Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 19† St. Michaelis, Bernwardkrypta 1022 o. später

Beschreibung

Epitaph für Bischof Bernward. Nach der Vita Bernwardi (Kapitel 57) „erblickt man ... zur rechten Seite des Grabes oben auf einer Säule1) folgende Inschrift“ (cernitur ... ad dextram partem sepulchri, super columpnarum conscriptio talis). Es folgt der Text, über den Inschriftenträger ist jedoch nichts mitgeteilt. Die früheste erhaltene Aufzeichnung bietet die älteste vollständige Handschrift der Vita Bernwardi.2) Den jüngeren Erwähnungen des Epitaphs, die um 1500 einsetzen, liegt wahrscheinlich keine Autopsie zugrunde.3)

Inschrift nach Hannover, HSTA, MS F 5.

  1. Haca) tumulib) fossa clauduntur p(rae)sulis ossa · BERWARDIc) · Miri magnificiq(ue)d) VIRI · Qui patriae stemmae) radians ut gemma serenaf) · Acceptus domino · complacuit p(o)p(u)log) · Nam fuit aeccl(esi)ae condignus episcopus illeh) · Que(m) d(eu)s emmanuel diligati) et Michahel · Tande(m) bis senis undeno mense kalendis4) · Felix hanc uitam mutat in ANGELICA(M) ·

Übersetzung:

In diesem Grab sind die Gebeine des Bischofs Bernward eingeschlossen, eines erstaunlichen und wunderbaren Mannes. Dieser, Schmuck seiner Vaterstadt, strahlend wie ein leuchtender Edelstein, Gott wohlgefällig, war beliebt beim Volk. Er war nämlich wirklich ein würdiger Bischof seiner Kirche, der verdient, daß [unser] Gott Emmanuel und Michael ihn lieben. Schließlich vertauschte er zweimal sechs Tage vor den Kalenden im elften Monat glücklich dieses [irdische] Leben mit dem der Engel.

Versmaß: Vier elegische Distichen, das erste zweisilbig, die übrigen einsilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Entstehungszeit des Epitaphs läßt sich nur sehr vage eingrenzen auf die Zeit zwischen dem Todesjahr Bernwards, 1022, und dem Jahr 1193, aus dem die Handschrift der Vita Bernwardi stammt.

Seit dem frühen 16. Jahrhundert wird die Legende tradiert, daß Bischof Benno von Meißen († 1105 oder 1107) dieses Epitaph verfaßt habe (Berges in B/R, S. 104). So schreibt z. B. Moekerus5): Benno Episcopus Misnensis tunc, cum Bernuuardus Episcopus moreretur, adolescens quindecim annorum et Hyldesij, vbi natus est, sub parentum suorum cura et inspectione literis inuigilans tale fecit mortuo Epitaphium ‚Benno, Bischof in Meißen, hat damals, als Bischof Bernward starb, als Jüngling von 15 Jahren, und während er sich in Hildesheim, wo er geboren wurde, unter der Sorge und der Aufsicht seiner Eltern mit Eifer seiner Bildung widmete, für den Toten dies Epitaph verfaßt.’ Eines der frühesten Zeugnisse für diese Zuschreibung überliefert die nach 1516 entstandene Handschrift DBHi, HS 123b. Dort findet sich fol. 27r am Schluß einer Überlieferung der Vita Bernwardi im Anschluß an die oben zitierte Lokalisierung des Epitaphs der rot geschriebene Eintrag: Versus cuiusdam episcopi bennonis vt aiunt misnensis de laude sancti bernwardi episcopi ‚Verse eines Bischofs, angeblich des Bischofs Benno von Meißen, über das Lob des heiligen Bischofs Bernward’. Schreiber und wohl auch Redaktor der Handschrift war Henning Rose,6) der seit 1512 als Profeß in St. Michaelis nachzuweisen ist und der als die zentrale Hildesheimer Figur im Kanonisierungsprozeß für Benno von Meißen zu gelten hat.7) Er ist der Verfasser des von Hieronymus Emser für die Vita Bennonis benutzten antiquissimus libellus (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 27045), den Emser „als aus bester Hildesheimer Quelle stammend“ benennt (Berges in B/R, S. 104). Dieser antiquissimus libellus erweist sich wie auch die übrigen zitierten Spuren Bennos in Hildesheim8) – einschließlich der Verfasserschaft des Epitaphs – als Fälschung, deren Anlaß wohl in dem Wunsch einer engen Anbindung des Hildesheimer Michaeliskonvents an einen weiteren Heiligen neben Bernward zu sehen ist.

