Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 658† Andreasplatz 28 (no. 1799) 1623

Beschreibung

Haus. „Pfeilerhaus.“1) Fachwerk. Das dreigeschossige Haus mit drei Giebelgeschossen war an der Giebelseite zum Andreasplatz sechs Gefache breit. Das Untergeschoß des Hauses bestand aus einer Durchfahrt, die an der Fassade von drei Sandsteinpfeilern begrenzt war, auf denen die – als Verlängerung eines älteren Gebäudes angelegten – Obergeschosse ruhten. Einer der Sandsteinpfeiler war von einem kleinen Raum, einer „Stube“, umgeben. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Jahreszahl A befand sich am Kapitell des östlichen Pfeilers, die Inschriften B im ersten Geschoß in den Brüstungstafeln an der Ostseite des Durchfahrt-Überbaus als Beischriften zu Darstellungen der Planeten, der Pallas Athene und des Vulcanus, Inschriften C in den Brüstungstafeln des zweiten Obergeschosses neben weiteren Darstellungen der Planeten. Von den Brüstungstafeln (B) hat sich im Roemer-Museum ein Gipsabguß mit der Darstellung des Vulcanus erhalten.2) An der westlichen Seite des Durchfahrt-Überbaus im ersten Obergeschoß Inschriften D, im zweiten Obergeschoß E als Beischriften zu Darstellungen der Musen. Die Inschriften F und G waren an der der Andreaskirche zugewandten Südseite auf einem Schwellbalken angebracht und zum Teil durch einen jüngeren Anbau verdeckt. Auf den mittleren Brüstungstafeln des ersten Stockwerks zwei Wappen – heraldisch rechts die Hausmarke Peine (H26), links das Wappen Linnen – mit den Beischriften H, rechts und links davon je zwei weitere Brüstungstafeln mit allegorischen Darstellungen von Tugenden, dazu die Beischriften I. Die Brüstungstafeln mit den Inschriften I sind als Gipsabgüsse im Roemer-Museum vorhanden.3) Die Inschriften J in den Brüstungstafeln des zweiten Obergeschosses als Beischriften zu weiteren allegorischen Darstellungen von Tugenden. Die Inschriften K im ersten Giebelgeschoß, L im zweiten Giebelgeschoß, M im Giebeldreieck, jeweils als Beischriften neben weiteren Darstellungen einzelner Tugenden.

Inschrift A nach DBHi, HS 789; B und C nach Photo Roemer-Museum H 4512/69a; D und E nach Photo Roemer-Museum H 2345; F–H nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten; I nach Gipsabguß Roemer-Museum; J–M nach Photo Roemer-Museum H 6840 und Kd. Hildesheim, Bürge

Maße: H.: 53 cm; B.: 93,5 cm; Bu.: 5 cm (B, gemessen die Tafel mit der Darstellung des Vulcanus). H.: 56,5 cm; B.: 113 cm; Bu.: 6,5 cm (I, gemessen die Tafel mit der Darstellung der Caritas).

Schriftart(en): Kapitalis (C–F, H, I) mit einzelnen Minuskel-t (B, J–M).

  1. A

    1 · 6 · 2 · 3

  2. B

    LVNA // PALLAS // NEPtVNVS // VVLCAN(VS)

  3. C

    MARS // SOL // VENVS

  4. D

    VRANIA // POLIMNIA // EVTERPE // TERPSICHORE

  5. E

    TALIA // CLIO // ERATO // CALLIOPE

  6. F

    MENS VNI CONFISA DEO MENS CONSCIA RECTI4) CONTEMNET MORSVS INVIDE MOME5) TVOS

  7. G

    Traw Gott dein gut gewissen betracht Mißgunst der menschen wenig acht

  8. H

    Ra) CVRDT · PEINE // ILSE · LINNEN

  9. I

    PIETAS // FIDES // SPES // CHARITAS

  10. J

    PRVDENTIA // CANDOR // HVMANItAS // PARSIMONIA // DILIGE(N)tIA // LABOR

  11. K

    LIBERALItAS // PAX // CONCORDIA // AMOR6) // CAStItASb) MANSVEtVDc)

