Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 122 Gronau/Leine (Lk. Hildesheim), St. Matthäi A. 15. Jh.

Beschreibung

Altarretabel. Holz, farbig gefaßt. Das Triptychon wurde im Jahr 1780 von der Kirchengemeinde Gronau erworben,1) ursprünglich gehörte es zu dem westlich der Vierung im Langhaus aufgestellten Kreuzaltar in St. Godehard.2) Der Sockel des Altarretabels ist von quadratischen Feldern durchbrochen, die abwechselnd mit Maßwerk oder mit Vierpässen und Rundmedaillons gefüllt sind, in denen sich geschnitzte vollplastische Brustbilder von Propheten mit Schriftbändern (A) befinden. Auf dem Sockel stehen im Schrein unter Baldachinen geschnitzte, vergoldete Figuren; von links nach rechts: Godehard mit Kirchenmodell und Krummstab, Matthias, Simon, Judas Thaddäus mit Buch, Jakobus der Jüngere, Andreas, Jakobus der Ältere und Johannes. In der Mitte thronen Maria und Christus.3) Es folgen Petrus, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas (ohne Attribut), Paulus, Jodokus mit Zepter in der Linken und Reichsapfel in der Rechten, Bernward mit Bernwardkreuz und Krümme. Die Figuren sind auf den Plinthen namentlich bezeichnet (B). Jakobus der Ältere ist als einziger außerdem noch an der oberen Kante seines Untergewandes gekennzeichnet (C).

Auf den Außenseiten der Flügel befinden sich gemalte Darstellungen. Linker Flügel: Christus auf einem doppelten Regenbogen in der Mandorla, umgeben von Posaune blasenden Engeln. Unterhalb der Mandorla geöffnete Gräber mit den Auferstehenden. Zur Rechten und zur Linken Christi Maria und Johannes. In den vier Ecken des Bildfeldes die Symbole der vier Evangelisten in Medaillons mit Beischriften (D) auf Spruchbändern. Links unten an diesem Flügel eine neuzeitliche Renovierungsinschrift.4) Auf dem rechten Flügel: Christus am Kreuz mit Titulus E zwischen den Schächern, ihm wird mit der Lanze die Seite geöffnet und ein Schwamm auf einem Rohr gereicht. Unterhalb der Kreuzigung links Maria und mehrere Frauen, rechts vor einer Gruppe von Männern der Hauptmann, ein Schriftband haltend mit der Inschrift F. Die Inschriften sind gemalt. Wahrscheinlich wurden sie in jüngerer Zeit erneuert.

Maße: H.: 210 cm; B.: 170 cm (linker Flügel), 349 cm (Mittelteil), 174 cm (rechter Flügel); Bu.: 1,3 cm (A), 1,1 cm (B), 1,7 cm (C), 2,8 cm (D), ca. 3 cm (E, F).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A, E) mit Versalien in gotischer Majuskel (B–D, F).

Sabine Wehking [1/3]

  1. A

    patre(m) amabitis · quo · terra(m) · ieremias ·5) // malachias · ab · ortu · enim · solis · vsq(ue) · ad · occasum ·6) // ysaias · ecce · virgo · concipiet · et · pariet7) // daniel · post · septuagi(n)ta8) // · micheas · p(ro)perabunt · gentes · multe · et · dicent ·9) // amos · · qui · edificat · in · · celo · asce(n)sione(m) · suam10) // · osee · o · mors · ero · mors · tua · mora) 11) // · ionas · sublevabis · de · corruptio(n)e · vita(m) ·12) // · ezechiel · porta · hec · clausa · erit ·13) // david · d(omi)n(u)s · dixit · ad · me ·14)

  2. B

    Sanctus · godehardus · episcopus. // Sanctus · mathias · apostolus. // Sanctus symon apostolus. // Sanctus thadeus ap(osto)l(u)s · // Sanctus · Jakobus · minor · // Sanctus andreas ap(osto)l(u)s · // Sanctus · iacobuz · maior · // Sanctus · joannes apostolus // Sanctus · petrus · ap(osto)l(u)s // Sanctus philippus ap(osto)l(u)s · // Sanctus · bartolomeus · apostolus · // San[ct]us matheus apostolus // Sanctus · thomas · apostolus · // Sanctus · paulus · apostolus · // Sanctus iodocus dux nobilis // Sanctus · bernwardus · episcopus ·

  3. C

    S(an)c(tu)s Jacobus

  4. D

    · S(anct)(us) iohannes · // · S(an)c(t)us · marteusb) · ewangelista · // · S(an)c(t)us · lucas · // · S(an)c(t)us · marcus · ewalistac)

  5. E

    · i(esus) · n(azarenus) · r(ex) · i(udeorum) ·15)

  6. F

    · Vere · filius · deusd) · erat · iste ·16)

Übersetzung:

Ihr werdet den Vater lieben, durch den die Erde (?)[...].: Jeremia. Malachias: Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang [ist mein Name groß unter den Völkern]. Jesaja: Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und gebären. Daniel: Nach siebzig (?)[...]. Micha: Viele Völker werden eilen und sagen [...]. Amos: Der im Himmel seine Erhöhung baut [...]. Hosea: O Tod, ich werde dein Tod sein, dein Biß. Jona: Du wirst das Leben aus dem Verderben emporheben. Ezechiel: Diese Tür wird verschlossen sein. David: Der Herr sprach zu mir. (A)