Textkritischer Apparat

  1. E-caudata wird als ae wiedergegeben, Groß- und Kleinschreibung wie in der Handschrift.
  2. tumuli] humili Moekerus.
  3. BERWARDI] Barwardi HS 118b, Blum.
  4. magnificiq(ue)] mirificique HS 118b, Blum.
  5. Qui patriae stemma] stemmate qui patrio HS 129, qui propter stemma Chronica.
  6. ut gemma serena] velut inclyta gemma Moekerus, HS 118b, Chronica, HS 129, Blum; ut inclyta gemma HS 123b.
  7. Acceptus ... p(o)p(u)lo] magna fuit patriae gloria lausque suae Moekerus, Chronica; acceptus populo complacuit Domino HS 123b, Calvör.
  8. Nam ... ille] magna fuit patria gloria lausque sua Blum.
  9. diligat] diligit Moekerus, Chronica, HS 129, Blum.

Anmerkungen

  1. Zur Diskussion des Standorts aufgrund der verschiedenen Angaben super columnarium und super columpnarum sowie super unam columpnarum (Konjektur Eickermann) vgl. Rieckenberg in B/R, S. 179f. Die Standort-Angabe dürfte ursprünglich wohl super columnam gelautet haben.
  2. Hannover, HSTA, MS F 5. – Der ältere Dresdner Codex (Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mscr. Dresd. J 206) enthält diese Schlußkapitel der Vita Bernwardi nicht, vgl. Einleitung zur Vita Bernwardi, S. 269 und Apparateintrag S. 356.
  3. Calvör, Saxonia, S. 431, § 249 überliefert außer diesem Epitaph noch ein zweites: Nicht allein aber das / sondern man hat ihn gar zu einem Wunder=Mann nach seinem Tode machen wollen / gestalt dahin zielet folgendes Epitaphium: Bernwardus Praesul, coelestis culminis exul, / Istic dum viveret, ne luce Christi careret, / Omnia cernenti studuit parere parenti, / Miraclis clarus iacet hic Christo bene carus. / Cui Deus in coelis rapto, ducta (lies ductu) Michaelis, / Dignum coelicolis praestitit esse suis. Hierbei handelt es sich sicher nicht um ein weiteres Epitaph Bernwards, sondern um die Grabschrift Bischof Bernhards (vgl. Nr. 35).
  4. 20. November.
  5. Antonius Moekerus: Hyldesia Saxoniae. Frankfurt/M. 1573, S. 13. Moeker geht fälschlicherweise davon aus, daß sich das Epitaph im Dom befand und daß Bernward im Jahr 1024 gestorben ist.
  6. Zu dieser Handschrift vgl. Kat. Bernward 2, S. 538–540, hier S. 538, und Rädle, Benno von Meißen, S. 271–304.
  7. Richard Doebner: Aktenstücke zur Geschichte der Vita Bennonis Misnensis. In: Doebner, Studien, S. 135–148, hier S. 136.
  8. Wolfgang Petke: Zur Herkunft Bischof Bennos von Meißen, des Patrons Münchens, Altbayerns und des Bistums Meißen. In: Archivalische Zeitschrift 66 (1970), S. 11–20, hier S. 12 u. S. 18f.

Nachweise

  1. Hannover, HSTA, MS F 5, S. 80.
  2. Vita Bernwardi, S. 360.
  3. DBHi, HS 123b, fol. 27v–28r.
  4. Antonius Moekerus: Hyldesia Saxoniae. Frankfurt/M. 1573, S. 13.
  5. DBHi, HS 118b, fol. 45v.
  6. DBHi, HS 131, fol. 3v.
  7. DBHi, HS 129, S. 34.
  8. Chronica episcoporum Hildensheimensium nec non abbatum monasterii S. Michaelis. In: Leibniz, Scriptores 2, S. 784–806, hier S. 787.
  9. Calvör, Saxonia, S. 431, § 249.
  10. Blum, Fürstenthum Hildesheim 2, S. 102.
  11. MGH Poetae 5, S. 457 (Anm.).
  12. Berges in B/R, S. 104f.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 19† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0001903.