeichnend sind quadratisch-breite Proportionen, deutliche Linksschrägenverstärkungen sowie meist rechtsschräg ausgerichtete Balken- und Bogensporen. G hat mitunter eine leicht eingerückte Cauda, M hat senkrechte Schäfte und ein bis zur Grundlinie reichendes Mittelteil, und der Bogen der Ziffer 2 ist eigenartig gewölbt. Y ist (in nrr. 350, 375) aus [Druckseite 68] zwei nach rechts durchgebogenen Bestandteilen zusammengesetzt, der längere rechte Schaft ist im unteren Abschnitt gegengeschwungen. Dieselbe Y-Form findet sich allerdings auch schon bei einer 1557 von Schlör in seiner frühen Kapitalis ausgeführten Inschrift in Talheim (Lkr. Heilbronn)118). Es ist daher durchaus möglich, daß Schlör auch die späteren Inschriften – in bewußter Abwendung von seiner bisherigen, „rustikaleren“ Schrift – eigenhändig ausführte und ihre Fertigung nicht, wie man auch vermuten könnte, Gehilfen überlassen hat119). Wiederum anders ist die Kapitalis eines nachweislich von Sem Schlör 1588 fertiggestellten Epitaphs in Kocherstetten (nr. 440), bei dem aber möglicherweise der Bildhauer Eberhard Barg, der das Grabmal begonnen hatte, noch die Ausführung der Inschriften besorgt hat. Auffälligste Abweichungen sind – neben der andersartigen Strichstärkenverteilung auf Schäfte, Schrägschäfte und Balken – das M mit schrägen Schäften und mit einem nur knapp unter die Zeilenmitte reichenden Mittelteil sowie K mit gebogenem oberen und geschwungenem unteren Schrägbalken.

Die Kapitalis des Rothenburger Bildhauers Leonhard Weidmann an einem Schöntaler Epitaph von 1573 (nr. 358) zeigt zwar weitgehend klassische Proportionen, läßt aber einen klaren Strichstärkenwechsel vermissen. Das spitze A trägt einen beidseitig weit überstehenden Deckbalken.

Ein Steinmetz, der vermutlich in Neuenstein beheimatet war und von dessen Hand insgesamt zehn Inschriftenträger vorwiegend in Neuenstein, aber auch in Künzelsau, Öhringen und Unterheimbach erhalten sind, hatte den Schwerpunkt seiner Produktion im achten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, doch sind auch noch zwei Werke am Ende des Jahrhunderts entstanden (nrr. 332, 360, 361, 362, 365, 373, 374, 423, 492, 503). Seine dünnstrichige, breit proportionierte, ungelenke Kapitalis zeigt als markante Merkmale große Worttrenner-Quadrangel, B mit getrennt untereinander am Schaft ansetzenden Bögen, schmales E mit gleich langen Balken, breites M mit schrägen Schäften und kurzem Mittelteil, N, bei dem der Schrägschaft spitz und ohne Sporen mit den Schäften zusammentrifft, sowie zweistöckiges Z (in zwei Inschriften allerdings die einstöckige Form mit geschwungenen Balken). Besonders variantenreich ist der Buchstabe K, bei dem entweder beide Schrägbalken gerade oder einer oder beide geschwungen sein können, der obere Schrägbalken kann zudem auch verkürzt vorkommen. Die Ziffer 4 hat einen stark schräggestellten, die 7 einen prägnant nach links durchgebogenen Schaft.

Eine eng verwandte Schrift, die einen Werkstattzusammenhang mit der Neuensteiner Gruppe vermuten läßt, findet sich bei drei eindeutig von einer Hand geschaffenen Inschriftenträgern, die zwischen 1587 und 1593 entstanden sind. Neben dem Hauptwerk – der monumentalen Wappentafel mit Bauinschrift in der Pfedelbacher Pfarrkirche (nr. 442) – handelt es sich um ein kleinformatiges Epitaph in Kirchensall (nr. 430) und um eine hauptsächlich in Fraktur beschriftete Grabplatte in Neuenstein (nr. 472). A ist spitz oder trapezförmig und trägt einen Deckbalken, der Mittelbalken kann auch geknickt sein; Z ist einstöckig mit geschwungenen Balken, und K hat stets gerade Schrägbalken. Besonders ungewöhnlich ist das mondsichelförmige C ohne Sporen an beiden Bogenenden.

Die zwei monumentalen Grabdenkmäler der Grafen Ludwig Kasimir und Eberhard von Hohenlohe in der Öhringer Stiftskirche von 1570 und 1573/74 (nrr. 345, 357) weisen neben Frakturinschriften die für den Bildhauer Johann von Trarbach typische Kapitalis auf120): Kennzeichnend sind ein großzügiges Layout mit großen Wort- und Zeilenabständen, die mit flach-rechteckiger Kerbe eingetieften Buchstaben, starke Linksschrägenverstärkungen sowie prägnante, leicht gekrümmte, rechtsschräg angesetzte Bogen- und Balkensporen. Markante Einzelformen sind das sehr breite H (meist mit ausgebuchtetem Balken), M mit schrägen Schäften und kurzem Mittelteil und das R mit weit ausgestellter Cauda. Die erhaben ausgehauene Kapitalis ist formal identisch.

In den 70er und 80er Jahren des 16. Jahrhunderts lassen sich noch drei größere Werkgruppen von Inschriftenträgern anhand ihrer Kapitalisformen zusammenstellen. Die erste Gruppe umfaßt sechs zwischen 1575 und 1585 entstandene Grabmäler in Öhringen, Bieringen, Untersteinbach und Adolzfurt (nrr. 366, 397, 399, 415, 418, 419). Ihre Schrift ist zwar weitgehend quadratisch proportioniert, weicht aber in Strichstärke und Einzelformen vom klassischen Kanon des Kapitalisalphabets deutlich ab. Auffälligste Merkmale sind das S mit weit eingebogenen, fast geschlossenen Bögen und mit zu großen Dreiecken verbreiterten Bogenenden, enger TT-Nexus mit links rechtsschräg und rechts linksschräg ausgerichteten Sporen (Sporenausrichtung in den frühesten Werken allerdings [Druckseite 69] noch umgekehrt), M mit weit ausgestellten schrägen, mitunter leicht einwärts gebogenen Schäften und sehr kurzem Mittelteil, N mit spitz und ohne Sporen an die Schäfte stoßendem Schrägschaft sowie spitzovales O. Als Worttrenner dienen zunächst große Quadrangel, später runde Punkte.

Hauptmerkmale einer zweiten Gruppe, zu der vier im Zeitraum zwischen 1578 und 1580 entstandene Grabmäler in Öhringen und Pfedelbach gehören (nrr. 379, 380, 388, 390), sind ein A am Beginn der Inschrift mit eigenartig rechtsschräg gestelltem Deckbalken, G mit rechtwinklig nach innen geknickter Cauda, R mit bisweilen tief unter die Grundlinie gezogener, steil geschwungener Cauda, K mit analog gestaltetem unteren Schrägbalken, breites M mit bis auf die Grundlinie hinabreichendem Mittelteil, der mit den senkrechten Schäften spitz und ohne Sporen zusammentrifft, breites N mit ebenso spitz mit den Schäften verbundenem Schrägschaft, sehr breite T, V und W sowie Z mit Mittelbalken. In den beiden letzten Inschriften ist das O spitzoval. Die Jahreszahlen sind jeweils in römischen Zahlzeichen geschrieben.

Die dritte und größte Gruppe stammt von der Hand eines Steinmetzen, der nur im Nordwesten des Bearbeitungsgebiets tätig und vermutlich in Krautheim ansässig war. Außer neun im Zeitraum von 1579 bis 1596 entstandenen Grabmälern und Wappentafeln in Krautheim, Altkrautheim, Neunstetten, Gommersdorf und Halsberg (nrr. 384, 407, 424, 426, 433, 458 †, 494.I, 494.II, 500.I) ist ihm auch eine Wappentafel von 1584 in Sindolsheim (Gde. Rosenberg, Neckar-Odenwald-Kreis)121) zuzuweisen. Wichtigste Kennzeichen seiner Schrift sind eine starke Betonung der Senkrechten durch deutlichen Strichstärkenwechsel, häufige Rechtsschrägenverstärkung und markante dreieckige Sporen. Bei A, M und N treffen Schäfte und Schrägschäfte in abgeflachten Spitzen aufeinander, der rechte Schaft des A steht oft senkrecht, O ist spitzoval, und Z trägt (mit einer Ausnahme) einen Mittelbalken. Der Steinmetz hat auch eine schrägliegende, in den Einzelformen identische Variante der Kapitalis im Repertoire (nr. 424, DI 8 nr. 69). Die Schrift eines – heute verschollenen – Krautheimer Grabplattenfragments von 1597 (nr. 507 †) hat zwar schmalere Proportionen, ist sonst aber in Duktus und Einzelformen mit der Kapitalis dieses Steinmetzen identisch und ist ihm daher wohl ebenfalls zuzuschreiben.

Viele Kapitalisinschriften des ausgehenden 16. Jahrhunderts im Kreisgebiet sind wenig qualitätvoll, oft sogar ungelenk bis grobschlächtig, mit schwankender Ausrichtung der Schäfte und häufig mit eher schmalen Proportionen (z. B. nrr. 434, 436, 485). Individuell stilisierte Schriften finden sich nur selten, wie etwa die Kapitalis des aus Bonn stammenden Baumeisters und Steinmetzen Servatius Körber, von dem in Öhringen eine signierte Schrifttafel von 1589 und eine undatierte Hausinschrift (nrr. 443, 534) erhalten sind. Der Duktus seiner quadratisch proportionierten Schrift wird wesentlich bestimmt durch die kräftigen dreieckigen Sporen an den Balken- und Bogenenden. Besonders auffällig ist das G mit weit über die Cauda hinausreichendem oberen Bogenende. Die Schrägschäfte der breiten A und V sind gelegentlich leicht nach innen durchgebogen, Z ist zweistöckig. Als Worttrenner dienen Dreiecke.

Kräftige, keilförmige Balken- und Bogensporen finden sich auch in der gedrungenen Kapitalis auf einem Öhringer Epitaph von 1593 (nr. 471). Die Senkrechten sind dort mit sehr breiten Schattenstrichen betont, die Schrägschäfte schwanken in ihrer Ausrichtung. Die Bögen des O und der Ziffer 6 sind spitz ausgezogen. Die charakteristische Schrift begegnet eindeutig 1593 wieder in dem Nachtrag eines Sterbedatums auf einem Öhringer Grabmal (nr. 390) und wohl auch in zwei weiteren Nachträgen 1597 und 1599 (nr. 484).

Die Kapitalis einer 1594 gefertigten Waldenburger Grabplatte (nr. 478) ist geprägt durch eine sonst im Bearbeitungsgebiet nicht festzustellende Häufung von Nexus litterarum. N hat einen markant geschwungenen, im mittleren Abschnitt senkrecht verlaufenden Schrägschaft, T einen ungewöhnlich langen Balken. Für G kommt eine eingerollte Doppelform vor, und M hat entweder senkrechte oder weit ausgestellte schräge Schäfte.

Sehr regelmäßig, mit deutlichen Linksschrägenverstärkungen, engem FF- und TT-Nexus, sehr kurzen Mittelbalken bei E und F sowie mit auffällig großen, offenen Bögen bei den Ziffern 6 und 9 präsentiert sich schließlich die Kapitalis auf drei Epitaphien in Kocherstetten und Ingelfingen (nrr. 485, 524, 566), die zwischen 1595 und 1603 entstanden sind und mit Sicherheit von einer Hand stammen.

An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert war ein offenbar in Niedernhall ansässiger Steinmetz tätig, von dem nach Ausweis der gleichartigen Schriftformen insgesamt sieben zwischen 1598 und 1609 entstandene Grabmäler, Portalbögen und Hausinschriften in Niedernhall und Ingelfingen erhalten sind (nrr. 510, 519, 601, 602, 604, 607, 619.I, 619.II). Charakteristische Einzelformen sind: A mit meist sehr kurzem Deckbalken und teilweise mit geknicktem Mittelbalken, B mit getrennt [Druckseite 70] untereinander am Schaft ansetzenden Bögen, C mit nur wenig gekrümmtem, weit offenen Bogen, E mit rechts hochgebogenem unteren Balken, H oft mit ausgebuchtetem Balken, K mit nach rechts durchgebogenen Schrägbalken, O mit oben und unten spitz ausgezogenen Bögen (noch nicht in den beiden frühesten Werken), S teilweise mit sehr weit eingebogenen, fast geschlossenen Bögen, einstöckiges Z ohne Mittelbalken oder mit kurzem, s-förmig geschwungenem Mittelbalken sowie die Ziffern 6 und 9 mit sehr kleinem, kreisrunden Bogen.