  12. L

    VERItAS // CONStANtIA // MISERIC(ORDI)A // HVMILIAd)

  13. M

    IVStItIA

Übersetzung:

Mond. Pallas. Neptun. Vulcanus. (B)

Mars. Sonne. Venus. (C)

Ein Sinn, der allein auf Gott vertraut, ein Sinn, der sich des Rechten bewußt ist, wird deine Bisse, mißgünstiger Momos, verachten. (F)

Frömmigkeit. Glaube. Hoffnung. Liebe. (I)

Klugheit. Aufrichtigkeit. Menschlichkeit. Sparsamkeit. Sorgfalt. Anstrengung. (J)

Großmut. Friede. Eintracht. Liebe. Keuschheit. Sanftmut. (K)

Wahrheit. Beständigkeit. Barmherzigkeit. Demut. (L)

Gerechtigkeit. (M)

Versmaß: Elegisches Distichon (F).

Wappen:
Peine*, Linnen7)

Kommentar

Die in den Inschriften D und E genannten acht der neun Musen sind folgenden Künsten zuzuordnen: Urania der Sternkunde, Polyhymnia dem Tanz, der Pantomime und der Geometrie, Euterpe der Flötenmusik, Terpsichore der Lyra, Thalia der Komödie und der Unterhaltung, Clio der Geschichte und dem Epos, Erato dem Gesang und dem Tanz sowie Kalliope dem Saitenspiel und der heroischen Dichtung. Es fehlt Melpomene, die Muse der Tragödie und des Trauergesangs.8) Die Inschriften F und G sind als lateinisch-deutsche Parallelversionen angelegt.

Cord Peine, Sohn des gleichnamigen Vaters und der Katharina Wrisberg, ist seit 1609 mehrfach als Ratsmitglied nachzuweisen.9) Er gehörte der Wollenweber- und der Brauergilde an. Um das Jahr 1604 heiratete er Ilse Linnen, die 1625 starb. In zweiter Ehe heiratete er Anna Steffens. Cord Peine starb im Jahr 1651 und wurde in St. Andreas begraben.10)

Textkritischer Apparat

  1. Steht für Riedemeister’.
  2. CAStItAS] CAST(I)DHAS Kd.
  3. MANSVEtVD] Zu ergänzen zu MANSVEtVDO.
  4. HVMILIA] Nach Kd., wahrscheinlich im Original fehlerhaft für HVMILITAS.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach Photo Roemer-Museum H 4512/69a und H 2345. Ausführliche Beschreibung in Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 268–270. Attribute der personifizierten Darstellungen und Besonderheiten in der Ausführung s. dort. Lokalisierung von Inschrift A nach DBHi, HS 789, fol. 433v.
  2. Roemer-Museum Gipsabguß, Inv. Nr.: H 4166, früher Bestand des Andreas-Museums (AM 634).
  3. Gipsabgüsse ohne Inventarnummern.
  4. mens conscia recti, vgl. Vergil, Aeneis I, 604.
  5. Momos ist die Personifizierung der Tadelsucht.
  6. Amor kommt nach Zeller in den Reihen von personifizierten Darstellungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert normalerweise nicht vor, vgl. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 270.
  7. Wappen Linnen (Baum auf Hügel). Vgl. StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/9, Kasten 31.
  8. Vgl. Der Kleine Pauly, hg. von Konrat Ziegler und Walter Sontheimer. München 1979, Bd. 3, Sp. 1477.
  9. Zu Cord Peine vgl. den Kommentar zu Nr. 592.
  10. Vgl. Schlotter, Hildesheimer Familiengeschichten, S. 164f.

Nachweise

  1. DBHi, HS 789, fol. 433v–434r.
  2. Photo Roemer-Museum H 4512/69a, H 2345, H 6840.
  3. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 269f.
  4. Roemer-Museum, Inv. Nr.: H 1861, Aquarell Heyer (H, I [Ausschnitte]).
  5. Slg. Rieckenberg, S. 1042.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 658† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0065803.