Der heilige Bischof Godehard. Der heilige Apostel Matthias. Der heilige Apostel Simon. Der heilige Apostel Thaddäus. Der heilige Jakobus der Jüngere. Der heilige Apostel Andreas. Der heilige Jakobus der Ältere. Der heilige Apostel Johannes. Der heilige Apostel Petrus. Der heilige Apostel Philippus. Der heilige Apostel Bartholomäus. Der heilige Apostel Matthäus. Der heilige Apostel Thomas. Der heilige Apostel Paulus. Der heilige Jodokus, ein edler Herzog. Der heilige Bischof Bernward. (B)

Der heilige Jakobus. (C)

Der heilige Johannes. Der heilige Evangelist Matthäus. Der heilige Lukas. Der heilige Evangelist Markus. (D)

Dieser war wahrhaftig Gottes Sohn. (F)

Kommentar

Johannes Legatius weist in einer Aufzählung der Stiftungen des Abts Lippold von Stemmen (1465–1473) auf das Kreuzigungsbild auf dem rechten Außenflügel dieses Altars hin.17) Er nennt aber Lippold nicht ausdrücklich als Stifter dieses Retabels. Da die von Herzig vorgeschlagene stilkritische Einordnung auf den Anfang des 15. Jahrhunderts eine deutlich frühere Entstehung nahelegt,18) ist Lippold von Stemmen als Stifter dieses Retabels nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Die den Propheten beigegebenen Bibelzitate (A) stimmen wörtlich mit den auf dem Chorgestühl des Doms (Nr. 109) in den Prophetenmedaillons angebrachten Inschriften überein. Auch die Gestaltung der Prophetenhalbfiguren entspricht vor allem hinsichtlich der eigentümlichen Kopfbedeckungen den Prophetendarstellungen in den Medaillons des Chorgestühls aus dem Dom.

Textkritischer Apparat

  1. mor] Zu ergänzen zu morsus.
  2. marteus] Statt matteus.
  3. ewalista] Die mittleren Buchstaben sind von der Pranke des Löwen verdeckt. Zu ergänzen zu ewangelista.
  4. deus] Dei Legatius; fehlt Mithoff.

Anmerkungen

  1. Archiv der Ev. luth. Kirchengemeinde Gronau: Horst-Ewald Tegtmeyer: Der Apostelaltar in der St. Matthäi-Kirche zu Gronau (Leine), Gronau o. J., S. 13: Tegtmeyer hat das Kaufdatum aufgrund einer entsprechenden Spendensammelliste des Jahres 1780 ermittelt; Herzig nimmt an, daß der Altar erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisation nach Gronau verkauft wurde (Richard Herzig: Ein Altar aus St. Godehard in Hildesheim in der lutherischen Kirche zu Gronau. In: Diözese 7 [1933], S. 19–23, hier S. 19).
  2. Herzig (wie Anm. 1), S. 20.
  3. Die Figuren der Mittelgruppe stammen aus dem Jahr 1859, Tegtmeyer (wie Anm. 1), S. 61. Sie erneuern eine Darstellung der Marienkrönung.
  4. Erneuert 1932 . A . Zelle.
  5. Der Text läßt sich keiner Stelle im Buch Jeremia zuordnen.
  6. Mal. 1,11.
  7. Is. 7,14.
  8. Die Stelle ist wohl auf Dn. 9,24 zu beziehen: septuaginta hebdomades adbreviatae sunt ‚siebzig Wochen sind als Frist festgesetzt‘.
  9. Mi. 4,2.
  10. Am. 9,6.
  11. Os. 13,14: ero mors tua o mors ero morsus tuus.
  12. Ion. 2,7.
  13. Ez. 44,2.
  14. Ps. 2,7.
  15. Io. 19,19.
  16. Mt. 27,54.
  17. Johannes Legatius, Chronicon Coenobii S. Godehardi (Leibniz, Scriptores 2, S. 404–426, hier S. 420): Cernas iterum in loco Calvario Christum suffixum cruci, latronem alterum defensantem, blasphemantem alterum; militem coecum latera aperientem lancea, inferius dicere admirantem centurionem: Vere filius Dei erat iste. Johannem lacrymantem, Mariam Matrem dolentem. Zabulum alatum devotum, blasphemantis animam expectantem. Angelum bonum super, hic autem, quid fecit? laetum volitantem. Der Befund schließt aus, daß die Frage hic autem, quid fecit? im Bild inschriftlich ausgeführt war.
  18. Herzig (wie Anm. 1), S. 20.

Nachweise

  1. Johannes Legatius, Chronicon Coenobii S. Godehardi, in: Leibniz, Scriptores 2, S. 420 (F).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 81 (ohne C und E).
  3. Richard Herzig: Ein Altar aus St. Godehard in Hildesheim in der lutherischen Kirche zu Gronau. In: Diözese 7 (1933), S. 22f. (A, B).

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 122 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0012208.