Das oben und unten spitz ausgezogene O begegnet in der Folgezeit in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts immer wieder bei verschiedenen Steinmetzen und scheint ein regional spezifisches, durch vor Ort vorhandene Vorbilder beeinflußtes Phänomen zu sein.

Aus den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts stammen fünf in Kapitalis beschriftete Werke, die dem Forchtenberger Steinmetzen Michael Kern II zugeschrieben werden können, die allerdings zum Teil einen nur geringen Buchstabenbestand aufweisen. Es sind dies ein Forchtenberger Grabmal von 1600 (wenige Wörter innerhalb einer Frakturinschrift), die Inschriften auf dem Epitaph für Kerns Eltern von 1603, die Nameninitialen der Meistersignatur am Forchtenberger Neuen Tor, ein Pfarrerepitaph in Amrichshausen von 1605 sowie eine Brückenbauinschrift von 1605 in Ernsbach (nrr. 523.B, 564, 576, 585, 586). Gemeinsame Merkmale sind eine weitgehend gleichbleibende Strichstärke, eine Bemühung um quadratische Proportionen sowie einige – insgesamt freilich wenig charakteristische – Einzelformen: D und G mit kreisrunden Bogenabschnitten, G mit hoher, senkrechter Cauda, E mit kurzem Mittelbalken und mit langem oberen und unteren Balken, wobei der Sporn am oberen Balken stets rechtsschräg, der am unteren rechts- oder linksschräg angesetzt ist, K mit geradem oberen und geschwungenem unteren Schrägbalken (mit zwei geraden Schrägbalken nur einmal in nr. 586 als Doppelform), M mit schrägen Schäften, die mit dem kurzen Mittelteil spitz zusammentreffen, N mit Sporn am oberen Ende des linken und ohne Sporn am unteren Ende des rechten Schafts, T mit rechtsschrägen Balkensporen, einstöckiges Z ohne Mittelbalken sowie relativ große Worttrenner-Quadrangel. Damit unterscheidet sich die Kapitalis in einigen Einzelheiten deutlich von derjenigen Michael Kerns III (s. u.). Und die sehr unbeholfenen, ungelenken Inschriften am Forchtenberger Kern-Haus (nrr. 414, 474) sowie eine weitere, offensichtlich von derselben Hand gefertigte Inschrift in unmittelbarer Nachbarschaft (nr. 487), die noch im ausgehenden 16. Jahrhundert entstanden sind, müssen, da sie von der Schrift Michael Kerns II erheblich abweichen, wohl seinem Vater Michael Kern I zugeschrieben werden.

In der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts nimmt die Menge der Kapitalisinschriften im Bearbeitungszeitraum noch zu, und die außergewöhnliche Dichte des inschriftlichen Materials auf relativ kleinem Raum ermöglicht es, einzelne Werkgruppen mit Hilfe des Schriftvergleichs herauszuarbeiten.

Aufgrund stilistischer und inschriftenpaläographischer Vergleiche mit gesicherten Werken außerhalb des Bearbeitungsgebiets122) lassen sich zwei Inschriftenträger im Hohenlohekreis dem Heilbronner Bildhauer Jakob Müller zuweisen: das Epitaph für den Kanzler Micyllus in der Öhringer Stiftskirche von 1601 (nr. 558) und der vermutlich 1591 geschaffene Fassadenschmuck eines Öhringer Hauses (nr. 461). Die insgesamt nicht sonderlich charakteristischen allgemeinen Merkmale der Müllerschen Kapitalis sind quadratische Proportionen, breitstrichige Linienführung mit wenig Strichstärkenwechsel und keilförmige Verbreiterungen der Schaftenden. An Einzelformen sind erwähnenswert: E und F mit sehr kurzem Mittelbalken und mit am oberen und unteren Balken rechtsschräg angesetzten Sporen, G mit eingerückter Cauda, K mit geradem oberen und geschwungenem unteren Schrägbalken, M mit schrägen Schäften und kurzem Mittelteil, N mit Sporen an jeweils beiden Schaftenden, T mit linksschrägen Balkensporen (nicht ganz konsequent), Y mit im unteren Abschnitt leicht nach links gebogenem Rechtsschrägschaft und mit zwei Punkten sowie Z mit rechtsschrägen Balken (der untere geschwungen) und ebensolchem Mittelbalken. S ist oft leicht nach rechts gekippt.

Eng verwandt mit der Schrift Müllers ist die Kapitalis seines Öhringer Schülers Philipp Kolb, der vier der von ihm geschaffenen Epitaphien in der Öhringer Friedhofskapelle signierte (nrr. 580, 597, 605, 611), an die sich durch Schriftvergleich eine ganze Reihe weiterer, zwischen 1603 und 1614 entstandener Inschriften im Süden des Kreisgebiets einigermaßen zuverlässig anschließen lassen (nrr. 364 [Nachträge], 591, 640, 649, 650, 651, 655, 583.C [Nachtrag], 656, 662, 831)123). Die Ausführung ist zwar unterschiedlich sorgfältig, doch zeigen alle diese Inschriften denselben Duktus: breite, annähernd quadratische Proportionen, wenig markante Strichstärkenwechsel sowie zu kräftigen Dreiecken verdickte [Druckseite 71] Schaft-, Balken- und Bogenenden, ferner als Schlußzeichen oft ein Quadrangel mit unten oder rechts angesetzter Zierranke. Die Kapitalis wird meist kombiniert mit Fraktur oder mit einer mit Frakturelementen durchmischten Humanistischen Minuskel (vgl. u. Kap. 5.7.). An Einzelformen verdienen Erwähnung: A-Versal mit gebogenen Schrägschäften, von denen der linke unten häufig mit einer Schleife oder Doppelschleife verziert ist; kreisrundes C, das zunächst oben mit einem rechtsschrägen, unten mit einem linksschrägen Sporn abgeschlossen wird, ab 1606 dann aber unten stets ohne Sporn erscheint; E und F mit sehr kurzem Mittelbalken; der obere Balken des E stets mit rechtsschrägem, der gleich lange untere Balken mit links- oder rechtsschrägem Sporn; G mit eingerückter Cauda (wenige Ausnahmen); I mit klobigem Quadrangelpunkt, der zunächst auf der Kante liegt, ab 1608 aber zumeist auf der Spitze steht; K mit geradem oberen und geschwungenem unteren Schrägbalken; M zunächst – wie in der Schrift Jakob Müllers – mit schrägen, oben spitzen Schäften, ab 1606 dann aber ausschließlich mit senkrechten, oben mit kräftigen Sporen versehenen Schäften; N durchweg mit Sporen an allen Schaftenden; gelegentlich ein spitz ausgezogenes O (nrr. 611, 650, 583.C); T mit zumeist linksschrägen Balkensporen; Y wie in der Müllerschen Kapitalis; variables Z mit geradem oder rechtsschräg geschwungenem unteren Balken, letztere Form auch mit kurzem Mittelbalken. Dem Schriftbefund nach müßten auch zwei nachgetragene Sterbedaten (1584 bzw. 1592) auf zwei Öhringer Grabplatten (nrr. 412, 413) von Kolbs Hand stammen; sie wurden möglicherweise während Kolbs Lehrzeit in der Müller-Werkstatt (1592–95) ausgeführt und wären somit seine frühesten epigraphischen Zeugnisse im Bearbeitungsgebiet. Kolb signierte offenbar nur die größeren Epitaphien, nicht aber die Grabplatten, die den Großteil seines hier erfaßten Œuvres ausmachen. Eine sehr ähnliche Kapitalis, aber doch wohl von anderer Hand, findet sich auf einem kleinformatigen Crispenhofener Epitaph von 1610 (nr. 628) – dem recht primitiven figürlichen Schmuck nach vielleicht die Werkstattarbeit eines Gehilfen Kolbs.

Die einigermaßen einheitliche Gruppe der Kolbschen Kapitalis-Inschriften endet 1614. Diese Inschriftenträger, bei denen wir Eigenhändigkeit Kolbs vermuten, lassen sich auch durch den einheitlichen Stil der Wappendarstellungen, vor allem durch die einigermaßen einheitliche Gestaltung der Helmdecken, miteinander verbinden. Diese charakteristischen Helmdeckenformen tauchen danach nicht wieder auf, und alle in Schriftformen und heraldischem und ornamentalem Stil verwandten Werke der Folgezeit scheinen von anderen Händen zu stammen. Trotz offensichtlicher Werkstattzusammenhänge dieser späteren Arbeiten mit dem Kolbschen Œuvre sind demnach offenbar von Philipp Kolb keine eigenhändigen Arbeiten nach 1614 erhalten. Dies ist umso erstaunlicher, als er erst 1633 in Öhringen gestorben ist und seine Werkstatt wohl bis zu seinem Tode betrieben hat.

1618 setzt eine neue Serie von Kapitalis-Inschriften ein, deren Duktus und Formenbestand weitgehend identisch ist mit dem der Kolbschen Schrift. Einziger prägnanter Unterschied ist das G, dessen Cauda nicht eingerückt, sondern auf das untere Bogenende aufgesetzt ist. Und der Sporn am unteren Balken des E ist konsequent rechtsschräg ausgerichtet. Gelegentlich ist der Schrägschaft des N über den rechten Schaft hinaus verlängert und rund nach oben umgebogen. Diese Abweichungen allein sind natürlich nicht ausreichend, um zwingend auf eine andere Hand zu schließen. Einher geht aber auch eine veränderte Gestaltung der Wappenkartuschen und Helmdecken und – bei aufwendiger gestalteten Grabplatten – ein stilistischer Wandel im Rahmenornament (u. a. andere Kartuschrahmen, knorpelwerkähnliche Elemente mit Fratzen, Engelsköpfe). Da das jüngste dieser Werke, eine Wappentafel von 1623 in Michelbach am Wald (nr. 740), als Signatur die Nameninitialen des in Neuenstein ansässigen gräflich hohenlohischen Baumeisters und Bildhauers Georg Kern trägt, läßt sich wohl die gesamte Werkgruppe diesem zuschreiben. Er war verpflichtet, in der freien Zeit, die ihm neben seiner Baumeistertätigkeit blieb, kostenlos Bildhauerarbeiten für die Herrschaft auszuführen. Dazu fügt sich gut, daß die Werkgruppe neben Wappentafeln mit dem herrschaftlichen Wappen unter anderem die Grabplatte für einen früh verstorbenen Grafen und für gräfliche Amtsträger und deren Familienangehörige umfaßt. Daneben hat Kern offenbar auch Aufträge für die Herren von Berlichingen ausgeführt. Die erwähnten stilistischen Abweichungen gegenüber den Werken von Kolb sind sicherlich auf den Einfluß von Georgs Bruder Michael Kern III zurückzuführen. Ob Georg Kern zeitweilig in der Kolb-Werkstatt gelernt und von dort die Schrift übernommen hat oder ob gar Kolb die Inschriften für Kerns Werke ausführte, läßt sich wohl kaum klären. Archivalische Zeugnisse für eine etwaige Zusammenarbeit gibt es jedenfalls offenbar nicht124). Die Georg Kern zuzuschreibenden Grabmäler und Wappentafeln befinden sich in Öhringen, Neuenstein, Pfedelbach, Michelbach, Ingelfingen [Druckseite 72] und Neunstetten (nrr. 685, 686, 692, 693, 697, 702, 703, 704, 705, 708, 709, 711, 712, 740)125). Nicht unerwähnt sei, daß ausnahmsweise auf einem der Ingelfinger Grabmäler ein M erscheint, dessen Schäfte oben spitz und ohne Sporen mit dem Mittelteil zusammentreffen, und auch der Schrägschaft des N (allerdings nur in einer Doppelform neben der üblichen) trifft hier in einer Spitze ohne Sporn auf die beiden Schäfte. Die Nameninschrift Georg Kerns an einer Säule in seinem eigenen Wohnhaus in Neuenstein (nr. 736) enthält eigenartigerweise ein M mit schrägen Schäften und kurzem Mittelteil, wie es sonst in Kerns Kapitalis nicht begegnet, und der linke Schaft des N endet oben spitz ohne Sporn. Möglicherweise sind die Abweichungen aber der besonders sorgfältigen Stilisierung und großformatigen Ausführung der Inschrift geschuldet. Es ist jedenfalls kaum anzunehmen, daß ausgerechnet diese Inschrift nicht eigenhändig sein soll.

