Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 478† Langer Hagen 12 1585–1587

Beschreibung

Brunnen. „Dianabrunnen.“ Sandstein. Der Brunnen befand sich ursprünglich im Hof des Kaiserhauses. Seine ursprüngliche Gestalt ist nicht bekannt. Im 19. Jahrhundert war der Brunnen zerstört und in seine Einzelteile zerstreut.1) 1908 wurde er durch Helfried Küsthard wieder zusammengesetzt2) und im Zweiten Weltkrieg endgültig zerstört.

Über einem runden Brunnenbecken erhoben sich nach der Rekonstruktion durch Küsthard drei Hermen, auf denen ein Kranzgesims aufruhte, das die Bekrönung trug. Auf dem Architrav dieser Bekrönung befanden sich die Inschriften. Die Wände des Brunnenbeckens zeigten Szenen aus den Metamorphosen des Ovid. In querrechteckigen Feldern: Aktäon, der Diana im Bad überrascht und dafür in einen Hirsch verwandelt wird; Hero und Leander und die Rettung Arions durch einen Delphin. Zwischen den querrechteckigen Feldern an den Untersätzen der drei den Architrav tragenden Hermen drei hochrechteckige Felder mit den Darstellungen: Pygmalion und die belebte Elfenbeinstatue; die Verwandlung der Nymphe Syrinx vor dem sie verfolgenden Waldgott Pan; Narziß, der sein Spiegelbild im Brunnen bewundert und stirbt.3) Es ist fraglich, ob die Inschriftensteine auch in der ursprünglichen Brunnenanlage als Architrav gedient haben; denn Lossius nennt Anfang des 18. Jahrhunderts als Anbringungsort der Inschriften den „Zuber“.4) Dies scheint dafür zu sprechen, daß sie in unmittelbarer Nähe der zugehörigen Bilder am Brunnenbecken angebracht waren. Allerdings ist nicht sicher, daß Lossius den Brunnen noch im Originalzustand gesehen hat.

Inschrift A nach Photo NLD, B nach Buhlers.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    A PVRO · PVRAa) · DEFLVIT AQVA

  2. B

    PARCITE · DVM · PROPERO · MERGITE · DVM · REDEO5)

Übersetzung:

Aus dem Reinen fließt klares Wasser. (A)

Schont [mich], solange ich eile, versenkt [mich], wenn ich zurückkomme. (B)

Versmaß: Pentameter. (B)

Kommentar

Bilder und Texte des Diana-Brunnens beziehen sich mit Ausnahme der Pygmalion-Szene, in der möglicherweise der Bildhauer sein antikes Vorbild dargestellt hat, im weitesten Sinn auf das Wasser und seine verschiedenen Eigenschaften und Wirkungen. Eine direkte Relation zwischen Text und Bild läßt sich nur zwischen Inschrift B und der Darstellung von Hero und Leander in einem der querrechteckigen Reliefs herstellen. Der Vers (B) ist als trotzig herausfordernde Rede Leanders an die Fluten zu verstehen, bevor er den Hellespont durchschwimmt, um zu seiner Geliebten Hero zu gelangen, etwa in dem Sinn ‚gestattet mir meinen Hinweg, auf dem Rückweg könnt ihr mich immer noch versenken.‘

Die Datierung orientiert sich an den Bauzeiten des Kaiserhauses (vgl. Nr. 467).

Textkritischer Apparat

  1. PVRA] RVRA Kd.

Anmerkungen

  1. Vgl. Helfried Küsthard: Der Dianabrunnen im Hofe des sog. Kaiserhauses. In: Alt-Hildesheim 19 (1941), S. 24–28, hier S. 26.
  2. Die Renovierungsinschrift lautete nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 389: A(DOLF) Z(ELLER) RENOVATVM A(NNO) D(OMINI) 1908 H(ELFRIED) K(ÜSTHARD).
  3. Struckmann hat von den querrechteckigen Reliefs die Darstellung des Aktäon und von den hochrechteckigen Reliefs die Darstellung des Narziß auf Kupferstiche des Virgil Solis bzw. des Gabriel Symeoni zurückführen können. Die auf Virgil Solis zurückgehenden Bildvorlagen stammen aus der Ausgabe: Johannis Posthii Germershemii Tetrasticha in Ovidii Metamorphoseon Libros XV, quibus accesserunt Vergilij Solis figurae elegantissimae et iam primum in lucem editae. Frankfurt 1563. Virgil Solis bezog die Vorlagen für seine Holzschnitte des Aktäon und des Narziß aus: La vita et Metamorfoseo d’Ovidio. Figurato e abbreciato in forma d’Epigrammi de M. Gabriello Symeoni. Lyon 1559. Vgl. Gustav Struckmann: Vorlagen aus dem Jahr 1563 für Hildesheimer Bildhauer- und Schnitzarbeiten. In: Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 9. August 1913; ders.: Vorlagen aus dem Jahre 1559 für Hildesheimer Bildhauer- und Schnitzarbeiten. In: Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 9. April 1914. Lutz hat auch die Darstellung Pygmalions auf Solis zurückgeführt (Gerhard Lutz: Das Kaiserhaus und seine Vorbilder. In: Kaiserhaus, S. 85f.).
  4. Die Inschriftensammlung des Johann Christoph Lossius ist im Zweiten Weltkrieg verlorengegangen. Buhlers (Zerstörte Hildesheimer Haussprüche, S. 233) hat sie für seine Sammlung ausgewertet und Lossius’ Angaben zitiert.
  5. Martial (ed. Lindsay), Epigrammaton liber 25b,4.

Nachweise

  1. NLD, Photoarchiv, Repro R-19398 (A).
  2. Buhlers, Zerstörte Hildesheimer Hausinschriften, S. 233.
  3. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 389, Abb.
  4. Kaiserhaus, Abb. S. 84.
  5. Slg. Rieckenberg, S. 878.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 478† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0047805.