Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 109† Dom 1365–1398

Beschreibung

Chorgestühl. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gestühl war an der Nord- und an der Südseite der Vierung aufgestellt.1) Es bestand aus je zwei Sitzreihen und war bekrönt von gotischen Baldachinen mit Fialen und krabbenbesetzten Wimpergen. In den Giebelflächen befanden sich zwischen Blatt- und Rankenwerk Medaillons mit Halbfiguren alttestamentlicher Propheten in Durchbrucharbeit. Die Propheten hielten Schriftbänder, auf denen die von Kratz in einer Zeichnung überlieferten Inschriften angebracht waren. Kratz hat allerdings nur die Schriftbänder der Propheten Jeremia, Ezechiel, Malachias, Jona, Amos und Daniel wiedergegeben,2) obwohl sicherlich auch die übrigen Prophetenmedaillons mit Inschriften versehen waren. Die Sitzreihen waren nach Osten von je einer mit Schnitzereien verzierten Wange abgeschlossen. Die nördliche zeigte die Verkündigung an Maria und die Geburt Christi, ober- und unterhalb der Verkündigung in Durchbrucharbeit Spiralen mit Blattwerk und Halbfiguren, die leere Schriftbänder halten. Auf der südlichen Wange war die Darbringung im Tempel und die Anbetung der Könige dargestellt, auch hier ober- und unterhalb der Darbringung im Tempel Spiralen mit Rankenwerk und Halbfiguren, die leere Schriftbänder halten.

Inschriften nach DBHi, HS C 1527 (Zeichnung Kratz).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Hildesheim, Dombibliothek [1/1]

  1. patre(m) amabitis · quo terra(m) · ieremias3) // ezechiel · porta · hec · clausa · erit4) // · malachias · ab · ortu · enim · solis · vsq(ue) · ad · occasum5) // ionas · sublevabis · de · corrupta) vita(m)6) // · amos · qui edificat · in celo · asce(n)sione(m) suam ·7) // daniel · post · septuaginta8)

Übersetzung:

Ihr werdet den Vater lieben, durch den die Erde (?)[...]: Jeremia. Ezechiel: Diese Tür wird verschlossen sein. Malachias: Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang [ist mein Name groß unter den Völkern]. Jona: Du wirst das Leben aus dem Verderben emporheben. Amos: Der im Himmel seine Erhöhung baut [...]. Daniel: Nach siebzig (?)[...].

Kommentar

Wolfson setzt das Chorgestühl in die Zeit Bischof Gerhards (1365–1398).9)

Die den Propheten des Chorgestühls beigegebenen Bibelzitate stimmen wörtlich mit den auf dem Altar aus St. Godehard (Nr. 122) angebrachten Propheten-Spruchbändern überein. Auch die Gestaltung der Prophetenhalbfiguren, vor allem ihre eigentümliche Kopfbedeckung, und die in der Zeichnung von Kratz wiedergegebenen Buchstabenformen entsprechen den auf diesem Altar angebrachten Prophetenfiguren und ihren Inschriften.

Textkritischer Apparat

  1. corrupt] Zu ergänzen ist corruptione. An dieser Stelle ist das Schriftband umgebogen.

Anmerkungen

  1. Die folgende Beschreibung nach Kd. Hildesheim, Kirchen, Abb. 32 (Tafel V vor S. 63) und Photo des Bildarchivs im Dom-Museum. Die Abbildungen lassen erkennen, daß die Rückenlehnen des Chorgestühls mit Gobelins behängt waren (vgl. Nr. 622).
  2. Die Zeichnungen liegen zusammenhanglos und ohne Erläuterungen in der Akte DBHi, HS C 1527.
  3. Der Text läßt sich keiner Bibelstelle zuordnen.
  4. Ez. 44,2.
  5. Mal. 1,11.
  6. Ion. 2,7.
  7. Am. 9,6.
  8. Die Stelle entspricht wohl Dn. 9,24: septuaginta ebdomades adbreviatae sunt ‚siebzig Wochen sind [als Frist] festgesetzt‘.
  9. Michael Wolfson: Die Stiftungen Bischof Gerhards. In: Kat. Goldkelch, S. 25–36.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 1527, o. S.
  2. Wulf, Kratz, S. 172, Abb. S. 171.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 109† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0010902.