Drei 1617 und 1618 entstandene Grabplatten lassen sich weder eindeutig der Kolbschen noch der Georg Kernschen Werkgruppe anschließen (nrr. 675, 677, 683), Ornament, Wappengestaltung und Schrift stehen zwischen beiden. Vielleicht wird man sie aber doch bereits Georg Kern zuordnen dürfen, da zu diesen drei Stücken auch die Grabplatte für seinen Amtsvorgänger im Neuensteiner Burgvogtamt zählt.

Wiederum eng verwandt mit der Kapitalis von Kolb und Georg Kern – näher mit letzterer – ist die Schrift einer dritten Gruppe von vorwiegend Öhringer, Neuensteiner und Waldenburger Grabplatten und Epitaphien, die in der Zeitspanne von 1623 bis 1631 entstanden sind, also zeitlich unmittelbar an die Kernschen Werke anschließen, und die nach Ausweis der Schrift und der Gestaltung der Wappen und Helmdecken von einer Hand stammen (nrr. 737, 738, 778, 783, 787, 792, 796, 810 [nur Versalien in Kapitalis], 829 [nur römische Zahlzeichen in Kapitalis]). Markanteste abweichende Schriftmerkmale sind A mit senkrechtem rechten Schaft – das allerdings auch schon ab und an bei Georg Kern vorkommt – und nach rechts gelehntes M mit schrägem linken und senkrechtem rechten Schaft, jeweils ohne oberen Schaftsporn. Daneben begegnet aber auch gelegentlich das für Kolb und Kern typische M. Der Schrägschaft des N ist mitunter – wie auch schon bei Georg Kern – nach rechts verlängert und hochgebogen, X hat einen geraden und einen geschwungenen Schrägschaft. Der C-Bogen hat nur oben, in zwei Inschriften (nrr. 737, 796) aber auch unten einen rechtwinklig auf das Bogenende aufgesetzten Sporn. Z hat einen geraden oberen und einen linksschräg geschwungenen unteren Balken, selten auch einen Mittelbalken. Der Steinmetz verwendet ein ähnliches mit Zierranke versehenes Schluß-Quadrangel wie Kolb. Auch die beiden Minuskelschriften, die neben der Kapitalis verwendet werden, weichen geringfügig von denen Kolbs und Kerns ab.

Eine weitere Gruppe von sieben zwischen 1628 und 1631 entstandenen Grabplatten gehört in diesen Werkstattzusammenhang, wenngleich auch hier wieder individuelle Abweichungen in Schriftformen, Ornament und Wappenreliefs eine eigene Hand verraten. Es handelt sich um eine Serie von fünf überwiegend in Fraktur bzw. in Humanistischer Minuskel beschrifteten Berlichingen-Grabplatten in Neunstetten (nrr. 809, 812, 813, 814, 815) sowie um zwei Grabplatten in Neuenstein und Öhringen (nrr. 791, 803). Auffälligstes unterscheidendes Kennzeichen der Kapitalis ist das G, dessen kurze senkrechte Cauda unten hakenartig nach rechts umgebogen ist. Außerdem ist das obere Bogenende von B, P und R bisweilen über den Schaft hinaus nach links verlängert. Einmal begegnet ein zweibogiges E als Doppelform neben dem kapitalen. Bei K ist der untere Schrägbalken zwar auch geschwungen, der obere aber zudem nach rechts durchgebogen. Sowohl der kurze linke als auch der lange rechte Schrägschaft des Y sind rund gebogen. Insgesamt zeigt die Schrift also eine Tendenz zu runderen Elementen. So kann etwa auch der linke Schaft des M sowie die linke Hälfte seines Mittelteils vereinzelt nach rechts durchgebogen sein (nr. 791, Versal in nr. 809).

Schließlich sind noch zwei 1625 von einer Hand geschaffene Grabplatten in Öhringen und Adolzfurt – darunter eine für eine Gräfin von Hohenlohe – (nrr. 751, 752) sowie eine Waldenburger Grabplatte von 1622 für einen früh verstorbenen Grafen von Hohenlohe (nr. 727) angereiht, die unverkennbar ebenfalls in denselben Werkstattzusammenhang gehören. Bemerkenswerte Einzelform der Kapitalis in nr. 752 ist das aus zwei voneinander abgewendeten Bögen und einem Mittelbalken zusammengesetzte X.

Während, wie gezeigt, die Schrift Georg Kerns auf eine enge Verbindung mit der Öhringer Kolb-Werkstatt hindeutet, verwendet sein Bruder Michael Kern III eine im Duktus ganz andere, wenig [Druckseite 73] charakteristische Kapitalis mit relativ dünner Strichführung und nur schwach ausgeprägten Sporen. Merkmale sind: relativ schmales A; E und F mit sehr kurzem Mittelbalken, der untere Balken des E ist oft länger als der obere; I hat, wenn überhaupt, nur einen winzigen Punkt; M hat senkrechte Schäfte, die oben ohne Sporen spitz mit dem Mittelteil zusammentreffen; ebenso tragen die Schäfte des N am Berührungspunkt mit dem Schrägschaft keine Sporen; Y besteht aus einem kurzen linken und einem langen rechten, jeweils geraden Schrägschaft und trägt zwei Punkte; Z hat durchweg einen geraden oberen und einen geschwungenen, leicht linksschräg gestellten unteren Balken, ebenso die Ziffer 2. Die Ziffer 6 hat einen großen Bogen, der die gesamte Zeilenhöhe einnimmt und unten eine wenig auffällige Spitze bildet. Aufgrund der insgesamt nicht sehr prägnanten Schriftkriterien muß die auf inschriftenpaläographischem Wege gewonnene Zuschreibung etlicher Werke an Michael Kern unsicher bleiben, auch wenn sie sich vielfach durch Gemeinsamkeiten im heraldischen Stil stützen läßt, der viele der hier aufgelisteten Inschriftenträger ebenfalls miteinander verbindet126). Die Reihe dieser Werke beginnt mit einer 1609 (?) entstandenen Forchtenberger Grabplatte (nr. 624), es folgen wohl die nachträgliche Beschriftung einer Schöntaler Abtsgrabplatte 1611 (nr. 639) und die um 1612 zu datierende Forchtenberger Kanzel (nr. 657, nur die erhabenen Nameninitialen der Signatur) sowie eine um dieselbe Zeit entstandene Wappentafel in Krautheim (nr. 653). Nach über zehnjähriger Lücke im Bearbeitungsgebiet schließt sich 1622 ein Neuensteiner Epitaph (nr. 730) an, gefolgt von einem Schöntaler und einem Krautheimer Grabmal und einer – in der Zuweisung unsicheren – Wappentafel in Krautheim (nrr. 765, 767, 781), wobei die beiden letzteren nur einen geringen Bestand an Kapitalisbuchstaben aufweisen. Zwischen 1628 und 1636 lassen sich zehn weitere Werke hier anfügen: eine Grabplatte in Dörzbach (nr. 788), zwei Altäre in der Schöntaler Klosterkirche (nrr. 794, 807), zwei Epitaphaltäre in Krautheim und Dörzbach (nrr. 795, 806), Grabmäler in Niedernhall, Neuenstein und Sindringen (nrr. 805, 818, 839?, 840?) sowie vielleicht eine weitere Abtsgrabplatte in Schöntal (nr. 842). In den 40er Jahren entstanden schließlich noch ein Schöntaler Altar (nr. 869) und eine Waldenburger Grabplatte (nr. 880) mit „Kernscher“ Kapitalis.

Wesentlich markantere Merkmale zeigt die dünnstrichige und relativ schmal proportionierte Kapitalis von Michaels Sohn Achilles, dem aufgrund dieser Schrift acht im Untersuchungszeitraum ab 1633 entstandene Inschriften in Forchtenberg, Schöntal, Niedernhall, Krautheim und Neuenstein eindeutig zugeschrieben werden können (nrr. 821, 849, 860, 872, 883, 884, 885, 886). Vielleicht fertigte er außerdem 1641 eine Öhringer Grabplatte, die hauptsächlich in Fraktur und Humanistischer Minuskel beschriftet ist und nur einen geringen Bestand an Kapitalisbuchstaben aufweist (nr. 858). Neben der normalen verfügte Achilles Kern auch über eine schrägliegende Version der Kapitalis, die aber im Formenbestand völlig identisch ist. Die wichtigsten Kennzeichen seiner Schrift sind: C, dessen unteres Bogenende keinen Sporn trägt und mitunter etwas eingebogen ist; zweibogiges E als Doppelform, gelegentlich auch ausschließlich verwendet; G mit sehr kurzer, auf dem hochgebogenen Bogenende aufsitzender Cauda, daneben als – nur einmal vorkommende – Doppelform ein G mit unter die Grundlinie reichender, nach links umgebogener Cauda (nr. 849); K mit geradem oberen und geschwungenem oder geradem unteren Schrägbalken; M mit senkrechten oder – meist – schrägen Schäften und deutlichen Linksschrägenverstärkungen, wobei der Mittelteil hin und wieder über den linken Schaft hinausragt, die Schäfte tragen oben in der Regel Sporen; N mit dünnen Schäften und fettem Schrägschaft, der mit dem rechten Schaft unten stets spitz und ohne Sporn zusammentrifft. Das obere Ende des linken Schafts ist entweder analog gestaltet oder es trägt einen Sporn. Die Sporen des T-Balkens sind ganz schwach ausgeprägt, so daß man ihre Ausrichtung kaum erkennen kann. Einmal verwendet Kern ein U mit unten nach rechts umgebogenem Schaft (nr. 860). Die Ziffern 0, 6 und 9 sind ähnlich groß wie in der Schrift seines Vaters, die Bögen sind aber völlig ausgerundet und bilden keine Spitze.

Verwandte Schriftformen finden sich in der Kapitalis des Jakob Betzoldt, eines Schülers von Michael Kern III und somit eines Werkstattkollegen von Achilles Kern. Der Duktus ist aber ein anderer. Die Buchstaben sind mit breiterer Kerbe eingehauen, haben breitere Proportionen und wirken kompakter als die des Achilles Kern. Das untere Bogenende des C ist stets einwärts gekrümmt und hat keinen Sporn, dasselbe gilt für das zweibogige E, das neben dem kapitalen vorkommt. G hat eine unter die Grundlinie reichende, nach links umgebogene Cauda. M mit schrägen Schäften ohne obere Schaftsporen steht neben einer Form mit senkrechten, oben mit Sporen besetzten Schäften. Die Schäfte des N tragen durchweg oben und unten Sporen. X hat einen geschwungenen Rechtsschrägschaft, [Druckseite 74] Z einen Mittelbalken und einen geschwungenen, linkschräg gestellten unteren Balken. Einzelne vergrößerte Anfangsbuchstaben zeigen gelegentlich kursive Elemente, so ein A mit geschwungenen und durchgebogenen Schrägschäften, Z mit zwei s-förmig geschwungenen Balken oder P mit hoch und weit nach links über den Schaft ausholendem Bogen. Von Betzoldts Hand stammen drei zwischen 1638 und 1648 entstandene Grabmäler in Pfedelbach und Waldenburg (nrr. 848, 878, 882) sowie drei weitere, die lediglich Minuskelschriften (z. T. mit Kapitalisversalien) aufweisen, in Waldenburg und Michelbach (nrr. 888, 890, 897).

Eine von der Schrift der Kolb- und Kern-Werkgruppen völlig verschiedene Kapitalis gestaltete ein Steinmetz, der 1610 und 1611 drei Grabmäler in Waldenburg schuf (nrr. 625, 626, 641). Seine Buchstaben haben sehr breite Proportionen, vor allem H und M. Letzteres kommt sowohl mit senkrechten als auch mit schrägen Schäften vor, der Mittelteil reicht jeweils bis auf die Grundlinie hinab. Als Initiale wird ein vom pseudounzialen A der Gotischen Majuskel abgeleitetes A verwendet, wie es in ganz ähnlicher Form im Bearbeitungsgebiet auch häufig in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts vorkommt (s. o.). Auffällige Buchstabenformen sind ferner: A mit senkrechtem rechten Schaft und leicht durchgebogenem, weit unter die Grundlinie verlängerten linken Schrägschaft, G mit hoher senkrechter Cauda sowie X mit einem geraden und einem geschwungenen Schrägschaft. I hat meist einen quadrangelförmigen Punkt, Z einen Mittelbalken.

