Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 108 Dom-Museum 1388–1398

Beschreibung

Kelch und Patene des Bischofs Gerhard.1) Gold. Kelch und Patene stammen aus dem Kartäuserkloster und kamen nach dessen Aufhebung 17772) im Jahr 1825 in den Domschatz.3) Der runde Fuß des Kelchs mit einer geraden, von einer Punktlinie durchbrochenen Zarge zeigt in Gravur die Kreuzigung. Unter dem Kreuz (arborvitae-Typ) Maria und Johannes, am Längsbalken in einem Schriftband der Titulus A. Am Fuß des Kreuzes ein Edelstein mit einer Aushöhlung für eine Kreuzpartikel. Neben der Figur der Maria war ein heute zerstörtes, von Perlen umgebenes Emailmedaillon angebracht, unter dem ebenfalls eine Reliquie eingeschlossen war. Auf dem Fuß befinden sich außerdem ein Adler-Kameo und zwei weitere Edelsteine. Rechts und links von Maria und Johannes Inschrift B. Inschrift C in zwei an den Enden eingerollten Schriftbändern unter dem Fuß. Die in Inschrift C bezeichneten Reliquien befinden sich unter den Edelsteinen auf der Oberseite des Fußes. Am Schaft ein achtseitig geschliffener topasfarbener Citrin als Nodus. Die Kuppa ist glatt. Auf der zum Kelch gehörenden Patene ist in einem Kreis aus zwei Linien mit vier Schlingen das Lamm Gottes mit Kelch und Fahne eingraviert. Auf dem Rand der Patene ist Inschrift D glatt vor schraffiertem Hintergrund ausgeführt. Jeder Vers steht in einem an den Enden eingerollten, von zwei Doppellinien begrenzten Schriftband. Die Oberseite zeigt auf dem Rand die Dextera Dei. Die Inschriften sind graviert.

Maße: Kelch: H.: 16,6 cm; Dm.: 10,1 cm (Kuppa), 13,5 cm (Fuß); Bu.: 0,1 cm (A), 0,3 cm (B), 0,2 cm (C).Patene: Dm.: 13,6 cm; Bu.: 0,7 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A, C) mit Versalien in gotischer Majuskel (B) und Versalien, die sich keinem Schrifttyp zuordnen lassen (D).

  1. A

    i(esus) n(azarenus) r(ex) i(udeorum)4)

  2. B

    Memento Gher(ardi) ep(iscop)i

  3. C

    de lacte b(ea)te marie v(irginis) · / de s(an)c(t)o lazaro q(uem) s(us)citav(i)t ie(su)sa) // de ligno domini

  4. D

    Rex · sedet · in cena · turba cinctvs · dvodena · // Se tenet · in manibvs · se cibat ipse cibvs5)

Übersetzung:

Gedenke des Bischofs Gerhard. (B)

Von der Milch der heiligen Jungfrau Maria, vom heiligen Lazarus, den Jesus auferweckt hat, vom Kreuzholz des Herrn. (C)

Der König sitzt beim Abendmahl, umringt von der Schar der zwölf [Jünger]. Er hält sich selbst in den Händen, und er speist sich selbst als Speise. (D)

Versmaß: Elegisches Distichon, zweisilbig leoninisch gereimt (D).

Kommentar

Inschrift D ist in einer für Metallinschriften um 1400 charakteristischen gotischen Minuskel ausgeführt: Der Balken des t und das untere Bogenende des p sind durch die Haste gezogen, Schafts und der Versal S sind mit ein bzw. zwei und drei waagerechten Zacken verziert. Vergleichbar gestaltete Inschriften finden sich in Hildesheim auf dem als Parallelstück gearbeiteten Großen Goldkelch Bischof Gerhards (Nr. 110) sowie auf den Arbeiten des Bronzegießers Henning Regner in Einbeck und Hannover.6)

Kelch und Patene gehören zu den Stiftungen Bischof Gerhards (1365–1398) für das von ihm 1388 gegründete Kartäuserkloster, wo er nach seinem Tod am 15. November 1398 begraben wurde. Der Kelch ist nicht nur in der Gestaltung der Buchstaben eng verwandt mit dem Großen Goldkelch des Domschatzes, auch die auf der Patene angebrachte Inschrift D Rex sedet in cena ... stimmt wörtlich mit der Inschrift auf der Kuppa des Großen Goldkelchs überein.

Im Unterschied zum Großen Goldkelch, auf dem der Vers Rex sedet ... unmittelbar die darüber angebrachte Szene des ersten Abendmahls beschreibt, stellt er hier (Inschrift D) die erinnernde Verbindung zwischen der Abendmahlsfeier der Kirche, in der die Patene benutzt wird, und dem ersten Abendmahl her. Der zweite Vers bringt in einer theologisch ausgesprochen pointierten Formulierung zum Ausdruck, daß Christus, als er sich und den Jüngern beim ersten Abendmahl das Brot reichte, das ja zugleich sein Fleisch war (Io. 6,52), in diesem Brot sich selbst in Händen hielt und sich selbst damit speiste. Er, der sein Fleisch zur Speise gibt, ist somit Objekt und Subjekt zugleich. Er als Speise nährt sich selbst mit seinem zur Speise gegebenen Fleisch.7) In ähnlichem Sinn, freilich ohne die paradoxe Formulierung se cibat ipse cibus, drückt der Vers aus dem Hymnus ‚Pange lingua‘ des Thomas von Aquin († 1274)8) Cibum turbae duodenae se dat suis manibus ‚er gibt der Schar der zwölf Apostel mit seinen Händen sich selbst als Speise‘ den Gedanken aus, daß Christus sua membra ‚seine Glieder‘ an die Jünger und an die Kirche austeilt.

Textkritischer Apparat

  1. ihc.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr.: DS 42. Ausführliche Beschreibung: Michael Wolfson: Die Stiftungen Bischof Gerhards. In: Kat. Goldkelch, S. 25–36, hier S. 30–33.
  2. Bertram, Bistum 3, S. 183.
  3. Kratz, Dom 2, S. 183.
  4. Io. 19,19.
  5. Die beiden Verse sind auch als Tituli in der Biblia pauperum verwendet worden, vgl. Biblia pauperum, S. 13. Vgl. DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 14; DI 42 (Einbeck), Nr. 10.
  6. UB Stadt 2, Nr. 675; vgl. Wolfson (wie Anm. 1), S. 29.
  7. Ausführlicher zur Deutung dieser beiden Verse: Christine Wulf: Die Inschriften auf dem großen Goldkelch im Domschatz. In: Kat. Goldkelch, S. 68.
  8. Analecta Hymnica 50, Nr. 586.

Nachweise

  1. Kratz, Dom 2, S. 183.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 158 (B, D).
  3. Kd. Hildesheim, Kirchen, S. 111 (B, D).
  4. Michael Wolfson: Die Stiftungen Bischof Gerhards. In: Kat. Goldkelch, S. 30 (B), S. 32 (C), Abb. S. 24, 26 und 27.
  5. Slg. Rieckenberg, S. 507–511, zwei Photos.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 108 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0010808.