Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 204 Dom-Museum 1489

Beschreibung

Kelch des Bartold Magerkol.1) Silber, vergoldet, Email und Niello. Der Kelch gehört zum Kirchenschatz der Pfarrgemeinde St. Magdalenen, wohin er nach der Aufhebung des Klosters St. Michaelis 1803 gelangt ist. Gestiftet wurde er für das Kloster Marienrode (vgl. Kommentar). Über einem angelöteten gestuften Stehrand ein Sechspaßfuß mit von Maßwerk durchbrochener Zarge und einer Kehle, auf der die Inschrift A angebracht ist. In den sechs Pässen des Fußes aufgenietete Reliefs mit folgenden sechs Darstellungen: Vorn in der Mitte Kreuzigungsgruppe; links daneben in Rankenwerk ein Wappenschild mit einer Halbfigur der Gottesmutter mit Kind auf der Mondsichel; rechts daneben das Wappen des Stifters, emailliert und von Rankenwerk umgeben. Hinten in der Mitte (korrespondierend mit der Kreuzigung) die thronende Maria mit Kind, das eine Taube hält; rechts daneben der heilige Benedikt, in der Linken ein Band mit seinem Wappen; links daneben der heilige Bernhard von Clairvaux, sein Wappen an einem Band. An dem von Fensterbahnen durchbrochenen Schaft ein ebenfalls von Maßwerk durchbrochener, flacher Nodus mit der Inschrift B. Die schlichte Kuppa sitzt in einem Kelchkorb aus plastischem Laubwerk. Die gravierte und niellierte Inschrift A folgt den sechs Pässen und beginnt unterhalb der Kreuzigungsgruppe. Als Worttrenner stehen kleine Kreuze. Inschrift B ist graviert und mit roter Masse ausgefüllt, Inschrift C unter dem Standring eingeritzt.

Maße: H.: 21,3 cm; Dm.: 12,2 cm (Kuppa), 17,2 cm (Fuß); Bu.: 0,3 cm (A), 0,8 cm (B), 0,15 cm (C).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A, B), Kursive (C).

Jutta Brüdern [1/1]

  1. A

    AD · HONOREM · OM(N)IPOTE(N)TIS · DEI · FRAT(ER)a) / HI(N)RICVS · MAG(ER)KOL · DEDIT · ET · P(RO)CV(R)AVITb) / ISTV(M) · CALICE(M)c) · P(ER) · FR(ATR)EM · SVV(M) · BARTOLDV(M)d) · / FACTV(M) · TRIBVS · MARCIS · ARGE(N)TI / · VEL · MODICO · MAGIS · PER · HE(N)NI(N)GVMe) · / · ABBATE(M) · DV(M)·TAXATf) · APPOSITIS · 8 · 9 ·

  2. B

    IE(SU)Sg) M(ARI)A

  3. C

    Sex marcas habet jn pondere / xxiiii floreni Dati sunt pro labore / ix floreni vngarienses ad de[a]urandu(m)h) expositi · Bi)

Übersetzung:

Zur Ehre des allmächtigen Gottes hat Bruder Heinrich Magerkol diesen Kelch gestiftet und besorgt, der von seinem Bruder Bartold geschaffen wurde, nachdem lediglich drei Mark Silber oder etwas mehr durch Abt Henning dazugelegt worden sind [14]89. (A)

Sechs Mark hat er an Gewicht. 24 Gulden wurden für die Arbeit bezahlt. Neun ungarische Gulden sind für das Vergolden zur Verfügung gestellt worden. (C)

Wappen:
Kloster Marienrode?2), Magerkol3), Benedikt von Nursia4), Bernhard von Clairvaux5)

Kommentar

Die Inschriften A und B sind die frühesten Beispiele für die Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis im Hildesheimer Bestand. Sie zeigen die für diese Schrift typischen Formen, wie offenes kapitales D, D ohne Haste, unziales neben eckigem E, A teils ohne, teils mit gebrochenem Mittelbalken und mit nur nach links überstehendem Deckbalken, konisches M mit sehr kurzem hochgezogenen Mittelteil. Besonders auffällig ist die Gestaltung des G, dessen oberer Bogen, wenn man die Grundform des kapitalen G voraussetzt, zu einem Winkelhaken umgestaltet ist und dessen Cauda und unterer Bogenabschnitt zu einem nach links offenen Bogen verschmolzen sind, der den Winkelhaken nicht berührt. Das in der Inschrift B verwendete M ist in der Form des in der gotischen Majuskel üblichen symmetrischen unzialen M mit Abschlußstrich gestaltet.