Einem vorwiegend in und für Kloster Schöntal tätigen Steinmetzen ist eine kleine Gruppe von meist sehr kurzen, zwischen 1607/11 und 1626 entstandenen Kapitalis-Inschriften zuzuweisen, die durch ihre breite Strichführung und die breiten Proportionen sehr kompakt wirken (nrr. 695, 721.II, 722.I, 722.II, 774, 776). Das spitze A hat meist einen geknickten Mittelbalken, E und F besitzen bei langem oberen und unteren Balken einen sehr kurzen Mittelbalken. Die senkrechten Schäfte des M stoßen oben spitz und ohne Sporen mit dem bis zur Zeilenmitte hinabreichenden Mittelteil zusammen, und auch der Schrägschaft des N trifft jeweils spitz und ohne Sporen auf die Schäfte. Der Bogen des O ist in einigen Inschriften oben und unten spitz ausgezogen. Auffälligster Buchstabe ist das R mit gewölbter, weit nach rechts ausgestellter Cauda.

Spitz ausgezogenes O findet sich auch in der Kapitalis einer Neuensteiner Grabplatte von 1621 (nr. 713), wo zudem ein A mit geknicktem Balken und ein H mit ausgebuchtetem Mittelbalken verwendet wird. Eigentümlich ist das N, dessen Schrägschaft von einer kurzen geschwungenen Zierlinie rechtsschräg durchkreuzt wird. Ähnlich verfremdete Formen – unter anderem A mit geknicktem Balken, K mit verkürzten Schrägbalken, N mit ausgebuchtetem Schrägschaft sowie wiederum spitz ausgezogenes O – begegnen in zwei weiteren Neuensteiner Inschriften von 1625 und 1626 (nrr. 750, 764), die von einer Hand stammen. Zuletzt läßt sich das oben und unten spitz ausgezogene O im Kreisgebiet 1629 in einer Ailringer Inschrift (nr. 718.III) nachweisen, in der auch das Q analog gestaltet ist. Spitzovales O begegnet hingegen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums immer wieder, vorweg in eher unbeholfen ausgeführten Inschriften. In solchen ungelenken Schriften finden sich auch bis 1610 noch zweistöckige Z (nrr. 600, 615, 629 †), und ein Steinmetz, der um 1615 zwei Grabmäler in Gommersdorf und Marlach schuf (nrr. 759, 669), versah einzelne Buchstaben mit gebogenen Elementen, so das N mit einem geschwungenen Schrägschaft und das M mit links gebogenem Mittelteil. Die Biegung von Buchstabenelementen ist schließlich auch bei der Kapitalis einer Kocherstettener Inschrift von 1630 (nr. 802) zu beobachten, bei der die Schrägbalken des K und der Mittelteil des M stark gekrümmt und der Linksschrägschaft des X geschwungen ist.

Eine bisweilen starke Verfremdung bestimmt auch das Schriftbild der in Holz eingeschnitzten Kapitalisinschriften, die im Hohenlohekreis erst für die letzten 50 Jahre des Untersuchungszeitraums erhalten sind. Erhaben geschnitzt bzw. aus ausgesägten und aufgeleimten Einzelbuchstaben zusammengesetzt sind zwei Öhringer Spruchinschriften von 1598 und 1603 (nrr. 514, 572), die beide mit ihren keilförmig verbreiterten Schaft- und Balkenenden, die bei nr. 572 zudem noch eingekerbt sind, weit vom Erscheinungsbild der klassischen Kapitalis entfernt sind. In beiden Inschriften kommt A mit Deckbalken und geknicktem Mittelbalken und H mit ausgebuchtetem Balken vor. Die ältere Inschrift besitzt zudem ein spitzovales O, ein S mit weit geschlossenen Bögen und – besonders auffällig – ein in der Art der Gotischen Minuskel an beiden Schaftenden gebrochenes I. Die im gesamten Duktus noch stärker verfremdete jüngere Inschrift hat kapitales D mit verkürztem Schaft und N mit geschwungenem Schrägschaft, und der geschwungene untere Balken von E und L ist am freien Ende markant hochgebogen.

Die von den Zimmerleuten kunstlos ins Fachwerk eingeschnitzten Inschriften haben zumeist relativ schmale Proportionen, eine dünne Strichstärke und keine Sporen. Auch hier kommen A mit und ohne Deckbalken, offenes neben geschlossenem D, N mit geschwungenem oder mit spiegelverkehrtem Schrägschaft, H mit ausgebuchtetem Balken, spitzovales O oder G mit weit unter die Grundlinie reichender senkrechter Cauda vor (nrr. 561, 733). Bei einer verlorenen Salacher Inschrift von [Druckseite 75] 1607 (nr. 595 †) war die Kapitalisschrift sogar so unbeholfen ausgeführt, daß stellenweise die Lesbarkeit beeinträchtigt ist.

Bei in Metall erhaben gegossenen Inschriften begegnet die Kapitalis im Kreisgebiet erstmals 1521 auf einer in der Nürnberger Vischer-Werkstatt gefertigten Grabplatte eines Öhringer Stiftsherrn (nr. 208), allerdings nur als kleinformatige Beischriften zu den vier Evangelistensymbolen, während für den Sterbevermerk in der Umschrift die Gotische Minuskel gewählt wurde. Die Buchstaben der winzigen Beischriften sind sehr unregelmäßig und tragen plumpe, überdimensionierte Sporen. Eine 1527 von dem Münchener Gießer Wolfgang Steger gegossene Schöntaler Glocke (nr. 220) hat dagegen quadratische Proportionen und bei fast gleichbleibender Strichstärke nur schwache Sporen. M hat schräge Schäfte und einen bis zur Grundlinie hinabreichenden Mittelteil.

Die Kapitalis auf der 1562 gegossenen Grabplatte des Götz von Berlichingen mit der Eisernen Hand (nr. 307) bietet trotz sichtlichem Bemühen um konsequente Linksschrägenverstärkung ein unausgewogenes, wenig „klassisches“ Gesamtbild. Die Buchstaben sind mit langen Sporen versehen; M hat schräge, oben mit Sporen besetzte Schäfte und einen kurzen Mittelteil, und der untere oder gar beide Balken des Z sind geschwungen. Vier nur wenig später – vermutlich in Nürnberg – gegossene Öhringer Grabplatten (nrr. 320, 325, 339, 340), von denen die beiden letzten eindeutig dieselbe Hand erkennen lassen, sind dagegen in einer erstklassigen, nach besten Vorbildern stilisierten Kapitalis mit konsequenter Linksschrägenverstärkung (in nr. 325 etwas übertrieben) und sorgfältiger Serifenbildung beschriftet. Nicht dem klassischen Schriftkanon entsprechen nur das R mit gelegentlich geschwungener Cauda und die ungleich langen Balken von E und F. Vom ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert hat sich eine Gruppe von drei Öhringer Grabplatten erhalten (nrr. 448, 502, 613), deren Kapitalis ebenfalls klassische Proportionen, durchgängige Linksschrägenverstärkung und sehr deutlich ausgeprägte Sporen aufweist. Die R-Cauda ist hier stets stachelförmig, und der rechte Schrägschaft des A ist oben rechtsschräg geschnitten. Hervorragend stilisiert ist auch die Kapitalis des Mainzer Gießers Peter Reutter auf einer 1620 gegossenen Krautheimer Glocke (nr. 706). Einziges unklassisches Element ist das M mit senkrechten Schäften und nur bis zur Zeilenmitte hinabreichendem Mittelteil.

Die Kapitalis des Nürnberger Gießers Jakob Weinmann auf einem hauptsächlich in Fraktur beschrifteten Epitaph von 1617 in Neuenstein (nr. 676) hat bei sehr starkem Strichstärkenwechsel auffällig kräftige waagerechte Schaftsporen. Eigentümlich schmale Proportionen hat die Schrift auf einer Öhringer Grabplatte von 1621 (nr. 714). Besonders ungewöhnlich sind hier die fast senkrecht verlaufenden mittleren Bogenabschnitte bei C, D, G und O, die fast an Drucktypen des 19. Jahrhunderts erinnern. Die innerhalb von Frakturinschriften lediglich als Auszeichnungsschrift eingesetzte Kapitalis des Rothenburger Gießers C. Herold auf zwei Waldenburger Epitaphien bietet mit ihren klobigen, dreieckigen Sporen an Schaft- und Balkenenden insgesamt ein unklassisches Bild. I besitzt einen plumpen quadrangelförmigen Punkt, R eine geschwungene Cauda. Dagegen wieder ganz dem klassischen Schriftmuster verpflichtet – abgesehen von E und F mit sehr kurzem Mittelbalken – ist die Schrift des Nürnberger Glockengießers Leonhard Löw auf zwei 1649 entstandenen Glocken in Forchtenberg und Weißbach (nrr. 887, 889).

Gemalte Inschriften in Kapitalis haben sich im Hohenlohekreis erst ab 1570 erhalten, wobei es sich fast ausschließlich um Malereien auf Holz handelt. Die älteste Inschrift auf einem Niedernhaller Epitaph von 1570 (nr. 343) hat breite Proportionen, dreieckig verdickte Schaft-, Balken- und Bogenenden und noch keine regelmäßigen Schrägenverstärkungen. Als Doppelform begegnet ein zweibogiges E. Die geschwungene Cauda des R, der analog gestaltete untere Schrägbalken des K und der geschwungene Schrägschaft des N sind unter die Grundlinie verlängert, O ist spitzoval, und als Worttrenner dienen Quadrangel. Die Schriftmerkmale stimmen fast völlig überein mit denen eines im selben Jahr entstandenen steinernen Epitaphs in Niedernhall (nr. 338, vgl. oben), so daß mit einiger Sicherheit davon auszugehen ist, daß der Maler auch für dieses die Vorzeichnung der Schrift besorgte.

Die Kapitalis des Öhringer Siginger-Epitaphs von 1588 (nr. 437), deren Schriftformen durch Überarbeitung stellenweise verfälscht sind, zeigt einen – wenngleich nicht sehr ausgeprägten – Strichstärkenwechsel und nur schwache Sporen. A hat stets eine Rechtsschrägenverstärkung, M hat schräge Schäfte und einen kurzen Mittelteil. Die Versanfänge sind rubriziert. Ein deutlich markanterer Strichstärkenwechsel mit linksschräger oder senkrechter Schattenachse prägt die Kapitalis des Haller Malers Jakob Hoffmann, von dessen Hand zwei Epitaphien von 1585 und 1589 in Pfedelbach und Waldenburg (nrr. 420, 444) stammen. Charakteristische Merkmale sind die weit ausschwingende und unter die Grundlinie geführte fette Cauda des R, die analog gestaltete Cauda des Q und der im Gegensatz dazu nur als Haarstrich zwischen fetten Schäften ausgeführte Schrägschaft des N. Auch Hoffmann hebt einzelne Wörter durch rote Farbe hervor.

[Druckseite 76]

Die im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts entstandenen Kapitalisinschriften des Malers Hans Marquardt auf zwei Öhringer Epitaphien und auf einer hölzernen Zimmerwand im Öhringer Rathaus (nrr. 557, 573, 606) haben nur einen geringen Buchstabenbestand. Dennoch läßt sich erkennen, daß es sich um eine sehr sorgfältige Schrift mit konsequenter Linksschrägenverstärkung handelt. Die Balkensporen des T sind rechtsschräg angesetzt, alle übrigen Balkensporen dagegen senkrecht. Eine sehr ähnliche Schrift, die allerdings durch starke Überarbeitung gelitten hat, begegnet auf zwei weiteren Öhringer Epitaphien von 1606 und 1609 (nrr. 589, 621)127). Dieselbe Balkensporenausrichtung wie bei Marquardts Kapitalis läßt sich auch auf einem Öhringer Epitaph von 1627 (nr. 777) beobachten, die insgesamt recht magere Schrift weist aber hier kaum Strichstärkenwechsel auf. Bei den wenigen übrigen gemalten Kapitalisinschriften auf Epitaphien handelt es sich um nur kurze Nebentexte, während für die Hauptinschriften zumeist Fraktur verwendet wurde. Rundes U mit nach rechts umgebogenem Schaft kommt erstmals in einer 1644 gemalten Inschrift vor (nr. 865).

