Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 450† Am Steine 11 (no. 1436) 1581, 1615

Beschreibung

Haus.1) Fachwerk. Zu dem dreigeschossigen Haupthaus gehörte ein zur Ritterstraße hin gelegenes acht Gefache breites Nebenhaus. Inschrift A befand sich an der linken Hausecke des Nebenhauses neben zwei Wappen gleichen Inhalts. Inschrift B am Haupthaus auf dem Schwellbalken des ersten Obergeschosses, daneben ein nach heraldisch links fliegender Adler. Inschrift C auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses. Die bereits im 19. Jahrhundert zerstörten, nur von Buhlers nach einer älteren Handschrift überlieferten Inschriften D–F stammen wahrscheinlich auch von diesem Haus. Inschrift D befand sich „oben“, E „in der Mitte“, F „unten“.2) Ob die Inschrift G auch an diesem Haus angebracht war, läßt sich aus den Angaben Buhlers’ nicht sicher erschließen.

Inschriften A–C nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten; D–G nach Buhlers.

  1. A

    H(ERMANN) W(IEHE) 1581

  2. B

    SAPIENTE DIFFIDENTIA NVLLA ALIA RES VTILIOR EST MORTALIBVS3) Anno D(o)m(ini) 1615

  3. C

    CONVICIA SI IRASCARIS AGNITA VIDENTVR SPRETA EXQVIESCVNT

  4. D

    Cum tua pervideas oculis mala lippus inunctis Cur in amicorum vitiisa) tam cernis acutum4)

  5. E

    Quamvis id agas ut ne quis merito te oderit erunt tamen semper qui oderint5)

  6. F

    Multa petentibus desunt multa bene est cui Deus parca quod satis est obtulit manu6)

  7. G

    Medio tutissimus ibis7)

Übersetzung:

Keine andere Sache ist für die Sterblichen nützlicher als kluges Mißtrauen. Im Jahr des Herrn 1615. (B)

Wenn du über Beleidigungen zürnst, erscheinen sie als anerkannt. Sie verstummen, wenn du sie nicht beachtest. (C)

Da du deine eigenen Schlechtigkeiten nur mit eingesalbten Augen wahrnimmst, weshalb siehst du [dann] bei den Lastern der Freunde so scharf hin? (D)

Wie sehr du darauf bedacht bist, daß niemand dich verdientermaßen haßt, es wird doch immer Leute geben, die hassen. (E)

Denen, die viel erstreben, fehlt viel: Der hat es gut, dem Gott mit sparsamer Hand gewährt hat, was ihm genügt. (F)

In der Mitte wirst du am sichersten gehen. (G)

Versmaß: Zwei Hexameter (D).

Wappen:
Wiehe8)

Kommentar

Hermann Wiehe wurde 1540 geboren. Er war verheiratet mit Anna Schwakeheim und starb am 13. Dezember 1596. Seine Witwe heiratete den Neffen ihres Mannes, Henning Wiehe. Mit der Eheschließung ging das Haus Am Steine in seinen Besitz über. Henning Wiehe ist 1608 als Ratsherr nachzuweisen, 1619 starb er an der Pest.9) Er dürfte also das am Haupthaus angebrachte Inschriftenprogramm von 1615 in Auftrag gegeben haben.

Textkritischer Apparat

  1. vitiis] vitas Buhlers.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 325.
  2. Buhlers, Zerstörte Hildesheimer Haussprüche, S. 229.
  3. Ein ähnlich lautendes Sprichwort ist bei Walther nachgewiesen (Proverbia 8, Nr. 38792): Nihil utilius est hominibus quam prudens incredulitas vel diffidentia.
  4. Walther, Proverbia 1, Nr. 4553a, Quelle: Horaz, Sermones, 1,3, 25f.
  5. Walther, Proverbia 4, Nr. 23388a: Quamvis agas, ut ne quis merito tuo te oderit, erunt semper, qui oderint.
  6. Horaz, Carmina III,16, 42–44: multa petentibus / Desunt multa; bene est cui deus obtulit / Parca quod satis est manu. Durch die Textumstellung ist in der Inschrift das Versmaß des Originals zerstört worden. Der Anfang bis multa ist auch sprichwörtlich belegt: Walther, Proverbia 2, Nr. 15409a.
  7. Walther, Proverbia 2, Nr. 14568, Quelle: Ovid, Metamorphosen 2, 137. Der Text ist auch als Motto in emblematischem Kontext benutzt worden, vgl. Henkel/Schöne, Emblemata, Register, S. 1902.
  8. Wappen Wiehe (auffliegender Vogel [Weihe] mit ausgebreiteten Flügeln auf gestümmeltem Ast). Vgl. StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/9, Kasten 32.
  9. Biographische Daten nach Schlotter, Hildesheimer Familiengeschichten, S. 151f.

Nachweise

  1. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 325.
  2. Buhlers, Zerstörte Hildesheimer Haussprüche, S. 229.
  3. Schütte, Hildesheimer Hausinschriften, S. 80.
  4. Slg. Rieckenberg, S. 860.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 450† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0045007.