Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 521(†) Rathausstr. 21 (no. 385) / Roemer-Museum 1598, 1601

Beschreibung

Haus. Fachwerk. Das zehn Gefache breite, vier Geschosse und zwei Dachgeschosse hohe, an der Ecke zur Judenstraße gelegene Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Der traufenständig zur Rathausstraße gelegenen Fassade waren rechts und links zwei viergeschossige, drei Gefache breite Erker vorgebaut, in der Mitte ein zweigeschossiges, spitzgiebliges Zwerchhaus. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Fassade rekonstruiert und vor das moderne Gebäude gesetzt.1) Die folgende Beschreibung bezieht sich auf das zerstörte Haus.2) In den Brüstungstafeln des ersten Obergeschosses waren einzelne Tugenden als Frauengestalten dargestellt mit den Beischriften A. In den Brüstungstafeln am zweiten Obergeschoß allegorische Darstellungen der Sieben freien Künste mit den Beischriften B. Zwischen den Figuren der Geometrie und der Astrologie eine sitzende Frau, Seifenblasen produzierend, mit der Jahreszahl, zwischen der Arithmetik und der Musik zwei freie Felder mit einer modernen Renovierungsinschrift.3) Zwischen der Rhetorik und der Arithmetik in der seitlichen Brüstungstafel des rechten Erkers ein Hirsch, in der seitlichen Brüstungstafel des linken Erkers eine Frau mit Kanne und Becher (ohne Beischriften). Am dritten Obergeschoß befanden sich Darstellungen der Vier Elemente und der Sieben Todsünden mit Beischriften C, in der Mitte das Wappen der Stadt Hildesheim. Auf den beiden linken Brüstungstafeln im zweiten Geschoß des Zwerchhauses zwei springende Pferde mit den Inschriften D. Auf den Türständern zwei Wappen. Auf dem Türsturz Inschrift E sowie heraldisch rechts die Hausmarke des Hans Storre im Wappenschild mit den Initialen F. Heraldisch links das Wappen der Margarete Bex. Auf den Schwellbalken des ersten Obergeschosses am linken Erker Inschrift G, am rechten H. Auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses verlief über die gesamte Hausbreite, am linken Erker beginnend, Inschrift I. Am Stallgebäude des Hauses waren zwei hochrechteckige Wappensteine angebracht, die nach Abriß des Stalls in einer Toreinfahrt Judenstr. 1 eingemauert waren und zum Zeitpunkt der Aufnahme (Sommer 2000) im Roemer-Museum aufbewahrt wurden.4) Der eine zeigt im vertieften Innenfeld die Hausmarke des Hans Storre im Wappenschild begleitet von den Initialen J mit Beischrift K und in den vier Ecken des Innenfeldes die vier Ziffern der Jahreszahl L, der andere das Wappen Bex mit Beischrift M. Auf dem linken Rand des Steins mit dem Wappen Bex ein Steinmetzzeichen (M15). Sämtliche Inschriften sind oder waren erhaben ausgeführt, in G, H und I stehen Doppelpunkte als Worttrenner, in E querliegende Rauten nach den Namen.

Inschriften A, B, E–I nach Photo NLD; C, D nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten.

Maße: H.: 55 cm; B.: 42 cm; Bu.: 4,6 cm (J–M).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (A, B, F, J), Fraktur (E, K, M), schrägliegende Fraktur (G, H, I).

  1. A †

    VERITAS // IVSTITIA // CARITAS // SPES // OPVLENTIA // PRVDEN/TIA // FORTITVDO // VIRTVS // TEMPORAN/TIAa) PATIENTIA // FIDES

  2. B †

    GRAMMATICA // DIELECTICAb) // RHETORICA // ARTHMETCAc) // MVSICA // GEOMETRIA // 1598 // ASTROLOGIA

  3. C †

    TERRA // AQVA // IGNIS // AVARITIA // AER // PIGRITIA5) // SVPERBIA // LVXVRIA // GVLA // INVIDIA // IRA

  4. D †

    DIES // NOX

  5. E †

    Hans Storre · Morgreta Bex · 15 98

  6. F †

    H(ANS) S(TORRE)

  7. G †

    De Segen des Hern · De deit dich din gvdt vormern · So dv dich deist mitt ehren Ehrneren6) ·