Neben diesen hölzernen Inschriftenträgern wurden auch zwei steinerne Epitaphien lediglich mit aufgemalten Inschriften versehen: Auf einem von Philipp Kolb signierten Grabmal von 1607 (nr. 605) dient die Kapitalis nur als Auszeichnungsschrift neben der Fraktur. Die Buchstabenformen entsprechen im wesentlichen denen der eingehauenen Kapitalis Kolbs. Die Schrift des zweiten Epitaphs von 1610 (nr. 627) ist völlig verblaßt und läßt keine zuverlässigen Aussagen über die Schriftformen mehr zu.

5.5. Fraktur

Das Eindringen einzelner Frakturelemente in die Gotische Minuskel läßt sich, wie gesehen128), sowohl bei in Stein gehauenen als auch in gegossenen Inschriften des Kreisgebiets seit der Mitte des 16. Jahrhunderts beobachten. Eine völlige Durchmischung von Textura- und Frakturalphabet bleibt dabei jedoch die Ausnahme (nr. 304). Die erste reine Frakturinschrift, die sich erhalten hat, wurde 1560 auf einem Dörzbacher Epitaph angebracht (nr. 301). Es handelt sich um eine recht ungelenke, breit angelegte Schrift mit lockeren, ungleichmäßigen Buchstaben- und Wortabständen, sehr unterschiedlich gestalteten Oberlängen und schlichten Versalien. Der Schaft des langen s ist teilweise noch wie in der Gotischen Minuskel ohne Unterlänge auf der Grundlinie gebrochen. Daneben findet sich aber auch das für die Fraktur typische s mit unter die Grundlinie reichendem Schwellschaft. Wesentlich qualitätsvoller, einheitlich stilisiert, mit deutlichen Ober- und Unterlängen und ausgeprägten Schwellschäften erscheint dagegen eine ein Jahr jüngere Inschrift in Krautheim (nr. 306), die vermutlich in der Haller Werkstatt Sem Schlörs entstanden ist. Charakteristisch ist der rechts oben eingedrückte Bogen des o, dessen linker Abschnitt noch senkrecht gebrochen ist. Der Schaft des a und der rechte Schaft des n sind kräftig nach links durchgebogen. Sehr ähnlich – und wohl ebenfalls der Schlör-Werkstatt zuzuordnen – sind zwei Inschriften von 1580 und 1585 in Krautheim und Öhringen (nrr. 391, 417), bei denen die linke Bogenhälfte des o nun allerdings völlig ausgerundet ist.

Aus den Jahren 1564 bis 1566 haben sich drei Inschriften in Neuenstein und Öhringen erhalten (nrr. 313, 314, 318), die nach Ausweis ihrer eigenartig ausgerundeten Fraktur eindeutig das Werk ein und desselben Steinmetzen sind. Ihm sind aufgrund der typischen Schriftmerkmale weitere Inschriften im benachbarten Main-Tauber-Kreis zuzuweisen129). Neben kreisrundem o, spitzovalem d, rund gebogenen Schäften bei a, g, v und w und nach rechts umgebogenen Oberlängen ist vor allem das u charakteristisch, dessen linker Schaft oben rechtsschräg geschnitten ist, der rechte dagegen linksschräg. Eine ebenfalls insgesamt sehr runde, einheitlich durchgestaltete und breit proportionierte Fraktur mit klarem Strichstärkenwechsel verwendet Johann von Trarbach. Die Inschriften an den zwei monumentalen Hohenlohe-Epitaphien von 1570 und 1573/74 in Öhringen (nrr. 345, 357) weisen tief gespaltene, aufgespreizte Oberschäfte auf, teils mit eingerollten Enden, teils mit Zierschleifen. Bemerkenswert ist die Umformung der Bögen zu Schwellzügen bei a, c, e und g.

Auch in der Folgezeit bieten die Frakturinschriften des Kreisgebiets ein sehr vielfältiges Bild. So finden sich sehr schmal proportionierte Schriften, teils mit deutlichen Ober- und Unterlängen und geschwungenen Bögen (nr. 387), teils mit kurzen Oberlängen und senkrecht gebrochenen Bogenlinien (nrr. 460, 467), mitunter auch in sehr unbeholfener Ausführung (nr. 436). Deutlich unterscheidet sich die im Hohenlohekreis mit nur einem Beispiel vertretene, höchst regelmäßige, mit [Druckseite 77] großen Wortabständen gesetzte Fraktur des Reinsbronner Bildhauers Michel Niklas (nr. 450)130), bei der das symmetrische Sechseck des o die übrigen Bogenformen bestimmt. Ein unruhiger Wechsel von schmalen und breiten, runden Buchstaben, bei denen ovales bis spitzovales d und o (letzteres auch bohnenförmig eingedrückt) neben mehrfach gebrochenem, annähernd sechseckigem Bogen des a und g steht, und eine unsichere Unterlängenbildung beim langen s kennzeichnen die Fraktur eines Steinmetzen, von dem insgesamt drei zwischen 1580 und 1593 entstandene Grabmäler in Neuenstein und Öhringen erhalten sind (nrr. 389, 466, 472).

Breitstrichig und wuchtig, mit kurzen Unterlängen, fetten Schwellzügen und Schwellschäften und mit nach links durchgebogenen Langschäften ist die Schrift auf einem Öhringer Epitaph von 1593 (nr. 471). Auffällig ist das r mit in den Oberlängenbereich ragender quadrangelförmiger Fahne. Dieses in den Oberlängenbereich ragende r kommt von da an in Frakturinschriften des Kreisgebiets sehr häufig vor, und zwar in zum Teil recht unterschiedlich stilisierten Schriften. Es scheint sich bei diesem Phänomen mithin um eine lokale Eigenheit zu handeln, die offensichtlich innerhalb einer oder mehrerer Werkstätten weitergegeben wurde. Nächst früheste Belege sind eine schmale, etwas unruhige Schrift mit sechseckiger Bogengrundform von 1595 in Öhringen (nr. 486), die trotz der abweichenden Proportionen vom selben Steinmetz stammen dürfte wie nr. 471, eine ebenfalls derselben Hand zuzuweisende Fraktur auf einer undatierten Wappentafel aus dem Ende des 16. Jahrhunderts (nr. 532) mit einer stärkeren Durchmischung von runden und eckigen Formen sowie eine weitere Öhringer Inschrift von 1597 (nr. 501), bei der eine schlankere und eine gedrungene Schriftvariante nebeneinander verwendet werden, beide mit runden und eckigen Doppelformen der Bogenbuchstaben sowie mit kräftigen Schwellschäften.

Die Versalien der in Stein ausgeführten Frakturinschriften bleiben im 16. Jahrhundert meist sehr schlicht, sie sind nur mäßig – wenn überhaupt – in Schwellzüge zergliedert und allenfalls sparsam verziert. Lediglich Johann von Trarbach stattete seine Frakturversalien etwas reicher mit den für diese Schrift charakteristischen Kontraschleifen aus (nrr. 345, 357). Eine Ausnahme in dieser Hinsicht stellt eine in Schiefer eingehauene Öhringer Gedenkinschrift dar, in der sich neben reich und aufwendig verzierten Versalien außerdem eine prächtig ausgeschmückte Initiale findet, für die sicherlich ein Schreibmeister die Vorlage lieferte (nr. 460).

Im 17. Jahrhundert wird die Fraktur – wie auch andernorts – neben der Kapitalis die bestimmende Schriftart im inschriftlichen Bereich, und die Bandbreite der unterschiedlichen Schriftausformung nimmt zu. Das reiche Material erlaubt es, größere Werkgruppen aufgrund ihrer gemeinsamen Schriftmerkmale zusammenzustellen. Für die Fraktur des Forchtenberger Bildhauers Michael Kern II, die in Werken zwischen 1600/01 und 1609 vorkommt (nrr. 523, 564, 586, 594, 610, 622, 624?), sind ausgesprochen schmale Proportionen im Mittellängenbereich und relativ kurze Ober- und Unterlängen kennzeichnend. Die Grundform der Bögen ist ein schlankes Sechseck, rechte Bogenhälften können aber auch ausgerundet sein (d, o, analog der rechte Schaft des v). Langes s und f haben einen schmalen Schwellschaft und eine variabel gestaltete Fahne, der Mittelteil des runden s ist steil rechtsschräg ausgerichtet, über u sitzt als diakritisches Zeichen eine Wellenlinie. Kerns Versalien sind häufiger reich, aber mit etwas wirrer Linienführung verziert. Recht ähnliche Proportionen und Einzelformen, aber eine variablere Bogengestaltung und schlichtere Versalien weist die Schrift eines Steinmetzen auf, der im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zwei Portale in Niedernhall und Kocherstetten beschriftete (nrr. 619, 636).

Die von dem Öhringer Bildhauer Philipp Kolb signierten, zwischen 1604 und 1608 entstandenen Grabmäler (nrr. 580, 597, 605, 611) weisen eine im Mittelband sehr breit angelegte Fraktur mit deutlichen Oberlängen auf, die Ausführung im Einzelnen variiert indes stark. Die lediglich aufgemalten Inschriften in nr. 605 sind sehr rund und gleichmäßig, während die – wohl eigenhändig – eingehauenen Inschriften in nr. 597 etwas plumper und mit breiterer Strichstärke ausfallen. Die Bögen haben eine breit-spitzovale Grundform, die linken Kurzschäfte sind meist schräggeschnitten statt gebrochen, und der Schwellschaft des langen s hat einen kurzen Anstrich, seine Fahne ist entweder nach unten durchgebogen oder als klobiges Quadrangel gestaltet. Die Versalien und Interpunktionszeichen sind unorthodox durch eigenartige Schnörkel verziert. Die Inschriften nrr. 582 und 611 sind ungelenker und eckiger und wurden möglicherweise nicht von Kolb selbst, sondern von einem Werkstattgehilfen gehauen. Eng verwandt und daher wohl ebenfalls der Kolb-Werkstatt zuzuordnen sind einige noch grobschlächtiger geratene Inschriften in Waldbach und Öhringen von 1604 und 1606 (nrr. 575, 582, 591), bei denen kreisrundes o mit den eckig gebrochenen Bögen der übrigen runden Buchstaben kontrastiert, sowie drei 1612 gehauene, besser gelungene Inschriften in Neunstetten, [Druckseite 78] Michelbach und Neuenstein (nrr. 650, 654, 655), bei denen der Bogen des a ausgerundet ist und manche Oberschäfte eine Schleife bilden. Bemerkenswertes Element der „Kolbschen“ Fraktur ist das runde s, das einen zweimal rechtwinklig gebrochenen, waagerechten Mittelteil haben kann (nrr. 591, 611, 650, 655).

Eine ausgewogene Fraktur mit weitgehend ausgerundeten Bögen verwendete ein vermutlich in Öhringen ansässiger Steinmetz, von dem aus der Zeit zwischen 1602 und 1613 etliche Werke auf uns gekommen sind (nrr. 560, 567, 568, 574?, 587, 598, 637, 638, 659) und der neben der Fraktur auch eine charakteristische mit Frakturelementen durchmischte Humanistische Minuskel einsetzte131). Lediglich das d hat häufig einen sechseckig gebrochenen Bogen, selten auch a, o und die Ziffer 0. Die linke Bogenhälfte von a und g bildet mitunter einen doppelten Schwellzug. Auch dieser Steinmetz bedient sich des oben erwähnten r mit in den Oberlängenbereich ragender Fahne. Bemerkenswert sind außerdem n und u, deren linker Schaft (wie auch der Schaft des r) oben rund nach links umgebogen und senkrecht geschnitten ist. Im Nordosten des Kreisgebiets hat ein Steinmetz in den Jahren 1612 und 1614 drei Inschriften gehauen (nrr. 648, 652, 663), für die er eine sehr schlanke Fraktur wählte, deren Gesamtbild geprägt wird von eingedrückten oder in doppelte Schwellzüge aufgelösten ovalen bis spitzovalen Bögen. Die Oberschäfte sind zumeist nach rechts umgebogen.

