Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 319 Dom 1531
Beschreibung
Grabplatte für den Dompropst Levin von Veltheim. Bronze oder Messing. Die hochrechteckige Platte ist heute im nordöstlichen Querhausarm der Kirche neben dem Eingang angebracht; sie befand sich früher im südlichen Flügel des Kreuzgangs an der Wand der Laurentiuskapelle.1) In dem von zwei Leisten gerahmten Innenfeld ist in einer Architekturnische der Verstorbene im Gewand eines Geistlichen im Halbrelief dargestellt. Er hält in beiden Händen ein Buch, weitere Bücher liegen zu seinen Füßen. Ebenfalls zu seinen Füßen ein Wappen, darüber der Hut eines Apostolischen Protonotars. In der inneren der das Innenfeld rahmenden Leisten ist vierseitig umlaufend die Inschrift A angebracht. Zwischen dieser Leiste und dem oberen Abschluß des Architekturbogens die Meisterinschrift B, rechts und links daneben jeweils die Meistermarke (M9) des Cord Mente. An den Längsseiten der äußeren Leiste Blattornamente, dazwischen auf jeder Seite in Medaillons zwei Wappen und ein Evangelistensymbol (links Engel, rechts Löwe). An den Schmalseiten der äußeren Leiste ebenfalls je drei Medaillons, die äußeren jeweils mit Wappeninhalten, die mittleren mit Evangelistensymbolen (oben Adler, unten Stier). Beide Leisten werden in den Ecken unterbrochen durch vier große gerahmte Medaillons mit allegorischen Darstellungen von vier Tugenden, die in den Rahmen der Medaillons namentlich bezeichnet sind (C), oben links Sapientia mit Schlange und Vogel, rechts Justitia mit Schwert und Waage, unten links Fortitudo mit der abgebrochenen Säule, rechts Liberalitas, die aus einem Krug eine Flüssigkeit in einen Becher gießt. Alle Inschriften sind erhaben ausgeführt, die Worttrenner als Hochpunkte; Doppel- und Dreifachpunkte wohl eher in der Funktion von Kürzungszeichen.
Maße: H.: 195 cm; B.: 99 cm; Bu.: 3,4 cm (A), ca. 2 cm (B), 1 cm (C).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal (A), Kapitalis (B, C).
- A
Anno · d(omi)ni · m · d · xxxi · die · viii · / mens(is) · maij · obijt · egregi(us) · d(omi)n(u)s · liuinusa) · de · velte(m) · v(triusque) · i(uris) · doctor · hildens(emensis) · asschffe(n)borg(ensis)b) · goslar(iensis) · s(an)cti · bonifatij / halb(e)r(stadensis) · et · fredela(n)t(ensis)c)2) · p(re)p(osi)tus · necno(n) · ma/gu(n)tine(n)s(is) · halb(e)r(stadensis) hilde(n)s(emensis) · ac · hamborg(ensis) · ecc(lesi)ar(um)d) · diaco(nus) · cano(ni)c(us)e) · s(an)ctissimi · d(omi)ni · n(ost)ri · papef) · cubicu(larius)g) et · ap(ostoli)ceh) · sedis · p(ro)thono(tarius) · cui(us) · a(nima) · r(equiescat) · amen +
- B
CORDT · MENTE · ME · FECIT
- C
SAPIENCIA // IVSTICIA // FORTIDVDOi) // LIBERALITAS
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1531 am 8. Tag des Monats Mai starb der vortreffliche Herr Levin von Veltheim, Doktor beider Rechte, Propst in Hildesheim, Aschaffenburg, Goslar, an St. Bonifatius in Halberstadt und in Friedland, sowie auch Diakon [und] Kanoniker der Mainzer, Halberstädter, Hildesheimer und Hamburger Kirchen, unseres heiligsten Herrn Papsts Kammerherr und Protonotar des Apostolischen Stuhls. Seine Seele ruhe. Amen. (A)
Cord Mente hat mich gemacht. (B)
Weisheit. Gerechtigkeit. Stärke. Freigebigkeit. (C)
Veltheim* | Schulenburg4) |
Asseburg* | Alvensleben5) |
Cramm* | Jagau* |
Bünau3) | Bortfeld* |
Textkritischer Apparat
- liuinus] Punkte über beiden u.
- asschffe(n)borg(ensis)] Statt: asschaffenborgensis.
- fredela(n)t(ensis)] Fird. Ecclesiarum Oeynhausen.
- ar über der Zeile.
- Letztes c und us-Haken über der Zeile.
- pape] a hochgestellt, die beiden p ligiert.
- cubicu(larius)] Beide u mit übergeschriebenen Bögen oder Strichen.
- Die beiden letzten Buchstaben klein und hochgestellt.
- Statt FORTITVDO.
Anmerkungen
- Vgl. Bertram, Bischöfe, S. 120; ebd., Grundriß, Nr. 128.