  8. H †

    Affgvnst der lvde kan dich nich Schaden · Was Godt will das mvis geradenn7) ·

  9. I †

    Wol Godt vor Trvwet · Hefft Woll gebvwet8) · Dat Ohme nith rvwet · / Wath der Leiffe Godt Bescheret Dath blifft alles Vngewereth / Min anvanck vnd min Ende · Steidt Stedes in Goddes Henden 9)

  10. J

    H(ANS) S(TORRE)

  11. K

    Hans S[t]orre

  12. L

    1601d)

  13. M

    [Mar]greta Bex

Übersetzung:

Wahrheit. Gerechtigkeit. Liebe. Hoffnung. Reichtum. Klugheit. Stärke. Tapferkeit. Mäßigung. Geduld. Glaube. (A)

Erde. Wasser. Feuer. Geiz. Luft. Faulheit. Hochmut. Genußsucht. Völlerei. Neid. Zorn. (C)

Tag. Nacht. (D)

Wappen:
Altstadt Hildesheim, neu*; ?10); ?11); Storre12); Bex13)

Kommentar

Der Tuchhändler Hans Storre heiratete im Jahr 1593 Margarete Bex (geb. 29. Dezember 1570), die Tochter des Hildesheimer Bürgers und Ratsmitgliedes Hans Bex und der Clara Nessels. Aus der Ehe gingen sechs Söhne und zwei Töchter hervor. Hans Storre starb im Jahr 1610, Margarete Bex am 10. April 1639.14)

Textkritischer Apparat

  1. TEMPORAN/TIA] Statt TEMPERANTIA.
  2. DIELECTICA] Statt DIALECTICA.
  3. ARTHMETCA] Statt ARITHMETICA.
  4. 1601] 1611 Struckmann.

Anmerkungen

  1. Vgl. Dietrich Klose: Die Rekonstruktion der Südseite des Marktplatzes. In: Walter Achilles u. a.: Der Marktplatz zu Hildesheim. Dokumentation des Wiederaufbaus. Hildesheim 1989, S. 133–150.
  2. Beschreibung nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 236–240.
  3. Storre-Haus / Erbaut 1598. // Wiederherge/stellt i. J. 1924.
  4. StaHi, Bestand 717, Nr. 1–8: Inventar Kampen, Nr. 631 und Nr. 632.
  5. Pigritia steht hier an Stelle von Acedia.
  6. ‚Der Segen des Herrn vermehrt dir deinen Besitz, wenn du dich in Ehren ernährst.‘ Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 4, Sp. 500, Nr. 3.
  7. ‚Mißgunst der Leute kann dir nicht schaden, was Gott will, das muß geraten.‘
  8. Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 90, Nr. 2200.
  9. ‚Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut, es wird ihn nicht gereuen. Was der liebe Gott beschert, das bleibt alles unbestritten. Mein Anfang und mein Ende steht stets in Gottes Händen.‘
  10. Wappen ? linksgewendet (Storch). Unter der Voraussetzung, daß der Eigentümer Storre neben der Hausmarke auch noch ein redendes Wappen geführt hat, wäre es vielleicht der Familie Storre zuzuordnen.
  11. Wappen ? (Löwe oder Greif). Es handelt sich weder um das Wappen der ersten Frau des Hans Storre, Dorothea Dünten, noch um das seiner Mutter, die aus der Familie Rosen stammte. Das Wappen Dünten zeigt zwei gekreuzte Blashörner (vgl. Nr. 648), das Wappen Rosen eine Rose. Vgl. das Epitaph des Hans Storre und der Margarete Bex in St. Andreas.
  12. Wappen Hans Storre (H19).
  13. Wappen Bex (gespalten, vorne drei Blätter 2:1, hinten zwei senkrecht gestellte, aneinander anstoßende Maueranker übereinander); ursprünglich wohl schlangenkopfendige Maueranker, vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 86, Tafel 110 Stammwappen: Ankerkreuz, dessen Spitzen in Drachenköpfe ausgehen.
  14. Biographische Daten nach: Leichenpredigt für Margarete Bex, gehalten von Barward Rhesen. Hildesheim 1639. Exemplar: Göttingen, SUB, 4° Conc. fun. 35/27; Schlotter, Hildesheimer Familiengeschichten, S. 166f.

Nachweise

  1. NLD, Photoarchiv, Hildesheim, Rathausstr. 21, Repro R 88-473/17 u. Repro R 88-476/11.
  2. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 237f., S. 240, S. 259 (K, M).
  3. Struckmann, S. 79, Nr. 646 (K–M).
  4. Slg. Rieckenberg, S. 919f., zwei Photos.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 521(†) (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0052101.