Gleich breite Proportionen und weitgehend identische Einzelformen wie bei den frühen Produkten der Kolb-Werkstatt, allerdings in weitaus regelmäßigerer und besserer Ausführung, zeigt die Fraktur in einer Gruppe von zwischen 1619 und 1621 entstandenen Werken, die zumindest teilweise dem Bildhauer und Baumeister Georg Kern zuzuweisen sind. Es scheint sich um zwei verschiedene, nicht immer deutlich zu scheidende Hände zu handeln, die aber jedenfalls unverkennbar den Einfluß der „Kolbschen“ Fraktur zeigen (nrr. 692, 702, 703, 704, 705, 708, 711, 712). Die Variationsbreite der Bogengestaltung ist jetzt größer und reicht vom Sechseck über ein einseitig eingedrücktes Spitzoval bis zur Kreisform. Charakteristisch ist das c mit nur in der unteren Hälfte ausgerundetem Bogen und mit auf halber Zeilenhöhe rechtsschräg abknickendem und rechtwinklig gebrochenem oberen Abschnitt. Das v hat mitunter einen weit nach links oben ausholenden, rund umgebogenen linken Schaft132).

Wiederum sehr ähnlichen Formenbestand und Duktus hat eine zeitlich anschließende, zwischen 1622 und 1631 entstandene umfangreiche Gruppe von Inschriften (nrr. 727, 737, 738, 751, 783, 787, 792, 796?, 810, 829, 830). Auch hier finden sich wieder kreisrundes o neben sechseckigem a, tief abknickendes c und rundes s mit zweimal rechtwinklig gebrochenem, waagerechtem Mittelteil. Ein Zusammenhang mit der Kolb-Werkstatt, vielleicht aber auch mit Georg Kern, liegt nahe. Neu gegenüber der bisherigen „Kolbschen“ Fraktur ist jedoch jetzt zum einen die gelegentliche Überwölbung der quadrangelförmigen Fahnen von f und langem s durch gebogene oder geschwungene Zierlinien und zum andern die Übernahme des r mit in den Oberlängenbereich ragender Fahne sowie das runde Umbiegen und der senkrechte Schnitt des r-Schafts und der linken Schäfte von m und n, wie wir es bei der Schrift des Steinmetzen beobachtet haben, der im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Öhringen (?) tätig war.

Durch eine stärkere Biegung der Schäfte (a, t, rechter Schaft des n), durch Spaltung der Oberschäfte, durch häufigere Auflösung von Bögen in Schwellzüge und durch auffällig breite Bögen von d und o sowie durch die Verwendung eines Brezel-s unterscheidet sich die Fraktur eines zwischen 1631 und 1634 mit Werken in Neunstetten und Öhringen (nrr. 812, 813, 814, 815, 816, 829, 834) nachweisbaren Steinmetzen von den zuletzt genannten Schriftprodukten. Gemeinsamkeiten ergeben sich gleichwohl in der Verwendung einer Mischschrift aus Humanistischer Minuskel und Fraktur (s. Kap. 5.7.) sowie im ornamentalen und heraldischen Stil. Ein Werkstattzusammenhang läßt sich tatsächlich erweisen, da sich auf einem undatierten Epitaphfragment in Neuenstein die Schrift dieses Steinmetzen neben der der vorigen Gruppe findet (nr. 829).

Die Fraktur Michael Kerns III ist ungleichmäßiger und lockerer gefügt als die seines gleichnamigen Vaters. Dies rührt vorwiegend daher, daß der Abstand zwischen den Schäften einiger Buchstaben (h, n, u) deutlich größer ist als die Strichstärke der Hasten. Die weiten Schaftabstände werden durch haarfeine schräge Aufstriche überbrückt. Auch Schaft und Fahnenquadrangel des r sind durch einen solchen Schrägstrich verbunden. Weiterhin fällt die merkwürdige Angewohnheit auf, den i-Punkt etwas aus der Achse nach rechts zu verrücken. Diese – insgesamt freilich wenig charakteristische – Schrift mit zumeist schlichten Versalien findet sich auf Werken zwischen 1621/22 und 1647 (nrr. 576, 668?, 730, 788, 795, 805, 818, 839, 840?, 880). Noch wesentlich aufgelockerter als die [Druckseite 79] Schrift Michael Kerns, mit schmalen Proportionen im Mittellängenbereich, kurzen Oberlängen und weitgehend einheitlich schmaler Strichstärke ist die Fraktur auf zwei Neuensteiner Grabmälern von 1625 und 1626 (nrr. 750, 764), die in der Biegung und ungleichmäßigen Ausrichtung der Schäfte und in der Gestaltung der Versalien Einflüsse der Kursive erkennen lassen.

Michael Kerns III Sohn Achilles bedient sich einer im Formenbestand ganz ähnlichen Fraktur wie sein Vater (nrr. 858?, 872, 883?, 884, 885, 886), besonders gleichen sich beider Schriften in den durch lange und schräge Haarstriche verbundenen Schäften von n und u und in der analogen Gestaltung der Fahne des Schaft-r. Achilles’ Schrift ist insgesamt aber regelmäßiger. Auffälliger Buchstabe seines Alphabets ist ein Bogen-r, das aus einem kurzen Linksschrägschaft und einer stark nach links durchgebogenen Cauda besteht. Aus der Kern-Werkstatt ging auch der Bildhauer Jakob Betzoldt hervor, der gegen Ende des Bearbeitungszeitraums und auch noch nach der Jahrhundertmitte eine Reihe von Grabmälern in Waldenburg und Michelbach schuf (nrr. 882, 888, 890, 897). Seine Fraktur hat mit der Kernschen wenig gemeinsam und ist geprägt durch fette Striche und eine weitgehende Ausrundung der Bögen (auch des u). Wie schon für das 16. Jahrhundert, so läßt sich auch für die in Stein gehauenen Frakturinschriften der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Kreisgebiet festhalten, daß die Versalien im allgemeinen eher schlicht gehalten und allenfalls mäßig mit Zierlinien versehen wurden.

Eine gemalte Frakturinschrift findet sich im Bearbeitungsgebiet erstmals 1570 auf einem hölzernen Epitaph in Niedernhall (nr. 343). Im Duktus vor allem der mittellangen Buchstaben noch an die Textura erinnernd, hat die Schrift gleichwohl sehr lange, schwungvolle Ober- und Unterlängen und markante Schwellschäfte. Dagegen bietet eine Wappenscheibe von 1580 in Öhringen (nr. 395) ein völlig anderes Schriftbild, indem die Bögen weitgehend in Schwellzüge aufgelöst oder ausgerundet sind. Sehr viel ausgewogener, mit Betonung der fett ausgeführten Senkrechten (bei leicht linksschräger Schattenachse), nur unwesentlich verdickten Schwellschäften, einheitlicher Gestaltung der Bögen und dornförmigem Ansatz an den Langschäften ist die Schrift des Malers Jakob Hoffmann von Hall auf Epitaphien von 1585, 1589 und 1601 in Pfedelbach und Waldenburg (nrr. 420, 444, 559). Hoffmanns Versalien sind klar und einfach aufgebaut und zurückhaltend verziert. Aufgrund der sehr ähnlichen Schriftformen ist Hoffmann vielleicht auch die Fassung eines Waldenburger Totenschilds von 1586 (nr. 425) zuzuweisen133).

Ausgesprochen kunstvoll gestaltet ist die Schrift auf einem Öhringer Epitaph von 1588 (nr. 437). Regelmäßige Schaft- und Bogenbrechungen mit Quadrangelbildung an den Enden der mittellangen Schäfte sowie die im Mittellängenbereich eher gedrungenen Proportionen erinnern im Duktus stark an die Textura. Einzig d hat einen ausgerundeten Bogen; Schwellzüge finden sich lediglich bei b, v und w und der Fahne des f. Den Frakturcharakter erhält die Schrift vornehmlich durch die geschwungenen Ober- und Unterlängen und die Versalien. Das Schriftbild besticht durch die Rubrizierung sämtlicher Anfangsbuchstaben und durch die sicherlich an Schreibmeisterblättern orientierte kunstvolle Verzierung der Versalien und i-Punkte durch rankenähnliche Zierlinien. Noch aufwendiger ist die Ausstaffierung der Initialen am Textbeginn. Deutlich kunstloser und undisziplinierter ist die Beschriftung eines Waldbacher Epitaphs von 1601 (nr. 554), bei der sich der Maler gleichwohl ebenfalls um eine besondere Verzierung der Versalien bemühte.

Einer schlichten Fraktur mit wenig charakteristischem Wechsel von eckigen und runden Formen, mit gedrungenen Mittellängen und weit nach rechts umgebogenen Oberschäften bediente sich der Öhringer Maler Hans Marquardt um 1600 (nrr. 557, 573). Auch er rubrizierte Anfangsbuchstaben und ganze Wörter. Bei der Ausmalung der Gerichtsstube im Öhringer Rathaus verwendete er Versalien mit sehr langen Anschwüngen134). Die Auszeichnung von Versalien und von ganzen Wörtern mit roter Farbe läßt sich auch bei den Beischriften der Stuckwappen im Neuensteiner Schloß beobachten, die 1604 gemalt wurden (nrr. 577, 578), auf einem zwischen 1582 und 1622 entstandenen Epitaph in Öhringen (nr. 726) sowie auf zwei weiteren Öhringer Epitaphien von 1606 und 1609 (nrr. 589, 621). Auf den beiden letzteren, die sehr wahrscheinlich von einer Hand geschaffen wurden, weisen etliche der Versalien wiederum lange, reich mit Kontraschleifen geschmückte, fette Anschwünge auf, die teils in ihrer Mitte doppelt unterbrochen sind. Bei den Gemeinen wird der [Druckseite 80] Oberschaft des h häufig mit einem Zierbogen überwölbt, und die als Schwellzug gebildete Fahne des f und des langen s liegt weit nach links überstehend auf dem Schaft auf135).

Mit relativ mageren Schattenstrichen ist eine lange Versinschrift von 1616 in Waldbach (nr. 674) ausgeführt. Ihre Bögen sind sechseckig gebrochen, nur bei d und o in der rechten Hälfte ausgerundet. Die nach rechts umgebogenen Oberschäfte sind sehr oft von kreisrunden Zierbögen überwölbt. Auffälligstes Merkmal dieser Schrift ist der Balken des t, der so durch den Schaft geführt ist, daß er diesen eindeutig unterbricht. Analog sind die Überschneidungen der Kontraschleifen bei den kunstvoll verzierten Versalien gestaltet. Aufgrund dieser sehr markanten Merkmale lassen sich demselben Maler wohl drei – allerdings etwas schlichtere – Inschriften aus Öhringen von 1611, 1627 und 1631 zuweisen (nrr. 645?136), 777, 811). Dichter gedrängt, schmaler proportioniert und mit fetten Schäften ist die Fraktur auf einem Waldbacher Epitaph von 1630 (nr. 804); die Versalien sind zum Teil sehr aufwendig, aber unausgewogen und mit wirrer Linienführung verziert.

Zierbögen über den Oberlängen der Gemeinen und rote Auszeichnung von Wörtern und Versalien bleiben weiterhin ein übliches Gestaltungsmittel der gemalten Fraktur (nrr. 822, 865). Gegen Ende des Bearbeitungszeitraums überwiegen Schriften mit schmalen Proportionen – bei sehr unterschiedlichem Ausrundungsgrad der Bögen und Brechungen – und mit eher schmucklosen Versalien. Reichere, verästelte Rankenzier auf einem Öhringer Epitaph von 1646 (nr. 874) ist die Ausnahme.

Erhaben gegossene Frakturinschriften haben sich im Kreisgebiet aus dem Bearbeitungszeitraum nur insgesamt acht erhalten. Es handelt sich dabei ausnahmslos um Metallauflagen von Grabplatten, die vermutlich alle in Nürnberg gegossen wurden und deren Schriften sich durch hohe Regelmäßigkeit und einheitliche Stilisierung auszeichnen. Die Zierlinien der Versalien sind – durch die Technik der Herstellung bedingt – recht breit und daher zunächst nicht allzu üppig eingesetzt. Die beiden frühesten Beispiele auf den Grabplatten für zwei Gräfinnen von Hohenlohe in Öhringen von 1594 und 1597 (nrr. 477, 502) könnten vom selben Formschneider geschaffen worden sein. Die Bögen der Gemeinen sind nur in der rechten Hälfte ausgerundet. Oberschäfte sind spitz zulaufend nach rechts umgebogen und haben links einen Dornansatz. Die linken Schäfte der mittellangen Buchstaben können oben nach links gebrochen oder rechtsschräg geschnitten sein. Der Schaft von f und langem s hat keine Schwellung und ragt mit voller Breite und ohne sich zu verjüngen in den Unterlängenbereich. Der Bogen des h ist unter der Grundlinie nach rechts eingerollt. Markant sind das rechtwinklige diakritische Zeichen über dem u und der identisch geformte i-Punkt.

