Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 111† Alter Markt / Eckemeker Straße E. 14. Jh.?
Beschreibung
Fragment eines Sühnesteins. „Schauteufelkreuz“. Sandstein. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war der untere Teil erhalten, seitdem ist der gesamte Stein verschollen. Im unteren Teil war eine kniende Figur in Bethaltung dargestellt, daneben ein Wappen.1) Der obere Teil bestand nach dem aus der Erinnerung aufgezeichneten Bericht Zeppenfeldts aus einem „durchbrochenen Kruzifix“, das von einem Blumenkranz eingeschlossen war; auf diesem befand sich die umlaufende Inschrift.2)
Inschrift nach StaHi, Bestand 100-168, Nr. 7.
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[ - - - ]XXVIIIa) I(N) DIE STEFFANI3) HIC FVIT I(N)TRFECTVSb) JOHANES
Übersetzung:
[...]8 wurde am Stephanstag Johannes hier getötet.
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Textkritischer Apparat
- XXVIII] In StaHi, Bestand 100-168, Nr. 7 steht vor den Ziffern ein nach rechts gewölbter Bogen, von dem nicht entscheidbar ist, ob er zur Jahreszahl gehört, davor ist ein weiteres Zeichen in einer Punktschrift angedeutet. Unterhalb der eigentlichen Inschriftenüberlieferung neben der Zeichnung des Wappens in der Handschrift außerdem: MCCCCLXXVIII; MCCCCXVIII Kd.; ANNO MCCCCXXVIII korrigiert in MCCCCXXIIX HS C 25.
- I(N)TRFECTVS] Statt I(N)T(E)RFECTVS so Beiträge, HS 789, Kd.
Anmerkungen
- Beschreibung nach Zeichnung in: Wilhelm Hartmann: Der „Schoduvel“ und das Schauteufelskreuz im alten Hildesheim. In: Alt-Hildesheim 34 (1963), S. 33–44, hier S. 33.
- Ignaz Zeppenfeldt: Über das sogenannte Schauteufelskreuz in Hildesheim. In: Beiträge zur Hildesheimischen Geschichte 1, S. 440ff.
- 26. Dezember.
- Wappen ? (drei Balken).
- Für den Schauteufellauf wählte der Hildesheimer Rat zehn oder mehr Bürger und Bürgersöhne aus, die vom 1. bis zum 4. Weihnachtstag in einer vorher festgelegten Kleidung mit Spielleuten bis zum Einbruch der Dunkelheit durch die Hildesheimer Straßen zogen, um den Teufel und böse Geister abzuschrecken. Eine authentische Schilderung des Schauteufellaufs gibt Henning Brandis’ Diarium, S. 29f.
- Vgl. Leibniz, Scriptores 3, S. 261.
- Vgl. Hartmann (wie Anm. 1), S. 37 (Nr. 9–12). Es existiert auch die umgekehrte Version der Erzählung, daß einer der Schauteufel einen Kürschnerlehrling erschlagen habe, vgl. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 316.
Nachweise
- StaHi, Bestand 100-168, Nr. 7.
- DBHi, HS C 25, Schauteufelkreuz, S. 2.
- Beiträge zur Hildesheimischen Geschichte 1, S. 440.
- Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 316.
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 182.
- Werner Müller, Günter E. H. Baumann: Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg. Vorhandene und verlorengegangene Rechtsdenkmale und Memorialsteine. Hameln 1988 (Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen 5), S. 146.
- Wilhelm Hartmann: Der „Schoduvel“ und das Schauteufelskreuz im alten Hildesheim. In: Alt–Hildesheim 34 (1963), S. 33–44 (Zusammenstellung der verschiedenen Überlieferungen).
- Slg. Rieckenberg, S. 567.
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 111† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0011105.
Kommentar
Die Jahreszahl der Inschrift ist aus dem überlieferten Befund nicht mehr zu rekonstruieren (vgl. Anm. a). Im Katalog der Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen wird unter denkmaltypologischen Gesichtspunkten eine Entstehung am Ende des 14. Jahrhunderts erwogen. Für diese Frühdatierung könnten auch die paläographischen Charakteristika der Wiedergabe der Inschrift in der Handschrift (StaHi, Bestand 100-168, Nr. 7) sprechen: Die Inschrift ist in Majuskeln aufgezeichnet, wobei E, F und H in der runden Form transkribiert worden sind. Dies ist möglicherweise ein Anhaltspunkt dafür, daß der Kopist eine Inschrift in gotischer Majuskel vor sich hatte. Die gotische Majuskel wurde in Hildesheim nur bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts benutzt (vgl. Einleitung, S. 62), so daß eine Entstehung der Inschrift am Ende des 14. Jahrhunderts auch aus schriftgeschichtlicher Sicht nicht auszuschließen ist. Daß die Aufzeichnung der Inschrift in der genannten Handschrift eine gewisse Authentizität beanspruchen kann, zeigen u. a. die Beibehaltung der Kürzungsstriche und vor allem die „Korrektur“ des zunächst richtig geschriebenen Wortes I(N)TERFECTVS in die lectio difficilior I(N)TRFECTVS.
Die Hildesheimer Chroniken des 17. Jahrhunderts haben die Inschrift mit dem vom 1. bis zum 4. Weihnachtstag im späten Mittelalter in Hildesheim üblichen Schauteufellauf in Verbindung gebracht.5) So heißt es z. B. in dem von Leibniz 1711 edierten ‚Fragmentum Chronici Hildeshemensis ...’, daß im Jahr 1478 einige der Schauteufel erschlagen wurden, weil sie auf den Straßen Unfug getrieben und Frauen und Kinder erschreckt hätten: darvon hefft dat Schodüvels Creuze in Hildesheimb vor der korsners hoffe stahend den namen bekomen.6) Ein anderer Überlieferungszweig – u. a. vertreten durch StaHi, Bestand 100-168, Nr. 7 – berichtet, ein Kürschnergeselle habe einen der Schauteufel vor Schreck mit einer Bierkanne erschlagen, und als Sühne sei dieser Stein gesetzt worden.7) Obwohl weder der Wortlaut der Inschrift noch die Reste der Darstellung einen Hinweis darauf geben, daß der in der Inschrift genannte Johannes tatsächlich bei einem Schauteufellauf getötet wurde, dürfte die zeitliche Koinzidenz des Totschlags mit dem Schauteufellauf wie auch die Denkwürdigkeit des dokumentierten Ereignisses für die Zuverlässigkeit der chronikalischen Nachricht sprechen.