Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 781 Dom-Museum 16.–18. Jh.

Beschreibung

Elfenbeintafel mit einer Reliefdarstellung der Kreuzabnahme Christi.1) Die Tafel ist im 11. Jahrhundert in Konstantinopel entstanden. Wann das Stück nach Hildesheim gekommen ist, läßt sich nicht eindeutig feststellen. Das Domschatzinventar von 1438 nennt ein im Besitz des Doms befindliches Plenar, in dessen Deckel ein Relief mit der Kreuzabnahme eingelassen war.2) Da keine nähere Beschreibung gegeben wird, ist nicht entscheidbar, ob es sich dabei um dieses Elfenbein handelt; denn einer Verzeichnung des Hildesheimer Kunstsammlers Franz Engelke (1778–1856) zufolge, die das Elfenbeinrelief und die Inschrift eingehend beschreibt und zeichnerisch dokumentiert, gehörte dieses Elfenbeinrelief ursprünglich nach St. Michaelis und nicht in den Domschatz.3) Die Inschrift ist auf den Außenseiten des Rahmens der Elfenbeintafel eingraviert und mit dunkler Farbe gefüllt, der Schluß steht auf der Stirnseite des oberen Rahmens. Die Versalien sind durch rote Farbe herausgehoben. Die Anbringung auf den Außenkanten des Rahmens setzt voraus, daß das Elfenbein zu dem Zeitpunkt, als die Inschrift eingeschnitten wurde, nicht mehr in einen Buchdeckel inseriert war.

Maße: H.: 13 cm; B.: 10 cm; Bu.: 0,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Buchschrift mit Versalien.

Frank Tomio [1/5]

  1. Bernwardus Hildenesemensis / Episcopus. Anno Dominia) Millesimo VI. / Pontificis Ordinationis Anno / XXII · Explicui ad Diem Sancti Michaelis4) // archangelib) · in nomine Domini.

Übersetzung:

Ich, Bischof Bernward von Hildesheim, habe [dies] im Jahr des Herrn 1006 im 22. Jahr meiner Bischofsordination am Tag des heiligen Erzengels Michael im Namen des Herrn fertiggestellt.

Kommentar

Bereits Engelke hat mit Verweis auf die verwendete Schriftart erklärt, daß die Inschrift auf keinen Fall aus dem Jahr 1006 stammen könne.5) Vielmehr sei sie zu einem nicht sicher festlegbaren späteren Zeitpunkt nachträglich auf der Tafel angebracht worden, wohl in der Absicht, mit diesem Elfenbein etwa analog zu dem auf dem „Kostbaren Evangeliar“ angebrachten Deesis-Relief (Nr. 4) eine weitere Bernwardreliquie zu schaffen. Berges hat die Inschrift aufgrund der verwendeten spätmittelalterlichen Buchschrift in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert.6) Einzelne Auffälligkeiten sprechen aber eher dafür, daß die Schrift von einem mit der spätmittelalterlichen Buchschrift nicht mehr selbstverständlich umgehenden Schreiber ausgeführt wurde:7) die Oberlänge des t reicht wie bei den Buchstaben d, f, h und l über das Mittelband hinaus, während in den Buchschriften des 15. Jahrhunderts t weitgehend ins Mittelband gestellt wird; auffällig ist weiterhin, daß nahezu jedes Wort des Inschriftentexts mit einem Versal beginnt und daß auch im Wortinneren ausschließlich das runde Schluß-s verwendet wird. Die üblichen Abkürzungen werden nicht benutzt. Diese Beobachtungen einer „unprofessionellen“ Ausführung bestätigt auch das verwendete Formular. Ungewöhnlich ist das absolut gebrauchte explicui in der hier vorliegenden Verwendung; außerdem entspricht das Prädikat in der 1. Singular nicht dem Typus der authentischen bernwardinischen Künstlersignaturen, die die Form Bernwardus fecit hoc, B. conflare iubebat etc. haben. Weiterhin ist die Angabe des Ordinationsjahres falsch: 1006 ist nicht das 22. Ordinationsjahr Bischof Bernwards, der am 25. Januar 993 geweiht wurde.8) Die Entstehungszeit der Inschrift läßt sich nur sehr vage auf die Zeit zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert festlegen.

Textkritischer Apparat

  1. Domini] Fehlt Berges.
  2. archangeli] archangali Rieckenberg. Zu lesen ist archangeli. Am oberen Bogenende des gerundeten e setzt ein zum Buchstabeninneren hin verlaufender Strich an – wahrscheinlich ein Gravierfehler. Dieser Strich endet aber nicht wie der Schaft des voraufgehenden doppelstöckigen a auf der Grundlinie.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr.: DS 11.
  2. Vgl. DBHi, HS 272d, fol. 14v: Domschatzverzeichnis von 1438 (Abschrift Kratz): Item eyn Plenarius bouen vmme her getziret myt suluere ende myt edelen steynten, bynnen ynne eyn veerpas van elpenbene dar is ynne gegrauen alseme vnsen heren van deme cruce nympt. ‚Vierpaß‘ kann im Niederdeutschen sowohl ‚Quadrat‘ als auch ‚Vierpaß‘ im heutigen Sinn heißen.
  3. DBHi, HS C 375, Einzelblatt.
  4. 29. September.
  5. Wie Anm. 3.
  6. Vgl. die zusammenfassenden Ausführungen zur Datierung von Berges in B/R, S. 46.
  7. Auch Schuffels in: Kat. Bernward 2, S. 554f. geht wohl von einer neuzeitlichen Datierung aus. – Für die Beurteilung des buchschriftlichen Sachverhalts danke ich Herrn Professor Dr. Nikolaus Henkel, Hamburg.
  8. Berges (B/R, S. 46) hat für die Datierung nach dem Ordinationsjahr die Dotationsurkunde Bernwards für St. Michaelis vom 1. November 1019 als Parallele benannt (UB Hochstift 1, Nr. 62). Der Herausgeber des Urkundenbuchs, Karl Janicke, weist allerdings darauf hin, daß dieses auffällige Datierungsformular Zutat des Schreibers ist.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 375, o. S.
  2. Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 112.
  3. Elbern/Reuther, Domschatz, S. 24.
  4. Kat. Bernward 2, S. 554 mit Abb.
  5. Berges in B/R, S. 46; Rieckenberg in B/R, S. 170, Abb. Tafel V, Nr. 1.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 781 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0078107.