Ähnlichen Duktus, aber eine weitergehende Ausrundung von Brechungen und Bögen zeigt die Fraktur auf einer Neuensteiner Grabplatte von 1617 (nr. 676), wobei sämtliche Bögen im linken Abschnitt senkrecht und rechts unten steil rechtsschräg verlaufen, wodurch sie unten beinahe eine Spitze bilden. Der Schaft von f und langem s ist ähnlich geformt wie in den früheren Öhringer Inschriften, die Fahne knickt aber flach rechtsschräg ab und ist nicht gerundet. Eine stärkere Betonung der Brechungen zeigt sich wiederum auf einer wenig jüngeren Grabplatte in Öhringen (nr. 714). Mit wenigen Ausnahmen hat auch hier der Schaft des langen s keine Schwellung, und nur gelegentlich läuft er nach unten spitz zu. Während die Versalien ganz schlicht ausfallen, wird eine kunstvoll gestaltete J-Initiale verwendet, die sich über die Höhe von fünf Zeilen erstreckt und die in parallel laufende und durch „Manschetten“ gebündelte Linien aufgelöst und zusätzlich mit Kontraschleifen verziert ist.

Noch strengere Brechungen, konsequent flach rechtsschräg abknickende und eingerollte Oberlängen und eine fette Strichstärke kennzeichnen die Gemeinen auf den prunkvollen Grabplatten des Grafen Kraft von Hohenlohe und seiner Frau Pfalzgräfin Sophia von 1641 (nrr. 857, 859). Das gesamte Schriftbild wird hier allerdings dominiert von den im Kontrast zu den spröden Gemeinen überbordend verzierten, bis zur Unkenntlichkeit in Schwellzüge und Zierschleifen aufgelösten Versalien, die in noch größeren und noch aufwendiger ausgeschmückten Initialen sogar noch eine Steigerung erfahren. Ausufernde und vielfach verschlungene Rankenlinien dienen als Zeilenfüller und runden das barocke Gesamtbild ab, das deutlich den Einfluß zeitgenössischer Schreibmeisterbücher und ‑ blätter verrät. Sehr viel einfacher gehalten sind die Versalien auf zwei Waldenburger Grabplatten von 1645 und 1646 (nrr. 871, 875). Die Bögen der im Mittellängenbereich gedrungenen, fetten Gemeinen sind in ihrer linken Hälfte in einen nur unmerklich geschwungenen Schwellzug umgestaltet. Die einzige Glocke im Kreisgebiet, die vermutlich eine Frakturinschrift trug und die 1650 gegossen worden ist (nr. 891 †), ist nicht erhalten.

[Druckseite 81]

Die einzige gravierte Frakturinschrift schließlich ist ein 1581 gefertigtes Augsburger Importstück (nr. 403). Die von Georg Höllthaler gravierten Verse auf dem Hermersberger Willkomm weisen eine breit proportionierte Fraktur auf, bei der die Senkrechten von den ausgerundeten und geschwungenen Linien weitgehend verdrängt sind.

5.6. Humanistische Minuskel

Im Hohenlohekreis tritt die Humanistische Minuskel in inschriftlicher Verwendung bereits 1521, und damit im Vergleich mit den bislang epigraphisch erschlossenen Regionen der weiteren Umgebung ungewöhnlich früh auf. Die Schrift auf der Grabplatte des Philipp von Berlichingen in Niedernhall (nr. 209) wirkt etwas steif und ungelenk, da sie völlig in ein Zweilinienschema gezwängt ist. Besonders auffällig ist dadurch das runde g, das mit seinem großen halbrunden Unterbogen auf der Grundlinie steht. Alle Schäfte enden stumpf auf der Grundlinie. Ungewöhnlich sind die Zwitterform zwischen ein- und zweistöckigem a, das h mit gegensförmig geschwungenem Bogen sowie spitzovales o. Mitunter werden Kapitalisversalien auch im Innern und am Ende der Wörter verwendet.

Die nächsten Belege der Humanistischen Minuskel finden sich dann erst wesentlich später im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts: zunächst 1568 in Kloster Schöntal ein flüchtig eingeritzter Name (nr. 263.G) mit weit unter die Grundlinie gezogenem Bogen des h, damit in der Ausführung vergleichbare Nameneinritzungen aus den 1580er Jahren auf einem Glashumpen (nr. 397), eine kurze Bibelstellenangabe in ungelenken Formen (zweistöckiges a; e mit spitz gebrochenem Bogen) auf dem von Johann von Trarbach geschaffenen Epitaph des Grafen Eberhard von Hohenlohe in Öhringen (nr. 357) und der Monatsname im Sterbevermerk einer Grabplatte von 1585 in Öhringen (nr. 417) aus der Haller Schlör-Werkstatt. Auch in der Folgezeit bleibt die Humanistische Minuskel zumeist auf untergeordnete Inschriften oder auf einzelne Wörter innerhalb von in anderen Schriftarten (Kapitalis, Fraktur) ausgeführten Texten beschränkt. Innerhalb von deutschsprachigen Frakturinschriften dient die Humanistische Minuskel dabei in der Regel zur Markierung von Fremdwörtern oder Namen. Auf einer um 1580 gefertigten Öhringer Wappentafel (nr. 396) jedoch sind sämtliche Inschriften – lateinische Sprüche und Bibelstellenangaben – in einer leicht rechtsgeneigten Humanistischen Minuskel eingehauen. Sie verrät den Einfluß von zeitgenössischen „Kursiv“-Druckschriften. So sind die Langschäfte und der Schaft des a stark nach links durchgebogen, und an den offenen Bogen des völlig ausgerundeten e ist, wenn der Buchstabe am Wortende steht, rechts oben ein Zierhäkchen angesetzt. Der Bogen des p ist offen und biegt unten nach rechts um, während der Schaft unten eine Schleife bildet. Zu diesen kursiven Elementen paßt die Verwendung von Versalien humanistischer Kursivschriften.

Auch auf zwei von einer Hand geschaffenen Grabplatten in Kocherstetten von 1595 und 1603 (nrr. 485, 566) wurde die Humanistische Minuskel – neben Kapitalis und Fraktur – als Textschrift eingesetzt, in beiden Fällen für deutschsprachige Bibelzitate. Die Schrift ist regelmäßig, wirkt aber durch die relativ kurzen Oberlängen und die senkrechte Schattenachse der Bögen steif. Die Bögen sind bisweilen fast kreisrund. Die mittellangen Schäfte sind durchweg oben nach links umgebogen, und alle Schäfte enden stumpf auf der Grundlinie. Gegenüber den runden Buchstaben sind m, n und u, mitunter auch h, durch die engen Schaftabstände überproportional schmal. Eine wuchtige, breit proportionierte Minuskel mit kurzen Oberlängen und einem r mit quadrangelförmiger, in den Oberlängenbereich ragender Fahne wurde dagegen auf einem Öhringer Epitaph um 1597/99 für einen kurzen lateinischen Spruch eingesetzt (nr. 484).

Im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts häufen sich dann die Beispiele für vollständig in Humanistischer Minuskel ausgeführte Inschriften, wobei es sich durchweg um lateinische Texte handelt. Auf einer Krautheimer Grabplatte von 1626 (nr. 767), die vielleicht in der Forchtenberger Kern-Werkstatt gefertigt wurde, sind zwei lateinische Distichen in einer Antiqua mit fast kreisrunden Bögen und großzügigen Zeilenabständen eingehauen. Der letzte Vers bildet ein Chronogramm. Von der Hand Achilles Kerns stammt ein weiteres Chronodistichon in einer etwas schlankeren Humanistischen Minuskel auf einem Schöntaler Abtsepitaph von 1633 (nr. 821). Im Gegensatz zu der Krautheimer Inschrift ist das a hier einstöckig, ist die Grundform der Bögen oval und wird das runde s auch durchgängig am Anfang und im Innern der Wörter anstelle des langen s eingesetzt. Sehr ähnlich, aber noch etwas schmaler und gleichmäßiger ist schließlich die Minuskel einer in zwei lateinische Distichen gefaßten Grabschrift auf einem Epitaph von 1634 in Westernhausen (nr. 837).

Auch auf zwei Öhringer Grabplatten von 1641 und 1647 (nrr. 858, 879) bildet das jeweils in Antiqua und Kapitalis ausgeführte Grabgedicht ein Chronodistichon. Die dünnstrichig mit senkrechter Schattenachse eingehauene Minuskel der älteren Grabplatte weist an Besonderheiten ein einstöckiges a mit stark nach links durchgebogenem Schaft und ein rundes s mit gebrochenem Mittelteil [Druckseite 82] auf. Die Schrift von 1647 ist kräftiger, breiter und runder, mit zweistöckigem a, spitzovalem o und rundem v. Ungelenk und unregelmäßig nimmt sich eine längere, in Distichen abgefaßte Grabschrift von 1639 in Sindeldorf aus (nr. 852), bei der die beiden letzten Verse wiederum ein Chronogramm bilden. Die engen Zeilenabstände lassen zumeist nur kurze Oberlängen zu. Bemerkenswert ist die aus schreib- bzw. druckschriftlichen Vorlagen übernommene ct-Kombination, bei der die beiden Buchstaben zwar nicht miteinander ligiert sind, der Schaft des t aber nach links umgebogen und weit über den Bogen des c zurückgeführt ist. Langes und rundes s werden in ihrem Gebrauch nicht ganz konsequent unterschieden.

Ein einheitliches, kompaktes Schriftbild bietet die Antiqua des Haller Bildhauers Jakob Betzold in zwei in lateinischer Prosa verfaßten Grabschriften von 1638 und 1647 in Pfedelbach (nrr. 848, 878). Runde Formen überwiegen. Der Unterbogen des g bildet eine breite Schlinge; f und langes s haben einen leicht schräggestellten, geschwungenen Schaft, der weit unter die Grundlinie reicht; y ist rund. Neben dem Schaft-r wird besonders häufig das Bogen-r eingesetzt. Eine schrägliegende Antiqua findet sich – außer auf der erwähnten Öhringer Wappentafel – lediglich dreimal 1628, 1635 und 1649 (nrr. 788, 839, 885), und zwar jeweils nur in marginaler Verwendung für die abgekürzte Angabe von Bibelstellen.

5.7. Humanistische Minuskel mit Frakturelementen

Eine paläographische Besonderheit im Inschriftenbestand des Hohenlohekreises stellt eine spezifische Ausprägung der Humanistischen Minuskel dar, deren Kennzeichen eine starke Durchmischung mit Frakturelementen ist. Sie kommt, in Stein gehauen, auf insgesamt 42 Inschriftenträgern, vornehmlich auf Grabmälern des Kreisgebiets vor137), darüber hinaus – soweit bisher ermittelt – auf sieben weiteren Inschriftenträgern in den unmittelbar angrenzenden Gebieten im Main-Tauber-Kreis (Wachbach), im Landkreis Heilbronn (Korb, Jagsthausen, Maienfels) und im Landkreis Schwäbisch Hall (Langenburg).