- Friedland in Mecklenburg.
- Wappen Bünau, linksgewendet (quadriert: 1 u. 4 gespalten, 2 u. 3 Leopardenkopf mit Lilie im Rachen?).
- Wappen von der Schulenburg (Stammwappen: drei Greifenklauen 2:1).
- Wappen Alvensleben (zwei Balken, der obere mit zwei, der untere mit einer Rose belegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 7, S. 1 u. Tafel 1.
- Vgl. Bertram, Bischöfe, S. 121.
- Matrikel Leipzig, Bd. 1, S. 428; Knod, Deutsche Studenten, S. 594; Fritz Weigle: Die deutschen Doktorpromotionen in Siena von 1485–1804. Teil 2. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 33 (1944), S. 199–251, hier S. 238, Nr. 500; s. a. Paul Kalkoff: Livin von Veltheim, ein Vorkämpfer der katholischen Kirche in Norddeutschland. In: Archiv für Reformationsgeschichte 15 (1918), S. 30–64, hier S. 40.
- Behrens, Historia, S. 40.
- Daten nach Knod, Deutsche Studenten, S. 594, dort weitere biographische Angaben.
- Kalkoff (wie Anm. 7) passim.
- Kalkoff, S. 52–62.
- Vgl. Thieme/Becker 24, S. 398; Reitzenstein, Geschützwesen, S. 87 und 98.
- Nr. 344, Nr. 346, Nr. 348–350, Nr. 361f.
- Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 94 und Nr. 95; DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 66 und Nr. 83; DI 42 (Einbeck), Register, S. 121.
Nachweise
- DBHi, HS 269, S. 217.
- DBHi, HS 271, fol. 7r.
- DBHi, HS 116, S. 125f.
- DBHi, HS 114b, fol. 59v.
- Oeynhausen, S. 324, Nr. 86 (A).
- Bertram, Bischöfe, S. 121.
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 117.
- Knod, Deutsche Studenten, S. 594.
- Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 140.
- Kat. Ego sum, S. 260 mit Abb.
- Slg. Rieckenberg, S. 740–742, drei Photos.
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 319 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0031908.
Kommentar
Die Inschriften B und C gehören zu den frühesten sicher dieser Schriftart zuzuordnenden Beispielen. Lediglich das offene kapitale D in CORDT (B) verweist noch auf die frühhumanistische Kapitalis.
Levin von Veltheim war der Sohn des Heinrich von Veltheim zu Destedt und Oschersleben und der Sophie von der Schulenburg.6) Er nahm im Jahr 1498 in Leipzig sein Studium auf, am 3. Juni 1502 immatrikulierte er sich in Bologna, 1507 wurde er in Siena zum Doktor promoviert.7) 1507 erhielt er das Amt des Hildesheimer Dompropsts,8) 1514 wurde er päpstlicher Notar, 1526 Propst an St. Petri und Alexandri in Aschaffenburg.9) Über seine übrigen Pfründen gibt die biographische Darstellung Paul Kalkoffs Auskunft.10) Als Rat des antilutherischen Mainzer Erzbischofs, Kardinal Albrecht, war er nicht zuletzt der Sicherung seines reichen Pfründenbesitzes wegen ein entschiedener Gegner des Luthertums.11)
Der in Inschrift B genannte Cord Mente war um die Mitte des 16. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Glocken- und Stückgießer im Braunschweiger Raum. Er stammte aus einer Braunschweiger Gießerfamilie und wurde 1532 vom dortigen Rat als Büchsen- und Zeugmeister auf Lebenszeit ernannt. 1550 mußte er allerdings die Stadt verlassen, da er in den Verdacht geraten war, während der Fehde Herzog Heinrichs des Jüngeren mit der Stadt Braunschweig die Angelegenheiten der Stadt verraten zu haben. Er ging nach Wolfenbüttel und wurde dort herzoglicher Zeugmeister. Sein Todesdatum liegt zwischen 1575 und 1577.12) Von Cord Mente stammen im Hildesheimer Bestand neben dieser Grabplatte sieben Geschütze.13) Weitere Arbeiten von ihm lassen sich u. a. in Göttingen, Hannover und Einbeck nachweisen.14)
Die vier hier anstelle der sonst üblichen Evangelistensymbole gesetzten und in Inschrift C bezeichneten Tugenden variieren den antiken Kanon der vier Kardinaltugenden: Justitia und Fortitudo sind unverändert übernommen, Sapientia entspricht der traditionellen Prudentia; neu ist Liberalitas anstelle von Temperantia (Mäßigung). Die bildliche Darstellung der Liberalitas, genauer gesagt der Akt des Einschenkens (hier vielleicht als karitative Handlung zu denken), verrät noch den Typus der Temperantia, die durch das Zusammengießen aus zwei Gefäßen die richtig temperierte Mischung herstellt.