Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 416(†) Hoher Weg 34 (no. 1803) / Roemer-Museum 1570, 1571, A. 17. Jh.

Beschreibung

Haus. Massives Untergeschoß mit Fachwerkobergeschoß,1) im Jahr 1898 abgebrochen. Erhalten ist ein Türsturz aus dem Untergeschoß mit Inschrift A. Sandstein. Der Sturz wurde nach dem Abbruch des Hauses Hoher Weg 34 am ehemaligen Arneken-Hospital Almsstr. 6/7 angebracht. Zum Zeitpunkt der Aufnahme (April 1999) befand er sich im Lapidarium des Roemer-Museums. Die erhaben in vertiefter Zeile ausgeführte Inschrift A wird zwischen dem Vornamen und dem Familiennamen von zwei Wappen unterbrochen. Die Jahreszahl unterhalb der beiden Wappen. Am neun Gefache breiten und zwei Geschosse hohen Hinterhaus befand sich traufenseitig in einer Brüstungstafel am ersten Obergeschoß die Inschrift B, in einer Brüstungstafel des vier Gefache breiten Giebels dieselben Wappen mit einer auf dem Aquarell nur noch zum Teil lesbaren Inschrift C. Die verlorenen Inschriften D–G waren am Vorderhaus auf den Fensterbrüstungen des Fachwerkobergeschosses angebracht, H befand sich auf dem Schwellbalken des vierten Stocks.2) Wahrscheinlich stammt der zum Zeitpunkt der Aufnahme am Haus Arnekenstr. 6 angebrachte Wappenstein (Nr. 414) ebenfalls von diesem Haus.

Maße: Inschrift B nach DBHi, HS C 761; C nach Roemer-Museum, Inv. Nr.: H 1834 (Aquarell); D–G nach Buhlers, H nach Mithoff.H.: 44 cm; B.: 181 cm; Bu.: 8,3 cm (A).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Fraktur-Versalien (A), Kapitalis (B, C).3)

  1. A

    Henni // Arneken // 1570a)

  2. B †

    HENNI · ARNEKEN ADELHEIT / BRANDES / SIN · HVS=/FRWE / 15/71 / DEN / 19 FEBRV/ARII / HENNI ARNEKEN · FIERI · ME · FECIT 1571

  3. C †

    HENNI ARNEKEN [ - - - ]

  4. D †

    AGROS EGO HAVT PORRECTIORES APPETO NON AVREAM AVTb) GYGIS4) BEATITVDINEM QVAE SIT SATIS SIBI VITA SATIS EADEM EST MIHI ILLVD MIHI NIMIS NIMIS MIHI PLACETc)

  5. E †

    SI TIBI SORS ALIQVID FACIT INVIDIOSA SINISTRI ESSE DIES ET SI FORTE NOVERCA VELITd) PROVIDVS ET PRVDENS TEGE SINGVLA NE QVA VOLVPTAS HOSTIBVS EXSVRGAT CERTIOR INDE TVIS

  6. F †

    CAETERA SI VIS NOSCERE TE IPSVM NOSCERE DISCAS CAETERA SI VIS VINCERE TE IPSVM VINCERE DISCAS NOSCERE SE IPSVM VINCERE SE IPSVM MAXIMA VIRTVS

  7. G †

    INVIDEAT QVI NON VIDET INVIDEAT QVI VIDIT ET NON PERVIDIT NEC MOMVM5) METVO NEC MIMVM

  8. H †

    PVLVERE QVI LAESIT SCRIBATQVE IN MARMORE LAESVS6)

Übersetzung:

Henni Arneken ließ mich 1571 erbauen. (B)

Ich strebe nicht nach besonders ausgedehnten Ländereien oder nach dem goldenen Glück des Gyges; das Leben, das sich selbst genug ist, ist auch mir genug. Dies gefällt mir über die Maßen. (D)

Wenn Dir ein mißgünstiges Geschick etwas Übles zufügt und wenn etwa der Tag wie eine Stiefmutter sein will, verbirg alles vorausschauend und klug, damit deinen Feinden daraus nicht ein unvermeidliches Vergnügen [Schadenfreude] zuteil wird. (E)

Wenn du die anderen Dinge erkennen willst, lerne erst dich selbst zu erkennen. Wenn du die anderen Dinge überwinden willst, lerne dich selbst zu besiegen. Sich selbst zu kennen, sich selbst zu besiegen, ist die höchste Tugend. (F)

Der mag neidisch sein, der nicht sieht. Der mag neidisch sein, der gesehen hat, aber nicht erkannt hat. Ich fürchte weder Momos [den Tadler] noch den Nachäffer. (G)

Derjenige, der verletzt hat, soll in den Staub schreiben. Derjenige, der verletzt worden ist, soll auf Marmor schreiben. (H)

Versmaß: Jambische Trimeter (D), elegische Distichen (E), drei Hexameter, trinini salientes (F), Hexameter (H).