Der in Inschrift A genannte Goldschmied Bartold Magerkol ist im Jahr 1480 als Lehrling bei Gherd Louwe in Lüneburg nachgewiesen.6) Heinrich Magerkol ist 1494 als Konventuale in Marienrode urkundlich bezeugt, ebenfalls zwei Träger des Namens Bartold Magerkol.7) Abt Henning Holkemeyer stand dem Kloster Marienrode in den Jahren 1478 bis 1487 vor.8) Diese Lokalisierung der Stifter sowie die klar auf ein Zisterzienserkloster hinweisende Wappenkonstellation9) belegen, daß der Kelch im Jahr 1489 für das Zisterzienserkloster Marienrode und nicht, wie in der bisherigen kunsthistorischen Forschung angenommen,10) für St. Michaelis gestiftet wurde.

Textkritischer Apparat

  1. FRAT(ER)] Cauda des R zur Haste zurückgeführt, vgl. HONOREM.
  2. P(RO)CV(R)AVIT] P(E)CV(R)AVIT Kd.
  3. CALICE(M)] Fehlt Fritz, Kat. Stadt im Wandel.
  4. BARTOLDV(M)] BARTOLM(AEVM) Kd.
  5. HE(N)NI(N)GVM] IICIIIGVM Kd; HEI(...)CVM Fritz, Kat. Stadt im Wandel. Der Name ist auf den ersten Blick nahezu unleserlich ausgeführt: Zwei Hasten, darauf folgt ein C mit Nasalkürzel, drei Hasten mit Kürzungsstrich, am Schluß GVM. Die ersten beiden Hasten stehen für ein H ohne Querbalken, C steht für ein rundes E ohne Mittelbalken, die beiden ersten der drei Hasten für N ohne diagonale Haste, die dritte für ein I. Nach Auflösung der Abkürzungen ergibt sich zweifelsfrei die Lesung HE(N)NI(N)GVM.
  6. DV(MTAXAT] CV(M) TAXAT Fritz, Kat. Stadt im Wandel.
  7. IHS.
  8. de[a]urandu(m)] Anstelle des ersten a mehrere parallele Schrägstriche.
  9. B] Deutung des Buchstabens unsicher, vielleicht die Initiale des Goldschmieds B(artold) Magerkol.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr.: L 1989-5.
  2. Wappen Kloster Marienrode? (Halbfigur der Gottesmutter mit Kind im Strahlenkranz).
  3. Wappen Magerkol (Balken, begleitet von drei Kohlköpfen 2:1).
  4. Wappen Benedikt von Nursia (Löwe). Zum Wappen des heiligen Benedikt vgl. Harald Drös: Maulbronner Klosterheraldik. Wappen des Klosters und der Äbte in vor- und nachreformatorischer Zeit. In: Maulbronn. Zur 850-jährigen Geschichte des Zisterzienserklosters, S. 43–58, hier S. 46 mit Anm. 25.
  5. Wappen Bernhard von Clairvaux (in drei Reihen geschachter Balken), abweichend von der üblichen Darstellung vgl. Drös (wie Anm. 4), S. 45: Schrägbalken, in zwei Reihen geschacht.
  6. Scheffler, Goldschmiede 2, S. 808.
  7. UB Stadt 8, Nr. 287, Nr. 131, Nr. 456.
  8. Vgl. Die Männer- und Frauenklöster der Zisterzienser in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg, bearbeitet von Ulrich Faust (OSB). München 1994 (Germania Benedictina XII), S. 430: Henning Holkemeyer.
  9. Die Zisterzienser, die sich der besonders strengen Einhaltung der Regula Benedicti verpflichtet hatten, wählten das Bild der Jungfrau Maria, die als Ordenspatronin auch die Patronin aller Zisterzienserklöster war, als allen Zisterzen gemeinsames Siegelbild. Das Wappen des Ordensgründers Bernhard von Clairvaux war zugleich das Wappen des gesamten Ordens. Eine ähnliche Wappenkonstellation wie auf dem Magerkolkelch hat Harald Drös (wie Anm. 4, S. 46) auf einem Glasgemälde des Klosters Maulbronn nachgewiesen. – Für die Hilfe bei der Bestimmung der Wappen danke ich Herrn Dr. Harald Drös, Inschriftenkommission Heidelberg.
  10. Fritz, Goldschmiedekunst, S. 309.

Nachweise

  1. Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 260, Abb. S. 261.
  2. Fritz, Goldschmiedekunst, S. 345, Nr. 29 (A), Abb. 885.
  3. Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 1130, S. 1309 (A).
  4. Slg. Rieckenberg, S. 633–635.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 204 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0020405.