Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 46 Dom 1194 o. später

Beschreibung

Hochgrabdeckplatte vom Grab des Priesters Bruno.1) Rötlicher Sandstein. Der heute an der südlichen Außenwand der Domapsis gegenüber dem südlichen Kreuzgangflügel angebrachte hochrechteckige Stein steht auf einem Kragstein und ist bedeckt von einem schmalen Gesims mit Hohlkehle. Das vertiefte Innenfeld wird durch eine an beiden Längsseiten nach außen abgeschrägte Leiste begrenzt, die sich an der oberen Schmalseite in einem durch zwei Linien angedeuteten Rundbogen fortsetzt, der beide Leisten verbindet. Diese die Grabplatte an drei Seiten begrenzende Leiste trägt links unten beginnend Inschrift A. Zwei Querriegel mit den Inschriften B und C verbinden die Längsseiten der Inschriftenleiste und gliedern das Innenfeld in drei verschieden große Teile. Im oberen ist im Halbrelief unter einem Dreipaßbogen das Brustbild Christi dargestellt. Seine rechte Hand ist segnend erhoben, in der Linken hält er ein aufgeschlagenes Buch, darauf Inschrift D. In den Zwickeln des Dreipaßbogens Inschrift E, die Buchstaben sind mit Kreuzen versehen. In der Mitte des Innenfeldes ein Relief, in dem die Seele des Verstorbenen als nackte Halbfigur von zwei Engeln auf einem Tuch in den Himmel getragen wird. Im unteren Feld ist der Verstorbene dargestellt, zwei Mitbrüder rechts und links von ihm wickeln ihn in das Leichentuch. Seinen linken Arm ergreift eine Figur mit Krücken, seinen rechten Arm eine bärtige, mit einem Fellgewand bekleidete Gestalt. Links unten zu seinen Füßen kniet eine gebückte Frau, rechts hockt ein Mann.

Die Inschriften sind eingehauen. Bedingt durch die Zerstörung der Steinoberfläche sind einzelne Bereiche der Inschriften gestört.

Maße: H.: 219 cm; B.: 92 cm; Bu.: 6 cm (A), 6,5 cm (B, C), 3–3,5 cm (D), 4 cm (E, ohne Kreuz).

Schriftart(en): Romanische Majuskel (A–D), griechische Buchstaben (E).

Julia Zech [1/1]

  1. A

    + BRVNONI · CVIUS · SPECIEM · MONSTRAT · LAPI(S)a) · ISTE · QVI · SVAb) · [P]AVPERIBVS · TRIBVIT · DA · G[A]V[DI]A · CHR(IST)Ec)d) ·

  2. B

    . Q(VO)De) . VNI · EX · MI(NIMIS) · M(EIS) · REf) · M(IH)Ig) · F(ECISTIS) ·2)

  3. C

    BRVNO · PR(ES)B(YTE)R ·

  4. D

    [VE]NITE / [B]ENED(ICTI) · / PATRI(S)h) · / MEI ·3)

  5. E

    · Α · // · ω ·

Übersetzung:

Dem Bruno, dessen Bild dieser Stein zeigt und der das Seine den Armen gab, gib du, Christus, die Freuden [des Himmels]. (A)

Was ihr einem von meinen Geringsten getan habt, das habt ihr in Wahrheit mir getan. (B)

Priester Bruno. (C)

Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters. (D)

Versmaß: Zwei Hexameter mit Endreim (A).

Kommentar

Die Inschriften sind in einer entwickelten romanischen Majuskel ausgeführt, die schon einzelne Kennzeichen der gotischen Majuskel erkennen läßt. Die Bogenenden von C, S und unzialem E sind mit deutlichen Sporen versehen, sind aber noch nicht abgeschlossen. A, E, M, N, T und U kommen eckig bzw. spitz und rund vor, F nur rund, D nur in unzialer Form. Besonders variantenreich ist der Buchstabe A gestaltet. Neben trapezförmigem kapitalen A finden sich verschiedene Varianten der Grundform eines pseudounzialen A. Formen mit gerader rechter und geschwungener Linkshaste, die in einem Bogen an die rechte Haste anschließt, kommen mit und ohne (MONSTRAT) Deckbalken vor, in einigen Fällen fehlt auch der Mittelbalken (SVA). Die Cauda des Q ist, korrespondierend mit dem betonten Ansatz des danebenstehenden unzialen D, in Q(VO)D mit einer Schwellung versehen und nach rechts unten ausgezogen. Neben einem kapitalen M sind symmetrisch offene und ein links geschlossenes unziales M zu beobachten. L ist in der gebogenen Form ausgeführt, die auch in der gotischen Majuskel auftritt. Einzelne B sind mit leicht nach rechts durchgebogener Haste gehauen, an der stark ausgerundete Bögen ansetzen. Viele Buchstaben weisen Bogenverstärkungen und Verbreiterung der Hasten und Bögen auf. Diese Schriftmerkmale legen eine Entstehung der Inschrift um 1200 nahe.