Wappen:
Arneken*, Brandis*

Kommentar

Henni Arneken7) kaufte am 6. März 1570 das Haus Hoher Weg 34 von seinem Schwager Jost Lüdeken.8) Im selben Jahr heiratete er Adelheid Brandis, die Tochter Jost Brandis’ d. Ä. und der Anna Varhirher.9)

Die Inschriften D–H sind wahrscheinlich von Sebastian Trescho, dem Erbauer des Fachwerkobergeschosses, in Auftrag gegeben und vielleicht auch verfaßt worden.10) Sein Bildungsgang, der für den bürgerlichen Späthumanismus als typisch gelten kann, macht ihn als Urheber der Inschriften zumindest erwägenswert: Trescho wurde am 27. November 1569 in Braunschweig geboren, studierte 1581 in Helmstedt, ist 1590 an der Universität in Leipzig und 1594 an der Universität Heidelberg nachzuweisen.11) 1598 heiratete er Adelheid, die Tochter des Bürgermeisters Henni Arneken.12) Er stand als Rat im Dienst des Herzogs Heinrich Julius zu Braunschweig-Lüneburg und hatte eine Vikarie an St. Cyriaci in Braunschweig.13) In den Jahren 1612 und 1614 war er Bürgermeister in Hildesheim. Er starb am 22. Oktober 1616.14)

Für die Inschriften D–H ist keine bestimmte antike Quelle nachzuweisen. Thematisch lassen sie Anklänge an Horaz (D) erkennen, der Bildgebrauch (z. B. Momos, Gyges) ist ebenfalls der Antike verpflichtet. Die besonders betonte stilistische Durchformung ist für Hausinschriften ungewöhnlich. Dazu gehören die Variation der verwendeten Versmaße, die Benutzung von Wortfiguren (z. B. MIHI NIMIS NIMIS MIHI [D]) und paronomastischen Wortspielen (z. B. NEC MOMVM – NEC MIMVM [G]), alliterierende Variationen, wie z. B. LAESIT – LAESVS (H) oder INVIDEAT – VIDET – INVIDEAT – VIDIT – PERVIDIT (G) sowie syntaktische Parallelismen wie die beiden um die zentralen Begriffe NOSCERE und VINCERE konstruierten ersten Verse von Inschrift F und ihre anschließende Zusammenführung.

Textkritischer Apparat

  1. 1570] 1597 Sonntagsblatt.
  2. AVT] Fehlt Sonntagsblatt.
  3. ILLVD ... PLACET] Fehlt Kd.
  4. VELIT] VOLIT Buhlers.

Anmerkungen

  1. Beschreibung und Geschichte des Hauses nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 96–98.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 179.
  3. Bestimmung der Schriftart nach Roemer-Museum, Inv. Nr.: H 1834 (Aquarell Quint vom 1. 10. 1898).
  4. Gyges = König Lydiens ca. 680/650 v. Chr., steht hier für Reichtum.
  5. Momos = Personifikation der Tadelsucht.
  6. Vgl. Walther, Proverbia 3, Nr. 22886: Pulvere, qui ledit, sed lesus marmore scribit.
  7. Zu Henni Arneken vgl. Kommentare zu Nr. 508 u. Nr. 535.
  8. UB Stadt 8, Nr. 938.
  9. Vgl. Joachim Brandis’ Diarium, S. 115; Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 96.
  10. Vgl. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 98.
  11. Matrikel Helmstedt, Bd. 1, S. 32, Nr. 73; Matrikel Leipzig, Bd. 1, S. 492; Matrikel Heidelberg, Bd. 2, S. 171, Nr. 1.
  12. Joachim Brandis’ Diarium, S. 438.
  13. Samse, Zentralverwaltung, S. 329.
  14. Schlotter, Bürgermeister und Ratsherren, S. 348.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 761, o. S.
  2. Hildesheimer Sonntagsblatt 1868, S. 231 (ohne B, C, E–G).
  3. Roemer-Museum, Inv. Nr.: H 1834: Aquarell Quint 1. 10. 1898 (C).
  4. Buhlers, Hildesheimer Haussprüche, S. 10.
  5. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 180 (A, B, G).
  6. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 97 mit Zeichnung (A), S. 98 (B, D–G nach Buhlers).
  7. Slg. Rieckenberg, S. 830 (A), S. 993 (D–G).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 416(†) (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0041605.