Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 44(†) St. Michaelis 1186 o. früher

Beschreibung

Figürliche Darstellung der Seligpreisungen bzw. einzelner Tugenden.1) Stuck. In den Arkadenzwickeln des südlichen Seitenschiffs sind über den Kämpferplatten der Säulen acht flachreliefierte, schlanke, 1,50 m große Figuren mit vollplastischen Köpfen angebracht. Sie halten Spruchbänder in beiden Händen, auf denen Kratz am 27. Oktober 1847 „durch Fortnahme der alten Kalkschichten“ Inschriften freigelegt hat (von Osten nach Westen: A2–H2), die bereits kurze Zeit später wieder übertüncht worden sind.2) Fünf der acht Figuren tragen Nimben, neben denen Beischriften (B1–H1) angebracht waren. Die vorletzte Figur trägt eine in jüngerer Zeit hinzugefügte Krone.3) Kratz hat von den Inschriften A2–H2 flüchtige Skizzen angefertigt, aus denen hervorgeht, daß Inschrift H2 zweizeilig, die übrigen einzeilig ausgeführt waren.4)

Inschriften nach DBHi, HS C 26b.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.5)

  1. A2

    BEATI · PAVPERES · SPIRITV ·

  2. B1

    S(ANC)TA · INDVLGENTIA ·

  3. B2

    BEATI · MITES ·

  4. C2

    BEATI · QVI · LVGENT ·

  5. D1

    S(ANC)TA · IVSTITIA ·

  6. D2

    BEATI · QVI · ESVRIVNT · ET · SITIVNT · IVSTICIAM ·

  7. E1

    S(ANC)TA · MISERICORDIA ·

  8. E2

    BEATI · MISERICORDES ·

  9. F2

    BEATI · MVNDO · CORDEa)

  10. G1

    S(ANC)TA · PAX ·

  11. G2

    BEATI · PACIFICI ·

  12. H1

    S(ANC)TA · PATIENTIA ·

  13. H2

    BEATI · QVI · PERSECVTIONEM · PATI/VNTUR · PROPTER · IVSTITIAM ·6)

Übersetzung:

Selig sind die im Geist Armen. (A2) Die heilige Nachsicht. Selig sind die Sanftmütigen. (B1, B2) Selig sind, die trauern. (C2) Die heilige Gerechtigkeit. Selig sind, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten. (D1, D2) Die heilige Barmherzigkeit. Selig sind die Barmherzigen. (E1, E2) Selig sind, die reinen Herzens sind. (F2) Der heilige Frieden. Selig sind die Friedfertigen. (G1, G2) Die heilige Geduld. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden. (H1, H2)

Kommentar

Die figürlichen Darstellungen der Seligpreisungen sind wahrscheinlich im Rahmen der Baumaßnahme entstanden, die mit der Neuweihe aller Altäre der Kirche am Michaelisfest des Jahres 1186 abgeschlossen war.7)

Kratz gibt die Inschriften der Spruchbänder in einer reinen Kapitalis ohne Ligaturen und Abkürzungen wieder. Die fehlerhafte zeichnerische Wiedergabe in der Handschrift HS C 931 (vgl. Anm. a) spricht allerdings dafür, daß in MVNDO auch runde Buchstaben verwendet wurden.

Auffällig ist, daß nur fünf der Figuren Nimben tragen. Genau diese fünf sind mit dem Namen einer Tugend und dem Zusatz SANCTA bezeichnet.8)

Textkritischer Apparat

  1. MVNDO · CORDE] MODO OCORDE HS C 931 (Zeichnung Kratz).

Anmerkungen

  1. In der Marienkapelle des Magdeburger Doms sind die Seligpreisungen ebenfalls figürlich dargestellt. Auch sie tragen Schriftbänder mit den entsprechenden Zitaten aus der Bergpredigt. Sie sind um 1160 entstanden, vgl. Martin Gosebruch: Die Magdeburger Seligpreisungen. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38 (1975), S. 97–126.
  2. DBHi, HS C 26b, S. 71f.
  3. Kat. Bernward 2, S. 617.
  4. DBHi, HS C 931, o. S.
  5. Angabe der Schriftart nach den Skizzen bei Kratz, ebd.
  6. Die Texte A2–H2 geben jeweils die Anfänge der Verse Mt. 5,3–10 wieder.
  7. UB Hochstift, Nr. 441; s. a. Die jüngere Hildesheimer Briefsammlung, hg. von Rolf de Kegel. München 1995 (MGH Epistolae 7), Nr. 99; s. a. Kat. Der vergrabene Engel, S. 17.
  8. Die Verbindung von Tugenden und Seligpreisungen geht grundsätzlich auf Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam, Buch 5, 62–68 zurück (CCSL 14, hg. von M. Adriaen. Turnhout 1957, S. 157f.). Dort sind allerdings nur die vier Kardinaltugenden den vier Seligpreisungen des Lukas-Evangeliums zugeordnet. Mit dem Inschriftenprogramm der Hildesheimer Darstellung stimmt nur die Zuordnung von Iustitia zu Beati qui esuriunt et sitiunt überein.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 26b, S. 72.
  2. DBHi, HS C 931, o. S.
  3. Slg. Rieckenberg, S. 332–342.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 44(†) (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0004409.