Für das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts lassen sich in den Hildesheimer Urkunden mehrere Träger des Namens Bruno nachweisen. Am ehesten dürfte der in der Grabschrift mit seinem Weihegrad presbyter genannte Bruno wohl mit einem von 1181 bis 1194 in zahlreichen Zeugenlisten – meist an 3. oder 4. Stelle – vorkommenden Bruno identisch sein, der dort mit der Amtsbezeichnung cellerarius aufgeführt ist.4) Daß Bruno presbyter mit dem cellerarius identisch ist, legt der Vergleich der Zeugenlisten in zwei Urkunden von 1184 und 1185 nahe:5) In der ersten folgt auf Berno decanus ohne Appellativum Godefridus, dann die zwei als presbyteri bezeichneten Bruno und Hilarius sowie Erpo. In der zweiten Urkunde lautet die Zeugenreihe folgendermaßen: Berno decanus, Godefridus presbyter, Bruno cellerarius, Hilarius scolasticus und Erpo diaconus. Hier werden die beiden vorher mit dem Weihegrad bezeichneten Bruno und Hilarius jeweils mit ihren Ämtern genannt. Der Cellerarius Bruno ist zum letzten Mal in einer vor dem 28. Oktober 1194 datierten Urkunde erwähnt.6) Eine um 1200 datierte Urkunde nennt bereits einen Johannes als Domcellerarius.7) Folglich dürfte Bruno zwischen 1194 und 1200 gestorben sein. Seine Memorie ist im Großen Domnekrologium für den 17. Dezember eingetragen. Der Eintrag nennt ihn presbyter et cellerarius und vermerkt eine Bücherstiftung für den Dom: qui glosatu(m) psalt(er)ium (et) missale(m) musicu(m) in duob(us) volumi(ni)b(us) c(on)sc(ri)ptu(m) XVI m(ar)cis ecc(lesi)e (com)p(ar)auit.8) Außerdem hat Bruno den Martini-Altar in der Krypta des Doms gestiftet, vor dem sich sein Grab befand.9)

Inschriften und Darstellung auf dem Grabdenkmal betonen, daß er sich in besonderem Maße der Armen und Gebrechlichen angenommen hat. Die Aufgabe des Cellerarius an einem Domstift schloß nicht nur die Verwaltung der Vorräte für das Domkapitel ein, sondern auch die praktische Organisation und Durchführung der bischöflichen Armenfürsorge.10) Da Bruno – wie sich aus den genannten Stiftungen und letztlich auch aus dem für einen Amtsträger unterhalb des Bischofsrangs in dieser Zeit außergewöhnlichen Grabdenkmal schließen läßt – sehr vermögend war,11) ist durchaus anzunehmen, daß er über seine Amtspflichten hinaus auch aus eigenen Mitteln Bedürftige versorgt hat.

Textkritischer Apparat

  1. LAPI(S)] LAPPI(S) Niehr. Das S ist als Haken ausgeführt, der unten an die Haste des I heranreicht. Dadurch entsteht der Eindruck eines kapitalen P. Der Vergleich mit dem danebenstehenden P zeigt aber, daß dort der Bogen runder ausgeführt ist, vgl. Anm. h.
  2. SVA] SVA [BONA] Mithoff.
  3. TRIBVIT ... CHR(IST)E] tribuit omnia cuius anima in pace Letzner.
  4. XPE, die Haste des P durchstrichen.
  5. Q(VO)D] Im zugrundeliegenden Bibeltext: Quamdiu.
  6. RE] FE(CISTIS) Schuffels. Der Befund ist an dieser Stelle nicht eindeutig. Schuffels meint, das ursprüngliche F sei nachträglich in ein R oder P verwandelt worden. Die hier vorgeschlagene Lesung geht von folgenden Beobachtungen aus: FE ist keine gängige Suspensionskürzung für FECISTIS, zu erwarten wäre – wie auch zwei Wörter später ausgeführt – F. Der ursprünglich ausgeführte Buchstabe ist aber ein R mit einer aus Platzgründen verkürzten Cauda. F ist auch deshalb weniger wahrscheinlich, weil F in dieser Inschrift nicht mit nach rechts durchgebogener Haste ausgeführt wird.
  7. M(IH)I] I klein über niedrigem M.
  8. PATRI(S)] S in Form eines hochgestellten Hakens gekürzt, der unten an der Haste des I ansetzt, vgl. Anm. a.

