Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 195 St. Andreas 1477, 1481

Beschreibung

Grabplatte für Ilsabe und Hans Brandis. Sandstein. Die hochrechteckige Platte, die bei Grabungen im Turmbereich im Jahr 1964 gefunden wurde,1) ist in der nördlichen Chorkapelle angebracht. Sie zeigt unter einer gotischen Bogenarchitektur in Ritzzeichnung Christus am Kreuz mit dem Titulus (A). Unter dem Kreuz Maria und Johannes. Auf der Seite der Maria kniet der Ehemann, von dessen Mund aus zu Christus ein Schriftband mit der Inschrift B verläuft. Auf der Seite des Johannes kniet die Ehefrau, von ihrem Mund geht ebenfalls ein Schriftband aus mit der Inschrift C. Die Figuren ebenfalls in Ritzzeichnung. Am Fuß des Kreuzstammes das Wappen des Verstorbenen. Die Inschriften D und E sind auf den abgeschrägten Kanten des Steins angebracht und zeigen nach außen. Die Grabschrift der Frau (D) beginnt links unten an der Schmalseite und endet in der Mitte der oberen Schmalseite. Die Grabschrift des Mannes (E) beginnt in der Mitte der oberen Schmalseite und endet unten an der linken Langseite. Mit Ausnahme der erhaben ausgeführten Grabinschrift des Mannes (E) sind alle Inschriften eingehauen. Die Inschriften der Spruchbänder (B, C) und der Titulustafel (A) heben sich vom weißen Schriftgrund ab.

Maße: H.: 265 cm; B.: 155 cm; Bu.: 4,5 cm (A–C), 6,5 cm (D, E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Christine Wulf [1/2]

  1. A

    i(esus) n(azarenus) r(ex) i(udaeorum)2)

  2. B

    miserere mei deus

  3. C

    miserere mei deus

  4. D

    anno d(omi)ni M° cccc° l xx vii des mandages / na der mentwekena)3) starf ylsebe hans brandes elike husfruwe der got / genedich sy

  5. E

    Anno d(omi)ni M° cccc l xxxi / in dem daghe letare4) sterf ha(n)s bra(n)des de elder dem god gnedich sy

Übersetzung:

Erbarme dich meiner, Gott. (B, C)

Wappen:
Brandis*

Kommentar

Hans Brandis und Ilsabe Winkelmann waren die Eltern des Hildesheimer Ratsherrn und Bürgermeisters Henning Brandis.5) Hans Brandis wurde um 1415 in Alfeld/Leine geboren, erhielt im Jahr 1443 oder 1444 das Bürgerrecht in Hildesheim und heiratete 1444 Ilsabe Winkelmann. 1466 wurde er in die Tuchmachergilde aufgenommen, 1469 stiftete er eine Kommende am St. Matthäus-Altar in St. Andreas. Für das Jahr 1478 ist er als Mitglied des Vierundzwanziger-Kollegiums belegt.6)

Die vorliegende Platte entspricht in der Art der Anbringung der Inschriften und in ihrer Gestaltung derjenigen Platte, die Henning Brandis für seine erste Frau Anna im Jahr 1478 (Nr. 193) setzen ließ. Auch das verwendete Formular ist weitgehend identisch. Das merkwürdige für i verwendete y und das in Form eines w gestaltete u sind in dieser Inschrift nicht zu finden.

Das Ehepaar Brandis wurde to sunte Andrease benedden der kerken by dat slingk ‚unterhalb der Kirche bei der Einfassung‘ begraben,7) also wahrscheinlich in einer außerhalb der Kirche befindlichen Grablege. Die sorgfältige Gestaltung der Grabplatte und ihr guter Erhaltungszustand machen es allerdings wenig wahrscheinlich, daß sie längerfristig ein Grab außerhalb der Kirche abgedeckt hat. Eine Grablege im Innern der Kirche ist für die Familie Brandis erst seit dem Jahr 1501 nachgewiesen.8)

Anhand der Buchstabenformen ist nicht zu entscheiden, ob die Grabplatte komplett im Jahr 1481 nach dem Tod des Ehemannes ausgeführt worden ist oder ob sie bereits 1477 entstanden ist und die Grabschrift des Hans Brandis nachgetragen wurde.

Textkritischer Apparat

  1. des ... mentweken] Fehlt von Jan.

Anmerkungen

  1. Helmut von Jan: Zwei Grabplatten der Familie Brandis aufgefunden. In: Alt-Hildesheim 36 (1965), S. 9–11, hier S. 9.
  2. Io. 19,19.
  3. mentweken oder ‚gemeine Woche‘ bezeichnet die erste volle Woche nach Michaelis (29. September), folglich wäre der Todestag der 13. Oktober 1477; nach dem Eintrag in Henning Brandis’ Diarium (S. 36) verstarb Ilsabe up sunte Calixti (14. Oktober) twischen mandach unde dinsdach in der nacht de klocke na elven.
  4. 1. April 1481.
  5. Henning Brandis’ Diarium, S. 45.
  6. Deutsches Geschlechterbuch. Bd. 21. Görlitz 1912, S. 106; dass.: Bd. 171. Limburg/Lahn 1975, S. 72.
  7. Henning Brandis’ Diarium, S. 36 u. S. 45. Die Wortbedeutung von slingk läßt sich mit Hilfe von Schiller/Lübben sowie den Glossaren zu UB Stadt (Hermann Brandes: Glossar. Hildesheim 1897) und zu Henning Brandis’ Diarium nicht sicher bestimmen, die Grundbedeutung ist ‚Rand, Einfassung, Schlagbaum, Gitter‘. Auffälligerweise situieren sowohl Henning als auch Joachim Brandis alle später erwähnten Grablegen der Familie in der kerken, so daß benedden der kerken wohl tatsächlich einen Begräbnisort auf dem Friedhof andeutet. Für freundliche Hilfe bei der lexikalischen Klärung dieser Stelle danke ich Herrn Dr. Christian Fischer, Münster.
  8. UB Stadt 8, Nr. 450 (Anm.) und 451. Das Erbbegräbnis wurde am 5. März 1501 von Bischof Barthold gewährt. Seit dem späten 16. Jahrhundert lassen sich als Begräbnisort der Familie Brandis zwei der Chorkranzkapellen nachweisen, u. a. die östliche Scheitelkapelle, der sogenannte Schülerchor, vgl. Härtel, St. Andreas, Kap. V 1.1.5 u. Anhang 3.

Nachweise

  1. Helmut von Jan: Zwei Grabplatten der Familie Brandis aufgefunden. In: Alt-Hildesheim 36 (1965), S. 11, Abb. S. 10.
  2. Hildesheimer Friedhöfe, S. 180.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 195 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0019509.