Der Duktus der insgesamt eher breit angelegten Minuskel kann – je nach Grad der Durchmischung mit Frakturelementen, aber auch durch Unterschiede bei Proportion und Strichstärke – sehr unterschiedlich sein. Unverkennbar waren hier verschiedene Hände am Werk, die aber dennoch eindeutig einem einheitlichen Vorbild verpflichtet sind. Neben den – häufig in den Mittellängenbereich eingepaßten – Kapitalisversalien kommen ein Fraktur-J und ein kursiv geschwungenes A als Fremdformen vor. Typische Antiqua-Merkmale der Gemeinen sind die stumpf ohne Brechung auf der Grundlinie endenden Schäfte. Ohne Brechung nach rechts umgebogen und rechtsschräg geschnitten sind dagegen die unteren Schaftenden des einstöckigen a, des d und des u. Analog dazu sind die oberen Enden der meisten mittellangen Schäfte nach links umgebogen und steil rechtsschräg oder senkrecht geschnitten. Die Oberschäfte sind rechtsschräg geschnitten oder leicht nach rechts gebogen. Eine völlige Ausrundung der Bögen ohne jede Brechung ist zu beobachten bei h, m, n, bei ovalem o, bei rundem s und bei u sowie bei der Fahne des f und des langen s. Die Bögen der übrigen Buchstaben weisen dagegen häufig eine schwache, an die Fraktur erinnernde Brechung auf, die aber in den späteren Inschriften bisweilen zugunsten einer völligen Ausrundung aufgegeben wird. Ein unterschiedlicher Grad der Bogenbrechung findet sich auch bei dem c, das zunächst noch schmal und mit abknickendem oberen Bogenabschnitt erscheint, ab 1612/13 dann aber kreisrund ist. Dem Frakturalphabet gehören e und b mit gebrochenen Bögen, k, das aus zwei Schwellzügen gebildete Bogen-r, v und zweistöckiges z an. Weitere Frakturelemente sind die (häufig in den Oberlängenbereich ragende) quadrangelförmige Fahne des r und der analog zum v gebildete rechte Teil des w. Fraktur-y wird nach 1610 durch die Antiquaform abgelöst. Bis auf ganz wenige Ausnahmen enden f und langes s nicht auf der Grundlinie, sondern haben eine nach links hakenartig umgebogene Unterlänge. Da die Schäfte keine Schwellung aufweisen, wird man den Ursprung dieser beiden Formen weniger in der Fraktur als im Bereich der humanistischen Kursivschriften bzw. der schrägliegenden Humanistischen Minuskeln des Buchdrucks suchen müssen. Rundes g begegnet insgesamt nur zweimal (nrr. 638, 656), dabei einmal als Doppelform neben der „Normalform“. Eine schrägliegende, im Formenbestand völlig [Druckseite 83] identische Variante der Schrift kommt ebenfalls vor, läßt sich aber nur zweimal 1603 und 1607 nachweisen (nrr. 568, 599).

Diese beschriebene Mischschrift wird erstaunlich häufig, jedenfalls deutlich öfter als die „reine“ Humanistische Minuskel, als Textschrift für ganze Inschriften (Sterbevermerke, Bibelzitate) eingesetzt, wobei es sich – auch dies ein Unterschied zu den Inschriften in Antiqua – mit einer Ausnahme (nr. 752) um deutschsprachige Texte handelt. Dort, wo die Schrift allerdings nur für einzelne Wörter innerhalb eines ansonsten in Fraktur ausgeführten deutschsprachigen Textes verwendet wird, übernimmt sie dieselbe Funktion wie sonst die Humanistische Minuskel, nämlich die Auszeichnung lateinischer Wörter und Namen.

Ob diese Schrift die eigenständige Schöpfung eines Steinmetzen darstellt oder ob sie aus einer handschriftlichen Vorlage, etwa einem Schreibmeisterbuch, übernommen wurde, ist unklar. Die zeitgenössischen Druckschriften kommen als konkretes Muster jedenfalls nicht in Frage. Innerhalb der Werkgruppe sind die frühesten, zwischen 1602 und 1613 entstandenen Inschriften in Duktus und Einzelformen so gleichartig, daß sie sicherlich von ein und derselben Hand stammen. Dieser Steinmetz, der die Schrift also erstmals inschriftlich umsetzte, hatte seine Werkstatt vielleicht in Öhringen. Sicher ist dies jedoch nicht. Die weiteren Werkstattzusammenhänge bleiben leider auch mangels archivalischer Zeugnisse völlig im Dunkeln. In der Öhringer Werkstatt des Philipp Kolb bediente man sich zeitweise dieser Schrift, einige Indizien weisen auch auf Georg Kern in Neuenstein sowie auf mögliche Zusammenhänge mit der Forchtenberger Kern-Werkstatt. Man wird wohl auch mit dem Austausch von Personal zwischen den lokalen Werkstätten rechnen müssen, der zu einer weiteren Verbreitung der Schriftart in verschiedenen Werkstätten geführt haben könnte. Sie blieb gleichwohl auf den engeren hohenlohischen Raum beschränkt und verschwand, nachdem sie eine knappe Generation in Gebrauch war, nach 1634 wieder völlig.

5.8. Zeitliche Verteilung der Schriftarten

In die Tabelle sind alle erhaltenen und in Foto oder Abzeichnung überlieferten Inschriften aufgenommen sowie die verlorenen, deren Schriftart aus den Quellen eindeutig zu erschließen ist. Inschriftenträger, auf denen sich verschiedene Schriftarten finden, erscheinen in der Aufstellung mehrfach, wobei aber Versalien nicht berücksichtigt sind. Auf eine Aufnahme der in Sammelnummern zusammengefaßten Kritzelinschriften wurde verzichtet. Die in Klammern gesetzten Ziffern bezeichnen solche Inschriften, die nur unsicher in den jeweils angegebenen Zeitraum zu datieren sind.

–1300 –1350 –1400 –1450 –1500 –1550 –1600 –1650 Summe
Gotische Majuskel 6 4 5 (5) 1 21
Gotische Minuskel 2 22 (1) 54 (7) 47 (4) 11 (2) 3 (3) 156
Frühhum. Kapitalis 2 (1) 24 27
Kapitalis 12 155 (3) 228 (2) 400
Verfremdete Kapitalis 1 6 2 9
Kapitalis/Minuskel 2 1 3
Humanist. Minuskel 1 8 31 40
Got. Minuskel/Fraktur 3 3
Fraktur 39 (1) 129 (2) 171
Humanist. Versalschrift 1 1
Hum. Minuskel/Fraktur 45 45
Gotische Kursive 1 1 2 1 2 (2) 9

Zitationshinweis:

DI 73, Hohenlohekreis, Einleitung, 5. Die Schriftformen (Harald Drös), in: inschriften.net, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238-di073h016e006.

  1. Vgl. die Zusammenstellung in DI 54 (Mergentheim) Einl. LIII Anm. 155. »
  2. Zu weiteren Werken dieser Werkstatt vgl. DI 54 (Mergentheim) Einl. LIV»
  3. Vgl. die beiden Schaubilder auf S. 59f. »
  4. Vgl. unten Kap. 5.3»
  5. DI 8 (Mosbach, Buchen, Miltenberg) nr. 191»
  6. DI 15 (Rothenburg o. d. Tauber) nr. 107»
  7. Vgl. DI 54 (Mergentheim) Einl. LVIf. mit ausführlicherer Beschreibung der Schriftbesonderheiten. »
  8. Vgl. Dt. Glockenatlas Württ./Hohenzollern 34 Anm. 89. »
  9. Vgl. Walter Koch, Zur sogenannten frühhumanistischen Kapitalis (Diskussionsbeitrag), in: Epigraphik 1988, 337–345; ferner: Renate Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften zwischen Mittelalter und Neuzeit (Grundsatzreferat), ebd. 315–328. »
  10. Dazu zuletzt ausführlich DI 48 (Stadt Wiener Neustadt) Einl. XLVI–XLVIII, nrr. 36†, 65, 66. »
  11. Vgl. DI 37 (Rems-Murr-Kreis) Einl. L»
  12. Zu räumlich und zeitlich nicht allzu weit entfernten Vergleichsbeispielen vgl. den Kommentar zu nr. 75»
  13. Vgl. DI 54 (Mergentheim) Einl. LX»
  14. Zu weiteren Frühwerken Schlörs außerhalb des Kreisgebiets vgl. nr. 280»
  15. Ev. Pfarrkirche, Epitaph des Ludwig von Frauenberg. Foto im Fotoarchiv der Inschriftenkommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. »
  16. Eine Klärung dieser Fragen ist vorerst ohne Sichtung und Auswertung der Inschriften des Landkreises Schwäbisch Hall noch nicht möglich. »
  17. Vgl. zu den typischen Merkmalen seiner Schrift zuletzt DI 34 (Bad Kreuznach) nr. 340; DI 57 (Pforzheim) nr. 192»
  18. DI 8 (Mosbach, Buchen, Miltenberg) nr. 69 (m. Abb.). »
  19. Vgl. den Kommentar zu nr. 558»
  20. Zwei 1604 gefertigte Epitaphien in Waldbach (nrr. 575, 582) zeigen sehr ähnliche Kapitalisformen und Zierelemente, die Fraktur ist dort aber wesentlich grobschlächtiger als bei den Werken Kolbs, so daß wohl allenfalls ein Werkstattzusammenhang besteht. »
  21. Freundliche mündl. Auskunft von Herrn Kreisarchivar Rainer Gross, dem besten Kenner der archivalischen Überlieferung zu Georg Kern. Georg Kern war Taufpate von Philipp Kolbs 1611 geborenem Sohn Hans Konrad; vgl. Maisch, Aus dem Werk früherer Heimatforscher (KrAHK, Manuskriptenslg. 10.11.10) 88. »
  22. Außerhalb des Hohenlohekreises sind der Werkgruppe außerdem die Grabplatten in Langenburg (Lkr. Schwäbisch Hall) für den Grafen Ernst d. J. von Hohenlohe (1612), für die Gräfin Sophia (1619) und für einen namenlosen, wohl ungetauft gestorbenen Grafen (1620) zuzuordnen. Ohne – erhaltene – Inschrift ist das Gartenportal des Neuensteiner Schlosses, das früher angeblich die Signatur GKB getragen haben soll; vgl. Schneider, Michael Kern 208 Abb. 195. Dem Stil der Wappendarstellung nach stammt zumindest das Wappen in der Portalbekrönung tatsächlich eindeutig von der Hand Georg Kerns. »
  23. Bei der Zuordnung der neben Michael Kerns großen Hauptwerken eher zweit- und drittrangigen Werke wie Grabplatten und Wappentafeln, die bislang von der Kern-Forschung kaum in den Blick genommen wurden, ist der heraldische Stil, besonders die Ausarbeitung und Stilisierung der Helmdecken, ein wichtiges Kriterium. »
  24. Gegen eine Zuschreibung auch dieser Inschriftenträger an Hans Marquardt spricht die dort neben der Kapitalis eingesetzte Fraktur, die wesentlich reicher verziert ist als in Marquardts Gemälden. »
  25. Vgl. oben, Kap. 5.2»
  26. Vgl. DI 54 (Mergentheim) Einl. LXV»
  27. Vgl. DI 54 (Mergentheim) Einl. LXVf. »
  28. Vgl. unten Kap. 5.7»
  29. Zu den ungeklärten Verbindungen zwischen Philipp Kolb und Georg Kern vgl. oben Kap. 5.4»
  30. Auf der wohl auch von Hoffmann bemalten Waldenburger Kanzel von 1597 (nr. 509) sind die Schriftformen im heutigen Zustand nicht mehr original. »
  31. Daß die Schriftformen auf einem 1608 geschaffenen, von Marquardt signierten Epitaph sehr viel runder und gleichmäßiger sind (nr. 606), ist vielleicht einer späteren Überarbeitung geschuldet. »
  32. Gleiche Schriftmerkmale – bis auf die Rubrizierung – auch auf einem Epitaph von 1626 (nr. 768). Möglicherweise sind die Ähnlichkeiten aber auch lediglich auf spätere, von ein und demselben Maler vorgenommene Restaurierungen zurückzuführen. »
  33. Durch Restaurierungen verändert. »
  34. Nrr. 560, 565, 567, 568, 574, 487, 598, 599, 637, 638, 640, 649, 650, 655, 656, 659, 662, 677, 683, 685, 686, 705, 711, 727, 737, 738, 751, 752, 778, 783, 787, 792, 796, 803, 809, 810, 812, 813, 814, 815, 816, 834. Die Mischschrift war Gegenstand eines auf dem Epigraphischen Workshop „Epigraphische Schriften zwischen Mittelalter und Neuzeit“ (Wien, 10.–11. Oktober 2006) gehaltenen Vortrags mit dem Titel „Epigraphische Schriften zwischen Humanistischer Minuskel und Fraktur“. Ein Sammelband mit den Tagungsbeiträgen wird in der Schriftenreihe „Forschungen zur Geschichte des Mittelalters“ erscheinen (im Druck). »