Anmerkungen

  1. Eine eingehende kunsthistorische Untersuchung des Denkmals bietet: Christian Schuffels: Das Grabmal des Priesters Bruno – das steinerne Testament eines Hildesheimer Domherrn. In: Kat. Ego sum, S. 321–330.
  2. Nach Mt. 25,40: quamdiu fecistis uni de his fratribus meis minimis mihi fecistis.
  3. Mt. 25,34.
  4. UB Hochstift 1, Nr. 402, Nr. 409, Nr. 413, Nr. 422–425, Nr. 428, Nr. 430f., Nr. 436, Nr. 458, Nr. 470, Nr. 473, Nr. 475f., Nr. 483, Nr. 488, Nr. 497, Nr. 503, Nr. 506. Ein Bruno presbyter [et] cellerarius ist auch schon in einer Urkunde von 1149 (Nr. 253) genannt.
  5. Ebd., Nr. 431 und Nr. 436.
  6. Ebd., Nr. 506.
  7. Ebd., Nr. 558.
  8. Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 83.30. Aug. fol., fol. 125r: ‚der einen glossierten Psalter und ein mit Noten versehenes (?), in zwei Bänden geschriebenes Meßbuch für 16 Mark dieser Kirche gestiftet hat’; vgl. Bertram, Bischöfe, S. 62. Auch die Handschrift DBHi, HS 748 Liber Pantegni des Constantinus Africanus ist nach Aussage eines erneuerten Besitzvermerks auf dem Einbandspiegel eine Stiftung Brunos.
  9. Vgl. Fragmentum de Reliquiis quibusdam ecclesiae cathedralis Hildeshemensis (Leibniz, Scriptores 1, S. 771); s. a. Kat. Abglanz des Himmels, S. 87 (Jacobsen/Kosch).
  10. Zur bischöflichen Armenfürsorge vgl. Peter Dinter: Die Armenfürsorge in Bischofsviten des 10. bis 12. Jahrhunderts. In: Arbor amoena comis. 25 Jahre Mittellateinisches Seminar in Bonn 1965–1990, hg. von Ewald Koensgen. Stuttgart 1990, S. 133–142, hier S. 133 u. S. 141 (die Armen gestalten das Begräbnis für ihren bischöflichen Gönner).
  11. Eine Inschrift aus dem 18. Jahrhundert bewahrt das Andenken an Bruno als den „Vater der Armen“: D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) / BEATAE MEMORIAE BRUNONIS SACERDOT(IS) / (ET) CATHEDRAL(IS) ECCL(ES)IAE CANON(ICI) ET / HUJUS CURIAE POSSESSORIS, DUM VI-/VERET VERE PATRIS PAUPERUM / QUIA / DISPERSIT ET DEDIT PAUPERIBUS · / POSUIT / J(OHANN) A(DOLPHUS) B(ARO) DE LÖE. EX WISSEN. CA-/THEDR(ALIS) ECCL(ES)IAE CANON(ICUS) A(NN)O 1710 · ‚Dem allgütigsten, allmächtigsten Gott. Zum heiligen Angedenken an Priester Bruno, Domkanoniker und Inhaber dieser Kurie, der, solange er lebte, wahrhaft ein Vater der Armen war, weil er [seine Güter] an die Armen verteilte und schenkte, hat der Domkanoniker Johann Adolf Freiherr von Löe zu Wissen im Jahr 1710 [dieses Denkmal] gesetzt.‘ Der Stein, auf dem diese Inschrift angebracht ist, befand sich zum Zeitpunkt der Aufnahme im Steinekeller des Roemer-Museums.

Nachweise

  1. Letzner, Hildesheimische Chronik, 1. Buch, 1. Teil, Kapitel 5, S. 46.
  2. Beiträge zur Hildesheimischen Geschichte 3, S. 205f.
  3. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 113f.
  4. Bertram, Bischöfe, S. 62f.
  5. Bertram, Bistum 1, S. 207f. mit Abb. 69.
  6. Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 147 mit Abb.
  7. Niehr, Mitteldeutsche Skulptur, S. 265.
  8. Kat. Ego sum, S. 323–327 mit Abb.
  9. Christian Schuffels: Das Grabmal des Priesters Bruno – das steinerne Testament eines Hildesheimer Domherrn. In: Kat. Ego sum, S. 323, S. 325, S. 327 mit Abb.
  10. Slg. Rieckenberg, S. 309–316 (teils Berges).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 46 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0004603.